Popkultur
Die musikalische DNA von Gregory Porter
Es hätte alles anders laufen können und dann wäre Gregory Porter vielleicht nicht für seinen samtigen Jazz-Bariton bekannt geworden, sondern vor allem Sport-Fans ein Begriff. Die Football-Karriere aber erledigte sich nach einer Verletzung, lediglich das College-Stipendium blieb – und damit genug Zeit für den jungen Studenten, die eigene Stimme zu entdecken und weiterzuentwickeln. Nachdem sich der charismatische Sänger mit Musicals einen Namen machte, veröffentlichte er eine Reihe von Alben, die Jazz- und Soul-Fans gleichermaßen zum Schwärmen brachten. »Im Jazz habe ich mich selbst gehört«, sagt er zwar. Doch ist seine Musik angereichert mit Gospel- oder eben Soul-Elementen und der politisch engagierte Sänger hat auch ein Ohr für frische Hip Hop-Sounds. Dementsprechend breit strecken sich die Stränge seiner musikalischen DNA aus. Wie divers Porters musikalische Einflüsse sind, zeigt sich allein daran, wo seine Musik ihre Wirkung hinterlässt – und sei’s auf dem House-Dancefloor!
Höre dir hier Gregory Porters musikalische DNA in einer Playlist an und lies weiter:
01. Nat King Cole – A Portrait Of Jenny
Gregory Porter war 21, als er den größten Schicksalsschlag seines Lebens einstecken musste. Seine Mutter Ruth, welcher er mit seinem Mother’s Song vom Album Be Good einen einfühlsamen Tribut zollte, starb an den Folgen einer Krankheit. »Ich habe so viel über meine Mutter gesprochen, dass meine Band genau weiß, wie sie tickt«, sagte er einmal in einem Interview. Der christliche Background der Mutter überlebt in den dezenten Gospel-Einflüssen von Porters Musik, und nicht zuletzt hätte ohne sie seine Karriere wohl ganz anders ausgesehen. Als er mit fünf Jahren (!) seinen ersten Song schrieb, ermutigte sie ihn zu mehr und selbst auf dem Sterbebett hatte sie klare Worte für den Sohn parat: »Sing, baby, sing!« Anders sein Vater Rufus, den der junge Gregory kaum kennenlernte. Stattdessen fand er einen Ersatzvater in Nat King Cole. »Wenn ich als Junge gesungen habe, sagte sie [seine Mutter] stets: ‘Du klingst wie Nat King Cole.’ Deshalb begann ich irgendwann, mich durch ihre Nat King Cole-Platten zu hören«, erinnert sich Porter. »Dabei malte ich mir aus, er wäre mein Dad.« Diese Wahlverwandtschaft verarbeitete er sogar im Musical Nat King Cole and Me. Die Songs des legendären Jazz-Musikers begleiteten ihn sein gesamtes Leben lang. Stücke wie A Portrait Of Jenny, erzählte Porter einst, habe er selbst beim Football-Spielen durch den Mundschutz gesummt!
02. Ella Fitzgerald & Louis Armstrong – Summertime
Nat King Cole ist nicht das einzige Multitalent, das für Porter Vorbildfunktion hatte. Ein anderes war ein Reibeisen, das viel heiße Luft in noch heißere Sounds verwandeln konnte. »Für mich als Sänger, musst du denke ich mit der Stimme beginnen«, erklärte Porter einmal. »Mit Louis Armstrong und Billie Holiday in den Dreißigern (obwohl Armstrong zuvor für Jahrzehnte die Trompete gespielt hatte). Um dich durch ein Gespräch über den frühen Jazz zu mogeln, kannst du immer darüber schwadronieren, wie eindrucksvoll Armstrongs Sprechstimme schon klingt. Er hatte eine irre Sprechstimme, eine irre Singstimme und eine irre Spielstimme!« Ein heißer Tipp von einem, der’s wissen muss – und übrigens noch die regelmäßige Armstrong-Duettistin Ella Fitzgerald als eine der »zentralen Stimmen des Jazz« bezeichnete. Gemeinsame Kollaborationen der beiden wie etwa ihr Evergreen Summertime lassen keine Fragen auf, wieso Porter die beiden so sehr für ihr Ausdrucksvermögen und Können schätzt.
