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Popkultur

Zeitsprung: Am 18.8.1955 sagt Pete Seeger vor dem „Komitee für unamerikanische Aktivitäten“ aus.

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Pete Seeger mit seinem Instrument, dem Banjo. — Foto: Sam Falk/New York Times Co./Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 18.8.1995.

von Christian Böhm und Christof Leim

Im Jahr 1955 hat Pete Seeger bereits sehr viel gesagt und getan. Mit Goodnight, Irene verbucht der Folksänger 1950 einen Nummer-eins-Hit, mit seinem Freund Woody Guthrie reist er per Anhalter durch die USA. Politische Songs und Antikriegslieder singt Seeger mit den Almanac Singers, nachdem er in der Library of Congress für die Sammlung und Katalogisierung seiner Lieblingsmusik zuständig war: Spirituals, Gospels, Hillbilly, Bluegrass, Country und Blues. Man könnte sagen: Seeger hat einen durch und durch amerikanischen Geschmack.

Hier kannst du die wichtigsten Pete-Seeger-Songs hören: 

Über sein Instrument, das Banjo, hat der Sohn profimusikalischer Eltern ein Buch geschrieben, das bald als Klassiker gilt: How To Play the Five-String Banjo. Pete Seeger befindet sich auf dem besten Weg, eine Ikone der Folkmusik zu werden. Als schon immer politischer und gerechtigkeitsliebender Mensch tritt er in die Kommunistische Partei der USA ein und singt auf deren Veranstaltungen. Weil sich hierfür nicht nur Parteifreunde und -freundinnen interessieren, steht er am 18. August 1955 vor dem „Komitee für unamerikanische Aktivitäten“ und soll dort aussagen, ob er jemals etwas gegen den amerikanischen Staat getan hat. Insbesondere steht der Vorwurf im Raum, er habe den Kommunismus durch das Singen seiner Lieder unterstützt.

Ein Amerikaner, der für alle singt

Seegers Antwort lautet: „Ich habe für Amerikaner jeder politischen Überzeugung gesungen und bin stolz darauf, dass ich mich nie weigere, vor einem Publikum zu singen, egal, welche Religion oder Farbe ihre Haut oder welche Lebenssituation es hat. Ich habe in Hobo-Dschungeln gesungen und für die Rockefellers, und ich bin stolz darauf, dass ich mich nie geweigert habe, für irgendjemanden zu singen.“ Er hätte sie nicht geben müssen: Wie viele andere, die beschuldigt wurden, hätte er sich auf die fünfte Änderung der Verfassung berufen und die Aussage verweigern können. Dieser Passus besagt, dass man sich nicht selbst belasten muss.

Doch Seeger beruft sich stattdessen auf sich selbst und seine Grundrechte als Bürger der USA: „Ich werde keine Fragen zu meiner Vereinigung, meinen philosophischen oder religiösen Überzeugungen oder meinen politischen Überzeugungen beantworten oder wie ich bei einer Wahl oder einer dieser privaten Angelegenheiten gewählt habe. Ich denke, dies sind sehr unangemessene Fragen, die keinem Amerikaner gestellt werden sollen, insbesondere unter solchen Zwängen.“ Anders formuliert: Sein Gewissen genügt ihm, er benötigt die geänderte Verfassung nicht.

Unamerikanische Taten?

Doch was ist eigentlich los? Wer fragt hier nach Dingen, die sowieso klar sind? Pete Seeger hat auf kommunistischen Veranstaltungen musiziert und nie einen Hehl aus seiner mindestens sozialistischen Orientierung gemacht. Er gehörte der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei an  und verließ diese Anfang der Fünfziger.

Das „House Committee On Un-American Activities“ (HCUA) will es genauer wissen. Der 1938 gegründete Ausschuss untersucht Bürger und Bürgerinnen wie auch Organisationen zuerst auf faschistische, später vor allem kommunistische Aktivitäten. So handelt das Komitee ganz im Sinne des US-Senators Joseph McCarthy, dessen knallharter Antikommunismus so bekannt ist, dass eine ganze Ära nach ihm benannt wurde: die McCarthy-Ära oder der McCarthyismus. Diese Zeit taucht natürlich in der Kunst auf, auch in der lauten: Der Metallica-Song The Shortest Straw etwa handelt davon.)

