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Popkultur

Monument in Moll: Die Geschichte von „Stairway To Heaven“

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Led Zeppelin
Foto: Dick Barnatt/Redferns/Getty Images

Es gibt Songs, die überstrahlen noch die größte Band. Stairway To Heaven gehört dazu. Totgespielt oder heiliggesprochen: Die Geschichte von Led Zeppelins bekanntestem Lied gehört eigentlich ins Museum. Und stößt bei seiner Live-Premiere vor 50 Jahren auf sehr wenig Begeisterung.

von Björn Springorum

Ein Lied ist immer nur so groß wie der Mythos drumherum. Und der Halo von Led Zeppelin, der hat ungefähr die Größe der Ringe von Saturn. Die einen verunglimpften die Ballade als diabolischen Verführer mit rückwärts aufgenommenen Teufelsbotschaften, die anderen suchten Erleuchtung in den Zeilen wie der Welt abgewandte Mönche auf dem Dach der Welt. Gitarrenläden in Großbritannien verhängten sehr bald nach dem Aufstieg des Songs ins kollektive Musikgedächtnis ein Bußgeld von 5 Pfund über jede*n, der*die es wagte, den Anfang im Geschäft zu spielen – unsterblich gemacht in Wayne‘s World. Radio-DJs verbreiteten in den Siebzigern die Mär, dass jede Performance von Stairway To Heaven eine*n Musiker*in Jahre des Lebens kosten würde. Der Fluch bestehe bis heute, hört man gelegentlich.

Im Kern der Sonne

Reichlich viel Narrativ für einen einzigen Song. Es ist aber eben nicht irgendein Song. Es ist nicht unbedingt ihr bester, aber zweifelsfrei ihr wichtigster Song, das Für Elise der Rock-Welt, ein Epos ohne Strophe-Chorus-Mantra, dessen Einfluss in seiner schieren Größe gar nicht mehr messbar ist. Man kann ja auch nur schätzen, wie heiß es im Kern der Sonne ist. Led Zeppelin und Stairway To Heaven sind eins, das Lied selbst transzendiert die Band, die Siebziger, die gesamte Rockmusik.

Danach sieht es 1970, zur Dämmerung des Stückes, nicht unbedingt aus. Die Aufnahmen beginnen im Dezember in den damals brandneuen Basing Street Studios im Londoner Stadtteil Notting Hill und werden im legendären Headley Grange Studio in Englands pastoraler Abgeschiedenheit vollendet – nach vielen Outtakes, alternativen Versionen und Variationen. Das Solo im letzten Akt des Stücks wird dann wieder in den Basing Street Studios aufgenommen – sehr wahrscheinlich auf der Fender Telecaster, die Page von Jeff Beck bekommt. „Ich wusste, er ist gut, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass er zu einer solchen Hymne werden sollte“, sagte Jimmy Page einmal und stellt schön heraus, wie ahnungslos und selbstvergessen die Damen und Herren der Musikwelt doch manchmal sein können.

Neblige Naturmystik am Lagerfeuer

Niemand ahnt damals, dass Stairway To Heaven in seiner Bedeutung beinahe religiös werden würde, dass jeder Ton, jedes Wort des kryptischen Texts durchexerziert, analysiert, diskutiert und interpretiert werden würde. Vielleicht hätten Page und Plant dann etwas genauer aufgepasst, als sie im Frühling 1970 nach den 28 triumphalen Konzerten ihrer fünften US-Tour das viktorianische Landhaus Bron-Yr-Aur in der Einsamkeit von Wales aufsuchen, um nach den ausschweifenden Erlebnissen abzuschalten. Eines Nachts am Feuer küsst Plant plötzlich die Muse, er schreibt wie fanatisch Worte auf, ohne wirklich zu wissen, woher sie kommen. Was er auf dem Papier vor sich sieht, ist sehr ambig und poetisch, kryptisch und voller mythischer, heidnischer, nebliger und naturmystischer Untertöne. „Für mich war rein gar nichts Besonderes daran“, zuckte Plant mal unvergessen mit den Schultern. Fest steht nur, dass er sich für den Text von Lewis Spences Buch The Magic Arts in Celtic Britain inspirieren ließ.