03. John Coltrane – Blue Train
Nachdem Porter zwei Alben über Motéma veröffentlicht hatte, konnte er sich am 17. Mai 2013 einen Traum erfüllen und bei Blue Note unterschreiben. Jazz wäre ohne das 1939 in New York gegründete Label in seiner Form nicht denkbar gewesen. Fast alle großen Heldinnen und Helden haben hier veröffentlicht und damit Geschichte geschrieben. So auch John Coltrane, der ein ausnehmend produktives Jahr 1957 mit seinem ersten Blue Note-Release krönen durfte, Blue Train. Noch 60 Jahre später klingt ‘Tranes Saxofon-Spiel mit seinen eleganten Phrasierungen und subtilen Ausbrüchen absolut einzigartig. Obwohl der zehn Jahre nach Release des bahnbrechenden Albums verstorbene Musiker eher selten hinter dem Mikro zu finden war, zählt ihn der posthume Labelmate Porter zu seinen Einflüssen und konnte ihm im Rahmen des 6. Coltrane Jazz Festivals im Jahr 2016 Tribut zollen. »Was Jazz von allem anderen unterscheidet, ist, dass du den Jazz nicht voraussagen kannst«, sagte Porter einmal. »Es geht um Freiheit. Sobald du denkst, dass du weißt, was du gleich hören wirst, kommt schon die nächste Abzweigung.« Eben das machte doch Coltranes Spiel aus.
04. Miles Davis – So What
Zwei Jahre nach Blue Train sollte ein anderes Jazz-Album das Genre auf immer verändern. Miles Davis’ Kind Of Blue markierte seinen Wechsel zu einer modaleren Spielart und war doch in seiner atmosphärischen Dichte radikal. Nachdem Porter in seiner Jugend von Nat King Cole vorgeprägt wurde, begann erst am College seine Jazz-Leidenschaft aufzublühen. Einer seiner Mentoren zu dieser Zeit wurde Kamau Kenyatta, der Porters Karriere noch lange begleiten sollten. Er traf ihn über den Posaunisten George Lewis, der ihn bei einer Jam-Session seiner Studenten beim Skat-Singen zuhörte. Lewis lud ihn sofort zu einem seiner Uni-Kurse ein, obwohl der junge Porter eigentlich Stadtplanung studierte. Als er allerdings den Kurs das erste Mal besuchte, war von Lewis keine Spur – stattdessen leitete Kenyatta eine Interpretation von Miles Davis’ So What, über der Porter als einziger Sänger sein Bestes gab. Mehr als genug für Kenyatta, der ihn nach Ende der Sitzung sofort beiseite zog. Es sollte der Beginn einer langen Freundschaft werden, in deren Verlauf beide Grammys für sich einheimsen konnten. Wie sagte doch schon Porter selbst in Hinsicht auf Jazz: »Du musst mit Miles Davis anfangen!« Diese (Erfolgs-)Geschichte tat es.
05. Robert Johnson – Crossroad Blues
Bevor die Beiden allerdings ihren gemeinsamen internationalen Siegeszug beginnen konnten, fing Porter klein an. Kenyatta stellte den jungen Sänger Hubert Laws vor, der Porters Leidenschaft für Nat King Cole teilte. Während gemeinsamer Sessions, in welcher Porter die Vocals für den Klassiker Smile (bekannt vor allem durch die Charlie Chaplin-Interpretation) übernahm, lernte er die beiden Laws-Schwestern Debra und Eloise kennen. Sie erkannten sofort das Ausnahmetalent des Sängers, dessen Bühnenerfahrung noch recht bescheiden ausfiel, und drängten ihn dazu, beim Casting für das Musical It Ain’t Nothin’ But the Blues vorstellig zu werden. Fast wäre das Vorsingen ein Desaster geworden: Weder wusste Porter, wo genau er eigentlich hin musste, noch hatte er eine Ahnung, welchen Song er performen sollte. Er entschied sich für eine bluesige Improvisation über eines der vielen Sprüchlein, das ihm seine geliebte Mutter auf den Weg gegeben hatte und stand schon bald zusammen mit den Laws-Schwestern auf einer Broadway-Bühne, wo er – vermutlich bestens vorbereitet – Klassiker wie den Crossroad Blues im Stile eines Robert Johnson vortrug. Eine Kette von glücklichen Zufällen brachte ihn dorthin, behaupten aber konnte er sich allein mit seinem außergewöhnlichen Talent.
