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Popkultur

„Smells Like Teen Spirit“: Die unabsichtliche Hymne der Generation X

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Vor 30 Jahren veröffentlicht eine moderat bekannte Band namens Nirvana das aufreibende Lied Smells Like Teen Spirit. Es bringt den Grunge endgültig in den Mainstream – und die Band fast an den Abgrund. Chronik eines desaströsen Erfolgs.

von Björn Springorum

Im Sommer 1991 sind Nirvana alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Sie sind aber weit von ihrem Abschuss in die Stratosphäre entfernt, in der sie schließlich auf besonders tragische Weise verglühen sollen. Seit 1987 gibt es die Band, in den nächsten vier Jahren macht sie sich langsam einen Namen in der Rock-Szene rund um Seattle – hörbar geprägt von ihren größten Vorbildern, den Melvins. Von ihrem ersten Album Bleach, noch ohne Dave Grohl an den Drums, verkaufen sie bis Herbst 1991 etwa 40.000 Exemplare. Soweit, so durchschnittlich.

Der ultimative Pop-Song

Dann passiert etwas. Etwas, das man bis heute nicht erklären kann. In den Monaten vor den Albumaufnahmen zum zweiten Album Nevermind bei Produzent Butch Vig entstehen mehrere Songs, einer davon ist Smells Like Teen Spirit. Mit diesem Song möchte Kurt Cobain den „ultimativen Pop-Song“ schreiben, wie er später sagen wird. „Ich habe schamlos versucht, die Pixies zu kopieren. Ich muss es zugeben. Als ich die Pixies das erste Mal hörte, fühlte ich mich ihnen so sehr verbunden, dass ich das Gefühl hatte, Teil dieser Band werden zu müssen – oder zumindest einer Cover-Band. Wir borgten uns ihren Sinn für Dynamik, dieser Wechsel zwischen sanft und ruhig und laut und hart.“

Geklaut bei More Than A Feeling

Als Cobain den Song Krist Novoselic vorstellt, hat der ein ebenso rasches wie verheerendes Urteil: „Lächerlich“ nennt er den Song, der schon bald darauf zur Stimme einer Generation werden soll. Aber eben nicht in dieser Form: Was von Cobain noch als Fragment in den Proberaum geschleppt wird, das erst kürzlich wieder die Diskussion entfachte, ob er nicht auch bei Bostons More Than A Feeling geklaut hätte (Spoiler: und ob!), wird über eine Stunde lang von der Band am Stück gespielt. Irgendwann wird der Song langsamer und langsamer… und plötzlich war sie da, diese schleppende, dissonante, unangenehme Atmosphäre. Wegen des gemeinsamen Kraftaufwands ist Smells Like Teen Spirit die einzige Nummer von Nevermind, die Cobain, Novoselic und Grohl als Komponisten anführt. Eigentlich müsste man in den Credits natürlich auch noch Kathleen Hanna von der Riot-Grrrl-Band Bikini Kill anführen. Die schrieb den Spruch Kurt smells like Teen Spirit an Cobains Wand – und meinte mit Teen Spirit ein damals populäres Deo für junge Leute.

Die Puppenspielerin des Grunge

Natürlich ist das Stück auch das mit gigantischem Abstand erfolgreichste des zweiten Albums. Aufgenommen im Mai 1991 mit Butch Vig in den Sound City Studios, wurde der Song auf Anraten des Produzenten noch mal frisiert und mit einem verkürzten Chorus ausgestattet. Dreimal spielten Nirvana den Song, auf dem Album landete schließlich der zweite Take. Auch den Gesang nahm Cobain nur dreimal auf. „Es war schon großes Glück“, erinnert sich Vig, „wenn ich Kurt zu vier Takes überreden konnte.“

Da schimmert er noch deutlich durch, der Punk-Ethos der Band. Auf geschäftlicher Seite waren aus den DIY-Jungs aus Seattle längst Profis geworden. Sie wollten weg von ihrem Label Sub Pop Records, konnten aber nur von einem Major aus dem Vertrag herausgekauft werden. Auftritt Susan Silver, die Puppenspielerin des Grunge. Als Managerin von Soundgarden, Alice In Chains oder Screaming Trees kennt sie alle und jeden, besorgt der Band mit links einen Vertrag mit DGC Records, die zu Geffen gehörten. Demos von Nirvana sorgten ab 1991 für großes Interesse unter Labels, viele spürten, dass dieses neue Rock-Ding aus Seattle richtig, richtig groß werden könnte.

Galionsfigur wider Willen

Wie groß, hätte aber auch das findigste Grunge-Orakel niemals für möglich gehalten. Im September 1991 erscheint Smells Like Teen Spirit als erste Single von Nevermind. Niemand rechnet mit einem Erfolg, alle Hoffnungen werden in die zweite Single Come As You Are gesetzt. Anfangs sieht es auch ganz danach aus: Der Song chartet nach Veröffentlichung nicht, nur einige College-Radiosender in den USA spielen ihn. Von dort breitet sich das Lauffeuer auf: In kürzester Zeit läuft der Song praktisch überall im Radio, das legendäre Musikvideo tut dank MTV sein Übriges, um einen Kult anzufachen. Nirvanas Abgesang auf das typische Highschool-Konzert vor einem Sport-Event wird zum Sinnbild einer verkorksten Generation, die sich in Apathie und Hoffnungslosigkeit verliert – die Generation X. Und Cobain zu deren Galionsfigur wider Willen.

Das Anarchy In The U.K. der Generation X

Als Nirvana Ende 1991 in Deutschland auf Tournee sind, hat sich das Bild zu ihren letzten Europakonzerten diametral gewandelt: Noch im Spätsommer spielen sie Support-Shows für Sonic Youth, bei denen Cobain selbst nach der Show am Merchandise-Stand Platten verkauft, drei Monate später ist jede ihrer Headliner-Shows proppenvoll – mit kreischenden Fans, Kamerateams und einer Manie, die man sonst nur von den Beatles oder Stones kannte. Mittendrin: Kurt Cobain, der es schon sehr bald bitterlich bereut, den „ultimativen Pop-Song“ schreiben zu wollen. Sehr bald spielen Nirvana den Song kaum noch live – sehr zum Ärger des Publikums, das zu Teilen nur wegen dieser Nummer da ist.

Der Song über aufbegehrende Teenager wird zum Brandbeschleuniger für Nevermind, das bis Ende 1991 400.000 Exemplare pro Woche absetzt. Und auch wenn Smells Like Teen Spirit von seiner Bedeutung nicht weniger ist als das Anarchy In The U.K. der Generation X, ist der Mainstream-Erfolg doch ultimativ giftig für Cobains Psyche. „Alles ging so schnell damals“, erinnert er sich noch 1994 in einem Interview mit dem Rolling Stone. „Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Hätte es einen Rockstar-Abendkurs gegeben, ich hätte zu gern teilgenommen.“ Heute wissen wir: Er hätte viel mehr gebraucht, um das Jahr 1994 zu überleben. Und am besten vielleicht nie die Pixies gehört.

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