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Popkultur

„Ich versuche, Hass nicht zu empfinden“: Mille Petrozza zum neuen Kreator-Album „Hate Über Alles“

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Kreator
Foto: Christoph Voy

Hate Über Alles heißt das neue Studioalbum von Kreator, das am 10. Juni erscheint. Ein markanter Titel für ein Werk, das sich mit Themen wie der Verrohung des Diskurses, dem Vormarsch totalitärer Ideologien und der Kommunikation in den sozialen Medien auseinandersetzt. Ein Interview mit Frontmann, Sänger und Gitarrist Miland ‚Mille‘ Petrozza.

von Andrea Leim

Hier könnt ihr Hate Über Alles anhören:

Wann hast Du das letzte Mal Hass empfunden?

Ich versuche, Hass überhaupt nicht zu empfinden. Wenn ich zum Beispiel rassistische Äußerungen, Ungerechtigkeiten oder Dummheit höre, fühle ich zwar tiefe Abneigung, jedoch keinen Hass. Hass ist ein sehr intensives Gefühl, das viel Energie rauben kann. Es ist ein extrem starker Ausdruck, so wie Liebe auch. Beide Emotionen können Menschen dazu bringen, Dummheiten zu begehen und impulsiv zu handeln.

 Wie muss der Albumtitel „Hass Über Alles“ verstanden werden?

Es geht dabei um die Kommunikation im wahren Leben und in der digitalen Welt. Ich habe das Gefühl, dass es zwei verschiedene Realitäten gibt. Leute, die dir im Netz die Meinung mitteilen, würden sie dir vielleicht so nicht ins Gesicht sagen. Dadurch entsteht eine neue Art der Kommunikation, in der viele Dinge zu ernst genommen werden. Befasst man sich mit den sozialen Medien, kann man den Eindruck bekommen, dass die Welt völlig verloren ist. Das ist aber nicht so. Vielmehr nehmen diese impulsiven „Ich bin erstmal dagegen“-Kommentare Überhand. Die Leute schreien sich nur noch an und gehen sich direkt an die Gurgel, und selbst Politiker steigen darauf ein, wenn sie irgendwo eine Strömung vermuten. Dabei entstehen die oft nur durch besonders laute und nicht durch besonders viele Menschen. Die Lauten bilden also nicht zwangsläufig die Meinung der Meisten ab. Gäbe es das Internet nicht, würden die Lauten lediglich am Stammtisch in der Kneipe pöbeln.

Wäre die Welt also ohne soziale Medien besser?

Nein! Absolut nicht! Die Grundidee von Social Media ist schön. Ich kann jetzt, wenn ich will, sofort mit Leuten, die ich lange nicht gesehen habe, in Kontakt treten und an deren Leben teilhaben. Wir müssen nur einen Weg finden, die ganze geballte Intelligenz eigentlich des gesamten Internets in etwas Positives umzuwandeln. Das ist die Herausforderung der nächsten Jahre. Ich habe da keine Lösung und ich auch keinen Ansatz, das müssen Leute machen, die sich auskennen. Ich weiß aber, dass es nicht ignoriert werden darf.

Wie gehst du selbst damit um, wenn du doch mal große Wut oder Hass empfindest?

So starke Emotionen waren natürlich schon immer eine hervorragende Inspirationsquelle – insbesondere für die Musik, die ich mache. Bei Kreator hat das Wort Hass eine gewisse Tradition. Es fing schon mit Flag of Hate an: Das Lied habe ich geschrieben, als ich so 15 oder 16 Jahre alt war. Bis heute hat sich an meiner Intention nichts geändert: Ich versuche, jede negative Energie in etwas Positives umzuwandeln. 

Wie sieht das aus?

Wenn ich zum Beispiel gestresst bin, will ich mich bewegen und das beim Sport rauslassen. Wenn ich betrübt bin, versuche ich, das in Musik umzusetzen und ein kreatives Ventil zu finden. Das klappt nicht immer und klingt jetzt vielleicht auch so, als wäre ich völlig ausgeglichen. Stimmt natürlich nicht. Ich bin immer noch ruhelos, auf der Suche nach dem ultimativen Song, und so wird es auch immer bleiben. Hass ist dafür eine gute Inspirationsquelle. So wie Liebe. Zu 90 Prozent begeistere ich mich für das Leben. Aber diese 10 Prozent, die mich wütend machen und mich erschüttern, sind meistens der Motivator dafür, dass ich aktiv werde.

