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Popkultur

45 Jahre „Are We Not Men? A: We Are Devo!“: Die Geburt der New-Wave-Satire

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Foto: George Rose/Getty Images

Als Gesellschaftssatire gestartet, von David Bowie entdeckt, von Brian Eno genervt: Die Geschichte von Devos wegweisendem Debüt Are We Not Men? A: We Are Devo! ist so unkonventionell wie sein Titel.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Are We Not Men? A: We Are Devo! anhören:

Die Geschichte von Devo ist so skurril und ungewöhnlich wie ihre Musik. Ursprünglich als satirischer Sketch einiger gelangweilter Kunststudenten der Kent State University in Ohio gestartet, wird irgendwann ein musikalischer Rahmen daraus. Eine lose Gruppe von Studenten verschreibt sich dem Thema der De-Evolution, um der ihrer Ansicht nach zunehmenden Verdummung und Herdenmentalität der US-amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Das alles passiert zu Beginn der Siebziger, als sich der Vietnamkrieg gerade nach Kambodscha auszuweiten beginnt.

67 Schüsse auf Studenten

Das führt auch auf dem Campus der Kent State University zu Demonstrationen und zu einer spürbar erhöhten Präsenz der Nationalgarde. Die facht die Unruhen aber natürlich nur weiter an, was am 4. Mai 1970 zu einer Katastrophe führt: Mitglieder der Nationalgarde von Ohio eröffnen das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten, die gegen die Bombardierung Kambodschas protestieren. In nur 13 Sekunden werden 67 Schüsse abgefeuert, wobei vier Studenten getötet und neun schwer verletzt werden. Der Vorfall erschüttert die nationale Psyche bis ins Mark: Millionen von College-Student*innen treten in den Streik, über 100.000 junge Menschen marschieren auf das Kapitol. Ein neuer Friedensmarsch.

Was beim de-evolutionären Kunstkollektiv als satirischer Scherz begann, als Zeitvertreib, ist plötzlich blutiger Ernst geworden. „Ich glaube nicht, dass ich Devo gegründet hätte, wenn das nicht passiert wäre“, betont Gerald Casale, der die Band Anfang der Siebziger zusammen mit Bob Lewis gründet und das Konzept der De-Evolution auch im neuen Bandnamen verankert. „So einfach ist das.“ Auch Lewis, der Devo 1977 noch vor ihrem Durchbruch verlässt, ist von diesem Event gleichermaßen getriggert wie gezeichnet. „Wir waren wütend, und wir wollten die Energie, die aus dieser Wut entsteht, in das Konzept von Devo einfließen lassen“, so sagte er mal.

Es entsteht zunächst das Sextett Devo, das neben Gerald Casale, Bob Lewis und ihrem Kumpel Mark Mothersbaugh auch Casales Bruder Bob, Rod Reisman und Fred Weber enthält. In dieser Besetzung treten sie zwar nur ein einziges Mal auf; sie filmen aber schon dieses Auftritt: Neben der Musik gilt Devos große Leidenschaft der Videokunst, noch vor ihrem Debüt werden sie diverse Filmchen und Clips veröffentlichen. Kunststudenten eben.

David Bowie gefällt das

Bald kristallisiert sich der Kern von Devo heraus. Er oszilliert um die beiden Brüderpaare Gerald und Bob Casale sowie Mark und Mob Mothersbaugh. In den nächsten Jahren entsteht aus dem beißend satirischen Humor der Anfangstage und den zunehmend desillusionierenden politischen Umständen ein Sound, geprägt von Frustration und surrealer Bissigkeit. Ein wenig Punk, etwas Rock, dazu ihr Kunstverständnis und ein erwachendes Interesse aus Elektronik schmieden einen Sound, der irgendwie neu klingt. Surreal, fast schon außerirdisch. Und keinesfalls nach dem ländlichen Ohio.

