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Popkultur

„The New Abnormal“: Die Strokes treiben es mit ihrer nonchalanten Haltung etwas zu weit

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The Strokes
Foto: Jason McDonald

Schön und gut, wenn man sich als Band nicht den Erwartungen und Wünschen der darbenden Fans beugen möchte. Ein wenig mehr muss dann aber schon kommen als das, was die Strokes auf ihrem Achtziger-Lustspiel The New Abnormal auffahren.

von Björn Springorum

„I just wanted to be one of The Strokes“. Das ist der erste Satz auf dem letzten, hochgradig fantastischen Album der Arctic Monkeys. Wenn also jetzt schon ein Alex Turner, Frontmann der legitimen Strokes-Ziehsöhne und -Bewunderer, nach all den Jahren eine Platte mit einer Referenz an Julian Casablancas und seine sagenhaft erfolgreiche Band aus New York City beginnt, dann kann man davon ausgehen, das der kulturelle Impakt und die musikhistorische Bedeutung der Strokes keineswegs übertrieben sind.

Haben die überhaupt noch Bock?

Wissen die Strokes natürlich. Beweisen muss sich diese Band schon lange nichts mehr. So lange, streng genommen, dass man sich insgeheim fragt, ob es seit der Bandgründung 1998 überhaupt mal eine Phase gab, in der die Band nicht von reichlich Buzz umgeben war. Die vergangenen, albumlosen Jahre seit Comedown Machine vielleicht, das schon. Aber diese Hibernation war ja eigenverantwortlich entschieden. Selbstauferlegtes Exil, sozusagen.

So ganz erschließt sich dennoch nicht, warum es jetzt mit The New Abnormal doch noch mal ein neues Album gibt. Schon im Oktober 2016 deutete Gitarrist Nick Valensi einen Ereignishorizont an, hinter dem dann auch irgendwie und irgendwann wieder ein Album warten würde. So wirklich motiviert, hungrig, wild darauf schien in der Band aber lange Zeit niemand. Casablancas am allerwenigsten: Er gründete seine neue Band The Voidz und tüftelte an seinem Label Cult Records, wo er auch seinen Band-Buddy Albert Hammond Jr. veröffentlichte. Entsprechend frotzelnd und mit schiefem Grinsen kündigte Casablancas das neue Album dann auch bei einem Silvesterkonzert in Brooklyn eher beiläufig an. „Yeah, we’ve got a new album coming out soon. The 2010s, whatever the fuck they’re called, we took ’em off. And now we’ve been unfrozen and we’re back.“

The New Abnormal klingt irgendwie normal

Freigenommen habe man also die Zehnerjahre. Sagt natürlich einiges über die Selbstevaluation von Comedown Machine. Und irgendwie meinte es das Schicksal auch nicht gut mit dem Comeback der Strokes: 2019 war fast alles, was sie live planten, vom Unglück heimgesucht. Und jetzt, inmitten der Coronakrise, sind sie einige der wenigen großen Rock-Bands, die den Release ihres Albums nicht verschieben. Ihr ersten seit sieben Jahren, wohlgemerkt, eine Platte, die durchaus darüber entscheiden dürfte, ob sie ihre Karriere fortsetzen oder nicht.

Dafür klingt The New Abnormal zunächst mal erstaunlich… normal. Schlicht. Unaufgeregt, nicht aus der Ruhe zu bringen, locker aus der Hüfte. Die Strokes waren noch nie bekannt dafür, Erwartungen zu erfüllen oder Konventionen zu entsprechen. Das liebten wir an ihnen. Auf The New Abnormal wird aus dieser Selbstverständlichkeit aber auch einmal ein Stück weit Selbstinszenierung. „Seht, wie erwachsen wir geworden sind“, scheinen die Songs sagen zu wollen. Anstatt es einfach zu transportieren. Dass am Ende kein schlechtes Album steht, ist natürlich dem Talent der fünf Strokes zu verdanken. Hier sind immer noch fünf weiße Männer mittleren Alters, die Musik verstehen. Dass am Ende dennoch kein durchgehend großartiges Album steht, ist ihnen selbst zuzuschreiben.

Disco, Synthies, Achtziger

Im Detail klingt das dann so: The Adults Are Talking kombiniert flotte 8-Bit-Beats mit Wave-Gitarren, fließenden Synthies, Stadion-Leads und einem seltsam ruhigen Refrain, der dennoch ins Ohr hüpft. Wunderbar getragen, verwaschen und irgendwie auch verschlafen schlängelt sich Selfless glatt, aber angenehm durch einen verkaterten Morgen. Brooklyn Bridge To Chorus hat nicht nur einen gewagt wortspielenden Titel, sondern auch ziemlich coole Disco-Beats. Erstmals ist da auch Pathos, Dringlichkeit in Casablancas’ Stimme. Ist auch ganz gut, sonst würde die belanglose Musik auffallen. Bad Decisions kennt man inzwischen, diese tief in die Achtziger getunkte, poppige, gute Single. Eternal Summer zeigt Julian Casablancas als Sänger, der auch mal Bee-Gees-Höhen erreichen kann. Und dass er das nicht unbedingt tun sollte. Dass sie anders können und das auch wollen, dass sie vor allem keinen Pfennig mehr geben für ihre wüsten Garage-Anfänge, zeigt auch At The Door. Synthies, klimpernde Gitarren, Cassblancas’ durchdringende Stimme. Viel Gefühl, viel Gewinn.

Etwas zu viel Kein-Bock-Attitüde

Sicher, wir haben mittlerweile verstanden, dass wir keine Songs vom Kaliber Last Nite oder Reptilia erwarten dürfen. Wir haben auch Casablancas’ Obsession mit den Achtzigern akzeptiert. Dennoch, das Gefühl bleibt, dass die Strokes manchmal selbst nicht so ganz genau wussten, was sie eigentlich wollen. Für die letzte Konsequenz, die die Arctic Monkeys auf ihrem letzten Album Tranqullity Base Hotel & Casino gegangen sind, fehlt ihnen vielleicht doch der Mumm: Viele der Insignien vergangener Werke hallen immer noch auf The New Abnormal wider.

Weil es aber mindestens ebenso viele radikal neue, experimentelle Ansätze gibt, wirkt das sechste Werk der New Yorker nicht wie aus einem Guss. Sondern eben doch irgendwie wie ein Bindeglied zwischen dieser Karrierephase und der nächsten. Und ein in Albumform gegossenes Manifest über den lodernden Unwillen, Erwartungen zu erfüllen. Das mag man bockig finden. Oder eben integer. Wahrscheinlich ist beides richtig. Durchaus, das Album wächst mit jedem Hören, diese Nonchalance hat was. Es bleibt aber dabei: Vielleicht hätten die Lehrer doch mal bei ihren einstigen Schülern abschreiben sollen.

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