Du packst die Wut dann in deine Texte?

Ja. Eine Journalistin würde vielleicht eine Kolumne schreiben und so ihren Gedanken freien Lauf lassen, und ich mache das durch die Musik und insbesondere durch die Texte. Mir ist es ganz wichtig, dass die Texte zuerst stehen und einen sinnvollen Inhalt ergeben. Erst danach fange ich an, die Musik zu schreiben. Kaum ein Song macht für mich Sinn, wenn der Text nichts bedeutet. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ich versuche, unsere Lieder aber immer ein bisschen mit Inhalt zu füllen und empfinde das auch als musikalischen Auftrag.

War der 19-jährige Mille auch schon so reflektiert?

Auf dem allerersten Album gibt es einen Song, der heißt Total Death, in dem ganz viel von der Achtziger-Jahre Atomkriegsangst drinsteckt. Theoretisch ist das Lied nichts anderes als ein Hippie-Song, wobei das Wort „Hippie“ immer so negativ behaftet ist. Aber ohne diese Kultur hätte es Metal gar nicht gegeben. Denn es ging ja um Protest, Umwälzung und dass man Sachen hinterfragt. In Wirklichkeit ist Metal nur die Fortführung dessen, aber das wollen viele Hardliner natürlich nicht hören.

Aber in den frühen Achtzigern haben Kreator das Thema „Hate“ ja auch schon behandelt. Damals haben die Fans das gegebenenfalls noch nicht als Aufforderung verstanden, netter zueinander zu sein. Hast du dich diesbezüglich also auch verändert und entwickelt?

Parallel zu meiner musikalischen und künstlerischen Entwicklung hat natürlich auch eine menschliche Entwicklung stattgefunden. Im besten Fall entwickelt man sich weiter, im schlechtesten Fall bleibt man stehen. Ich würde mal von mir behaupten, dass ich mich in bestimmten Dingen weiterentwickelt habe, in manchen Dingen bin ich auch ein bisschen stehengeblieben. Aber die Sturm- und Drang-Phase ist vorbei, keine Frage. Es wäre auch traurig, wenn das nicht so wäre.

Ist Metal eine gute Musikrichtung für eine solche Entwicklung?

Ja, weil es auch schon eine alte Musikrichtung ist, umfasst es das gesamte Spektrum des Lebens. Wenn man mal überlegt: Black Sabbath haben damals Dinge gesungen, die heute immer wieder relevant werden. Auch das waren Hippies. Die haben schon bei War Pigs darüber gesungen, dass man besser aufpassen sollte, dass die Welt nicht total in Kriegen untergeht. Ich glaube, das gesamte Spektrum an Emotionen wird im Metal beleuchtet. Ich kenne Leute, die hören echt nur Metal und das reicht denen auch, weil sie darin all ihre Emotionen wiederfinden. Kreator steht zum Beispiel für Aggressionen und intensive Emotionen.

Softere Musikrichtung eignen sich also weniger für Entwicklungen?

Ich bin nicht genug im Thema, um das beurteilen zu können. Aber ich habe den Eindruck, dass es zum Beispiel eine bestimmte Art von Mallorca-Stumpfheit gibt, die man im Metal nicht so oft findet.

Wird Metal oft missverstanden?

Klar. Aber das soll ja auch so sein. Kunst überspitzt immer ein bisschen. Ich mag es nicht, wenn irgendetwas zu eindeutig ist. Wenn man auf ein Bild schaut, das eine Kuh im Sonnenschein zeigt, steht fest, was damit ausgelöst werden soll: Der Betrachter soll sich gut fühlen. Das können alle. Kreator sind aber abstrakter. Wir wollen mehr zum Nachdenken anstoßen und die Menschen inspirieren. Damit vielleicht ein 17- oder 18-jähriger Typ selbst die Gitarre in die Hand nimmt und seine Kreativität zum Ausdruck bringt.

Gibt es Momente, in denen du mit dem Kopf schüttelst und denkst „Was für ein Glück wir doch hatten und haben“?

