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Popkultur

Interview mit Paul Stanley: „Auf ihre eigene Weise sind KISS-Konzerte überaus intim“

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Paul Stanley

Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass Paul Stanley eine Soul-Band hat. Deren erstes Album bietet süffigen, ikonischen Soul zwischen Covern und Eigenkompositionen. Ein Zoom-Gespräch über Soul, KISS und seine Vergangenheit.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Now And Then hören:

Paul Stanley, das Starchild, der Rockstar vom anderen Stern: So kennen wir den Gitarristen, Sänger und Mitgründer von KISS. Es gibt aber noch einen anderen Paul Stanley. Den Soul-Aficionado, der Otis Redding in Jugendjahren in New York live gesehen hat. Form gibt er dieser Leidenschaft seit einigen Jahren mit seinem interkulturellen Ensemble Soul Station. Mit diesem hochwertigst besetzten Grüppchen hat er jetzt auch ein wunderbares Album aufgenommen, dessen Titel schon zeigt, was ihm da so vorschwebt: Now And Then, er will das Gestern mit dem Heute vereinen. Um die Musik lebendig zu halten, wie er sagt. Dem Rock’n’Roll schwört er aber nicht gänzlich ab. Zumindest noch nicht.

Erzähl uns doch mal, wie ihr beide zusammengefunden habt – der Soul und du.

Soul ist ein derart breites Feld, dass man eigentlich gar nicht von dem Soul sprechen kann. Allein die Vorstellung, dass Stax, Philly-Soul und Motown dieselbe Musik sein soll, ist haarsträubend. (lacht) Was mir immer besonders imponiert hat und eigentlich auch das einzige ist, was wirklich zählt: Diese Musik hat Seele. Das suchte ich schon in jungen Jahren, das spricht noch heute zu mir. Und diese Seele im Soul, egal, aus welcher Stadt er kommt, hängt untrennbar mit dem Leidensweg der Schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten zusammen. Ihr Schmerz, ihr blutiger Weg durch Folter und Tod zu Selbstbestimmung und Freiheit, stecken in jeder Note. Als ich das erste Mal You’ve Really Got A Hold On Me von Smokey Robinson & The Miracles hörte, war es um mich geschehen. Es war kein perfekter Sound, aber dafür voller Leidenschaft. Diese Musik gibt einen Blick auf dein Innerstes frei, legt deine Seele offen und zieht Freude aus Trauer. Diese Musik hatte etwas Glorreiches – vor allem, wenn ich sie live hörte.

„All diese großartigen Songs kennt man heute allerhöchstens noch aus Samples in Rap-Songs.“


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Paul Stanley
Paul Stanley’s Soul Station
Now And Then
Col. 2LP, 2LP

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Es ist also dein persönlicher Weg zurück zu den Wurzeln?

Klar konzentrierte ich mich bei KISS eher auf die klassische Rock-Seite der Dinge, doch gerade deswegen war es mir so wichtig, mal zurück zu meine Ursprüngen zu gehen. Und was ich in diesem Prozess feststellen musste, war: All diese großartigen Songs kennt man heute allerhöchstens noch aus Samples in Rap-Songs. Nicht falsch verstehen, das ist okay, doch ich möchte der Welt zeigen, wie großartig diese Musik für sich genommen ist. Dafür habe ich Soul Station gegründet. Uns allen geht es darum, diese Musik zu ehren und für die Nachwelt zu bewahren. Wir alle kommen aus verschiedenen Kulturen, haben verschiedene Ursprünge und verschiedene Biografien. Doch hier kommen wir zusammen, um den Soul zu feiern und ihn in die Gegenwart zu bringen.

„Mich verwirren Menschen, die nur die eine Art von Musik hören.“

Wurde in deiner Familie früher auch viel Soul gehört?

Auch, aber nicht nur. Musik war für die Generation meiner Eltern immens wichtig. Meine Eltern waren Juden, mein Vater kam aus Polen nach New York City und meine Mutter floh aus Nazi-Deutschland. Sie lebten für die Kunst, für die Musik. Diese Generation sah Kultur nicht als Luxus an, sondern als essentiellen Baustein des täglichen Lebens. Die erste Musik, an die ich mich erinnern kann, waren Beethovens Klavierkonzerte. Die Klassik fesselte und triggerte mich, brachte mir all den Ärger ein, der mich später erwartete. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Elvis und Sam Cooke diesen Platz einnahmen. Ich war wie entfesselt, entdeckte überall neue Musik, verfiel dem Motown-Soul, der British Invasion, entdeckte die italienische Oper und den Blues. Das ist bis heute so: Mich verwirren Menschen, die nur die eine Art von Musik hören. Ich esse doch auch nicht jeden Tag dasselbe Essen! Die Menschen sagen mir, dass sie sich eben wohl fühlen, wenn sie nur diese eine Art von Musik hören, aber das glaube ich ihnen nicht. Wir alle profitieren davon, andere Musik zu hören, andere Speisen zu kosten. Ich liebe Pizza, aber wenn ich sie jeden Tag essen müsste, wäre ich nicht nur fett, sondern auch unterernährt. So ist es auch mit Musik. Es gibt gute und schlechte Musik, mehr zählt nicht.

