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Popkultur

Udo Lindenberg: Nie zu spät, um noch mal durchzustarten!

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Für das, worüber er Geschichten erzählen kann, bräuchten andere mehr als nur ein Leben. Aber er ist ja auch nicht wie die anderen. Und dabei braucht man auch gar nicht viele Stichwörter fallen zu lassen und jeder weiß, um wen es geht: Hut, Sonnenbrille, die stets zum nuschelig-lässigen Spruch leicht hochgezogene Oberlippe und ein Gang, als würde er auf Schienen reiten. Der Vollständigkeit halber vielleicht noch das obligatorische Gläschen Eierlikör. Richtig. Hier bahnt sich etwas über Udo Lindenberg an. Befreier der deutschsprachigen Musik, Dauerbewohner des Hotel Atlantic, Stern im Reeperbahn Walk of Fame, ein ewig rastloser Macher, Geburtshelfer der Tatort-Titelmelodie und ehemaliger Mitbewohner von Otto Waalkes und Marius Müller Westernhagen. Jetzt wird die Rock-Legende stolze 70 Jahre alt – dennoch hat man tief drin das Gefühl, er sei kein Stück gealtert. Jedenfalls hat er in den letzten Jahren eher an Relevanz gewonnen als verloren. Wir wagen es trotzdem mal, sein Leben in einen Text zu fassen. Oder zumindest zu skizzieren. Oh Gott, wo soll man da nur anfangen?


 

Vielleicht starten wir ganz pragmatisch, nämlich am Anfang. Udos Anfänge – und damit seinen nicht nur die musikalischen gemeint – sind im Rückspiegel seines stets vorwärts rauschenden Lebens nämlich gar nicht mal so unbedeutend. Ausgerechnet im verschwiegenen und unkultiviert-provinziellen Gronau im Nachkriegs-Deutschland, nahe der holländischen Grenze, wird der Startschuss für das Abenteuer des Udo Lindenberg gegeben. Oder sollte man statt „ausgerechnet“ lieber „grade dort“ sagen? Vielleicht, denn die Beengtheit der Kleinstadt treibt ihn an, auszubrechen, um jeden Preis fortzugehen und immer wieder neue Ufer zu entdecken. Bereits mit zarten 15 Jahren trampt er los, hält den Daumen in den Wind und ist entschlossen, die Grenzen seiner trauten Heimat hinter sich zu lassen. Und wo geht das am besten? Gute Frage, zunächst einmal wird er jedenfalls in Düsseldorf angespült. Dort nimmt Udo – der als mittleres Kind schon immer das Trommeln (nicht zwingend auf einem Schlagzeug) als erstklassige Methode entdeckt hat, auf sich aufmerksam zu machen – seine ersten richtigen Schlagzeug-Stunden, besucht Jazzclubs, bestaunt die Stücke von John Coltrane und Miles Davies und fasst den damals noch mehr als heute wagemutigen Entschluss, Musiker zu werden. Sein Lebensprinzip wird ihn von da an in jeder Minute und im Grunde in seinem kompletten Schaffen begleiten: Ausbrechen, weitermachen, unterwegs sein!


Udo-Lindenberg (2)


Heute, mehr als 50 Jahre und unglaubliche 700 Songs später, hat er nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, reißt man bei einen seiner atemberaubenden Stadion-Konzerte mal den Blick von der Bühne und betrachtet seine dicht-gedrängt um einen herumstehenden Mitstreiter im hellauf begeisterten Publikum, entdeckt man Menschen jedes Alters und jeder Couleur. Gar nicht mal so unbeeindruckend… schauen wir mal, wie er zu dem wurde, der er ist. Seine nächste Station ist eine nicht ganz freiwillige, denn auch der Wehrdienst macht vor Udo Lindenberg nicht halt. So landet er mit 17 in Tripolis, Libyen, das seiner Zeit noch von König Idris regiert wurde. Seine 12 Monate in Nordafrika verbringt der junge Udo damit, fleißig in den Clubs der Amerikaner aufzutreten und seine ersten amerikanischen Dollar zu verdienen – die waren damals noch richtig was wert! Aber dieser Auslandseinsatz bedeutet für ihn auch ein Leben in einer harschen Männerdomäne, zu viel billiger Whisky und zu lange Zigarren. Mit dem Ergebnis, dass er – wieder zurück in der immer noch nicht wirklich aufgewachten westfälischen Heimat – erstmal mit einer Vitamin B Kur aufgepäppelt werden musste. Gut so, sonst hätte er wahrscheinlich niemals Steffi Stephan kennengelernt. Der brauchte nämlich einen talentierten Trommler für seine Beat-Band „Die Mustangs“. Und Lindenberg fand in ihm – ohne es damals so recht zu wissen – das erste Mitglied seines Panikorchesters.


Udo-Lindenberg (1)


Das Talent des jungen Schlagzeugers spricht sich rum, sogar bis nach München. Aus den bayrischen Tiefen ereilt Udo schließlich ein Anruf, dessen Ergebnis einer Vielzahl der Deutschen noch heute regelmäßig jeden Sonntag Abend um 20:15 Uhr auf der Mattscheibe begegnet. Am anderen Ende der Telefonstrippe fragt ein gewisser Klaus Doldinger, ob Udo nicht nach München kommen möchte, er bräuchte einen Schlagzeuger für sein Bläser-Quartett. Klar möchte er das, schließlich feiert Udo die Trompeter und Saxophonisten aus seinen geliebten Jazz-Clubs schon lange als Helden und das Quartett von Doldinger war seiner Zeit eine echt renommierte Truppe. Die beiden trafen sich für einige Stunden, doch kaum einer sagte ein Wort. Sie spielten, ließen sich durch Schlagzeug und Saxophon treiben und lernten sich so kennen und schätzen. Lindenberg hatte den Job. Und – richtig geraten – mit Klaus Doldinger nahm Udo dann nicht nur eine Maxi-Tüte Studio-Erfahrung mit, sondern nahm auch die erste Version der Tatort Titelmelodie auf. Chapeau!