Definitiv! Und das sind gute Momente, weil man viel zu oft mit irgendwelchen anderen Dingen beschäftigt ist. Doch die Reflektion gehört dazu. Jedes Mal, wenn ich ein neues Album mache, stelle ich mir die Frage – und das soll jetzt keine Kokettiererei sein –, ob die Welt noch ein neues Kreator-Album braucht und ob ich überhaupt noch etwas zu sagen habe. Oder reicht es nicht vielleicht, wenn ich bis an mein Lebensende Pleasure To Kill und Extreme Aggressions auf irgendwelchen Festivals spiele? Denn wenn ich ein neues Album rausbringe, will ich auch, dass die Leute sagen: ‚Hey das ist cool!’

Ist es denn so, dass du noch ein neues Album brauchst?

Ja, ich brauche die. Ich mache ständig Musik und würde die Songs auch nur für mich aufnehmen. Aber die Möglichkeit zu haben, Lieder zu produzieren, ins Studio zu gehen und sie zu perfektionieren, den Grundgedanken so zu verstärken, dass die Leute fühlen können, was ich fühlte, als ich die Idee hatte, ist einfach super. Und diese Möglichkeit will ich auch nicht aufgeben.

Wenn der Mille aus der heutigen Zeit dem Mille aus der Vergangenheit etwas raten könnte, was wäre das?

Dass man lernen muss, auch mal „Nein“ zu sagen. Ich habe früher wahrscheinlich zu oft „Ja“ gesagt. Aber man muss lernen, sich abzugrenzen. Ich habe das erst in den letzten Jahren vernünftig gelernt und weiß heute, dass einem vieles erspart bleibt, wenn man zu bestimmten Leuten in bestimmten Situationen auch mal „Nein“ sagt.

Tourst Du nach all den Jahren noch immer gerne?

Auf jeden Fall, aber es ist anstrengender geworden. Darum haben wir 2019 entschieden, ein Jahr Pause zu machen. Ich war einfach ein bisschen durch und habe gesagt, dass wir pausieren sollten, um wieder mehr Spaß an der Sache zu bekommen. Hätte ich gewusst, dass die Pandemie kommt, hätte ich das nicht gemacht. So wurden aus geplant einem fast drei Jahre, in denen wir kaum gespielt haben.

Empfindest du jetzt also Vorfreude auf die Festivalsaison und eure Tour, die im November ansteht?

Ich habe voll Bock! Die Pandemie hat mir vor Augen geführt, wie fragil das Leben ist und wie dankbar man sein muss, dass machen zu können, was einem so viel bedeutet.

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„Total Thrash“: Alles zur Doku über die deutsche Thrash-Szene

Popkultur

Zeitsprung: Am 7.6.1993 ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 7.6.1993.

von Christof Leim

An seinem 35. Geburtstag ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol. Damit will er gegen seine Plattenfirma protestieren, von der er sich künstlerisch eingeschränkt fühlt. Der Rest der Welt wundert sich…

Hört hier in die besten Prince-Songs rein:

Seinen ersten Plattenvertrag unterschreibt Prince Rogers Nelson 1977. Darin einigt sich der 18-Jährige mit Warner Bros. Records darauf, die völlige kreative Freiheit zu behalten und sämtliche Alben selbst zu produzieren. Das funktioniert für alle Beteiligten gut, macht Prince zum Star und bringt Warner Millionenseller wie Purple Rain (1984) und Sign O’ The Times (1987). Deshalb stört es auch niemanden, wenn der Mann zwischendurch zum Beispiel ein fertiges Album in die Tonne kloppt und schnell mal eben ein neues aufnimmt (siehe Lovesexy, 1988). 1992 wird der Deal sogar verlängert.

Grundlegende Meinungsverschiedenheit

Dem unglaublich produktiven Künstler liegt Anfang der Neunziger viel daran, seine unzähligen unveröffentlichten Songs – angeblich über 500 – so schnell wie möglich unter die Leute zu bringen. Verständlich, denn dafür hat er das Zeug ja geschrieben. Die Plattenfirma lehnt das jedoch ab, denn sie legt (nicht weniger verständlich) Wert darauf, nur das beste Material in die Läden zu stellen und vor allem den Markt nicht zu überschwemmen. Prince macht keinen Hehl daraus, dass ihm das so gar nicht gefällt und malt sich für öffentliche Auftritte das Wort „Slave“ (dt.: Sklave) ins Gesicht. Nur nützt ihm das nichts, denn Warner Bros. besitzen die Rechte an Princes Künstlernamen und kreativem Output, wie es für Plattenverträge völlig üblich ist. Kurz gesagt: Warner wollen nicht einfach Hunderte an Liedern raushauen, Prince will nicht nur eine Marke sein, mit der die Firma Geld verdient.

