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Popkultur

„Radio Free Europe“: Wie R.E.M. den Alternative Rock salonfähig machten

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R.E.M.
Foto: Paul Natkin/Getty Images

Vor 40 Jahren veröffentlichen die weitgehend unbekannten College-Rocker R.E.M. ihre erste Single Radio Free Europe. Sie ist der erste Kieselstein einer Lawine, die die Rock-Geschichte schon wenige Jahre später maßgeblich mit formen wird.

von Björn Springorum

Es ist kaum zu beziffern, wie viele Bands sich in einem Plattenladen kennengelernt haben. Guns N’ Roses oder die Foo Fighers sind nur zwei von unzähligen Ausnahmen, auch die Alternative-Rock-Giganten R.E.M. verdanken ihre Existenz einem Plattenladen. Genauer gesagt einem kauzigen Geschäft namens Wuxtry Records in Athens, Georgia, einer 100.000-Einwohner-Stadt im Südosten der USA. Eröffnet 1976, gibt es das bis heute. Wuxtry gilt als einer der besten und einflussreichsten Plattenläden des Landes – und das vor allem deswegen, weil im Januar 1980 ein gewisser Peter Buck hinter dem Tresen stand.

Es beginnt in einer Kirche

Eines Tages kommt Michael Stipe in den Laden spaziert, und wie das eben so ist, fängt man an, über Musik zu fachsimpeln. High Fidelity ist eben überall, wo Musik ist. Schnell merken die beiden, dass sie eine große Schnittmenge haben, insbesondere in Sachen Proto-Punk-Größen wie Patti Smith, Television oder The Velvet Underground. Was heute durch Musik-Streaming und globale Vernetzung nicht mehr besonders ist, reicht damals für den Beginn einer Freundschaft. Stipe, damals 20, ist ein paar Jahre jünger als Buck, erinnert sich: „Wie sich herausstellte, kaufte ich all die Platten, die er eigentlich für sich selbst wollte.“

Über eine gemeinsame Freundin lernen die beiden Bill Berry und Mike Mills kennen, mit denen sie die University of Georgia besuchen. Ohne es zu wissen, hat sich ein Line-Up gefunden, das bis zum Ende der Band 2011 in unveränderter Konstellation spielen und mehr als 85 Millionen Platten verkaufen wird. Davon ist man damals, sagen wir, noch ein Stückchen entfernt. Man traf sich ungezwungen in einer Kirche, um gemeinsam Musik zu spielen, vollkommen „ohne Plan oder Agenda“, wie Stipe später sagen würde. Am 5. April 1980 stehen sie das erste Mal auf der Bühne – noch ohne Namen, was so natürlich nicht weitergehen kann. Man überlegt und überlegt, wirft klangvolle Namen wie Cans Of Piss, Negro Eyes oder Twisted Kites in den Ring, bis Michael Stipe in einem Wörterbuch glücklicherweise über den Begriff R.E.M. stolpert, die Traumphase mit schnellen Augenbewegungen. Das geht also noch mal gut. Gerade so. Oder könnte man sich heute vorstellen, dass eine Band wie Cans Of Piss Losing My Religion spielt?

Ausverkauf sieht anders aus

Lokal macht sich die Band rasch einen Namen, was in Athens nicht jedem gefällt. Das wird doch wohl keine kommerzielle Band werden, die Punk und DIY-Ethos für eine Karriere aufgibt? Wohl kaum, wenn man die Spuren ihrer ersten Südstaatentournee zwischen 1980 und 1981 so anschaut: Es gab praktisch keine Alternative-Rock-Szene, es gab keine Tourneeerfahrung, und die Band fuhr in einem alten blauen Van durch die Gegend, gerade mal zwei Dollar pro Tag für Essen in der Tasche. Ausverkauf sieht dann wohl doch noch mal anders aus.

Im April 1981 ist es dann aber endlich so weit: Die Band nimmt ihre erste Single Radio Free Europe bei Mitch Easter in North Carolina auf – in der Garage seiner Eltern. Auch das können sie noch nicht wissen, doch Easter wird sie die nächsten Jahre begleiten und maßgeblich daran beteiligt sein, dass die junge Band ihren Sound findet. Erst mal gibt es aber diese allererste Veröffentlichung, verteilt als 4-Track-Demo in Clubs, eingesandt an Labels und Magazine. Am 23. Juli 1981, vor genau 40 Jahren, erscheint Radio Free Europe beim lokalen Indie-Label Hib-Tone. 1.000 Exemplare werden gepresst und im Handumdrehen ausverkauft. 6.000 weitere folgen und wechseln ebenso rasch den Besitzer. Mit nur 7.000 verkauften Exemplaren schafft es Radio Free Europe am Jahresende in die Single-Bestenliste der New York Times.

College Radio erobert die Welt

Das hat mehrere Gründe. Das Timing ist inmitten der erblühenden New-Wave- und Punk-Bewegung perfekt, der 7-Inch-Markt boomt und der Ansatz von R.E.M., punkige The-Clash-Gitarren mit stoischem Post-Punk-Drumming und ausladenden Melodien zu verbinden, war damals neu. Stipes nuschelnder Gesang und seine mystischen Texte tragen auch ihren Teil dazu bei, dass R.E.M. schon mit ihrer allerersten Veröffentlichung herausstechen. Die emotionale Schwere der Texte und der Schulterschluss verschiedener musikalischer Schattierungen darf zudem als erster Meilenstein auf dem Weg zum Alternative Rock gelten, der Mitte der Achtziger mehr und mehr in den Mainstream drängt.


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Heute gilt Radio Free Europe als früher Indie-Klassiker, als Song, der dem Genre beim Sprung aus dem College Radio hinaus in den Mainstream verhalf. Rolling Stone führt ihn in seiner Liste der 500 besten Songs aller Zeiten, sogar die Nationalbibliothek der USA hat ihn wegen seiner Signifikanz in das National Recording Registry aufgenommen. Der Rest ist dann, wie man so schön sagt, Geschichte: Das Debüt Murmur erscheint 1983, wenige Jahre später gelingt R.E.M. der internationale Durchbruch im ganz großen Stil. Nicht übel für eine Band, deren erste Aufnahmen in einer Garage stattfanden.

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