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Popkultur

Zehn Post-Punk-Klassiker: Wie Punk erwachsen wurde und den Rock befreite

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Foto: Michael Putland/Getty Images

Die Punk-Explosion in den Jahren 1976 und 1977 war eine der größten Revolutionen in der Rockmusik. Meistens geht die Erzählung so: Die alten Dinosaurier a la Yes und Pink Floyd mit ihren endlosen Songs und LKW-Ladungen an Equipment und Keyboards wurden abgelöst von Amateuer-Bands, die nicht mehr als drei Akkorde draufhatten. Doch sie waren jung und gierig und hauchten dem Rock wieder neues Leben, neuen Style und neue Relevanz ein. Wir sagen: Viel wichtiger als all die Sex-Pistols-Klone ab 1977 war eine andere Folge: Die neue Freiheit und Offenheit, mit der sich Punkrock rasch entwickelte, wie Genre-Grenzen fielen und sich Soul oder Dub-Reggae mit E-Gitarren verbündeten, wie poppige und experimentelle Stile entwickelt wurden und neue Szenen und Nischen von Elektronik über Goth Rock bis Alternative Rock entstanden.

von Michael Döringer

Willkommen in der Zeit des Post-Punk. Er war mehr Idee und Haltung statt ein fixes Genre –nicht zwingend Rockmusik, und eigentlich auch losgelöst von seiner Entstehungszeit in den späten 70ern und frühen 80er. Natürlich hat sich längst eine gewisse Stilistik herausgebildet, mit der man auch heute noch sofort als Post-Punk-Act identifiziert wird. Und diese Songs sind mit dafür verantwortlich: Zehn Klassiker von damals, die Post-Punk definiert haben. Ein paar wichtige Vertreter mussten wir natürlich auch übergehen. Grüße an The Fall, The Cure, Siouxsie & The Banshees, The Slits, Pere Ubu, Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire.

Gang of Four – Damaged Goods

Die Gang of Four aus Leeds kann man ruhig als die archetypische Post-Punk-Band bezeichnen. Ihr Sound war ein minimalistisch gehaltener Punkrock mit Reggae- und Funk-Elementen und oft tanzbaren Disco-Beats. Die komplette Ästhetik der Band war durchdacht und politisch, ihr Einfluss wirkt noch heute. Für Bands der 2005er Retro-Welle wie Bloc Party waren der schneidende Gitarrensound und der Look von Andy Gill und seiner Band die wichtigste Inspiration. Damaged Goods (1978) war die perfekte erste Single von Gang of Four und ein klares Signal: Nach „No Future“ gibt es jetzt wieder ambitionierte Inhalte.

Wire – Outdoor Miner

Ambitioniert waren von Anfang an auch Wire, die wie kaum eine andere Band zwischen Punk und Post-Punk hängen und beides verbinden. Ihr Debüt Pink Flag (1977) ist eigentlich ein reinrassiges Punk-Album, mit kurzen/schnellen/harten Songs. Der nur ein Jahr später veröffentlichte Nachfolger Chairs Missing dachte schon sehr viel weiter. Songs wie Outdoor Miner erinnern eher an Classic Rock mit doppeltem Boden, ist mit 1:45 aber so irritierend kurz wie ein Punk-Song. Sänger Collin Newman gab zu, dass man Lust hatte eine kommerziell anschlussfähige Single zu schreiben. Die neue Marschroute war: Anything goes, aber nur mit Substanz.

Public Image Ltd. – This Is Not A Love Song

Der Saulus-Paulus-Moment des Punk oder überhaupt der personelle Beginn von Post-Punk war, als sich die Sex Pistols auflösten und Johnny Rotten Public Image Ltd. gründete. Nun nannte er sich wieder John Lydon und machte sehr merkwürdige und experimentelle Musik. PIL gelten ebenfalls als  Post-Punk-Pioniere mit ihren kratzigen Kreuzungen aus Dub und Industrial, kühlen Gitarren und schrägem Gesang. Aber sie veröffentlichten auch tanzbare Disco-Punk-Hits wie This Is Not A Love Song.

Fehlfarben – Grauschleier

Schauen wir in die BRD: Düsseldorf war ein Epizentrum des hiesigen Punk. Aus Charley’s Girls,  einer der ersten deutschen Punkbands, entstand 1978 Mittagspause, aus Mittagspause entstanden 1979  die Fehlfarben – die wohl beste deutsche Post-Punk-Band überhaupt, die mit ihrem epochalen Debüt Monarchie & Alltag (1980) den Sound und die Zeit perfekt eingefangen haben. Ein Jahr (es geht voran) wurde dank Peter Heins Talent für Slogans zum berühmten NDW-Schlager, doch der Rest des Albums ist die eigentliche Sensation: düstergrau, politisch-aggressiv, funky und aufrüttelnd. Solche Platten kannst du dir nicht ausdenken, die werden einfach gemacht.

