------------

Popkultur

Interview mit Paul Stanley: „Auf ihre eigene Weise sind KISS-Konzerte überaus intim“

Published on

Paul Stanley

Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass Paul Stanley eine Soul-Band hat. Deren erstes Album bietet süffigen, ikonischen Soul zwischen Covern und Eigenkompositionen. Ein Zoom-Gespräch über Soul, KISS und seine Vergangenheit.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Now And Then hören:

Paul Stanley, das Starchild, der Rockstar vom anderen Stern: So kennen wir den Gitarristen, Sänger und Mitgründer von KISS. Es gibt aber noch einen anderen Paul Stanley. Den Soul-Aficionado, der Otis Redding in Jugendjahren in New York live gesehen hat. Form gibt er dieser Leidenschaft seit einigen Jahren mit seinem interkulturellen Ensemble Soul Station. Mit diesem hochwertigst besetzten Grüppchen hat er jetzt auch ein wunderbares Album aufgenommen, dessen Titel schon zeigt, was ihm da so vorschwebt: Now And Then, er will das Gestern mit dem Heute vereinen. Um die Musik lebendig zu halten, wie er sagt. Dem Rock’n’Roll schwört er aber nicht gänzlich ab. Zumindest noch nicht.

Erzähl uns doch mal, wie ihr beide zusammengefunden habt – der Soul und du.

Soul ist ein derart breites Feld, dass man eigentlich gar nicht von dem Soul sprechen kann. Allein die Vorstellung, dass Stax, Philly-Soul und Motown dieselbe Musik sein soll, ist haarsträubend. (lacht) Was mir immer besonders imponiert hat und eigentlich auch das einzige ist, was wirklich zählt: Diese Musik hat Seele. Das suchte ich schon in jungen Jahren, das spricht noch heute zu mir. Und diese Seele im Soul, egal, aus welcher Stadt er kommt, hängt untrennbar mit dem Leidensweg der Schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten zusammen. Ihr Schmerz, ihr blutiger Weg durch Folter und Tod zu Selbstbestimmung und Freiheit, stecken in jeder Note. Als ich das erste Mal You’ve Really Got A Hold On Me von Smokey Robinson & The Miracles hörte, war es um mich geschehen. Es war kein perfekter Sound, aber dafür voller Leidenschaft. Diese Musik gibt einen Blick auf dein Innerstes frei, legt deine Seele offen und zieht Freude aus Trauer. Diese Musik hatte etwas Glorreiches – vor allem, wenn ich sie live hörte.

„All diese großartigen Songs kennt man heute allerhöchstens noch aus Samples in Rap-Songs.“


Jetzt in unserem Shop erhältlich:

Paul Stanley
Paul Stanley’s Soul Station
Now And Then
Col. 2LP, 2LP

HIER BESTELLEN


Es ist also dein persönlicher Weg zurück zu den Wurzeln?

Klar konzentrierte ich mich bei KISS eher auf die klassische Rock-Seite der Dinge, doch gerade deswegen war es mir so wichtig, mal zurück zu meine Ursprüngen zu gehen. Und was ich in diesem Prozess feststellen musste, war: All diese großartigen Songs kennt man heute allerhöchstens noch aus Samples in Rap-Songs. Nicht falsch verstehen, das ist okay, doch ich möchte der Welt zeigen, wie großartig diese Musik für sich genommen ist. Dafür habe ich Soul Station gegründet. Uns allen geht es darum, diese Musik zu ehren und für die Nachwelt zu bewahren. Wir alle kommen aus verschiedenen Kulturen, haben verschiedene Ursprünge und verschiedene Biografien. Doch hier kommen wir zusammen, um den Soul zu feiern und ihn in die Gegenwart zu bringen.

„Mich verwirren Menschen, die nur die eine Art von Musik hören.“

Wurde in deiner Familie früher auch viel Soul gehört?

