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Popkultur

Zeitsprung: Am 14.9.1955 nimmt Little Richard „Tutti Frutti“ auf.

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Michael Ochs Archives/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 14.9.1955.

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von Christian Böhm und Christof Leim

Als Little Richard sich am 14. September 1955 in der Mittagspause an ein Klavier setzt, „A-Wop-Bop-A-Loo-Bop-A-Lop-Bam-Boom“ singt und dazu wild in die Tasten haut, will Produzent Bumps Blackwell diese wilde musikalische Mischung unverzüglich aufnehmen. Heraus kommt Tutti Frutti, der womöglich erste Rock’n’Roll-Song. Und das alles, weil gerade kein Schlagzeuger anwesend war.

Hier kannst du dir Tutti Frutti und andere Klassiker von Little Richard anhören: 

Nehmen wir an, wir seien Musiker oder Musikerin und nähmen unser Album auf. Wir befinden uns gerade nicht im Tonstudio, sondern verbringen unsere Mittagspause im Diner nebenan. Dort steht ein Klavier, aber kein Schlagzeug. Der Drummer ist sowieso nicht anwesend, wohl aber der Produzent, dem wir spontan eine Songidee vorspielen wollen. Wie lassen wir ihn wissen, dass das folgende Stück Musik mit zwei Takten Schlagzeug beginnen soll? Klar: Wir singen die Einleitung eben. Genau so entstand die bekannteste Lautmalerei von Little Richard: „A-Wop-Bop-A-Loo-Bop-A-Lop-Bam-Boom“ besteht aus Worten, die keine Bedeutung, aber einen Sinn haben. Zurück im Studio singt Little Richard die Zeile gleich mehrmals ein: Tutti Frutti beginnt und endet mit ihr, und auch in der Mitte taucht sie immer wieder auf. Die Zeile aus Fantasiewörtern bildet sozusagen den roten Faden des Songs, ein Schlagzeug braucht man dafür nicht mehr.

Ein neuer Still

Als schneller Shuffle kommt Tutti Frutti daher, zu dem Little Richard die Klaviertasten regelrecht malträtiert. Dieser hämmernde Stil wird eines seiner Markenzeichen. Richard schreit und singt, teils mit kratziger Stimme. Er presst die Worte aus sich heraus, wild, anarchisch, anders, ungewöhnlich. Und immer wieder dieser nicht gespielte Schlagzeugpart: „A-Wop-Bop-A-Loo-Bop-A-Lop-Bam-Boom.“ Das klingt intensiv, lebensfroh, neu. Es ist wohl… Rock’n’Roll.

Produzent Bumps Blackwell ist begeistert. Er hatte dem Künstler die Chance gegeben, für Specialty Records aufzunehmen. Denn Little Richard will weg vom Label Peacock, wo er bisher unter Vertrag steht. Seit 1951 veröffentlicht er Songs, aber sie verkaufen sich nicht gut. Um zu überleben, muss Richard in einem Imbiss einer Busstation Teller spülen. Um diesem Job zu entkommen, verschickt er Demoaufnahmen, die Blackwell zum Anlass nimmt, zwei Studiotage für eine Session mit Little Richard zu buchen. Doch die Wildheit der Liveauftritte lässt sich kaum auf Band einfangen, außerdem fällt das Songmaterial sehr bluesig aus. Es läuft nicht gerade großartig für den Künstler — bis Tutti Frutti den Produzenten in der Mittagspause fast vom Restaurantstuhl wirft.

Die „Tutti Frutti“-Single

Blackwell engagiert eine Formation bekannter Studiomusiker aus New Orleans. Justin Adams, Roy Montrell und Edgar Blanchard haben unter anderem für Fats Domino schon die Gitarren eingespielt, nun unterstützen sie Little Richard bei den Sessions mit Blackwell auf seinem Weg vom Rhythm & Blues zu einem neuen Stil. (Als der Pianist später seine eigene Band zusammenstellt, finden sich dort ein paar Leute, die selbst zu Ruhm gelangen werden. Ein gewisser Jimi Hendrix zum Beispiel fungiert in den Sechzigern als Richards Rythmusgitarrist.)