06. Marvin Gaye – What’s Going On
Nicht allein Jazz und Blues fließt durch die Adern Porters, ähnlich wichtig für ihn war immer schon der Soul. Als Teenager gehörte die legendäre Sendung Soul Train selbstverständlich zum Bildungsprogramm im Hause Porter. Dort gaben sich Größen wie die Chi-Lites, James Brown oder natürlich Marvin Gaye die Ehre. Ähnlich wie Gaye vereint Porter einnehmende Sensibilität mit politischen Ansprüchen: So wie Gaye mit What’s Going On das politische Bewusstsein einer gesamten Nation in Hinsicht auf Vietnamkrieg, Drogenprobleme und Armut in den Innenstädten wachrüttelte, so ist der erlebte Rassismus ein ständiges Thema Porters. Der Song 1960 What? von seinem Debütalbum Water bezieht sich einerseits auf den ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King (»There was a man, voice of the people / Standing on the balcony of the Lorraine Motel / Shots rang out, yes, it was a gun / He was the only one to fall down, y’all / That ain’t right«) und verarbeitet andererseits die Geschichte von Porters Bruder, der ebenfalls angeschossen wurde (»Young man, coming out of a liquor store / With three pieces of black liquorice, in his hand, ya’ll / Mister policeman thought it was a gun, thought he was the one / Shot him down, ya’ll, that ain’t right«). »Weil er als Schwarzer in einer weißen Gegend herumlief!«, empört sich Porter heute noch über den Vorfall von 1980. »Als sie mit Urin gefüllte Bierflaschen in unsere Fenster schmissen, als sie ein Kreuz in unserem Vorgarten verbrannt haben!« Eine Verbitterung, die auch im Song On My Way To Harlem mitschwingt, in welchem Porter die sozialpolitische Entwicklung des New Yorker Viertels mit schwarzer Musikgeschichte und seiner eigenen Karriere zusammenbringt: »Marvin Gaye used to play What’s Going On right over there«.
07. Nina Simone – Sinnerman
Nina Simone war nah dran, als ihr Freund Martin Luther King an der Speerspitze der Bürgerrechtsbewegung fundamentale Rechte für die schwarze Bevölkerung der USA einforderte. Auch in ihrer Musik war Politik eine Konstante, vor allem aber war ihr einzigartiger Sound ein Sammelbecken von Stilen, welche afro-amerikanische Traditionen einem Mainstream-Publikum nahe brachten. Wie Porter war der Gospel eine ihrer großen Leidenschaften, wie bei ihm wurde sie vor allem als einzigartige Jazz-Sängerin bekannt, die ebenso versiert den Blues performen konnte. Kein Wunder, dass sich Porter auch an ihren Interpretationen tradierter Spirituals wie etwa dem fiebrigen Sinnerman versuchte, welches er im Jahr 2015 coverte. Auf der Compilation Nina Revisited: A Tribute To Nina Simone fand er sich zwischen Ms. Lauryn Hill, User und nicht zuletzt Lisa Simone in bester Gesellschaft wieder, die kampfeslustige Atmosphäre von Simones Interpretation aber bleibt ohne Frage unerreicht. Keine Schande allerdings, denn selbst ein Martin Luther King musste sich von der temperamentvollen Musikerin mit der tragischen Lebensgeschichte einiges anhören!
08. Kendrick Lamar – For Free?
»Vieles im HipHop ist Jazz«, betonte Porter mal in einem Interview. »Ich glaube, dass es Künstler gibt, die sich den Kopf darüber zerbrechen, was guter HipHop ist. Selbstreflexion und Selbstkritik waren immer ein wichtiger Bestandteil von Rap, Protest ebenso. Dasselbe finden sie im Jazz. Protest gehört zu den Grundlagen des Jazz, der aus dem Blues entstanden ist. Da lässt sich eine direkte Verbindungslinie zum HipHop ziehen.« Kaum einer hat das in den letzten Jahren so gut verstanden wie Kendrick Lamar, auf dessen Werk Porter im selben Gespräch prompt verweist. Lamars Album To Pimp A Butterfly war eine Kampfansage an die gescheiterte Idee eines post-racial Amerikas, das noch ein Martin Luther King herbeigeträumt hatte und zugleich eine harsche (Selbst-)Kritik an der schwarzen Community. Zugleich war das Album eine musikalische Wundertüte, das ungemein wissend schwarze Musiktraditionen von Funk über Soul bis natürlich Jazz in sich aufgesogen hatte. Am deutlichsten wird das bereits am Anfang im Interlude For Free?, einer harschen Abrechnung mit der Musikindustrie, die auf rumpeligen Bebop-Grooves delivert wird. Das weckt fast den Wunsch nach einer Kollaboration zwischen Lamar und Porter, oder?
