------------

Popkultur

Zum 100. Geburtstag von Jack Kerouac: Der König der Beats, der Anachronist der Straße

Published on

Jack Kerouac
Foto: Tom Palumbo from New York, NY, USA, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Am 12. März 2022 wäre der US-amerikanische Schriftsteller Jack Kerouac 100 Jahre alt geworden. Ein Blick auf einen Mann, der nicht nur Bob Dylans Leben verändert hat.

 von Markus Brandstetter

„That’s typing, not writing“ — das ist doch Getippsel, kein richtiges Schreiben: Diese nur wenig schmeichelhaften Worte fand der US-amerikanische Autor Truman Capote einmal für seinen Kollegen Jack Kerouac. Kerouac war nicht der einzige seines literarischen Freundeskreises  — der sogenannten Beat Generation — deren Werk und Person vom vermeintlich ernsthaften Literaturbetrieb mit einer hochgezogenen Augenbraue und dem Vorwurf mangelnder literarischer Ernsthaftigkeit bedacht wurde. Das hatte auch mit Kerouacs Technik zu tun: Er schrieb auf selbst gefertigtem Endlospapier, verbrachte Nächte damit, fieber- und rauschhaft seine Gedanken möglichst ungefiltert auf die Seiten zu bringen. „First thought, best thought“ lautete das Motto, der erste Gedanke ist der Beste. Alles raus, alles sollte pur sein. Das Ergebnis war meist ein Schwall von Impressionen, Gedanken, Fragmenten, Dialogen. Eine nicht immer weiter- oder zu Ende gedachte Explosion von Lebensgefühl, Rausch, Sex, Sinnsuche, Verzweiflung, Illusion, Experimentierfreude.

Ein Amerika der großen Versprechungen

Jack Kerouacs (Nachkriegs-)Amerika ist eines der großen Versprechungen und nicht enden wollenden Möglichkeiten. Eines von ewigen Straßen und alles verändernden Roadtrips. Von Bekanntschaften und Seelenverwandtschaften, geschrieben in jenem Duktus, besser: mit jenem Atem, mit dem Charlie Parker, Dizzy Gillespie und all die anderen Cats ihren Bebop vortrugen. Die  Erleuchtung, die nächste Ekstase, die nächste alles verändernde Zufallsbekanntschaft ist stets um die Ecke. Die Protagonisten und Protagonistinnen der Beat Generation — wobei: zum Großteil waren diese in Kerouacs Pantheon männlich, Frauen waren im inneren Zirkel von Kerouacs Beschreibungen eher Ausnahmeerscheinungen oder aufopfernde Partnerinnen — sind allesamt präsente Charaktere in Kerouacs Büchern. Allen voran sein Freund und in vielen Hinsichten Idol Neal Cassady (in On The Road als Dean Moriarity verewigt), seine Freunde Allen Ginsberg, Gary Snyder (der etwa Grundlage der Figur des Japhy Ryder in The Dharma Bums war), William S. Burroughs, Lawrence Ferlinghetti, Gregory Corso.

„Ich habe On the Road vielleicht 1959 gelesen. Es hat mein Leben verändert, wie es das Leben aller anderen verändert hat“, schrieb Bob Dylan einmal über Jack Kerouacs Jahrhundertroman. Damit übertreibt Dylan keineswegs — denn On The Road erschütterte in den Folgejahren seiner Erscheinung 1957 nicht nur den Literaturbetrieb, sondern in erster Linie die Populärkultur, diente als Blaupause für ein ganzes Lebensgefühl. Es ist nicht einmal gezwungenermaßen Jack Kerouacs bestes Werk — aber sein wichtiges, eines, das als Manifest der Beat Generation gilt, zusammen mit Ginsbergs Howl, Ferlinghettis A Coney Island Of The Mind, Burroughs’ Naked Lunch und ähnlichen Werken.

