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Popkultur

„Ich versuche, Hass nicht zu empfinden“: Mille Petrozza zum neuen Kreator-Album „Hate Über Alles“

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Kreator
Foto: Christoph Voy

Hate Über Alles heißt das neue Studioalbum von Kreator, das am 10. Juni erscheint. Ein markanter Titel für ein Werk, das sich mit Themen wie der Verrohung des Diskurses, dem Vormarsch totalitärer Ideologien und der Kommunikation in den sozialen Medien auseinandersetzt. Ein Interview mit Frontmann, Sänger und Gitarrist Miland ‚Mille‘ Petrozza.

von Andrea Leim

Hier könnt ihr Hate Über Alles anhören:

Wann hast Du das letzte Mal Hass empfunden?

Ich versuche, Hass überhaupt nicht zu empfinden. Wenn ich zum Beispiel rassistische Äußerungen, Ungerechtigkeiten oder Dummheit höre, fühle ich zwar tiefe Abneigung, jedoch keinen Hass. Hass ist ein sehr intensives Gefühl, das viel Energie rauben kann. Es ist ein extrem starker Ausdruck, so wie Liebe auch. Beide Emotionen können Menschen dazu bringen, Dummheiten zu begehen und impulsiv zu handeln.

 Wie muss der Albumtitel „Hass Über Alles“ verstanden werden?

Es geht dabei um die Kommunikation im wahren Leben und in der digitalen Welt. Ich habe das Gefühl, dass es zwei verschiedene Realitäten gibt. Leute, die dir im Netz die Meinung mitteilen, würden sie dir vielleicht so nicht ins Gesicht sagen. Dadurch entsteht eine neue Art der Kommunikation, in der viele Dinge zu ernst genommen werden. Befasst man sich mit den sozialen Medien, kann man den Eindruck bekommen, dass die Welt völlig verloren ist. Das ist aber nicht so. Vielmehr nehmen diese impulsiven „Ich bin erstmal dagegen“-Kommentare Überhand. Die Leute schreien sich nur noch an und gehen sich direkt an die Gurgel, und selbst Politiker steigen darauf ein, wenn sie irgendwo eine Strömung vermuten. Dabei entstehen die oft nur durch besonders laute und nicht durch besonders viele Menschen. Die Lauten bilden also nicht zwangsläufig die Meinung der Meisten ab. Gäbe es das Internet nicht, würden die Lauten lediglich am Stammtisch in der Kneipe pöbeln.

Wäre die Welt also ohne soziale Medien besser?

Nein! Absolut nicht! Die Grundidee von Social Media ist schön. Ich kann jetzt, wenn ich will, sofort mit Leuten, die ich lange nicht gesehen habe, in Kontakt treten und an deren Leben teilhaben. Wir müssen nur einen Weg finden, die ganze geballte Intelligenz eigentlich des gesamten Internets in etwas Positives umzuwandeln. Das ist die Herausforderung der nächsten Jahre. Ich habe da keine Lösung und ich auch keinen Ansatz, das müssen Leute machen, die sich auskennen. Ich weiß aber, dass es nicht ignoriert werden darf.

Wie gehst du selbst damit um, wenn du doch mal große Wut oder Hass empfindest?

So starke Emotionen waren natürlich schon immer eine hervorragende Inspirationsquelle – insbesondere für die Musik, die ich mache. Bei Kreator hat das Wort Hass eine gewisse Tradition. Es fing schon mit Flag of Hate an: Das Lied habe ich geschrieben, als ich so 15 oder 16 Jahre alt war. Bis heute hat sich an meiner Intention nichts geändert: Ich versuche, jede negative Energie in etwas Positives umzuwandeln. 

Wie sieht das aus?

Wenn ich zum Beispiel gestresst bin, will ich mich bewegen und das beim Sport rauslassen. Wenn ich betrübt bin, versuche ich, das in Musik umzusetzen und ein kreatives Ventil zu finden. Das klappt nicht immer und klingt jetzt vielleicht auch so, als wäre ich völlig ausgeglichen. Stimmt natürlich nicht. Ich bin immer noch ruhelos, auf der Suche nach dem ultimativen Song, und so wird es auch immer bleiben. Hass ist dafür eine gute Inspirationsquelle. So wie Liebe. Zu 90 Prozent begeistere ich mich für das Leben. Aber diese 10 Prozent, die mich wütend machen und mich erschüttern, sind meistens der Motivator dafür, dass ich aktiv werde.

Du packst die Wut dann in deine Texte?

Ja. Eine Journalistin würde vielleicht eine Kolumne schreiben und so ihren Gedanken freien Lauf lassen, und ich mache das durch die Musik und insbesondere durch die Texte. Mir ist es ganz wichtig, dass die Texte zuerst stehen und einen sinnvollen Inhalt ergeben. Erst danach fange ich an, die Musik zu schreiben. Kaum ein Song macht für mich Sinn, wenn der Text nichts bedeutet. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ich versuche, unsere Lieder aber immer ein bisschen mit Inhalt zu füllen und empfinde das auch als musikalischen Auftrag.

War der 19-jährige Mille auch schon so reflektiert?

Auf dem allerersten Album gibt es einen Song, der heißt Total Death, in dem ganz viel von der Achtziger-Jahre Atomkriegsangst drinsteckt. Theoretisch ist das Lied nichts anderes als ein Hippie-Song, wobei das Wort „Hippie“ immer so negativ behaftet ist. Aber ohne diese Kultur hätte es Metal gar nicht gegeben. Denn es ging ja um Protest, Umwälzung und dass man Sachen hinterfragt. In Wirklichkeit ist Metal nur die Fortführung dessen, aber das wollen viele Hardliner natürlich nicht hören.