09. Max Roach & Abbey Lincoln – Lonesome Lover
»Das, worüber ich am leidenschaftlichsten singe, sind meine persönliche Erfahrungen und andere Menschen«, erklärte Porter über seine einfühlsamen Lyrics. Von seiner Mutter ausgehend über Ella Fitzgerald hin zu Nina Simone und anderen Sängerinnen wie Carole King oder Amy Winehouse, denen er ebenfalls Tribut zollte, waren es auch innerhalb der Männerdomäne Jazz oftmals Frauen, die ihren Einfluss auf ihn ausübten. Wie Simone coverte Porter eine, die ihn ganz besonders prägt: Abbey Lincoln. Das 1962 auf Max Roachs Album It’s Time veröffentlichte Stück Lonesome Lover interpretierte er auf Liquid Spirit neu. »Sie war so persönlich in ihrem Stil und ihren musikalischen Gaben«, schwärmte er und gab auch zu, dass so eine Coverversion kein leichtes Unterfangen ist: »Es ist fast unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand anderes ihre Songs singt! Sie schreckte nicht davor zurück, ihre politische Haltung in in Musik zu übertragen. Das Leben als Politik – sie hat daraus Musik gemacht und das hat mich und mein eigenes Verhältnis zu Musik sehr geprägt.« Seine Version von Lonesome Lover strotzt dementsprechend nur so vor Leidenschaft.
10. Disclosure – Holding On
Ob auf dem Broadway oder auf Jazz-Festivals, Gregory Porters Zuhause ist die Bühne. Trotzdem ist seine charismatische Stimme ebenso im Club zu hören. Insbesondere ein Track schien sich – seiner treibenden Rhythmen sei Dank – für den Dancefloor zu eignen: Der Stockholmer DJ und Produzent Peter “Opolopo” Major fertigte einen Edit des Stücks 1960 What? an, um das politisch aufgeladene Stück in seinen eigenen Sets zu spielen. »Jedes Mal, wenn ich es spielte, dachte ich daran, wie es in einem Clubkontext funktionieren könnte, wenn es nur einen Beat hätte«, gab Major zu Protokoll. »Es ist ein sehr eingängiger Song, obwohl es sich um ernsthaften Jazz mit ausdrucksstarken Lyrics handelt.« Der Erfolg des “Kick & Bass Rerubs” von Major hat vielleicht auch das britische Brüderpaar Disclosure auf den Plan gerufen, die Porter für ihr zweites Album Caracal rekrutierten. Die Mischung aus Charts-orientiertem UK House und Porters Vocals klang zuerst befremdlich, er selbst betonte ausdrücklich: »Ich bleibe immer ein Jazzsänger!« Wohin es ihn nämlich verschlägt, Porter wird seine Wurzeln wohl immer ehren.
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Popkultur
Marie Fredriksson wäre 65 geworden: Die Roxette-Sängerin im Porträt
Sie sind der zweitgrößte schwedische Pop-Export, gleich hinter ABBA. Mehr als 30 Millionen Platten haben Roxette im Lauf ihrer jahrzehntelangen Karriere verkauft. Eins der beiden Gesichter der Gruppe: die viel zu früh verstorbene Frontfrau Marie Fredriksson. Sie wurde nur 61 Jahre alt. Das ist ihre Geschichte.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch einige der größten Hits von Roxette anhören:
Zur Welt kommt Gun-Marie Fredriksson am 30. Mai 1958 in der Nähe des schwedischen 200-Seelen-Dorfes Össjö. Als sie vier Jahre alt ist, verkaufen ihre Eltern den Bauernhof der Familie und ziehen in das geringfügig größere Östra Ljungby um. Weitere drei Jahre später stirbt Maries älteste Schwester Anna-Lisa bei einem Autounfall; der Schock in der Familie sitzt tief. „Danach war ich auf mich allein gestellt“, verrät Marie in einem Interview. „Ich war erst sieben Jahre alt.“
Maries Eltern arbeiten Vollzeit, können sich aber keine Kinderbetreuung leisten, weshalb Marie und ihre Geschwister viel Zeit zuhause verbringen. Sie lernen das Notenlesen, singen und üben auf verschiedenen Instrumenten. Dabei spielt auch der Pastor in Östra Ljunby eine zentrale Rolle, der die musikinteressierten Kinder unterstützt. „Ich habe sehr schöne Erinnerungen an Östra Ljungby, sogar nachdem meine große Schwester gestorben war“, erinnert sich Fredriksson. Ihre Musikbegeisterung wird sie nicht mehr verlieren.
