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Popkultur

„The Beach Boys Love You“: Das Punk-Album der Beach Boys

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BEACH BOYS
Foto: Robin Platzer/Getty Images

„"Die große Erfolgswelle haben die Beach Boys Mitte der Siebziger bereits hinter sich. Doch nicht nur das: Meinungsverschiedenheiten und Brian Wilsons Depressionen zerfressen die Band von innen. Nach einer ungewöhnlichen und anstrengenden Therapie meldet sich Wilson zurück — und schafft quasi im Alleingang das „Punk-Album“ der Beach Boys.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Love You von den Beach Boys anhören:

Das „Punk-Album“, Brian Wilsons Comeback oder auch nur die 21. Platte der Beach Boys: Für The Beach Boys Love You gibt es viele Namen. Als das Album am 11. April 1977 erscheint, markiert es einen Wendepunkt in der Geschichte der Kalifornier. Nicht nur, weil es sich bei der Platte aufgrund der Streitereien innerhalb der Band de facto um ein Solowerk von Brian Wilson handelt, sondern auch, weil Wilsons Rückkehr zu den Beach Boys den Marktwert der Gruppe in die Höhe schießen lässt. Äußerlich steht die Band Mitte der Siebziger wieder voll im Saft — innerlich fault das Obst weiterhin gewaltig.

Die Schatten des Brian Wilson

Wenn es um Brian Wilson geht, ist viel Sonne im Spiel — aber auch viel Schatten. Auf der einen Seite verantwortet der virtuose Songschreiber große Teile des Meisterwerks Pet Sounds (1966), das seinerzeit sogar die Beatles als wichtigen Einfluss nennen; andererseits zieht er sich nach der Produktion der Platte jahrelang zurück, weil ihm seine Depressionen zu schaffen machen. Vor allem das Leben auf Tour strengt den Musiker an, weshalb er den Beach Boys lieber aus dem Hintergrund zuarbeitet und Songs schreibt. Doch seine Motivation schwindet und schwindet, stattdessen flüchtet er sich in Drogen, Alkohol und Essen.

Ab 1975 nimmt Wilson die Hilfe des umstrittenen Psychotherapeuten Eugene Landy an. Anfänglich profitiert Wilson vom radikalen 24-Stunden-Programm des Therapeuten und findet sich Stück für Stück wieder bei den Beach Boys ein. Doch nach den ersten Erfolgen hat er genug von Landys Methoden. „Er mischte sich zu sehr in mein Leben ein“, schreibt Wilson in seiner Autobiografie I Am Brian Wilson. „Ich fand heraus, was er mir für die Behandlung berechnete, und stellte ihn zur Rede. Ich war stinksauer. Wir hielten uns nicht lange mit Worten auf. Ich verpasste ihm eine Ohrfeige, er schlug zurück, damit war die Sache erledigt. Fürs Erste wenigstens.“

Brian Wilsons Comeback

Kurze Zeit später veröffentlichen die Beach Boys ihr 15. Album 15 Big Ones. Überall kann man lesen: „Brian’s Back!“ Doch der Schein trügt. Die Beach Boys sind zerstritten, es haben sich zwei Lager gebildet: Brians Brüder Carl und Dennis Wilson auf der einen Seite, Mike Love und Al Jardine auf der anderen. Brian Wilson steht neutral in der Mitte. Zu den Sessions von Album Nummer 16 tauchen seine Kollegen nur sporadisch auf, weshalb er The Beach Boys Love You quasi im Alleingang aufnimmt. Elf der 14 Songs schreibt er ohne Einfluss von außen, auch die meisten Instrumente spielt er im Studio selbst ein. Die künstlerische Freiheit tut ihm gut.

Zwar ergänzen seine Kollegen hier und dort kleine Bausteine, doch im Grunde handelt es sich bei The Beach Boys Love You um ein Brian-Wilson-Soloalbum. Dass er bei der Produktion freie Hand hat, hört man. Genau wie auf Pet Sounds verarbeitet Wilson in den Texten tiefpersönliche und autobiografische Elemente. „Ich habe Songs geschrieben, die davon handeln, wie ich mich als 30-Jähriger gefühlt habe“, schreibt er in seiner Biografie. „Genauso, wie ich auf Pet Sounds Songs darüber geschrieben habe, wie ich mich als 20-Jähriger gefühlt habe.“ Zum ersten Mal räumt Wilson dem Synthesizer jede Menge Platz ein. Rockige und experimentelle Sounds dominieren das Geschehen, weshalb die Platte auch als das „Punk-Album“ der Beach Boys bezeichnet wird. Leider handelt es sich um die letzte Veröffentlichung der Band, bei der Wilson derart frei entscheiden darf.

Wilson landet wieder in der Dunkelheit

Nach Wilsons Rückkehr zu den Beach Boys und der Veröffentlichung von The Beach Boys Love You schießt das öffentliche Interesse an der Band in die Höhe. Der Konzertplan ist voll, die Plattenfirmen möchten am liebsten drei neue Beach-Boys-Alben gleichzeitig veröffentlichen. Doch erneut kämpft Brian Wilson mit Depressionen. „Leider liefen die nächsten Jahre nicht so gut“, schreibt er in seiner Biografie über die Zeit nach The Beach Boys Love You. „1978 war wohl eins der schlimmsten meines Lebens. Ich ließ mich in San Diego in eine psychiatrische Klinik einweisen, dann rief ich Marilyn [Wilsons damalige Ehefrau — Anm. d. Aut.] an und bat sie um die Scheidung. Ich hatte weder meine Gedanken noch meinen Körper unter Kontrolle. Er war nicht das erste Mal, aber durch die Art, wie ich damit umging, verschlechterte sich mein Zustand. Ich trank Bali-Hai-Wein, nahm Kokain und rauchte Kette. Mein Gewicht stieg und stieg, irgendwann zeigte die Waage hundertfünfzig Kilo an.“

The Beach Boys Love You Album Cover

Das „Punk-Album“ der Beach Boys: The Beach Boys Love You

Auch in den Jahren danach verbessert sich Wilsons Zustand nicht. 1982 platzt den übrigen Beach Boys der Kragen: Bei einem Konzert auf Long Island bekommt Wilson einen Lachanfall und muss das Konzert unterbrechen. Kurze Zeit später bekommt er einen Brief, in dem die anderen Musiker ihm mitteilen, dass er nicht mehr zur Band gehört. „Dieses Mal waren es die Beach Boys, die Dr. Landy holten“, berichtet Wilson später. „Bis auf Dennis hatten alle dafür gestimmt. Sie wussten sich vermutlich nicht mehr anders zu helfen.“ Die zweite Phase mit dem Therapeuten läuft alles andere als gut. Landy übernimmt die Kontrolle über Wilson, verabreicht ihm Medikamente, beeinflusst sein soziales Umfeld und schreit Wilson an, bis dem Musiker die Tränen kommen. 1988 co-produziert er Wilsons erstes Soloalbum Brian Wilson. 1989 entzieht der Staat Kalifornien Landy die Lizenz. Heute geht es Wilson besser. Doch das sind wieder einmal andere Geschichten.

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Zeitsprung: Am 28.12.1983 ertrinkt Dennis Wilson von den Beach Boys.

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