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Popkultur

Still Swinging – Von den Roaring Twenties zum Electroswing

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Lindy Hop Tanzkurse, 20s, 30s und 40s Mottopartys oder Electro Swing Clubs und Partyreihen: Swing, soviel ist sicher, ist auch heute noch angesagt und keinesfalls verstaubte Geschichte, die allerhöchstens noch auf dem großelterlichen Plattenspieler zu hören ist. Der aus dem Jazz hervorgegangene Musikstil erlebte um das Millennium ein Comeback und lümmelt seitdem in den internationalen Charts herum. Auch DJs haben den Sound für sich entdeckt und spielen äußerst produktiv mit den alten Klängen in Verbindung mit ihren elektronischen Beats. Aber was genau hat es mit dem Massenphänomen Swing auf sich? Wie ist der Musikstil entstanden? Warum entwickelte sich dabei ein so enormer Tanz-Hype? Was hat das Ganze mit dem US-amerikanischen Wirtschaftswachstum der „Roaring Twenties“ und dem Nationalsozialismus in Deutschland zu tun? Und warum ist Swing eigentlich heute noch so dermaßen erfolgreich?
 

Die Roaring Twenties und die Wurzeln des Swing

In den USA als „Roaring Twenties“, in Deutschland als „Goldene Zwanziger“ bekannt, waren die 1920er geprägt von einem bombastischen Wirtschaftswachstum. Die vom Ersten Weltkrieg paralysierten westlichen Gesellschaften wurden zu solchen des Massenkonsums mit mondänem Charme. Viele Menschen zogen vom Land in die großen Städte. In den USA waren es New York City, Chicago oder Los Angeles, in Deutschland vor allem Berlin, die eine neue kulturelle Blüte erlebten. Neu gewonnenes Geld wurde hemmungslos auf den Kopf gehauen, für Autos, angesagte Kleidung, Kosmetik, Radios, Kinokarten… Alles neu und aufregend, weltbürgerlich eben, und die moderene Massengesellschaft war geboren. Zu dieser Zeit migrierten auch unzählige Afro-Amerikaner aus den vom brutalen Rassismus durchsetzten Südstaaten in den Norden der USA, wo sie eine freiere Zukunft erwarteten. Und mit ihnen kamen auch ihre einzigartigen Musikstile – vor allem Blues und Jazz – die die Musikkultur in den Großstädten in den kommenden Dekaden verändern sollte. Vor allem der stilprägende New Orleans Jazz – der klassische Jazz schlechthin – verbreitete sich erst in Chicago und später von dort in andere Gegenden in den USA. Tonangebend im wahrsten Sinne des Wortes war hier der legendäre Louis Armstrong, der die strikten Regeln des Jazz als Ensemble-Musik aufbrach und seine improvisierende Solo-Trompete in den Vordergrund stellte. Damit beeinflusste er nicht nur eine nachfolgende Generation weißer Jazzer wie Benny Goodman oder Gene Krupa, sondern die weitere Entwicklung des gesamten Musikstils, der später Größen wie Miles Davis, Ella Fitzgerald und Frank Sinatra hervorbringen sollte.
 

Swing – Big Bands, Jungle-Sound und Lindy Hop

Nach kurzem Luftanhalten Ende der 1920er (aufgrund der eingeschlagenen Weltwirtschaftskrise und Roosevelts politischem Coup des „New Deal“) florierte das gesellschaftliche Leben in den USA auf ein Neues – und das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ suchte nach passenden Ausdrucksmöglichkeiten für die hyperoptimistische Stimmung der Zeit. Junge Amerikaner wollten ihren neu gewonnenen Wohlstand übermütig zur Schau stellen. Dafür kamen allabendliche Tanzabende wie gerufen. In New York City entstand zu dieser Zeit eine neue Richtung des Jazz: der Swing. Er war nicht ganz so ausdrucksstark wie der New Orleans Jazz und weniger am Blues orientiert, besaß dafür aber einen viel satteren Sound und war extrem tanzbar. Untrennbar war er daher mit dem Aufkommen der Big Bands verbunden, den großen Jazz-Orchestern der Tanzshows von Harlem bis zum Broadway. Durch die Orchester wurde der Jazz zwar pompöser, ein neuer „grooviger“ Rhythmus sorgte allerdings für die Leichtigkeit, die zum Tanzen animierte. Ein Name darf hier nicht fehlen: Duke Ellington, dessen Karriere im legendären „Cotton Club“ begann, prägte mit seinem Orchester den sogenannten Jungle-Sound des Swing, der besonders markant und showmäßig daherkam. In den Clubs entlang der 52nd Street und in Harlem wurde aber ein anderer Swing gespielt: die Tanzmusik, die Mitte der 1930er zum Massenphänomen wurde. Fast täglich sprießen neue Tanzformen aus dem Boden, der bekannteste unter ihnen wohl der „Lindy Hop“, ein Paartanz der unter Charleston- und Stepptanz-Einflüssen entstand.