Marie Fredrikssons musikalische Anfänge
Als Marie älter wird, entdeckt sie die Beatles, Joni Mitchell und Jimi Hendrix, schreibt sich mit 17 an einer Musikschule ein und komponiert Musik für die Amateurtheaterstücke ihrer Freunde. Das Problem: Keiner aus dem Cast hat einen ähnlichen Stimmumfang wie die junge Musikerin, weshalb sie sich schließlich selbst auf die Bühne stellt. Mit einem Musical, das Fredriksson mitkomponiert hat, tourt die Gruppe durch Schweden — und absolviert sogar einen Auftritt vor dem damaligen Premierminister Olof Palme.
Nach ihrem Abschluss im Jahr 1977 zieht Fredriksson nach Halmstad, wo sie in die Indie-Szene eintaucht und eine Punk-Band gründet — wie man das halt Ende der Siebziger so macht. Die Gruppe heißt Strul und mit ihr feiert Fredriksson ihre erste Erfolge. So spielt sie mit dem Projekt zahlreiche Konzerte und tritt im Fernsehen auf. Zu Beginn der Achtziger ist die Luft raus: Nach einem „desaströsen“ Konzert, das auch noch im schwedischen Radio übertragen wird, lösen sich Strul auf.
Marie Fredrikssons Karriere mit Roxette
Fredrikssons nächstes Projekt heißt MaMas Barn und die Gruppe teilt sich einen Proberaum mit der erfolgreichen schwedischen Gruppe Gyllene Tider. Dort spielt auch ein Herr namens Per Gessle mit — und er soll ein wichtiger Bestandteil von Fredrikssons Leben werden. Zunächst überredet der Gitarrist Fredriksson noch zu einer Solokarriere. Doch 1986 schließen sich die beiden zusammen und gründen eine Band, die Pop-Geschichte schreiben wird: Roxette.
Ob It Must Have Been Love, Listen To Your Heart oder The Look: Im Lauf ihrer jahrzehntelangen Karriere landen Roxette großartige Hits, werden zu Dauergästen in den Charts und feiern auch in Übersee große Erfolge — und das obwohl der amerikanische Ableger der Plattenfirma von Roxette dem schwedischen Duo damals bescheinigt hatte, nicht zum US-Markt zu passen. Sieben Hit-Alben veröffentlichen Roxette von 1986 bis 2001. Doch dann schlägt das Schicksal zu.
Marie Fredrikssons viel zu früher Tod
Als Marie Fredriksson am 11. September 2002 mit ihrem Mann Mikael Bolyos joggen geht, fühlt sie sich plötzlich unwohl. Sie bricht im Badezimmer zusammen, zieht sich dabei eine Schädelfraktur zu und erleidet einen epileptischen Anfall. Nicht „nur“ das: Bei der anschließenden Untersuchung kommt raus, dass sie an einem Hirntumor leidet. Er kann in einer aufwändigen Operation entfernt werden; anstrengende Chemo- und Strahlentherapien sind die Folge. Doch Fredriksson kämpft sich ins Leben zurück.
Gemeinsam mit ihrem Mann nimmt sie neue Musik auf, als eine Art Therapie. Das daraus resultierende Album heißt The Change, erscheint am 20. Oktober 2004 und gerät zu einem vollen Erfolg. „Es waren drei schwere Jahre, aber ich bin gesund“, meldet sich Fredriksson 2005 in einem Interview zurück. Roxette liegen zunächst auf Eis. Das ändert sich im Jahr 2009: Fredriksson und Gessle gehen wieder gemeinsam auf Tour. 2011 erscheint mit Charm School das erste Roxette-Album seit zehn Jahren; drei weitere Folgen.