Aber in den frühen Achtzigern haben Kreator das Thema „Hate“ ja auch schon behandelt. Damals haben die Fans das gegebenenfalls noch nicht als Aufforderung verstanden, netter zueinander zu sein. Hast du dich diesbezüglich also auch verändert und entwickelt?

Parallel zu meiner musikalischen und künstlerischen Entwicklung hat natürlich auch eine menschliche Entwicklung stattgefunden. Im besten Fall entwickelt man sich weiter, im schlechtesten Fall bleibt man stehen. Ich würde mal von mir behaupten, dass ich mich in bestimmten Dingen weiterentwickelt habe, in manchen Dingen bin ich auch ein bisschen stehengeblieben. Aber die Sturm- und Drang-Phase ist vorbei, keine Frage. Es wäre auch traurig, wenn das nicht so wäre.

Ist Metal eine gute Musikrichtung für eine solche Entwicklung?

Ja, weil es auch schon eine alte Musikrichtung ist, umfasst es das gesamte Spektrum des Lebens. Wenn man mal überlegt: Black Sabbath haben damals Dinge gesungen, die heute immer wieder relevant werden. Auch das waren Hippies. Die haben schon bei War Pigs darüber gesungen, dass man besser aufpassen sollte, dass die Welt nicht total in Kriegen untergeht. Ich glaube, das gesamte Spektrum an Emotionen wird im Metal beleuchtet. Ich kenne Leute, die hören echt nur Metal und das reicht denen auch, weil sie darin all ihre Emotionen wiederfinden. Kreator steht zum Beispiel für Aggressionen und intensive Emotionen.

Softere Musikrichtung eignen sich also weniger für Entwicklungen?

Ich bin nicht genug im Thema, um das beurteilen zu können. Aber ich habe den Eindruck, dass es zum Beispiel eine bestimmte Art von Mallorca-Stumpfheit gibt, die man im Metal nicht so oft findet.

Wird Metal oft missverstanden?

Klar. Aber das soll ja auch so sein. Kunst überspitzt immer ein bisschen. Ich mag es nicht, wenn irgendetwas zu eindeutig ist. Wenn man auf ein Bild schaut, das eine Kuh im Sonnenschein zeigt, steht fest, was damit ausgelöst werden soll: Der Betrachter soll sich gut fühlen. Das können alle. Kreator sind aber abstrakter. Wir wollen mehr zum Nachdenken anstoßen und die Menschen inspirieren. Damit vielleicht ein 17- oder 18-jähriger Typ selbst die Gitarre in die Hand nimmt und seine Kreativität zum Ausdruck bringt.

Gibt es Momente, in denen du mit dem Kopf schüttelst und denkst „Was für ein Glück wir doch hatten und haben“?

Definitiv! Und das sind gute Momente, weil man viel zu oft mit irgendwelchen anderen Dingen beschäftigt ist. Doch die Reflektion gehört dazu. Jedes Mal, wenn ich ein neues Album mache, stelle ich mir die Frage – und das soll jetzt keine Kokettiererei sein –, ob die Welt noch ein neues Kreator-Album braucht und ob ich überhaupt noch etwas zu sagen habe. Oder reicht es nicht vielleicht, wenn ich bis an mein Lebensende Pleasure To Kill und Extreme Aggressions auf irgendwelchen Festivals spiele? Denn wenn ich ein neues Album rausbringe, will ich auch, dass die Leute sagen: ‚Hey das ist cool!’

Ist es denn so, dass du noch ein neues Album brauchst?

Ja, ich brauche die. Ich mache ständig Musik und würde die Songs auch nur für mich aufnehmen. Aber die Möglichkeit zu haben, Lieder zu produzieren, ins Studio zu gehen und sie zu perfektionieren, den Grundgedanken so zu verstärken, dass die Leute fühlen können, was ich fühlte, als ich die Idee hatte, ist einfach super. Und diese Möglichkeit will ich auch nicht aufgeben.

Wenn der Mille aus der heutigen Zeit dem Mille aus der Vergangenheit etwas raten könnte, was wäre das?

Dass man lernen muss, auch mal „Nein“ zu sagen. Ich habe früher wahrscheinlich zu oft „Ja“ gesagt. Aber man muss lernen, sich abzugrenzen. Ich habe das erst in den letzten Jahren vernünftig gelernt und weiß heute, dass einem vieles erspart bleibt, wenn man zu bestimmten Leuten in bestimmten Situationen auch mal „Nein“ sagt.

Tourst Du nach all den Jahren noch immer gerne?

Auf jeden Fall, aber es ist anstrengender geworden. Darum haben wir 2019 entschieden, ein Jahr Pause zu machen. Ich war einfach ein bisschen durch und habe gesagt, dass wir pausieren sollten, um wieder mehr Spaß an der Sache zu bekommen. Hätte ich gewusst, dass die Pandemie kommt, hätte ich das nicht gemacht. So wurden aus geplant einem fast drei Jahre, in denen wir kaum gespielt haben.

Empfindest du jetzt also Vorfreude auf die Festivalsaison und eure Tour, die im November ansteht?

Ich habe voll Bock! Die Pandemie hat mir vor Augen geführt, wie fragil das Leben ist und wie dankbar man sein muss, dass machen zu können, was einem so viel bedeutet.

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