Also lässt sich unser Mann etwas einfallen: Er verkündet am 7. Juni 1993, seinem 35. Geburtstag, dass er von nun an nicht mehr den Namen Prince nutze, sondern ein Symbol, das aussieht wie ein Mashup aus den astrologischen Zeichen für Mann und Frau. „Es ist ein unaussprechliches Symbol, dessen Bedeutung nicht erklärt wurde“, heißt es in einer kryptischen Erklärung des Künstlers. „Es geht darum, in neuen Wegen zu denken.“ Prince lässt sich das Ding als „Love Symbol #2“ schützen, packt es auf das Cover seines 1992er-Albums und nutzt es fortan als Bezeichnung für sich selbst.

Ändert aber nix…

Das ist natürlich alles ein bisschen unpraktisch. Zum einen kann man das „Symbol“ nicht schreiben, weshalb Warner Floppy Disks mit einer Grafikdatei an die Medien verschickt. Außerdem weiß niemand, wie man dass denn nun jetzt aussprechen soll. MTV lösen das Problem angeblich, indem sie in ihren Sendungen immer ein metallisches „Klonk!“ einspielen, wenn das „Symbol“ genannt werden müsste. Doch es hilft alles nichts, ein Name muss her. Irgendwann einigt man sich auf „The Artist formerly known as Prince“ oder „TAFKAP“. Das ist offensichtlich ziemlich bescheuert, und für die Fans bleibt ihr Held ohnehin Prince. Vor allem aber: Der Vertrag mit Warner gilt natürlich trotzdem weiter, und juristisch, also „in echt“, heißt der Mann weiterhin Prince Rogers Nelson. Und beides weiß er auch.

Viele in der Musikindustrie halten die Aktion für verrückt, die Fans wundern sich, aber immerhin bringt „TAFKAP“ seinen Standpunkt deutlich zum Ausdruck. Die folgenden Alben und Singles gelten allerdings nicht als Höhepunkte seines Schaffens, die Verkaufszahlen gehen deutlich zurück.

Erst im Jahr 2000, als der Vertrag mit Warner ausläuft, nutzt Prince wieder seinen alten Namen. Statt sich erneut an eine Firma zu binden und die herkömmlichen Wege für Vertrieb und Vermarktung zu wählen, agiert er als sein eigener Herr, setzt auf das Internet und baut eigene Strukturen auf. In einem Interview mit Larry King erklärt sich Prince beziehungsweise „TAFKAP“ beziehungsweise „Klonk!“.

2014 jedoch setzt sich der Künstler wieder mit Warner an einen Tisch, weil sein Erfolgsalbum Purple Rain zum 30. Jubiläum neu aufgelegt wird. Das Einlenken lohnt sich, denn Prince gewinnt die Rechte an all seinen alten Platten zurück. Leider stirbt der Ausnahmemusiker am 21. April 2016 mit nur 57 Jahren.

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Zeitsprung: Am 10.5.1988 veröffentlicht Prince das kurzfristig aufgenommene „Lovesexy“.

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Popkultur

Von Woodstock bis zum Fyre Festival: Die größten, besten und schlimmsten Festivals aller Zeiten

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Woodstock 1999 Header
Foto: Frank Micelotta Archive/Getty Images

Die Sonne knallt, die ersten Mega-Festivals sind schon über die Bühne gegangen. Zum Start der Freiluftsaison stellen wir Open-Air-Festivals vor, die in die Geschichtsbücher eingegangen sind – positiv wie negativ.

von Björn Springorum

Sommer, Sonne, Bier in der Hand und eine Band unter freiem Himmel sehen: Seit über 50 Jahren sind Musikgfestivals ein integraler Bestandteil des Sommers und ein Übergangsritus für unzählige Generationen. Manche Festivals sind bis heute unvergessen, manche würde man lieber sofort wieder vergessen – Bühne frei für unsere Top 10 der denkwürdigsten Festivals aller Zeiten.