Im Jahr 2019 wird offensichtlich, dass Fredrikssons Krebserkrankung nicht so besiegt ist wie gedacht. Am 9. Dezember lautet die traurige Nachricht: Marie Fredriksson ist im Alter von gerade einmal 61 Jahren verstorben. Sogar der schwedische König Carl XVI. Gustaf zollt der Sängerin seinen Respekt und sagt: „Für viele Menschen in unserem Land, auch in meiner Familie, ist ihre Musik eng mit Erinnerungen an besonders wichtige Momente im Leben verbunden.“ Sorgen wir dafür, dass die Erinnerung bleibt. Ruhe in Frieden, Marie.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 30.5.1980 landet Gary Moores G-Force auf dem Rockplaneten.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.5.1980.
von Matthias Breusch und Christof Leim
Gary Moores Bandprojekt G-Force wird 1980 als heiße Nummer gehandelt. Aber der „Faktor Mensch“ ist unkalkulierbar. Das in Kalifornien entstandene Album erscheint am 30. Mai 1980 – und bleibt eine Zwischenlandung. Der nordirische Gitarrenhexer setzt seine Welteroberung in Europa fort.
Hier könnt ihr das Album hören:
Am Anfang steht ein großes Missverständnis. Der 27-jährige Gary Moore, seit mehr als einem Jahrzehnt furioser Gitarrist und zunehmend markanter Sänger, verlässt im Juli 1979 abrupt Thin Lizzy während der US-Tour zu die Black Rose und lässt sich in Los Angeles nieder. Dort tut er sich mit dem nur wenig älteren Engländer Glenn Hughes zusammen, der als virtuoser Bassist und Gesangsgenie seit seiner Zeit mit Deep Purple längst ganz oben angekommen ist. Beide sind begabte Songwriter, Moore hat 1978 mit Parisienne Walkways seinen ersten Meilenstein komponiert. Was soll da noch schiefgehen?
Alkohol!
Klären lassen lässt sich die Geschichte nie mehr so ganz, denn Hughes, der 1976 seinen musikalischen Zwillingsbruder und Deep-Purple-Kollegen Tommy Bolin nach dessen Drogentod zu Grabe getragen hat, sieht gesundheitlich zum Ausgang der Siebziger kaum Licht am Ende des Tunnels. Mehr noch: Es bleibt ein permanenter Filmriss, Blackout in Reinkultur. „Die Achtziger sind komplett weg“, erzählt er in späteren – nüchternen – Jahren immer wieder.
G-Force 1980 in London: Willie Dee, Gary Moore, Mark Nauseef und Tony Newton. Foto: Fin Costello/Redferns
Nichtsdestotrotz stellt Moore mit Hughes und dem nicht minder vielseitigen Schlagzeuger Mark Nauseef, mit dem er kurzzeitig bei Thin Lizzy gespielt hat, ein Trio zusammen. Diese Mannschaft bekommt noch vor den Aufnahmen seines ersten Albums das Angebot, mit den Shooting-Stars Van Halen auf große Amerika-Reise zu gehen. Die Tour findet statt, aber aus der Besetzung wird nichts. Schon nach den monatelangen Songwriting-Sessions und Proben offenbart sich: Hughes ist nicht in der Lage, eine Konzertreise durchzustehen. Nach einem Streit unter Alkoholeinfluss bricht das Gespann Moore/Hughes auseinander.
Röhren müssen glühen
Aus dem Trio wird ein Quartett. Mark Nauseef, der als umtriebiger Ex-Musikant von The Velvet Underground, der Ian Gillan Band und Ronnie James Dios Startrampe Elf über ein weit gesponnenes Netzwerk verfügt, engagiert zwei alte Bekannte: Keyboarder William Daffern alias Willie Dee unterstützt Gary bei den Vocals, den Bass bespielt Tony Newton, zuvor in Diensten von Jazz-Legende Tony Williams.