Wie unterscheidet sich Paul Stanley von Soul Station eigentlich vom Starchild, das uns bei KISS seit 50 Jahren den Kopf verdreht?

Wenn du in der Öffentlichkeit stehst, nehmen die Menschen nur diese eine Seite von dir wahr. Verständlicherweise. Bei mir ist das Paul Stanley, dieser Typ von KISS. Der Mensch ist aber vielschichtiger als man denkt, er hat unzählige verschiedene Interessen, Probleme, Vorlieben. Du willst also wissen, was er Unterschied ist? Bei KISS trage ich eine Gitarre um den Hals. (lacht)

„Manchmal reagieren die Menschen überrascht, wenn sie feststellen, wie ruhig ich bin.“

Das ist alles?

Nun, natürlich nicht. KISS sind Rock’n’Roll, das ist natürlich etwas ganz anderes. Wenn ich in einer Arena stehe und zu 20.000 Menschen spreche, dann funktioniert das nur über sehr hohe Lautstärke und auffällige Körpersprache. Bei Soul Station geht es um Konversation. Vor jedem neuen Song erzähle ich ein wenig über ihn, über seine Geschichte, unseren Ansatz, meine Beziehung zu ihm. Ich will nicht sagen, dass das intimer ist, auf ihre ganz eigene bizarre Weise sind KISS-Konzerte sogar überaus intim; der Maßstab ist einfach ein anderer. Manchmal reagieren die Menschen überrascht, wenn sie mir begegnen und feststellen, wie ruhig ich bin. Ich frage mich dann immer, was sie von mir erwarten und ob ich jetzt auf den Tisch springen soll oder so. Es gibt eine Zeit und einen Ort für alles. Soul Station wählt also einen anderen Zugang zur Musik, ist aber deswegen nicht mehr oder weniger ich selbst.

Muss man das Spielen in kleinen Clubs neu lernen, wenn man Jahrzehnte in Arenen und Stadien verbracht hat?

Nein, dafür sorgt die Energie dieser Band. Sie bringt Wände zum Beben. Das Publikum ist so entrückt, ergriffen und euphorisiert, dass die Intensität dieselbe ist. Hier kommen Menschen zusammen, die gemeinsam in Musik und Erinnerungen versinken. Das ist alles höchst emotional.

„Malen nach Zahlen wäre uns viel zu wenig gewesen.“

Euer Zusammenspiel bei Soul Station ist für ein 15-köpfiges Ensemble (darunter KISS-Drummer Eric Singer) aber auch wirklich beeindruckend…

Ich versuche auch noch, das zu beschreiben: Die Planeten standen gut zueinander, Gottes Wille, was auch immer, such dir was aus. (lacht) Als wir erstmals in einem Raum waren und zusammen spielten, hatten wir alle das Gefühl, uns schon ewig zu kennen. Wir alle lieben die Musik und die Gesellschaft, das merkt man einfach. Man muss sich nur mal die Aufnahmen aus dem Roxy in Los Angeles ansehen, da spielten wir seit zwei Wochen zusammen! Bei Soul Station zirkulieren zwei Dinge, die mehr und mehr verloren gehen: Leidenschaft und Spielfreude. Wir wollten die Songs nicht perfekt wiedergeben; wir wollten ihre Essenz einfangen und durch uns filtern. Malen nach Zahlen wäre uns viel zu wenig gewesen.

Kommen wir kurz noch auf die unterbrochene End-Of-The-Road-Abschiedstournee von KISS zu sprechen. Ist es nicht fürchterlich schwer, die Motivation für diese letzten Konzerte aufrecht zu erhalten, wenn man nicht live spielen kann?

Aber nein. Das wird schon wieder. Ich empfand unsere Abschiedstournee zu keinem Zeitpunkt als düster oder traurig. Sie ist eine Feier. Alles endet, und wenn wir Glück haben, wissen wir vorher, dass es passiert. So sehr wir KISS lieben, wissen wir doch, dass wir das nicht für immer machen können. Wir sind nicht wie andere Bands. Wenn du in Jeans und Turnschuhen auf die Bühne gehst, kannst du das auch noch mit 80 machen. Eine Show wie die unsere ist irgendwann nicht mehr zu stemmen. Also wollen wir uns mit der größten KISS-Show aller Zeiten verabschieden, der modernsten KISS-Show aller Zeiten, der Show mit der vollständigsten Setlist. Eine Ehrenrunde, eine letzte Party mit all unseren Freund*innen. Natürlich ist das alle sehr emotional, aber bei mir überwiegt die Freude. Ich habe weder ein halbleeres noch ein halbvolles Glas. Mein Glas läuft über. Die Freude, das alles erlebt haben zu dürfen, überstrahlt die Trauer über das Ende bei weitem.

Zumal du ein Wort wie Langeweile wahrscheinlich eh nicht kennst, oder?

Langeweile ist nichts für mich, nein. Langeweile sollte aber für niemanden etwas sein. Nimm dir nur diese Bucket Lists. Für mich sind die pures Gift für das Leben. Du hakst Dinge ab, wo du doch eigentlich konstant Dinge hinzufügen solltest. Darum geht es im Leben: Um neue Herausforderungen, neue Abenteuer. Ich habe keine Bucket List, ich achte nur darauf, dass immer genug Benzin im Tank ist.

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