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Popkultur

Die mit „Mad World“: Vor 40 Jahren erscheint das düstere Debüt von Tears For Fears

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Foto: Gary Gershoff/Getty Images

Erstes Album und schön den größten Hit der Karriere rausballern – keine üble Leistung! Das Debüt von Tears For Fears kann aber noch mehr. Viel mehr. Hier kommt die Geschichte von The Hurting, inhaltlich einem der düstersten Popalben der Achtziger.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr The Hurting hören:

Popmusik traut man gemeinhin zu wenig zu. Leicht verdaulich muss sie sein, schwer angesagt und durchsetzt von ungefährlichen Themen wie Sex, Konsum, Freundschaft, Autofahren oder Surfen. Tears For Fears reicht das nicht. 1981 setzen sich im schönen Bath in Südengland Roland Orzabal und Curt Smith an einen Tisch, um die Popmusik zur revolutionieren. Tiefer, ernster, kunstfertiger zu machen. Die beiden 20-Jährigen haben schon reichlich Erfahrung in New-Wave-Bands gesammelt und verfolgen das Erblühen der elektronischen Musik mit Gusto und Faszination. Oberflächlichkeit ist aber eben nichts für sie.


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Reise zu den Traumata der Kindheit

OMD oder Depeche Mode stehen Vorbild für das, was die beiden zunächst unter dem Namen History Of Headaches aushecken: Ein eleganter, kühler Sound, selbstvergessen und ahnungsvoll, melodramatisch auch, wie ihre Frisuren. Wie wenig man mit dem üblichen Top Of The Pops-Einheitsbrei der damaligen Zeit zu tun hat, zeigt letztlich schon die Wahl des Bandnamens: Tears For Fears geht auf die umstrittene Primärtherapie von Arthur Janov zurück, dessen berühmtester Patient John Lennon war. Ziel der Therapie ist ein gezieltes Nacherleben von Kindheitstraumata, was die beiden gleich auch als roten Faden ihres ersten Albums nehmen. Amüsante Anekdote am Rande: Als das Duo Mitte der Achtziger auf Janov trifft, zeigt es sich desillusioniert von dem berühmten Psychologen. Er wollte allen Ernstes, dass Tears For Fears ein Musical für ihn schreiben.

Die beiden komponieren Songs, in denen sie sich mit ihren eigenen Kindheitstraumata auseinandersetzen und ihre Seele offenlegen. Gleichzeitig experimentieren sie mit Drum-Maschinen und Sequenzern, verlustieren sich in einer schönen neuen Welt der technischen Gadgets. Es entstehen Songs über Angststörungen, über Missbrauch, über Depression. Nicht unbedingt der Stoff, aus dem Pop-Märchen sind. Entsprechend verhalten reagiert die Welt auf die ersten Gehversuche von Tears For Fears: Die erste Single Suffer The Children (und zugleich der erste Song des Duos überhaupt) handelt von einem vernachlässigten Einzelkind sowie der Nachfolger Pale Shelter bringen die Band nicht voran.

Der Durchbruch kommt mit Mad World

Roland Orzabal und Curt Smith geben nicht auf. Vorübergehend verstärkt durch Keyboarder Ian Stanley und Drummer Manny Elias arbeiten sie weiter an ihrem ersten Album und landen mit Mad World endlich einen ersten Erfolg. Und das gleich weltweit. Geschrieben von Ozarbal auf der Akustikgitarre, als er gerade mal 19 war, drückt der Song tiefsitzende Kindheitsängste aus, vermischt mit einem Blick auf die regennassen Straßen von Bath. „Ich schrieb den Song, als ich über eine Pizzeria in Bath wohnte und auf die Innenstadt blickte. Eigentlich hätte ich den Song Bourgeois World nennen sollen; so mad ist Bath dann auch wieder nicht“, so sagte Orzabal mal. Unzählige Coverversionen folgen, am berühmtesten ist natürlich die von Michael Andrews und Gary Jules für den Film Donnie Darko.

Seelenstriptease

Der Song gibt auch ihrem Debüt The Hurting die nötige Starthilfe, um trotz seiner düsteren, ernsten und existentiellen Inhalte zum riesigen Erfolg zu werden: Das Synthpop-Juwel erklimmt in Woche zwei die Spitze der britischen Charts und kann sich dort über ein Jahr halten. Zahlreiche andere Länder vermelden den Einstieg in die Top 20. Nicht übel für ein Album über Depressionen, Missbrauch, Ängste und Todessehnsucht. Tears For Fears werden schon nach diesem Album anders klingen und anders texten. Doch dieses eine Mal musste der Seelenstriptease sein.

Die englische Presse zeigt sich von der Nabelschau teilweise wenig begeistert: Der NME etwa konstatiert wenig schmeichelhaft: „Dieses Album […] ist eine fürchterliche nutzlose Form von Kunst, die aus Selbstmitleid und Sinnlosigkeit ein kommerzielles Versprechen webt.“ Wow, gründlich daneben. Viel eher ist The Hurting ein erstaunlich reifes Debütalbum, das Tabuthemen anpackt und sich nicht zu schade ist, über eigene Ängste und psychische Knackse zu singen. Und das 1983! Bis heute ist das Album ein einfühlsam komponiertes, anspruchsvoll umgesetztes Testament für die Vielseitigkeit der Popmusik. Und damals doch nur der Vorgeschmack auf den endgültigen Abflug mit Songs From The Big Chair.

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