Der Pionier: Monterey Pop Festival (1967)

Bei der Mutter aller Festivals denken alle immer gleich an Woodstock, und das aufgrund der Symbolkraft auch nicht zu Unrecht. Der eigentliche Pionier der Gegenkulturfestivals findet aber im Juni 1967 statt – also rund zwei Jahre vor Woodstock. In Nordkalifornien wird Musikgeschichte geschrieben, als Jimi Hendrix sein US-Debüt gibt (nur echt mit brennender Gitarre), als The mamas And The Papas, Eric Burdon And The Animals, The Who, The Byrds oder Big Brother And The Holding Company das Zeitalter von Aquarius herufbeschwören. Sogar der offizielle Werbesong San Francisco (Be Sure To Wear Flowers In Your Hair) von Scott McKenzie wird zur Legende.

Der Mythos: Woodstock (1969)

Vieles ging schief bei Woodstock. Die Organisatoren waren nicht auf die Massen vorbereitet, statt der geschätzten 50.000 kamen 400.000 überwiegend junge Menschen. Es regnete, alles versank im Schlamm, der Zaum ums Gelände wurde nicht rechtzeitig fertig, die PA war schwach und das Essen ging aus. Alles egal: Woodstock ist dennoch die Urmutter aller Festivals, der Aufschrei des jungen Amerikas gegen den Vietnamkrieg. Fast schon nebensächlich, wer da auf der Bühne spielte (unter anderem Jimi Hendrix, Santana, Jefferson Airplane, The Who, Sly & The Family Stone, Crosby, Stills, Nash & Young, Mountain, The Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival und Janis Joplin). Als Jimi Hendrix die Nationalhymne verzerrt besessen spielte, waren nur noch 40.000 Menschen da. Der Hippietraum war bald darauf vorbei, auch Woodstock konnte ihn nicht retten. Der Mythos, der wird aber für immer derselbe bleiben.

Der Riese: Isle Of Wight Festival (1970)

Ein Jahr nach Woodstock ist der Vietnamkrieg immer noch nicht zu Ende. Also kommen auf der Isle Of Wight bei bestem englischen Sommerwetter (nasskalt, windig, grau) 600.000 Besucher zusammen – die bis dato größte Menschenansammlung in Europa. Jimi Hendrix und Joan Baez verbreiten auch in Europa ihre Botschaft des Friedens, außerdem spielen Miles Davis, The Doors, The Who, Lighthouse, Ten Years After, Emerson, Lake & Palmer, Joni Mitchell, The Moody Blues, Leonard Cohen oder Jethro Tull. Ausgerechnet nach dem Event 1970 ist erst mal Schluss mit dem Isle of Wight Festival – bis 2002.

Der Anarchist: Love-And-Peace-Festival

Die Ostseeinsel Fehmarn geht im September 1970 in die Geschichtsbücher ein: Hier spielt Jimi Hendrix sein letztes Konzert vor seinem Tod am 18. September. Der Auftritt ist allerdings lustlos, unmotiviert, überhaupt läuft auf dem Festival nichts wirklich rund: Das Wetter ist schlecht, die Organisation mangelhaft, zudem zwingen 180 Rocker der Bloody Devils die Veranstalter dazu, als Security eingesetzt zu werden. Ganz miese Idee. Procol Harum und Ten Years After sagten ab, die Besucher bauten sich aus den Türen der Latrinen Windschutz. Am Ende spielen Ton Steine Scherben (damals noch als Rote Steine). Während sich die veranstalter mit der Tageskasse aus dem Staub machten, spielte die Band Macht kaputt, was euch kaputt macht – und die Besucher nahmen das sehr ernst. Man kann also sagen, dass das desaströse Festival nicht gerade seinem Namen gerecht wurde.

