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Popkultur

„Tage wie diese“ von den Toten Hosen: Als sich Angela Merkel bei Campino entschuldigte

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Die Toten Hosen Header
Foto: Marco Prosch/Getty Images

Im Jahr 2011 passiert den Toten Hosen etwas, wovor sich jeder Musiker fürchtet: Sie möchten ein neues Album schreiben — und ihnen fällt absolut nichts ein. Doch aus der Kreativlosigkeit der Düsseldorfer entsteht unter anderem ihr größter Hit: Tage wie diese. Das ist die Geschichte der Nummer. Eine Telefonat mit Angela Merkel ist auch dabei.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Scheiss Wessis von den Toten Hosen anhören:

Im Demostadium heißt der Song noch Kreise drehen. Am Text kann man es ablesen: „Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos“. Hosen-Gitarrist Kuddel nimmt das Stück im Jahr 2010 zuhause auf und lässt sich dafür von Black Betty inspirieren, einem Worksong des 20. Jahrhunderts — allerdings in der Version der Siebziger-Rockband Ram Jam. Begeistert ruft er Sänger Campino an, der Kreise drehen ebenfalls mag. Doch gleich am nächsten Tag klingelt Kuddel noch einmal durch. Sein Sohn Tim findet das Lied nicht gut. Auch bei Tochter Chelsea springt der Funke nicht über. Enttäuscht legen die Hosen das Stück beiseite. Doch im Sommer 2011 geht Campino mit einer alten Freundin schwimmen — und ihr kommen die zündenden Ideen.

Campino und Birgit Minichmayr: eine alte Freundschaft ebnet den Weg zum größten Hit

Bereits im Jahr 2006 hatten Campino und Birgit Minichmayr gemeinsam auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes gestanden. Der Anlass: Rainer Maria Brandauers Inszenierung von Bertold Brechts Dreigroschenoper, in der Campino den Mackie Messer gegeben hatte und Minichmayr dessen Partnerin Polly. Seitdem sind die beiden in gutem Kontakt geblieben und nun, da die Hosen mit dem Songwriting für das Album zu ihrem 30. Jubiläum im Morast feststecken, ruft Campino seine Kollegin Minichmayr zur Hilfe. Er bittet sie darum, sich das neue Material einmal anzuhören. Zügig treffen sich die beiden in Österreich. Campino bringt eine CD mit den neuen Ideen mit. Kreise drehen möchte er Minichmayr eigentlich gar nicht vorspielen, doch als sie den Song hört, lobt sie ihn. Das sei das bisher beste Stück und man müsse nur noch ein wenig am Text schrauben. So passiert es dann auch.

Als Campino und Minichmayr fertig sind, heißt das Stück Tage wie diese. Minichmayr hat das Potenzial des Songs erkannt, den die Hosen beinahe aussortiert hätten. Nach der Veröffentlichung wird das Stück schnell zum Selbstläufer. Platz eins in den Single-Charts, drei Wochen lang die Pole Position in den Airplay-Charts, „Hit des Jahres“ bei der Echo-Verleihung 2012, Deutscher Musikautorenpreis 2013: Tage wie diese schlägt unerwartet heftig ein. Es soll der bekannteste Song der Toten Hosen werden. Was diesmal anders ist? Vielleicht zum allerersten Mal sei es egal, ob das Lied von den Hosen komme oder nicht, mutmaßt Campino in einem Interview. Bisher hätten viele Fans die Songs der Band gemocht, weil sie Anhänger der Hosen seien. An Tage wie diese fänden auch Nicht-Hosen-Fans Gefallen — obwohl der Song von den Hosen komme. Es sei ein großes Glück, nach 30 Jahren Bandgeschichte noch solch einen Hit zu landen, findet er. Er wisse nicht, ob die Hosen in jungen Jahren mit so viel Erfolg zurechtgekommen wären.

Tage wie diese: ein Song begeistert Deutschland

Die Beliebtheit des Songs bekommen die Hosen gleich in mehrfacher Hinsicht zu spüren. Zum einen klingelt die Kasse; zum anderen kommt es zu mehreren Coverversionen. Eine der neuesten (von 2023) stammt von der US-amerikanischen Sängerin Anastacia.

Schon vor Jahren hatte Campino den Text des Songs ins Englische übersetzt. Best Days heißt die US-Variante und sie ist auf Anastacias Album „Our Songs“ zu finden. Auch Schlager-Megastar Helen Fischer singt Tage wie diese im Rahmen ihrer Sommertour 2013. Eine Veröffentlichung ihrer Version auf CD unterbinden Campino und Co. allerdings. Eigentlich hatten sie ja auch der CDU verboten, den Song zu nutzen …

Beste Feinde: Die Toten Hosen und die CDU

Nach 40 Jahren Bandgeschichte haben sich die Toten Hosen einen Ruf erspielt. Als Krachmacher der Nation kennt man sie vor allem als Punk-Vertreter und Störenfriede, die sich auf und abseits der Bühne gerne gesellschaftskritisch äußern. Ein einziges Campino-Interview reicht, um zu wissen: CDU-Fan ist er nicht. Dennoch singt die Union am 22. September 2013 in ihrer Berliner Zentrale ausgerechnet den Hosen-Song Tage wie diese, um ihren Erfolg bei der jüngsten Bundestagswahl zu feiern. Kanzlerin Angela Merkel weiß zu jener Zeit noch nicht einmal, dass es sich um ein Lied der Toten Hosen handelt.

Es ist schon ein skurriles Bild: CDU-Fraktionschef Volker Kauder gibt mit einem Mikro in der Hand Tage wie diese von den Toten Hosen zum Besten; Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Armin Laschet wippen (mehr oder weniger) im Takt mit. Viele Deutsche dürften sich über diesen Auftritt im September 2013 gewundert haben, steht die CDU doch nicht unbedingt für die Werte, die Campino und Co. üblicherweise propagieren. Entsprechend verärgert ist die Band über die eigenwillige Nutzung ihres Songs. „Uns persönlich kam die Darbietung eher wie ein Autounfall vor“, schreiben die Düsseldorfer nach der CDU-Performance in einem Statement auf ihrer Facebook-Seite. „Nicht schön, aber man schaut trotzdem hin.“ Darüber hinaus sei das grausam vorgetragene Lied aber immer noch die beste Leistung, die die CDU in letzter Zeit hervorgebracht habe. Deutliche Worte.

Anruf von Angela — Als die Kanzlerin Sorry sagte

Die Verärgerung der Toten Hosen entgeht Angela Merkel nicht — weshalb sie ein paar Tage später zum Telefonhörer greift, um sich zu entschuldigen. „Lieber Herr Campino, ich rufe an, weil wir ja am Wahlabend so auf ihrem Lied herumgetrampelt sind“, sagt sie zu dem Sänger. Sie fände Tage wie diese sehr schön, doch Campino müsse sich keine Sorgen machen, dass der Song nun die nächste CDU-Hymne werde. Außerdem hätten die Hosen die Nutzung des Liedes zwar für Wahlkampfveranstaltung untersagt, doch Siegesfeiern seien ja kein Wahlkampf. Am Ende bleibt sie eben doch Politikerin.

Diese Geschichte ist eine von vielen aus dem Buch Die Toten Hosen – über 40 Jahre Punkrock: Von Pionieren des Punks zur Kultband von Timon Menge. Die Anekdotensammlung erscheint am 24. Oktober 2023 im Riva Verlag.

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