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Popkultur

Zum 20. Todestag von Hildegard Knef: Die melancholische Diva

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Foto: Hulton Archive/Getty Images

Hildegard Knef war eine der größten Diven des 20. Jahrhunderts. Diese sieben Chansons beweisen, dass sie zudem eine tiefsinnige, selbstironische, reflektierte und zeitgeistige Künstlerin von Weltrang war.

 von Björn Springorum

Die Knef kann man kaum in Worte fassen. Eleganz und Abgründigkeit, Hochmut und Verletzlichkeit vereinen sich in einer der prägenden Figuren des 20. Jahrhunderts. Sie steht für Dutzende Filme in Berlin und Hollywood vor der Kamera, spielt Shakespeare ebenso wie Cole Porter, ist bis heute die einzige mit einer Broadway-Hauptrolle.

Mindestens ebenso bemerkenswert ist ihre Musikkarriere. Als „beste Sängerin ohne Stimme“ (O-Ton Ella Fitzgerald) wusste Hildegard Knef ihre rauchige, schnoddrige Stimme zu jeder Zeit wirkungsvoll und emotional einzusetzen – für Schlager und Chansons, aber auch für manches vergessene Kleinod psychedelischer Beat-Musik. Am 1. Februar 2002 verstarb die Knef im Alter von 76 Jahren. 20 Jahre später lassen wir ihre stärksten, berühmtesten und ungewöhnlichsten Lieder wie rote Rosen regnen.

1. Wieviel Menschen waren glücklich, daß du gelebt? (1970)

Im Grunde verdient allein ihr Album Knef einen Artikel für sich. Hörbar geprägt von der psychedelischen Popmusik der Sechziger und dem dramatischen Moritaten von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra widmet sich Hildegard Knef 1970 dem Theater des Absurden, das man Leben nennt. Chanson-Balladen wechseln mit Pop-Songs, Folk-Stücke mit wallenden Hollywood-Streichern. Ganz am Anfang: Wieviel Menschen waren glücklich, daß du gelebt?, ein Opener wie ein Fanal mit morbider Botschaft: Psychedelisch kaskadierender Pop trifft auch Chanson mit Oboe, getragen von einem rhythmisch vorgetragenen Text über die Bedeutung und den Nachhall eines Lebens. Arrangiert wurde Knef wie viele andere ihrer Schallplatten von Hans Hammerschmid. So gut wie hier waren er und sie nie wieder.

2. Von nun an gings bergab (1968)

Eine ebenso selbstironische wie desillusionierte Bestandsaufnahme ihrer ersten Lebenshälfte ist das theatralisch swingende Stück Von nun an gings bergab. Zu einem heiter funkelnden Salonstück seziert Knef den Druck des Lebens und der Gesellschaft anhand ihrer eigenen Biografie. Mit Anfang 40 hat sie gefühlt drei Leben gelebt und zieht lakonisch Bilanz: „Jetzt war ich berühmt, war Hilde im Glück, kam freudig erregt in die Heimat zurück, bekam einen Preis und wurde verwöhnt, doch nach einer Pleite da war ich verpönt: von nun an gings bergab.“ An einem derartigen Verhalten der Öffentlichkeit hat sich bis heute nichts verändert.

3. Eins und eins, das macht zwei (1964)

Es ist ihr großes Talent, dem blutleeren, platten, vorhersehbaren Schlager Eleganz, Tiefgang und Poesie zu verleihen. Besonders deutlich wird das bei Eins und eins, das macht zwei. Vordergründig eine klassische Walzer-Schnulze mit jauchzenden Streichern, steht er plötzlich da, ein Verweis an Berthold Brecht und Kurt Weill: „Der Mensch an sich ist einsam und bleibt verlassen zurück – sucht man sich nicht gemeinsam ein kleines Stück von dem Glück.“

4. Insel meiner Angst (1970)

Eher ein Song, der auch von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra stammen könnte, als ein typisches Beispiel für deutschen Chanson: Insel meiner Angst vom Meilenstein Knef ist ein ernstes, tieftrauriges, am Ende aber doch irgendwie heilsames Stück über das Überwinden von Ängsten. Die Knef braucht keine Protagonisten in ihren Stücken, schon gar keine männlichen, um große Botschaften zu übermitteln.

5. Für mich soll’s rote Rosen regnen (1968)

Ihr berühmtestes Lied und Trademark-Stück ist zwar nicht ihr bestes; ein ganz erstaunlicher Moment Musikgeschichte hingegen schon. Den Text schrieb Knef kurz nach der lebensgefährlichen Geburt ihrer Tochter Christina, die Musik stammt wieder von Hammerschmid. Sie soll eine Melodie im Dreivierteltakt zu ihrem „hoch aggressiven“ Text von ihm verlangt haben. Und in der Tat ist der Song eine Lektion in Egomanie. „Das habe ich mal in einem Moment absoluten Größenwahns geschrieben“, sagte die Knef mal dazu. „Das ist ja ein wirklich hoch aggressives Lied. […] Für mich soll’s rote Rosen regnen, was den andern passiert, ist mir so ziemlich egal.“ Die Nummer wurde spätestens durch die Rock-Version von Extrabreit 1992 legendär, zudem gilt sie schon lange als „Kultlied der Schwulen“, wie der Literaturwissenschaftler Wolfgang Popp 2007 feststellte.

6. Im 80. Stockwerk (1970)

Auf ihrem Album Knef experimentierte sie gern und viel. Sie ließ sich von Beat-Literatur beeinflussen wie von der Musik der Blumenkindern, versuchte sich bei ihrem berühmten Song Im 80. Stockwerk auch an verdrogt-absurder Poesie. Steht ihr gut: Die Kombination aus ihrem dunklen Sprechgesang, den Las-Vegas-Casino-Arrangements und der fluffigen Melodie wäre der Song sogar was für einen Tarantino-Soundtrack.

7. Ich glaub’, ’ne Dame werd’ ich nie (1966)

Ihr vielleicht wichtigstes Stück ist zugleich ihr aktuellstes: Schon vor 55 Jahren singt die Knef in Ich glaub’, ’ne Dame werd’ ich nie gegen oberflächliche Schönheitsideale, Diätwahn, Unterdrückung und das Patriarchat. „Ich bin zu hungrig für Hungerdiät“, singt sie gleich in der ersten Zeile, rechnet mit Playboys ab und lässt beiläufig fallen, dass sie Bier lieber mag als Wein. Ein frecher und dennoch eleganter Song – und zugleich eine wunderbare Interpretation von Frank Sinatras The Lady Is A Tramp.

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