Auch, aber nicht nur. Musik war für die Generation meiner Eltern immens wichtig. Meine Eltern waren Juden, mein Vater kam aus Polen nach New York City und meine Mutter floh aus Nazi-Deutschland. Sie lebten für die Kunst, für die Musik. Diese Generation sah Kultur nicht als Luxus an, sondern als essentiellen Baustein des täglichen Lebens. Die erste Musik, an die ich mich erinnern kann, waren Beethovens Klavierkonzerte. Die Klassik fesselte und triggerte mich, brachte mir all den Ärger ein, der mich später erwartete. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Elvis und Sam Cooke diesen Platz einnahmen. Ich war wie entfesselt, entdeckte überall neue Musik, verfiel dem Motown-Soul, der British Invasion, entdeckte die italienische Oper und den Blues. Das ist bis heute so: Mich verwirren Menschen, die nur die eine Art von Musik hören. Ich esse doch auch nicht jeden Tag dasselbe Essen! Die Menschen sagen mir, dass sie sich eben wohl fühlen, wenn sie nur diese eine Art von Musik hören, aber das glaube ich ihnen nicht. Wir alle profitieren davon, andere Musik zu hören, andere Speisen zu kosten. Ich liebe Pizza, aber wenn ich sie jeden Tag essen müsste, wäre ich nicht nur fett, sondern auch unterernährt. So ist es auch mit Musik. Es gibt gute und schlechte Musik, mehr zählt nicht.

Wie unterscheidet sich Paul Stanley von Soul Station eigentlich vom Starchild, das uns bei KISS seit 50 Jahren den Kopf verdreht?

Wenn du in der Öffentlichkeit stehst, nehmen die Menschen nur diese eine Seite von dir wahr. Verständlicherweise. Bei mir ist das Paul Stanley, dieser Typ von KISS. Der Mensch ist aber vielschichtiger als man denkt, er hat unzählige verschiedene Interessen, Probleme, Vorlieben. Du willst also wissen, was er Unterschied ist? Bei KISS trage ich eine Gitarre um den Hals. (lacht)

„Manchmal reagieren die Menschen überrascht, wenn sie feststellen, wie ruhig ich bin.“

Das ist alles?

Nun, natürlich nicht. KISS sind Rock’n’Roll, das ist natürlich etwas ganz anderes. Wenn ich in einer Arena stehe und zu 20.000 Menschen spreche, dann funktioniert das nur über sehr hohe Lautstärke und auffällige Körpersprache. Bei Soul Station geht es um Konversation. Vor jedem neuen Song erzähle ich ein wenig über ihn, über seine Geschichte, unseren Ansatz, meine Beziehung zu ihm. Ich will nicht sagen, dass das intimer ist, auf ihre ganz eigene bizarre Weise sind KISS-Konzerte sogar überaus intim; der Maßstab ist einfach ein anderer. Manchmal reagieren die Menschen überrascht, wenn sie mir begegnen und feststellen, wie ruhig ich bin. Ich frage mich dann immer, was sie von mir erwarten und ob ich jetzt auf den Tisch springen soll oder so. Es gibt eine Zeit und einen Ort für alles. Soul Station wählt also einen anderen Zugang zur Musik, ist aber deswegen nicht mehr oder weniger ich selbst.

Muss man das Spielen in kleinen Clubs neu lernen, wenn man Jahrzehnte in Arenen und Stadien verbracht hat?

Nein, dafür sorgt die Energie dieser Band. Sie bringt Wände zum Beben. Das Publikum ist so entrückt, ergriffen und euphorisiert, dass die Intensität dieselbe ist. Hier kommen Menschen zusammen, die gemeinsam in Musik und Erinnerungen versinken. Das ist alles höchst emotional.