Der Millionenflop: US Festival (1983)

Schon das erste US Festival 1982 von Apple-Gründer Steve Wozniak wird trotz Fleetwood Mac, The Grateful Dead, The Police oder Tom Petty zum Mega-Flop, der den Veranstalter zwölf Millionen US-Dollar kostet. Hält Wozniak nicht ab, es im nächsten Jahr gleich noch mal zu versuchen. Diesmal kamen Stevie Nicks, David Bowie oder Van Halen (die allein 1,5 Millionen US-Dollar kosteten), doch selbst die 670.000 Besucher können einen weiteren katastrophalen Flop nicht verhindern. Am Ende bricht Chaos aus, es wird randaliert, zwei Menschen sterben. Zu einer dritten Auflage kommt es nicht.

Der Hipster: Coachella (1999)

Die erste Ausgabe von Coachella ist 1999 ein massiver Flop: Die Veranstalter hofften auf 70.000 Besucher, bekamen gerade mal die Hälfte und verloren eine knappe Million US-Dollar. Am Line-Up mit unter anderem Beck, Tool, Rage Against The Machine, The Chemical Brothers und Morrissey kann es zumindest nicht gelegen haben, so oder so sah alles danach aus, dass das erste Coachella gleich auch das letzte Coachella bleiben würde. Nach zwei Jahren Pause war Coachella wieder da – und wurde dann sehr schnell das beliebteste Festival der USA. Nur Rage Against The Machine treten hier mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr auf.

Der Gewalttätige: Woodstock 1999 (1999)

30 Jahre nach Woodstock wird das zweite Sequel des Hippe-Jahrhundertereignisses zur Katastrophe: Über 200.000 Leute kommen in den Bundesstaat New York, doch statt love, peace and music wird das Festival zum Kriegsgebiet: Essen und Getränke sind extrem teuer, die sanitären Anlagen in schlechtem Zustand, es kommt zu zahlreichen Vergewaltigen, sexueller Nötigung, Diebstahl, Plündereien, Brandstiftung und brutaler Gewalt. Der Name Woodstock wurde 1999 für immer beschmutzt

Der Kriminelle: Fyre Festival (2017)

Auch dank der Netflix-Doku ging das Fyre Festival als größter Betrug in die Festivalgeschichte ein. Gepusht von Influencern als paradiesisches Glamour-Event auf den Bahamas, fanden die Festivalbesucher Notzelte und verpackte Sandwiches statt Strandvillen und Gourmetküche vor. Das Festival wurde angesagt, Veranstalter Billy McFarland musste für sechs Jahre ins Gefängnis und wurde zu 26 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt. Im April 2023 verkündete er dann tatsächlich, dass es Fyre Festival II geben soll. Das kann ja was werden.

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Zeitsprung: Am 28.5.1983 bringt das 2. US Festival tolle Bands und verheerende Kosten.

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Popkultur

45 Jahre „The Cars“: Wie eine Bostoner Band die Zukunft der Rockmusik erfand

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The Cars HEADER
Foto: Ron Pownall Photography/Getty Images

Das selbstbetitelte The-Cars-Debüt klingt ein bisschen so wie David Bowie und Queen auf einem Roadtrip durch die USA. Auch 45 Jahre nach der Veröffentlichung hat das visionäre The Cars nichts von seinem melodischen Zauber verloren.

von Björn Springorum

Die späten Siebziger sind für die klassische Rockmusik keine einfache Zeit. Links wird sie von räudigem, schnoddrigen Punk überholt, rechts scheren schon die Synthesizer aus, um Wave und Synth-Pop in Position zu bringen. Mittendrin: The Cars aus Boston, die mit ihrem wegweisenden Debüt The Cars den Verlauf der Musik ändern sollen.

Aller Anfang ist schwer

Die Bandgründer Ric Ocasek und Benjamin Orr sind damals alles andere als Greenhorns. Beide über 30, beide schon in diversen Bands in Ohio oder Michigan gewesen. Auf die synthetische Zukunft der Rockmusik haben sie aber erst mal keinen Bock: Sie spielen in der Folk-Band Milkwood, die nach Crosby, Stills And Nash duftet und 1972das Album How’s The Weather hervorbringt. Die Musikwelt interessiert sich damals dafür nicht – und das eigentlich zu Unrecht, wie man hier hören kann:

Mit Folk wird es anscheinend nichts, also versuchen sie es erst mit der Band Richard And The Rabbits und dann mit dem Akustikduo Ocasek And Orr. Man kann also auch sagen, dass sie einfach so lang alle Genres abgrasen, bis mal irgendwas auf offene Ohren stößt. Nächste Station: Cap’n Swing, ebenfalls eine weitgehend vergessene Band, in der aber immerhin auch der spätere The-Cars-Gitarrist Elliot Easton spielt. Irgendwann hat Ocasek genug vom ganzen Misserfolg und den ganzen vergeblichen Anstrengungen. Kostet ja auch Zeit und Kraft. Also holt er sich den Keyboarder Greg Hawkes in die Band und entwickelt ein neues Konzept.

