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Popkultur

Wie Metallica & Lou Reed 2011 schwer verdaulichen Lärm machten

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2011 machen Metallica und Lou Reed für Lulu gemeinsame Sache. Herauskommt ein schwieriges avantgardistisches Krachwerk.

von Christof Leim

Wer sich traut, kann Lulu hier anhören:

Die größte Metal-Band der Welt und eine Avantgarde-Ikone: Auf den ersten Blick mag diese Kollaboration überraschen. Allerdings suchen Metallica immer kreative Herausforderungen, und Lou Reed machte zu Lebzeiten sowieso, was er wollte – Hauptsache ausdrucksstark, gerne auch schräg bis krass. Doch was auf dem Papier Neugier weckt, findet seine Grenzen in der Umsetzung. Denn Lulu klingt, als würde ein sturzbesoffener Helge Schneider zu weggeworfenen Metallica-Proberaumaufnahmen Witze erzählen, deren Pointe er nicht kennt.

Atonale Geschichten zu Midtempo-Riffs

Das Werk basiert auf musikalischen Ideen, die Reed erarbeitet hatte für ein gleichnamiges Theaterstück, das wiederum zwei Werke des deutschen Schriftstellers Frank Wedekind (1864-1918) verbindet. Dessen expressionistische Dramen Erdgeist (1895) und Die Büchse der Pandora (1904) rangierten in ihrer Entstehungszeit insbesondere wegen der Darstellung oder Andeutung spezieller sexueller Vorlieben am Rande des gesellschaftlich Akzeptablen, und auch heute klingen die Texte krass und brutal. Dieser Skizzen nahmen sich die Velvet-Underground-Legende und Metallica gemeinsam an, arrangierten um, fügten hinzu und spielten das Ganze weitestgehend live ein.

Loutallica

Ungewöhnliche Partner: Metallica und Lou Reed (Mitte) – Bild: Anton Corbjin

Meistens spricht Reed dabei atonal krasse Texte zu bedrohlichen Midtempo-Jams, stampfenden Riffs oder atmosphärischem Geplänkel im Metallica-Sound. Manchmal singt er ein bisschen, hält aber auch dabei immer genügend Sicherheitsabstand zur richtigen Tonart. Schön ist das nicht, und das soll es auch nicht sein. Vielmehr liegt in dieser Reibung, die das ganze Album durchzieht, sein grundlegender Charakter. Mit Songstrukturen, die einer inneren Logik folgen, halten sich die fünf Musiker ebenfalls nicht weiter auf. Das kann man mutig nennen oder künstlerisch frei. Wer bissig sein will, spricht von „interessant“, wer sich generös fühlt, spendiert vielleicht ein „progressiv“. Doch realistisch passen „beliebig“, „unfertig“ und „hingerotzt“ besser. Wie man es auch dreht: Alles in allem erweisen sich diese zehn Songs, jeder einzelne im Schnitt fast neun Minuten lang, als schwer verdaulicher Brocken.

„Hurz“ oder was?

Nach der Veröffentlichung am 31. Oktober 2011 gingen deshalb durchaus einige Augenbrauen hoch. Handelsüblichen (Thrash) Metal oder leicht eiernden, aber charmanten Indie-Stoff durfte man nicht erwarten, trotzdem hielten manche Metal-Fans Lulu fälschlicherweise für eine „neue Metallica“. Dabei ist das grundsätzlich nichts für die Klientel, die schon 1984 bei den Akustikgitarren in Fade To Black nervöse Flecken bekam und angesichts der unthrashigen Rocksounds von Load und Reload kurz vor dem Herzklappenabriss stand.

Loutallica

„Loutallica“ bei einem Konzert in Köln – Bild: Erik Weiss

Doch selbst mit offenem Ohr fällt es schwer, hier verwertbare musikalische Information oder Unterhaltungspotenzial zu finden. Lulu lärmt so ziellos vor sich hin, dass man sich fragt, ob das ernst gemeint ist. Es würde zumindest nicht überraschen, wenn Hape Kerkeling irgendwann „Hurz“ dazwischenquäkt. Dem nicht abgehärteten Teil des Publikums gehen Stücke wie Brandenburg Gate, The View und Iced Honey deshalb vermutlich kollektiv schnell auf die Nerven.

Eine Dekade reicht nicht

Entsprechend fielen die meisten Kritiken aus: vernichtend. Manches Feuilleton lobte jedoch die nicht zu leugnende emotionale Intensität und ließ den Plebs unterschwellig wissen, dass nur zu beschränkt sei, wer Lulu nicht schätze. Wer allerdings vor allem bewertet, was ein Musikwerk künstlerisch bedeutet, nicht wie es klingt, verfolgt womöglich die falsche Fährte.

Natürlich muss eine Platte nicht einfach, konventionell oder gefällig klingen, im Gegenteil. „Loutallica“ fordern ihr Publikum, und sie erzielen eine Wirkung, die den textlichen Inhalt widerspiegelt. Zumindest dafür gebührt ihnen schon aus Prinzip Applaus. Doch wäre Lulu ein Essen, dann wäre es nicht nur gewagt zusammengestellt oder offensiv gewürzt, sondern eher so etwas wie Nutella auf Brokkoli in Essig. Da passt ziemlich viel nicht zusammen. Und auch mit den Jahren wird das nicht besser.

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Zeitsprung: Am 8.12.2013 spielen Metallica in der Antarktis.

 

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