Nun weist Gary Moores mit musikalischen Perlen gespickte Laufbahn allerlei stilistische Richtungswechsel auf. Das Album G-Force ist eine frühe Blaupause dieser Kurvenstrecke, wenn auch nicht ohne Charme. Die Single Hot Gossip, wozu auch ein Clip gedreht wird (frech: Poser-Tony mit Doppel-Hals-Bass) schielt auf die Pop-Rock-Charts, You Kissed Me Sweetly hätte auch auf ein ELO-Album gepasst, und I Look At You erweist sich als echtes Fundstück für Liebhaber von Moores monumentalen langsamen Songs.
Die Nummer The Woman In Love mit Saxofon-Einlage erinnert schwer an die Fusion-Zocker The Tubes, Dancin‘ an die dünne Lizzy auf Koks, und mit White Knuckles/Rockin’ And Rollin’ lässt Meister Gary derart die Röhren in seinem Verstärker glühen, dass man nachvollziehen kann, warum die Nummer praktisch der finale Auslöser für seine mitreißende Hard-Rock-Karriere in den Achtzigern gewesen sein muss. Sie gehört für lange Zeit als festes Element in sein Live-Repertoire, was auch das Doppelalbum We Want Moore! von 1984 eindrucksvoll dokumentiert.
Schnelles Ende
Über die Veröffentlichung des Albums hinaus bleiben G-Force (zu Deutsch: Schwerkraft) lediglich als Liveband vorübergehend eine Einheit. Nach den Ready An‘ Willing-Tour 1980 im Vorprogramm von Whitesnake und den Gigs als Opener der 1981er-Van-Halen-US-Tour zieht Gary weiter: Zunächst als Partner von Greg Lake nach der Auflösung von Emerson, Lake & Palmer, ab 1982 geht dann sein Solo-Stern auf, teilweise basierend auf Ideen, die er bereits mit G-Force im Studio entwickelt hat.
Den Rest der Geschichte kennen wir. In den 1980ern avanciert er mit Nummern wie Out In The Fields, Empty Rooms, Shapes Of Things oder The Loner zum Hexenmeister der Stromgitarre, in den Neunziger zum König des „weißen Blues“. Festlegen lässt er sich jedoch nie. Auch sein experimentelles Album A Different Beat von 1999 gehört mit Songs wie Lost In Your Love in die Abteilung „Zwischenlandung“. Allerdings ohne jedes Missverständnis …
Zeitsprung: Am 26.3.1990 hat Gary Moore immer noch den Blues.
Popkultur
70 Jahre Danny Elfman: Die 10 legendärsten Stücke des Soundtrack-Hexers
Danny Elfman hat die Filmmusik geprägt wie wenige andere. Vom Score der Simpsons bis zu den verhexten Meisterwerken von Tim Burton: Zum 70. Geburtstag des Komponisten hören wir noch mal seine schönsten, genialsten, gespenstischsten Momente.
von Björn Springorum
Über 100 Filme hat Großmeister Danny Elfman in seiner Karriere vertont. Bislang. Als Haus- und Hofkomponist von Tim Burton setzte er dessen gotisch-morbide Schauerwelten musikalisch ebenso perfekt in Szene wie Werke von Sam Raimi oder Gus van Zandt. Vier Oscar-Nominierungen, zwei Emmys und einen Grammy gab es schon dafür. Zu seinem 70. Geburtstag am 29. Mai 2023 lauschen wir noch mal seinen schönsten Spukmelodien und Geisterliedern.
1. The Simpsons Theme (1989)
Ja, man kennt Danny Elfman eher für dramatische Spuk-Soundtracks voller gotischer Grandezza, doch der Titelsong der berühmtesten Zeichentrickserie stammt auch von ihm. Fun fact: Das ganz zu Beginn gesungene „The Simpsooons“ haben er und seine Freunde eingesungen. Der Legende nach gab es dafür mehr Tantiemen als für das Stück an sich. Gecovert haben das Theme unter anderem Green Day und Weezer.
2. Beetlejuice Intro Theme (1988)
Schon 1988 macht Danny Elfman klar, worum es ihm in seinen Soundtracks geht: Zu Tim Burtons Gruselspaß komponiert er eine ahnungsvolle Horror-Nummer mit den typischen Piano auf Zehenspitzen, den unheilvollen Bläsern und der generellen Stimmung von Mystik, Schalk und Tod. Düster, ja, aber immer mit einem schiefen Grinsen.