Udo-Lindenberg


Also, wo stehen wir? Udo beginnt, sich in der Musikwelt zu etablieren, bringt frischen Wind in jede Band, bei der er hinter den Trommeln sitzt und wird eine überregionale Szenebekanntheit. Aber das ist nicht genug, noch lange nicht! In jüngeren Jahren machte er eine Lehre als Kellner in einem Luxus-Hotel und lernte dabei die Taktung der Zweiklassen-Gesellschaft kennen. Und obwohl Udos Herz schon immer für die arbeitende Bevölkerung, den kleinen Mann schlug, wird ihm klar, dass er nicht auf ewig das Tablett halten will. Oder in anderen Worten: Der Platz am hinteren Rand der Bühne ist nicht für Udo bestimmt. Udo Lindenberg ist ein Mann der ersten Reihe, im übertragenen sowie im wörtlichen Sinne. Im Übrigen ist er auch ein Mann der ersten Stunde, denn Rockmusik, wie sie in den 70ern nur von Amerikanern und Engländern (sprich: mit englischen Texten) bekannt war, mit deutschen Texten zu versehen, war in der Schlager-durchtränkten deutschen Musikwelt allenfalls aberwitzig. Kein Wunder also, dass sich nie ein Sänger für Lindenbergs Bands finden wollte. Sei‘s drum, dann muss der Schlagzeuger eben selbst ans Mikro. Auch ohne Gesangsausbildung und vorerst sehr gemischten Gefühlen. Es dauerte vier Alben, ein paar wilde Abenteuer in den Zeiten freier Liebe, einige Whisky pur um die Stimme auf Vordermann zu bringen und dann war alles klar auf der Andrea Doria. Und Udo Lindenberg wurde in den Pop-Himmel katapultiert.



Nicht nur das. Mit seinem Mut, Rockmusik einfach auf Deutsch zu machen, durchbrach er eine Mauer und ebnete einen Weg den viele nach ihm und mit ihm gehen sollen: Marius Müller Westernhagen, Jan Delay, Clueso und, und, und… Alle, die heute deutschen Rock und Pop machen, haben von Udo gelernt. Hätte es ihn nicht gegeben, sähe die Welt vielleicht ganz anders aus. Denn, wie es sein Schützling Benjamin von Stuckrad-Barre getreu seines literarischen Talents so schön formulierte: Man könnte ein ganzes Wörterbuch mit Udo-Neologismen füllen. Wohl war, und diese nette Metapher zeigt nicht nur, dass Lindenberg mit einer nuschelnden Wortgewandtheit mal eben die deutsche Sprache von ihren biederen Fesseln befreite, er schaffte sich auch seine eigene Welt, mit sich selbst als Regisseur und gleichzeitig schillernder Hauptfigur im Mittelpunkt. Ein unverwechselbarer Charakter, um den sich eine enge und vertraute Gruppe aus Musikern und Kreativen – seine Panik-Familie – gebildet hat. Eine „Armee von Sonderlingen“ (wieder ein Stuckrad-Barre Zitat), die ihm auch in dunklen Zeiten nicht von der Seite rückt. Und die gab es – auch im Leben des Udo Lindenberg.


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Es waren die 90er, eine Zeit, in der man meinen könnte, hier gibt‘s jetzt nur noch den Echo für‘s Lebenswerk und dann ciao, auf nimmer Wiedersehen. Auch der Alkohol, man könnte beinahe sagen sein damals bester Freund, ließ ihn Stufe um Stufe in einen dunklen Abgrund schreiten. Fast unaufhaltsam. Aber eben nur fast. Der plötzliche Tod seines älteren Bruders rüttelt ihn wach, seine Panik-Familie stützt ihn beim Aufstehen. Es geht weiter – wie sollte es auch anders sein? Bei Udo geht es immer weiter, das in Bewegung sein ist seine Lebensprämisse und nicht nur ein Image. Ein Image hätte er wohl kaum über ein halbes Jahrhundert künstlich aufrecht erhalten können. Udo ist Udo selber – es gibt keine Kunstfigur, die das Privatleben des Musikers abschirmt, nein, bei ihm sind Mensch und Kunst zu einem Kosmos verschmolzen in dem er sich inszeniert und trotzdem immer ganz persönlich bleibt. Sein Leben als Bühne. Darüber berührt er viele, egal ob sie in seiner Generation aufgewachsen sind oder erst lange nach seinen ersten Durchbrüchen das Licht der Welt erblickten. Er spricht zu den ganz normalen Menschen, nicht nur durch seine emotionale Tiefe und Offenheit, sondern weil er sich in ihrem Umfeld bewegt. Die Straße ist sein Ort der Inspiration, die Imbissbuden-Besitzer im Hamburger Hauptbahnhof seine Grand Cuisiniers und die Reeperbahn seit jeher seine Flanier-Meile.


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Vor wenigen Tagen erst kam die Meldung, Udos neues Album „Stärker als die Zeit“ habe innerhalb von 100 Stunden mit 200.000 verkauften Exemplaren Platin-Status in Deutschland erreicht. Also bitte – der einzige, der Udo etwas vormachen kann, ist wahrscheinlich Udo selbst. Happy Birthday zum Siebzigsten! Darauf ein Eierlikörchen – oder zwei!

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