Hexenjagd

Die ausufernden Befragungen des HCUA werden bisweilen als Hexenjagd beschrieben. Wer auf der hauseigenen Schwarzen Liste landet, muss mit einem Knick in der Karriere rechnen. Zehn als „Hollywood Ten“ bezeichnete Filmschaffende kritisieren die Aktivitäten des Komitees scharf und vergleichen sie mit Methoden der Nazizeit. Sie erhalten Gefängnisstrafen und finden ihre Namen auf der Liste.

Ob solche Praktiken nicht selbst als unamerikanisch gelten können und den Methoden von Josef Stalin zumindest ähneln, könnte man hier sicher fragen. Pete Seeger jedenfalls wendet sich bald vom Stalinismus ab, als er der Brutalität dieses Systems gewahr wird. US-Präsident Harry S. Truman äußert später Kritik an der staatseigenen Institution: „Ich habe wiederholt gesagt, dass ich der Meinung bin, das Komitee für unamerikanische Umtriebe im Repräsentantenhaus war die unamerikanischste Angelegenheit in Amerika!

Die Folgen

Zurück zur Befragung: Seeger bleibt dabei, nichts Falsches getan zu haben. Der Ausschuss verpflichtet ihn, seinen New Yorker Wohnbezirk vorerst nur nach Meldung bei den Behörden zu verlassen, weil er sich nicht kooperativ gezeigt und den Fragen immer wieder ausgewichen sei. Die Jahre nach der Anhörung werden für Seeger nicht leicht. 1960 wird sein Auftritt an einer High School in San Diego abgesagt, weil Seeger nicht unter Eid garantieren will beziehungsweise kann, dass das Gastspiel weder zur Förderung des Kommunismus noch zum Sturz der Regierung verwendet wird. Die Gewerkschaft setzt durch, dass das Konzert trotzdem stattfinden kann, 2009 entschuldigt sich die Schulbehörde für ihren zweifelhaften Verwaltungsakt. 1961 wird er zu einer Haftstrafe verurteilt. Die muss Pete Seeger nicht komplett absitzen, weil das Urteil nach einem Jahr revidiert wird. Aber: Er erhält vorerst deutlich weniger Engagements, weil er nun auch auf der Schwarzen Liste steht.

Die Karriere geht weiter

1975 wird das HCUA abgeschafft (es geht in eine andere Behörde über), und Pete Seeger setzt seinen Weg fort: 1963 interpretieren Peter, Paul and Mary sein Lied If I Had A Hammer beim Marsch auf Washington, und Joan Baez singt We Shall Overcome, bevor Martin Luther King seine berühmte Rede hält. Der Song, der auch zu Seegers Programm zählt, wird zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung.

Seine Version von Guantanamera und sein Antikriegslied Where Have All The Flowers Gone werden weltbekannt, ebenso Turn! Turn! Turn! Als Aktivist bleibt Seeger bis zu seinem Lebensende engagiert, zum Beispiel für Greenpeace und gegen das zweifelhafte Fracking. 

Pete Seeger und Bruce Springsteen bei der Amtseinführung Barack Obamas. — Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Nicht unamerikanisch

Zu seinem neunzigsten Geburtstag verneigen sich Größen wie Eddie Vedder, John Mellencamp und zahlreiche Weitere mit einem Tributkonzert. Bruce Springsteen veröffentlicht ein ganzes Album ausschließlich mit Seegers Songs und Woodie Guthries This Land Is Your Land spielen beide zusammen bei Barack Obamas Amtseinführung. Ganz so unamerikanisch kann Pete Seeger, der 2014 im Alter von 94 Jahren starb, also nicht gewesen sein. 

Zeitsprung: Am 23.2.1940 schreibt Woody Guthrie „This Land Is Your Land“.

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