Mit Rockabilly und Punk in die Zukunft

Unter den Namen The Cars gründet sich 1976 eine Band, die aus dem Rockabilly der Fünfziger, dem Minimalismus des Punk und den ungeahnten Möglichkeiten der neuen Synthesizer einen neuen Sound macht. The Cars klingen in ihren frühen Tagen stark nach David Bowie oder Queen, aber eben hinter dem Steuer eines US-amerikanischen Cabrios auf einem Roadtrip durch die Harmonien des Great American Songbook. Hier entsteht Musik, die so klingt wie die Vergangenheit und die Zukunft der Rockmusik.-

Und irgendwie funktioniert alles plötzlich ganz schnell. Am Silvesterabend 1976 spielen sie ihre erste Show auf einer Air Force Base, bei einer ausgedehnten Frühjahrstour 1977 durch New England entwickeln sie im Pink-Floyd-Stil die Songs ihres Debüts. Und die erzeugen schnell einen ordentlichen Buzz um diese neue Band: Ein Demotape wird von Bostoner Radiosendern praktisch im Loop gespielt, schnell ist auch das Interesse großer Plattenfirmen da. Hier war etwas Neues im Busch, da will niemand zu spät auf den Zug aufspringen. Aus Businesssicht sind The Cars damals schon recht clever: Sie entscheiden sich für einen Deal mit Elektra Records (damals auch die Heimat der übermächtigen Eagles), weil das Label im Vergleich zum Mitbewerber Arista Records keine New-Wave-Acts unter Vertrag hat. Man würde, so schlussfolgert die Band, folglich mehr herausstechen.

Aufgenommen wird in London

Und der Plan geht so was von auf: Nach den Aufnahmen in London mit Queen-Hitmaker Roy Thomas Baker erscheint am 6. Juni 1978 The Cars und kann bis auf Rang 18 der erbittert umkämpften US-Charts klettern. Alle Singles charten ebenfalls, aus Radios im ganzen Land dröhnen sehr bald Good Times Roll oder Just What I Needed. Aber warum eigentlich? Warum verkauft sich The Cars über sechs Millionen Mal und bekommt sechsfach Platin? Weil die Rockmusik im Wandel ist. Und The Cars als einer der Zukunftsboten auf den Plan treten.

Das Album erscheint in einer Übergangsphase, in einer Zäsur. Zwar haben AC/DC gerade erst Powerage veröffentlicht, aber zur selben Zeit kommen eben auch Kraftwerk mit ihrem Maschinenmanifest Die Mensch-Maschine und die Rolling Stones mit dem wavigen Some Girls um die Ecke. Es passiert was in der Rockmusik, das klassische Line-Up aus Gitarre, Bass, Drums wird zunehmend weniger nachgefragt. Da passen The Cars mit ihrem eklektischen Sound perfekt.

Jeder Song sitzt

Die Harmonien des Pop, die Melodien des Radio-Rock, die Extravaganz des New Wave und der Simplizismus des Punk erschaffen einen originellen, frischen, eingängigen Sound, der der Band endlich die erhoffte Aufmerksamkeit bringt. Auch nicht unwichtig: Die Songs sind allesamt grandios geschrieben und arrangiert. Und funktionieren bis heute. „Wir scherzten früher, dass wir unser erstes Album eigentlich The Cars Greatest Hits nennen sollen, so meinte Gitarrist Elliot Easton mal.

Das Spannende ist aber auch, wie brückenbauend The Cars damals sind: Die übliche Kluft zwischen Rockern und Poppern wird von ihnen mühelos überbrückt. Für Rocker ist The Cars gerade noch hart und gitarrenlastig genug, für New-Waver sind die Songs in Sachen rockiger Härte gerade noch erträglich.

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