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Popkultur

50 Jahre „Raw Power“: Als die Iggy Pop und die Stooges in 34 Minuten den Punk erfinden

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Iggy Pop
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

33 Minuten und 57 Sekunden. Solange brauchen Iggy Pop und die Stooges, um den Punk in die Welt zu würgen. Vor 50 Jahren erscheint das lärmende, schrille Manifest Raw Power. Und ist auch ein halbes Jahrhundert die Rockplatte mit dem passendsten Namen.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Raw Power anhören:

Ende der Sechziger tut sich was in Ann Arbor. Mitten in einer mittelgroßen Stadt in Michigan gründen James Newell osterberg (den alle nur Iggy Pop nennen) und die  Asheton-Brüder Ron und Scott The Stooges. Sie lieben die Doors und eine wenig bekannte Girl-Group namens The Untouchable, ihr neuartiger, bizarrer, fast schon aufdringlich aggressiver Mix aus Blues, R&B, Jazz und altmodischem Rock’n’Roll verstört, ihre Live-Konzerte haben schnell den Ruf, psychedelische Dröhnexzesse zu sein. Das beschert ihnen in einem auserwählten Kreis Kultstatus; der Erfolg, der bleibt bei den ersten beiden Platten The Stooges (1969) und Fun House (1970) jedoch weitgehend aus.

Flucht nach England

Die Band trennt sich kurzzeitig, Iggy Pop kümmert sich zunächst gründlich um seine Heroinsucht. Kostet ja auch Zeit und Geld. Wie ein rettender Engel schwebt David Bowie in sein Leben. Der bringt ihn bekanntermaßen mehr als einmal von den Drogen weg und nimmt ihn mit zu sich nach England, wo die beiden gemeinsam Musik machen. Was eigentlich Iggy Pops Solodebüt werden soll, wird dann im Vereinigten Königreich aber doch irgendwie zur Reunion der Stooges: Nachdem Iggy Pop und sein Stooges-Gitarrist James Williamson, den er bei sich haben wollte, keine geeignete Rhythmussektion in „ganz England“ finden, wie man wenig glaubhaft versichert, fliegen sie halt doch wieder die Asheton-Brüder ein.

Die Stooges sind wieder vereint, die Solopläne Pops zunächst mal vom Tisch. Ganz ohne Spuren bleibt der kurze Riss in der Stooges-Historie aber nicht: Fortan firmiert man als Iggy And The Stooges. Und will es noch mal wissen. Warum auch nicht? Während die Welt in ihrer Frühphase ganz eindeutig nicht bereit war für diese Art von Musik, von innigem Krach und sinnlicher Kakophonie, ist in der Musikwelt mittlerweile natürlich eine Menge passiert. Die New York Dolls sind auf den Plan getreten, The Velvet Underground haben in Sachen lauter Avantgarde so ziemlich alles gesagt.

Die härteste Gitarre weit und breit

Hochmotiviert schreiben Iggy Pop und James Williamson Songs für ein Album, das als ein Meilenstein auf der Reise zum Punk in die Annalen eingehen wird. Die Musik klingt deutlich härter und kohärenter, was vor allem an Williamsons aggressivem Spiel liegt. Muss sogar Ron Asheton einsehen, der grummelnd von der Gitarre zum Bass wechselt und Williamson das Feld überlässt.

1972 entstehen in London Songs, die beim Management der Band praktisch ohne Ausnahme für blankes Entsetzen sorgen. Die Plattenfirma Columbia zwingt die Band dazu, wenigstens zwei Balladen auf dieses rohe, blutige Stück Fleisch zu packen – wahrscheinlich in einem verzweifelten Versuch, die Ecken abzuschleifen. Gimme Danger und I Need Somebody gehen auf dieses Diktat zurück. Auch nicht gerade Tränendrüse-Nummern, aber offensichtlich okay für Columbia. Und für spätere Generationen eh ein Glücksgriff: Beide Songs sind herrliche Exempel für torkelnde Trinkerballaden.

David Bowie muss retten

Vom 10. September bis zum 6. Oktober 1972 wird das Album in den Londoner CBS Studios aufgenommen. Und dass David Bowie hier überhaupt als Co-Produzent mit an Bord geholt wird, ist tatsächlich auf einen Fauxpas von Iggy Pop selbst zurückzuführen. Der besteht darauf, die Platte selbst aufzunehmen und zu mixen, mischt aber versehentlich die Instrumente in den einen Stereokanal und den Gesang in den anderen. Mehr Punk geht echt nicht!

Und weil Iggy Pop eben Iggy Pop ist, besteht er darauf, dass Bowie zwar an den Mix gelassen werden darf; der Opener Search And Destroy soll davon aber unberührt bleiben. Was sich Bowie dabei wohl gedacht hat? Eine Menge! „Ich kam mit meinem 24-Spur-Rekorder und wir schlossen ihn an. Er hatte die Band auf einer Spur, die Leadgitarre auf einer zweiten und die Band auf der dritten. Von 24 Spuren benutzte er nur drei und er sagte: ‚Sieh mal zu, was du damit anfangen kannst!“

Als würde man einen Baumstamm verprügeln

Das sorgt für einen ganz speziellen Sound, der so keineswegs gewünscht wurde, aber zur Einzigartigkeit dieses seltsamen Albums beiträgt. Einen Tag, mehr hatte Bowie aufgrund des knappen Budgets nicht zum Mixen. Und was er rausholt, ist eine der ikonischsten Produktionen aller Zeiten. Pop selbst erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Zitat von Bowie: „Er sagte mir: ‚Ihr seid so primitiv, euer Schlagzeuger sollte klingen, als würde er einen Baumstamm verprügeln.“ Und irgendwie tut er das auch! Bis heute sind die verschiedenen Mixe des Albums der Stoff für Legenden: Iggy Pop selbst hat mehr als einmal seine Fassung der Songs ausgegraben und als alternative Fassung veröffentlicht, zuletzt dieses Jahr.

Der große Erfolg bleibt dennoch aus. Fürs konservative Rock-Radio sind die laut gellenden Rock-Orgien immer noch viel zu brutal, das Album macht kaum Eindruck in den Charts. Die bittere Quittung: Management und Label lassen die Stooges fallen, nach einem weiteren Jahr auf Tour löst sich die Band endgültig auf.

Rohe Kraft

Heute sind wir natürlich schlauer. Heute wissen wir, dass es eigentlich keine Rock-Platte gibt, die einen passenderen Namen trägt. Raw Power. Damit ist alles gesagt. Pop und die Stooges reduzieren den Rock auf sein urtümliches Grundgerüst, kochen ihre Musik ein auf eine Ursuppe aus schreienden Gitarren, polternden Drums und Schreie aus dem Wald. So einfach. Und doch so effektiv.

Schon damals jubelt die Presse, doch heute ist man sich selten einig: Raw Power ist das Album, ohne das es Punk erst später gegeben hätte. Steve Jones von den Sex Pistols lernte Gitarre zu diesem Album, Johnny Marr von The Smiths nennt es seine absolute Lieblingsplatte, ebenso erweisen sich Thurston Moore von Sonic Youth und Kurt Cobain als riesige Fans dieses rohen Manifests. Nicht ganz übel für knapp 34 Minuten Musik, die kommerziell vor 50 Jahren ganz fürchterlich floppen.

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