3. Batman Main Theme (1989)
Nach eher schrägen Soundtracks irgendwo zwischen gotischem Horror und Fifties-Big-Band wendet sich Danny Elfman für Tim Burtons Batman der dunklen Seite der Klaviatur zu: Sein Main Theme ist ein düster wallendes, dicht orchestriertes Stück voller Streicher und einschüchternder Bläser. Bis heute ein ikonisches Stück Soundtrackgeschichte, das den Oscar verdient hätte.
4. Alice’s Theme (2010)
Tim Burtons Alice In Wonderland ist ein einziger lysergischer Sturz in den Kaninchenbau. Dazu schneidert Danny Elfman in seiner zwölften Zusammenarbeit mit Tim Burton dem Film ein musikalisches Kleid, das perfekter nicht passen könnte: Verwunschen, geheimnisvoll, nicht von dieser Welt. Höhepunkt ist Alice’s Theme, dessen Chöre und Streicher sofort Gänsehaut verursachen.
5. Spider-Man Main Title (2002)
Lange vor dem Marvel-Wahnsinn mit immer mehr verwirrenden Spin-Offs, Sequels und Prequels hat Regisseur Sam Raimi einen bis heute packenden Spider-Man-Reboot vorgelegt. Die Musik zum Film mit Toby Maguire kommt natürlich von Ramis Kumpel Danny Elfman, der seine Trademarks hier um spitze Violinen, majestätische Chöre und ein monumentales Grundgefühl erweitert.
6. Ice Dance (1990)
Das vielleicht schönste Stück von Danny Elfmans persönlichstem Soundtrack ist das elegische, fragile, wunderschöne Ice Dance. Edward mit den Scherenhänden ist ja eh ein emotionales Meisterwerk, doch gerade durch die Musik wird der Film noch mal auf eine ganz andere, ganz und gar andersweltliche Ebene gehoben.
7. This Is Halloween (1993)
Ein ganz großer Klassiker, nicht nur zu Halloween: This Is Halloween ist einer der Glanzmomente in der Musik von Nightmare Before Christmas, diesem unerreichten Stop-Motion-Meisterwerk. Irgendwo zwischen Gothic-Kabarett und nostalgischem Weihnachtsfest, aber immer mit viel Gefühl. Wie der Film eben.
8. Sleepy Hollow Main Titles (1999)
Tim Burtons Gothic-Horror-Meisterwerk Sleepy Hollow ist ein blutiges Märchen, das in Sachen Ausstattung und Stimmung für immer einen Platz in den Herzen der Cineast*innen einnehmen wird. Die verhexte, beunruhigende, spannungsgeladene Musik von Danny Elfman fasst die entlegenen Wälder Neuenglands und den kopflosen Reiter in die richtigen Töne. Mehr melodramatische Gotik als hier geht definitiv nicht.
9. After Midnight (2002)
Ja, auch an Chicago war Danny Elfman als Komponist beteiligt. Der swingende Bar-Jazz von After Midnight ist ein ziemlich großer Kontrast zu seinen anderen Werken. Und irgendwie auch nicht: Er ersetzt eben einfach mal Streicher und Chöre durch Trompeten und Jazz-Drums, doch das Ergebnis ist immer noch nicht ganz von dieser Welt.
10. Wednesday Main Titles (2022)
Wenn Tim Burton schon mal eine Serie um einen Spross der Addams Family macht, dann darf sein Freund Danny Elfman natürlich nicht fehlen. Zur erfolgreichsten Netflix-Serie aller Zeiten spendiert er Hauptcharakter Jenna Ortega ein ikonisches Hauptmotiv, das sowohl an die alten Addams-Family-Episoden erinnert als auch modernsten Horrorspuk in Töne fasst.
Bonus: Private Life (1982)
Einen gibt es noch als Bonus: Bevor Danny Elfman die Kinozuschauer*innen mit seinen Scores verzauberte und verängstigte, spielte er in einer Ska-/Wave-Band namens Oingo Boingo. Dort lebt er sich sehr experimentell aus, singt, spielt Gitarre und schreibt alle Songs. Coole Mucke, keine Frage. Wir sind dennoch nicht böse, dass Elfman dann bald die große Leinwand ins Visier genommen hat.
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