Nicht so schlüpfrig

Zurück zum Hitsong: Zitroneneis mit Nüssen und Früchten klingt gut? Diese Eiskreation namens Tutti Frutti schmeckt wahrscheinlich toll. Richards Text fällt allerdings zunächst weniger harmlos aus: Sein Lied heißt ursprünglich Tutti Frutti, Good Booty und handelt von besonderen körperlichen Attributen, nämlich einem schönen Hintern. 

Das Label allerdings findet, dass das so nicht geht, und engagiert Texterin Dorothy La Bostrie. Sie soll dem Text die Schlüpfrigkeit nehmen und ändert die Zeile in „Tutti Frutti, all rooty“, was so viel wie „okay“ bedeutet. Nach zweieinhalb Minuten ist alles gesagt und Tutti Frutti (was in der englischen Mundart des Cockney übrigens „Schönheit“ bedeutet) endet folgerichtig mit „A-Wop-Bop-A-Loo-Bop-A-Lop-Bam-Boom.“

Vom Tellerwäscher zum großen Stern des Rock’n’Roll 

Der Rest ist dann Geschichte: Die Radiosender spielen den Song (was sie in der unentschärften Originalversion wahrscheinlich nicht getan hätten), und bis heute ist er in aller Munde. Der Hit sowie das Album Here’s Little Richard, auf dem Tutti Frutti neben weiteren Erfolgen wie Long Tall Sally und Lucille erscheint, verkaufen sich millionenfach. Leider wirkt sich der Erfolg des Songs für seinen Schöpfer finanziell vorerst nicht aus, da er die Verlagsrechte für gerade einmal 50 Dollar an Specialty Records verkauft hatte. 1955 ist Little Richard 23 Jahre jung und braucht das Geld. 

Tutti Frutti macht den wegen seiner Körpergröße „kleiner“ Richard genannten Mann (der bürgerlich Richard Wayne Penniman heißt) aber zu einer Größe: Neben Pat Boone spielen Elvis Presley und Carl Perkins Coverversionen des Liedes ein. 1956 bringt Peter Kraus eine deutsche Version heraus, seine erste Single überhaupt.

Ehrungen von allen Seiten

In Großbritannien nehmen Queen den Song in ihr Liveset auf. Aufgenommen wird er auch 2010 in die National Recording Registry, das Verzeichnis besonders erhaltenswerter Tondokumente der USA. Tutti Frutti markiere eine neue musikalische Ära.

Denn Little Richard hat mit Tutti Frutti möglicherweise den ersten Rock’n’Roll-Song geschrieben. Die Liste derer, die ihn dafür verehren, ist lang: Neben Elvis Presley, Tina Turner, Mick Jagger, Elton John, Paul McCartney (die Beatles gaben die Vorband für Little Richard, als sie noch kaum jemand kannte!), Dave Grohl und Lemmy Kilmister finden sich viele weitere Kollegen und Kolleginnen auf ihr. Steven Van Zandt, Gitarrist in Springsteens E Street Band, nennt sich Richard zu Ehren bis heute Little Steven, auch Prince war offensichtlich alleine optisch schon inspiriert von ihm.

Gott sei Dank: Tutti Frutti

Manche nennen Little Richard den Vater oder Architekten des Rock’n’Roll. In jedem Fall war der Mann ein bunter Vogel oder auch ein „Peach“, ein Pfirsich, wie man in den USA sagt. Ein Best-Of-Album von 1991 trägt den Titel Georgia Peach (erster Song darauf: Tutti Frutti!), und viele nennen den Künstler aus Georgia bis heute so. Schrille Outfits sowie sein lautes Lachen auf der Bühne und in Interviews machen ihn zu einem extravaganten Original. 1986 erhält der Paradiesvogel einen Platz in der Rock And Roll Hall Of Fame. Am 9. Mai 2020 stirbt Little Richard in Tullahoma, Tennessee.

Über Tutti Frutti sagt er 1999: “Das Beste, was mir passieren konnte. Das Lied hat mich aus der Küche geholt, in der ich für zehn Dollar die Woche zwölf Stunden am Tag Geschirr gespült habe. Ich danke Gott für Tutti Frutti.”

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