Man muss Page und Plant nicht glauben, dass sie das Potential in Stairway To Heaven nicht sehen. Dennoch weigern sie sich hartnäckig, den Song als Single zu veröffentlichen. Stattdessen wollen sie die Fans liebevoll dazu zwingen, das Album zu kaufen. Das Schicksal lässt sich aber nicht von Marketing-Entscheidungen aufhalten: Veröffentlicht 1971 auf Led Zeppelins Vierter, dauert es zwar bis 1973. Dann jedoch überstrahlt die Nummer sehr schnell alles andere, wird zum Fixstern im Kanon der Musik und zu einer Blaupause für große Stadion-Rock-Momente. Wie viele Jugendliche wegen dieses Liedes eine Band gründen, wie viele Kinder zu diesen Klängen gezeugt werden, wie viele unsterbliche Erinnerungen an eine ferne Jugendzeit heute noch in den glänzenden Augen gestandener Altrocker*innen aufblitzen, kann niemand beziffern. Das ist eben so bei Magie. Man kann sie nicht erklären, man muss sie nicht verstehen. Alles, was man tun kann, ist, sich zurückzulehnen und die achtminütige Show zu genießen.

Verpatzte Weltpremiere in Nordirland

Das fällt dem Publikum zumindest bei Konzerten anfangs recht schwer. Vor ziemlich genau 50 Jahren, am 5. März 1971, wird Stairway To Heaven im nordirischen Ulster erstmals live aufgeführt – und stößt bei seiner Premiere auf taube Ohren. Basser John Paul Jones später trocken: „Sie waren alle zu Tode gelangweilt und warteten auf etwas, das sie kannten.“ Der anwesende Kritiker des Melody Maker findet versöhnlichere Töne: „Eine exzellente Ballade, die Robert Plants gereifte Lyrik zeigte“, schreibt er in seiner Konzertkritik des allerersten Led-Zeppelin-Konzerts in Nordirland. Gespürt, was da erstmals von einer Bühne schallt, hat damals wohl niemand. Wenige Monate später in Los Angeles bekommt der Song schon Standing Ovations.

Alles an diesen acht Minuten wird sich als revolutionär erweisen und besorgt fast im Alleingang für die Vermessung der Hard-Rock-Welt: Der mittelalterliche, folkige Tolkien-Beginn, die langsame Steigerung in einen Hard-Rock-Furor, die zwölfsaitige Gitarre, das unsterbliche Solo, der geheimnisvolle Text, zusammengenommen bilden sie alle das große Narrativ dieser Musik, vorgetragen von den Humboldts des Hard Rock, die heute nicht mehr viel von dieser Nummer wissen wollen.

Ein Lied der Hoffnung

Bleibt nur noch die bücherfüllende Antwort auf die Frage, was zum Henker das Lied eigentlich bedeutet. Es gibt so viele Ansätze wie es verkaufte Einheiten von Led Zeppelin IV gibt, jeder ebenso falsch oder richtig wie jeder andere. „I think this is a song of hope“, leitet Plant selbst die Nummer auf dem Konzertfilm The Song Remains The Same ein. Darauf scheinen sich viele einigen zu können: Es geht um Empathie, Liebe und Individualismus in einer zunehmend konsumerisch geprägten Welt, um den eigenen Weg zur Erleuchtung, den man eben nicht mit Geld kaufen kann.

„There’s a lady who’s sure all that glitters is gold – And she’s buying a stairway to heaven“, so singt Plant zu Beginn. Dass ihm diese Zeile ausgerechnet in Bron-Yr-Aur – was übersetzt so viel bedeutet wie „Goldener Hügel“  – einfällt, fällt bei all der akademischen Literaturanalye kaum noch ins Gewicht. Man kann alles aber auch ein wenig entschlacken und es einfach so sehen, wie es sich Led Zeppelin ausgemalt haben: Als Lied, das einen Orgasmus vertont – mit einem langsamen, schüchternen, zärtlichen Beginn und einer steten Steigerung in den wohl berühmtesten Klimax der Musikgeschichte, heraufbeschworen vom keltischen Mystizismus des englischen Landlebens.

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