„Malen nach Zahlen wäre uns viel zu wenig gewesen.“

Euer Zusammenspiel bei Soul Station ist für ein 15-köpfiges Ensemble (darunter KISS-Drummer Eric Singer) aber auch wirklich beeindruckend…

Ich versuche auch noch, das zu beschreiben: Die Planeten standen gut zueinander, Gottes Wille, was auch immer, such dir was aus. (lacht) Als wir erstmals in einem Raum waren und zusammen spielten, hatten wir alle das Gefühl, uns schon ewig zu kennen. Wir alle lieben die Musik und die Gesellschaft, das merkt man einfach. Man muss sich nur mal die Aufnahmen aus dem Roxy in Los Angeles ansehen, da spielten wir seit zwei Wochen zusammen! Bei Soul Station zirkulieren zwei Dinge, die mehr und mehr verloren gehen: Leidenschaft und Spielfreude. Wir wollten die Songs nicht perfekt wiedergeben; wir wollten ihre Essenz einfangen und durch uns filtern. Malen nach Zahlen wäre uns viel zu wenig gewesen.

Kommen wir kurz noch auf die unterbrochene End-Of-The-Road-Abschiedstournee von KISS zu sprechen. Ist es nicht fürchterlich schwer, die Motivation für diese letzten Konzerte aufrecht zu erhalten, wenn man nicht live spielen kann?

Aber nein. Das wird schon wieder. Ich empfand unsere Abschiedstournee zu keinem Zeitpunkt als düster oder traurig. Sie ist eine Feier. Alles endet, und wenn wir Glück haben, wissen wir vorher, dass es passiert. So sehr wir KISS lieben, wissen wir doch, dass wir das nicht für immer machen können. Wir sind nicht wie andere Bands. Wenn du in Jeans und Turnschuhen auf die Bühne gehst, kannst du das auch noch mit 80 machen. Eine Show wie die unsere ist irgendwann nicht mehr zu stemmen. Also wollen wir uns mit der größten KISS-Show aller Zeiten verabschieden, der modernsten KISS-Show aller Zeiten, der Show mit der vollständigsten Setlist. Eine Ehrenrunde, eine letzte Party mit all unseren Freund*innen. Natürlich ist das alle sehr emotional, aber bei mir überwiegt die Freude. Ich habe weder ein halbleeres noch ein halbvolles Glas. Mein Glas läuft über. Die Freude, das alles erlebt haben zu dürfen, überstrahlt die Trauer über das Ende bei weitem.

Zumal du ein Wort wie Langeweile wahrscheinlich eh nicht kennst, oder?

Langeweile ist nichts für mich, nein. Langeweile sollte aber für niemanden etwas sein. Nimm dir nur diese Bucket Lists. Für mich sind die pures Gift für das Leben. Du hakst Dinge ab, wo du doch eigentlich konstant Dinge hinzufügen solltest. Darum geht es im Leben: Um neue Herausforderungen, neue Abenteuer. Ich habe keine Bucket List, ich achte nur darauf, dass immer genug Benzin im Tank ist.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

God Gave Soul To You: So gut ist „Now And Then“ von Paul Stanley’s Soul Station

Popkultur

Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.

Published on

Header-Bild Credit: Kreepin Deth/Wiki Commons

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.

von Christof Leim

Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.

Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:

Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.

Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“

Längt beschlossene Sache

Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“

Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.

Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.

Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.

Continue Reading

Popkultur

„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?

Published on

Boygenius HEADER
Foto: Noam Galai/Getty Images

Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch The Record anhören:

Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.

Wie einst Nirvana

Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.

Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.

Die Avengers der Indie-Welt

Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.

Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.

Musste Rick Rubin draußen bleiben?

Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.

The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

boygenius: Wer steckt hinter der Indie-Supergroup?

Continue Reading

Popkultur

Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.

Published on

Chuck Berry Johnny B Goode Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.

von Christof Leim

Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.

Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.

Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry

Aus dem Stand ein Hit

Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.

Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.

Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.

Da kommt noch mehr

Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.

Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.

Continue Reading

Latest Music News

Top Stories

Don't Miss