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Popkultur

Der große Rock’n’Roll-Schwindel von der US-Tour der Sex Pistols

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Sex Pistols
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Chaos, Gewalt, Drogen, Apokalypse: Wer heute von der ersten und einzigen US-Tournee der Anarcho-Punks Sex Pistols spricht, spricht von vielem. Aber nicht von der Musik. Ein grober Fehler!

von Björn Springorum

Seht die Sex Pistols hier live in action:

Die Geschichte der desaströsen US-Tour der Sex Pistols im Januar 1978 kennen wir alle. Chaos, Tumulte, Verwüstungen, Drogen, Gewalt, Sex – mehr Straßenschlacht als Rock’n’Roll soll das ja alles gewesen sein. Klingt schließlich gut und poliert das Image ordentlich auf. Wie so oft bei den Mären und Mythen der Rockmusik lohnt aber auch hier ein näherer, nicht (nur) nach Skandalen dürstender Blick auf die Ereignisse – vor allem bei einem durchtriebenen, linken und eiskalt berechnenden Manager wie Malcolm McLaren. Und siehe da: Dieser zweite Blick fördert durchaus eine andere Meinung zutage.

Die erste und einzige US-Tour der Sex Pistols mag am 14. Januar 1978 im Winterland Ballroom in San Francisco enttäuschend und desillusionierend geendet sein und der zerrütteten, halbtoten Band den letzten Sargnagel verpasst haben – wenige Tage danach löst sich die Band auf. Es ist jedoch bedauerlich, dass die letzten sieben Sekunden dieses Gigs stellvertretend für alle sieben Konzerte stehen. Denn in einem sind sich die Zeitzeugen einig: Die Shows, die Englands Staatsfeinde in den Tagen zuvor auf die Bretter legen, sind stark, wild und eindrucksvoll.

Willkommen bei den Rednecks

Das allein ist eine Sensation. Anfangs sah es nämlich gar nicht so aus, als würde man die Sex Pistols überhaupt ins Land lassen. Als es dann soweit ist, sehen sie sich mit einem irrwitzigen Tourneeplan konfrontiert, der sie zwischen dem 5. und 14. Januar 1978 von Atlanta an der Ostküste bis nach New York jagen soll. Dazwischen: Auftritte in Memphis, San Antonio, Baton Rouge, Dallas und Tulsa – im „deep south“ also. Konzerte in Städten wie New York oder Los Angeles wurden angeblich bewusst ignoriert, weil McLaren und die Sex Pistols die prätentiösen Städter nicht leiden können; andere Quellen künden davon, dass einige Termine wegen der Einreiseprobleme nicht gehalten werden können.

Zeitsprung: Am 2.2.1979 stirbt Sid Vicious von den Sex Pistols.

Wie immer bevorzugt McLaren die Legende, den Mythos über der Wahrheit und inszeniert die Sex Pistols als Band der „echten Leute“. Er versucht alles, um sie durch den Dreck und somit auf die Titelseiten zu ziehen. Selbst McLaren wird später zugeben, dass er die Querulanten extra in „Redneck“-Locations buchte, um Gewalt und Aggression zu schüren. Bei einer Band wie den Sex Pistols ist das tragischerweise ein Leichtes: Sie ist schon am Ende, verfeindet, Johnny Rotten und Sid Vicious liegen in den Schützengräben, es wird geprügelt, gesoffen und gestritten. Sid Vicious findet seinen neuen besten Freund, Heroin, und wird auf der Suche nach dem Stoff schon mal übel zugerichtet.

„Eine der besten Rock-Shows, die ich je gesehen habe“

Natürlich sind die Sex Pistols auch auf US-amerikanischem Boden keine Chorknaben. Ernstlich hat das aber auch niemand erwartet. Vicious hingegen übertrifft sich wieder und wieder selbst, beschimpft das Publikum, zettelt Schlägereien an, bespuckt eine Frau mit Blut und legt sich sogar mit seinem eigenen Bodyguard an. Reife Leistung! Aber: Wenn die Band spielt, dann ist sie in verdammt guter Form! Das Publikum reagiert euphorisch und frenetisch, die Live-Aufzeichnungen der Konzerte verströmen eine rohe, wilde, elektrisierte Energie. Rock-Kritiker Dave Schulps nannte einen ihrer Auftritte „eine der besten Rock’n’Roll-Shows, die ich je gesehen habe“. Vielleicht sind ihre Glanzzeiten schon vorüber, als sie ihre verkommene Musik der Verdammten nach Amerika bringen. Die Shows vor San Francisco tragen aber mehr als ein wenig von der Brisanz und lodernden Besessenheit in sich, die die Sex Pistols überhaupt erst so notorisch gemacht haben.

Als man die Westküste schließlich erreicht, ist man vollkommen am Ende. Die höllisch langen Strecken zwischen den Auftritten, die Probleme mit Sid Vicious, die Gewalt… Es reicht noch für dieses eine halbgare Konzert, das mit dem weltberühmten „Ever get the feeling you’ve been cheated?“ endet. Das Publikum in der Hippie-Hochburg mag an diesem Abend ein wenig dem Great Rock’n’Roll Swindle aufgesessen sein. Die Südstaaten-Chaostage davor muss man aber so langsam endlich mal in einem anderen Licht sehen.

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