DAF – Als wärs das letzte Mal

Zusammen mit Peter Hein in Mittagspause war ein gewisser Gabi Delgado-Lopez, der 1978 ebenfalls in Düsseldorf mit Robert Görl und zunächst ein paar anderen die Deutsch-Amerikanische Freundschaft gründete. DAF starteten später also Duo in England und weltweit durch wie zuvor nur Kraftwerk oder Tangerine Dream. DAF nahmen die elektronische Route weg von Punk und blieben trotz aller Synthesizer mehr Punk als jede Dosenbier-Band.

The Raincoats – Lola

Punk und Post-Punk waren mit ihrem inklusivem Spirit auch eine Emanzipationsbewegung für Frauen. Dass die Dominanz der Männer im Rock damals gebrochen wurde, ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, doch die weibliche Präsenz unter den großen Post-Punk-Bands ist groß: Siouxsie & The Banshees, X-Ray Spex, The Slits, ESG oder auch Blondie muss man da erwähnen. The Raincoats sind nicht die berühmtesten, haben aber eine Reihe wirklich bemerkenswerter Alben gemacht. Ihre Coverversion des Kinks-Klassikers Lola steht stellvertretend für die damalige Zeitenwende, aber auch den Rückgriff auf bestimmte Traditionen.

The Clash – Guns of Brixton

Etwas erfinden und sofort wieder überwinden: Auch The Clash stehen da zwischen den Stühlen. London Calling (1978) gilt gemeinhin als typischer Punk-Klassiker. Aber was hört man auf diesem Album? Songs wie Rudie Can’t Fail oder Guns Of Brixton sind ein totaler Rock-Reggae-Mix, der wenig mit derbem Punkrock zu tun hat. Wenn man sich The Clash anschaut, dann waren im Punk von Anfang an die nächsten Schritte angelegt. Hier ging es wirklich ohne Zögern voran.

Bauhaus – Dark Entries

Wo und wann entstand eigentlich Goth? Diese Tradition geht weit zurück, doch die Punk-Welle bot auch für Goth-Rock einen idealen Nährboden. Auf dem ersten Bauhaus-Album finden sich sehr viele Facetten der Post-Punk-Ära: ein frenetisch-getriebener Rocksound, schwarzromantische Theatralik, krachende Experimente und Referenzen auf die britische Rockgeschichte. Von Peter Murphy und Co. gibt es viele Vampir-Versionen von Marc Bolan- oder David Bowie-Songs. Dark Entries ist der furiose Einstieg in ihr Debütalbum In The Flat Field (1980), in dem genau so viel Punk steckt wie all das, was danach kommen sollte.

Devo – Mongoloid

Post-Punk kann man ästhetisch als ein sehr britisches Phänomen verstehen, aber natürlich entwickelten sich weltweit neue Spielarten und Szenen aus der ebenso globalen Punk-Bewegung heraus. Gerade in den USA, wo es ja eine lange Proto-Punk-Tradition und Garage-Rock-Szene gibt, entwickelten sich diverse Stränge in diversen Gegenden, die man aber oft eher als Art-Rock statt Post-Punk bezeichnet – das gilt für Bands wie die Talking Heads oder Television. Irgendwo dazwischen stehen Devo, die auf jeden Fall ein sehr kluges Kunstprodukt waren, aber auch sehr erdige Rocknummern drauf hatten. Wie Mongoloid, 1978, produziert von Brian Eno und aufgenommen in Conny Planks Studio bei Köln. „No Future“ mit einem ganz neuen Twist. Klassiker!

Joy Division – Shadowplay

Viele Bands fehlen in dieser Liste, aber diese muss dabei sein. Nach dem Tod von Sänger Ian Curtis im Jahr 1980 wurde Joy Division zur New Order, und man könnte sagen: Post-Punk wurde zu New Wave, auch wenn die Begriffe im Prinzip austauschbar sind. In jedem Fall haben wir hier die vielleicht Quintessenz aller britischen 80er-Bands. Und das hört man in jedem einzelnen Song von Joy Division, auf jedem ihrer zwei Studioalben. Shadowplay ist düster und dynamisch, ausgeklügelt komponiert und doch mit einer unmittelbaren Wirkung. Nicht denkbar ohne Punk,  aber auch weit davon entfernt. Mit Ian Curtis bekam diese Ära denn auch die ideale Galionsfigur.

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