Die regelrechte Tanzbegeisterung war so groß, dass sie oft in wahnwitzigen Tanzmarathons mit mehreren tausend Teilnehmern mündete. Neue Swing-Nummern wurden wie am Fließband produziert, die meisten von ihnen von professionellen Arrangeuren in den Songschmieden der berüchtigten Tin Pan Alley. So viel sorgenfreie Freude und Ausgelassenheit der Swing mit sich brachte, so war er doch extrem rassistisch konnotiert: Die meisten Big Band Musiker und Swing-Stars waren Afro-Amerikaner, wurden aber von einem ausschließlich weißen Publikum beklatscht, die sie nur zu ihrer Unterhaltung „duldeten“. In ihren eigenen Reihen akzeptierten sie schwarze Menschen nicht.
 

Die Swing-Jugend in Deutschland

Auch in Deutschland wurde der Musikstil in den 1930er Jahren gefeiert und fand großen Anklang bei Jugendlichen, allerdings aus maßgeblich anderen Gründen als in Übersee. Die Zeit war geprägt vom rasant zunehmenden Machtgewinn der Nationalsozialisten. Mit der Machtergreifung Hitlers und dem Aufkommen der Hitler-Jugend sahen viele Jugendliche im anglo-amerikanischen Lebensstil einen Ausweg aus der politischen Unterdrückung und Gleichmachung. Die meisten von ihnen kamen aus gutbürgerlichem Elternhaus und passten ihr Äußeres an Vorbilder aus Film und Fernsehen an: Jungs trugen vergleichsweise langes Haar unter steifen Hüten, Schlaghosen und übergroße Jacketts, sowie den obligatorischen Regenschirm, als Accessoire einer betont britischen Attitüde (wobei die Mode sich regional durchaus unterschied). Bei Mädchen galt eine Dauerwelle als todschick und mondän ebenso wie starkes Make-Up à la US-Filmstars – nachgezogene Augenbrauen und dunkler Lippenstift inklusive. Entweder provozierten sie mit körperbetonten kurzen Kleidern oder langen Hosen (was damals beides als wenig „damenhaft“ empfunden wurde). Auch die langen Zigarettenspitzen durften hier nicht fehlen. Dass die Swing-Jugend sich mit ihrer betont freimütigen und weltoffenen Lebenshaltung bei den Nationalsozialisten schnell mehr als unbeliebt machte, dürfte nicht verwundern. Bald wurde Swing-Musik als „entartet“ verurteilt, Tanzveranstaltungen konnten nur noch ganz privat und im Geheimen stattfinden und die „Swing-Boys und Girls“ mussten mit härtesten Strafen rechnen.
 

Electroswing – Das Swing-Comeback heute

Könnt ihr euch noch an Robbie Williams’ Album „Swing When You’re Winning“ erinnern? Es erschien 2001 und war eine Liebeserklärung des Sängers an den Musikstil, der ihm nicht nur musikalisch, sondern auch optisch enorm gut stand. Das laszive „Somethin’ Stupid“ duettiert mit Hollywood-Diva Nicole Kidman ist wohl jedem noch im Gedächtnis. Ein Glück, dass er im letzten Jahr erneut ein Album namens „Swings Both Ways“ herausbrachte, auf dem neben neuen Songs auch Klassiker wie „Puttin’ On The Ritz“ oder „Dream A Little Dream“ glänzen. Auch der große Erfolg von Künstlern wie Michael Bublé, Diana Krall oder Roger Cicero lässt sich an der besonderen Zeitlosigkeit des Swing festmachen. Seit den 1990er Jahren kann aber noch eine weitere überraschende Entwicklung beobachtet werden: DJs aus Deutschland, Österreich und der Schweiz entdecken den Swing für sich und paaren ihn mit ihren elektronischen Beats. Das Ganze läuft dann unter dem Label Electroswing. Der DJ Parov Stelar ist einer dieser Experimentalisten, seine Tracks verbinden sphärische Klänge mit Loops aus alten Jazz-Nummern, oder es wird ein Electroswing im Gewand eines Clubsounds geliefert, der unmittelbar in die Beine geht.
 
Die Neo-Swing-Musikerin Caro Emerald nutzt wiederum die erprobten Songstrukturen aus Jazz und Swing und legt diese unter ihre modernen Popsongs. Wie sein Vorgänger hat sich auch der Electroswing als ungemein beliebte Tanzmusik enthüllt: Neue Partyreihen werden gefühlt jedes Wochenende gestartet. Das heißt aber nicht, traditioneller Swing sei nun überholt worden: Swing-Tanzkurse platzen heute aus allen Nähten und die nächste Mottoparty kommt bestimmt. Genau wie die Weihnachtszeit, in großen Schritten, und mit ihr Swing-Klassiker von Billie Holiday über Ella Fitzgerald bis Frank Sinatra, die einfach nie zu überbieten sind.
 


Eine geballte Ladung der besten Electroswing Tracks gibt es hier:

 


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