Als ihr Kurzfilm The Truth About De-Evolution 1976 einen Preis beim Ann Arbor Film Festival erhält, wird David Bowie auf die Truppe aufmerksam. Er wird der Band bald darauf einen Deal mit Warner verschaffen und will außerdem ihr Debüt produzieren. Bis es soweit ist, erscheinen erste Singles, etwa auf ihrem eigenen Indie-Label Booji Boy oder auf dem legendären Stiff-Label aus Großbritannien, wo später auch Madness oder die Pogues releasen.

Warner klopfen dann irgendwann doch an. Neben Bowie hat inzwischen auch Iggy Pop für Devo geworben. Die nehmen das zwar hin, hätten es aber wahrscheinlich gar nicht gebraucht: Wie viele andere Bands aus Akron, Ohio lehnen Devo von Anfang an das Radioformat ab und pfeifen auf melodische Strukturen oder eingängige Songs. Sie setzen von Anfang an auf atonale Kompositionen und viel wirren und libertären Geist. Das alles kommt mit einer gehörigen Portion DIY: Anfangs nehmen sie ihre Stücke in selbstgebauten Studios auf und schaffen ein System zur Veröffentlichung und Vermarktung ihrer Kunst.

Brian Eno greift tief in die Tasche

Im Taxi weint es sich aber eben besser als in der Straßenbahn, also folgen Devo doch dem Weg des Majors und lassen sich erst mal nach Köln in Conny Planks Studio ein, wo sie mit Brian Eno ihr Debüt aufnehmen. Eigentlich will Bowie ja produzieren, aber der dreht gerade Just A Gigolo und kann nur am Wochenende reinschneien, um Eno ein wenig zu attestieren. Das Abgefahrene: Noch ist der Deal mit Warner nicht in der Tasche, Eno schießt Flüge und Studiokosten erst mal vor. Seine Bedingung: Eine Umsatzbeteiligung. Kein ganz schlechter Move. Denkt er.

Weil die Songs bei ihrer Ankunft in Köln alle bereits fertig und auch schon live gespielt wurden, wissen Devo sehr genau, was sie wollen. Das gefällt Brian Eno gar nicht. Er will experimentieren, ausprobieren, testen, ein Studio ist eben auch sein Labor. Doch er beißt sich die Zähne an Devo aus. Die sagen später, dass sie „offenkundig resistent gegen Enos Ideen waren. Er erfand Synthesizer-Parts und wirklich coole Sounds für fast jeden Track des Albums, aber wir verwendeten sie nur bei drei oder vier Songs.“ Bowie muss schlichten, ein bisschen was wird danach noch in den Different Fur Studios in San Franciscio aufgenommen, dann ist Are We Not Men? A: We Are Devo! nach tumultartigen Wochen und Monaten endlich fertig.

„Nirgendwo ein Hauch von Gefühl“

Was von AllMusic retrospektiv als „bahnbrechender Meilenstein für die Entwicklung des amerikanischen New Wave“ bezeichnet wird, kommt bei seiner Veröffentlichung am 28. August 1978 so gar nicht gut an. In einem historischen Verriss schreibt Tom Carson für den Rolling Stone, dass „nirgendwo ein Hauch von Gefühl zu spüren ist.“ Weiter fügt er an, dass „Devo das meiste von Enos Wärme und viel von Bowies Gespür für mechanisiertes Melodrama fehlt. Bei all ihren Eigenheiten ist die Musik hier völlig unpersönlich.“ Dass sie das sein soll, dass das genau der bewusste Effekt von Entfremdung, Entmenschlichung ist, wird erst später klar.

Der Erfolg kommt dennoch. Am 14. Oktober 1978 werden Devo landesweit bekannt, als sie bei Saturday Night Live auftreten – nur eine Woche nach den Rolling Stones und dann auch noch mit ihrem dekonstruierten Avantgarde-Cover von (I Can’t Get No) Satisfaction. Heute ist der expressionistische Mix aus Art Rock, Punk und Wave längst legendär und Fixstern diverser Bestenlisten. Sogar im Rolling Stone. Und Devo werden spätestens mit Whip It (1980) zu Synth-Pop-Superstars. Der Punk ist da aus ihrer Musik verschwunden. Der beißend-satirische Unterton, der wird aber nie wieder gehen.

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