Mit On The Road fand Kerouac 1957 (nachdem er lange keinen Verlag für das Buch gefunden hatte) literarischen und popkulturellen Ruhm — wurde zum König der Beatniks ernannt, oft mit der Figur des Dean Moriarty verwechselt. So sehr Kerouac die Art von Moriarty aber bewunderte und gern so sein wollte wie er, er war Zeit seines Lebens eher der Beifahrer, der mit kindlicher Begeisterung und Bewunderung den verrückten Typen am Lenkrad bewundert. Kerouacs Ex-Freundin Joyce Johnson verglich On The Road mit Mark Twains Klassiker Die Abenteuer des Huckleberry Finn — und setzte Kerouacs Alter Ego Sal Paradise mit Tom Sawyer gleich – beide kommen aus bürgerlichem Elternhaus, die sich von einem „Outlaw“ (in Twains Buch die Figur des Huck Finn, in On The Road eben Moriarty/Cassidy) mitreißen ließen. Es ist jenes Amerika, das auch bei Dylan (vielleicht noch mehr in dessen Malerei) zu finden ist, es sind die Straßen, die auch etwa Springsteens Charaktere entlangfahren. Die Straßen der Jimmy Deans. Aber es geht nicht nur um uramerikanische Sehnsüchte – es geht auch um die Lust am Neuen, Fremden, an der Ekstase. Es folgten weitere großartige Romane wie The Dharma Bums (1958) und Big Sur (1962).

Kerouac, Katholik durch und durch, wandte sich dem Buddhismus zu, suchte Erleuchtung und Glückseligkeit, das Meditationssitzfleisch soll er — im Gegensatz zu Snyder und Ginsberg — allerdings nie besessen haben. Kerouac wollte den Rausch, wollte Gott ins Gesicht sehen, wie er selbst einmal sagte. Für Kerouac stand das „Beat“ in Beat Generation nicht für den „Beat down“-Außenseiter und auch nicht nur für den Beat, den es zu halten galt — sondern für „Beatitude“, die Glückseligkeit … und das in einem durchaus theistischen Kontext. Dass Kerouac zum König der Beats ernannt wurde, machte ihn wohl nur kurzfristig glücklich, viel mehr wollte er als Schriftsteller ernst genommen werden.

„Lebwohl, betrunkener Geist“

Die Glückseligkeit fand Kerouac zu Lebzeiten nicht mehr. Er vereinsamte zunehmend, verbrachte die meiste Zeit isoliert im gemeinsamen Haus mit seiner Mutter. Er saß unter einem großen, hölzernen Kruzifix, schrieb — und trank sich ins Grab. Gegen Ende seines Lebens war er auch seinen Freunden gegenüber zunehmend ausfällig. In der Show des Talkmasters William Buckley schimpfte er, sichtlich betrunken, über den im Publikum sitzenden Ginsberg sowie  Ferlinghetti (den er als Kommunisten bezeichnete), und beklagte sich  sich über das Erbe der Beat Generation. Ginsberg selbst soll zu diesem Zeitpunkt geahnt haben, dass Kerouac am Ende seines Lebens war — und flüsterte ihm nach der Show die Worte „Goodbye, drunken ghost“ (Lebwohl, betrunkener Geist) ins Ohr. Es war das letzte Mal, dass Ginsberg seinen Freund lebend sah. Am 21. Oktober 1969 starb Kerouac im Alter von 47 Jahren. Man begrub ihn in jenem karierten Anzug, den er in der William-Buckley-Show getragen hatte.

Jack Kerouac ging als jemand in die Geschichte ein, der fieberhaft, mit vollem psychischen und physischen Einsatz eine neue literarische Sprache suchte — und diese auch fand. So spontan, wie sein „First thought, best thought“-Credo das vorgab, war er wohl nicht — davon zeugten zahlreiche Revisionen seiner eigenen Manuskripte. Auch heute noch springt einen seine fast schon naive Begeisterung, sein Aufopferungswille nahezu an. Kerouac war nicht der Wagenlenker, sondern der große Beifahrer, der Anachronist der Straße.

„But then they danced down the streets like dingledodies and I shambled after as I’ve been doing all my life after people who interest me, because the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing but burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight and everybody goes ‚Aww!’“, heißt es in On The Road. Kerouac wollte genau das, was auch seine Literatur wollte: alles. Auch wenn die Straßen Amerikas heute andere sind, diesen ungebändigten Enthusiasmus und diese Erlösungssehnsucht sind auch heute noch mitreißend.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Zeitsprung: Am 9.7.1962 nimmt Bob Dylan das poetische „Blowin’ In The Wind“ auf.

Don't Miss