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Popkultur

Die Britpop-Macher: Vor 30 Jahren veröffentlichen Suede ihr Sensationsdebüt

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Foto: Gie Knaeps/Getty Images

1993 gibt es in Großbritannien keinen heißeren Scheiß als Suede. Bald darauf kommen zwar Oasis, aber diese kurze Zeit, die kostet die Band voll aus. Vor 30 Jahren erscheint ihr Debüt – ein euphorischer, aufregender Klassiker, der den Siegeszug des Britpop überhaupt erst ermöglicht. Sehr zu ihrem Leidwesen

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Suede anhören:

Spricht man heute über die musikalischen Neunziger in Großbritannien, reden alle immer nur über Oasis, Blur und natürlich den Zwist zwischen Oasis und Blur. Mehr scheint es nicht zu geben. Man vergisst dabei natürlich nur eines: Die frühen Neunziger, die gehören im Königreich eigentlich nur einer Band: Suede. 1992 sind sie das Coolste, Begehrenswerteste und Beste, das es in Großbritannien zu hören, zu sehen und zu erleben gibt. Mindestens. Und dabei hat die Band da noch nicht mal ihr Debüt veröffentlicht. Was ist da nur passiert?

„Manche Dinger sind wichtig als Können“

Für die Antwort muss man noch ein wenig weiter in die Vergangenheit reisen als 1992: In den späten Achtzigern versuchen ein paar Londoner, einen neuen Sound für das kommende Jahrzehnt zu erfinden. Sie sind klare Kinder der Achtziger, Söhne und Töchter von New Wave und Post Punk, geprägt von den Smiths, David Bowie, The Cure oder Roxy Music. Sie gründen eine Band, die anfangs aus dem Paar Justine Frischmann und Brett Anderson, Mat Osman und einer Drum-Machine besteht. Auf eine Anzeige im NME mit dem Kernsatz „Manche Dinge sind wichtiger als Können“ meldet sich Bernard Butler für die Stelle des Gitarristen.

Ricky Gervais sei Dank

Sie sind um die 20, sie leben in London, sie hängen in Camden ab, wo sie bald darauf erste Gigs unter dem Namen Suede spielen. Weil sich die Drum-Maschine als unzuverlässig erweist erleben Suede einige geschichtsträchtige Erlebnisse mit potentiellen Schlagzeugern: Erst meldet sich sogar der ehemalige Smiths-Trommler Mike Joyce bei ihnen, entscheidet sich dann aber doch dagegen, weil er der Ansicht war, einer von den Smiths beeinflussten Band eher zu schaden als gut zu tun. Auftritt Ricky Gervais. Genau, der Ricky Gervais. Damals arbeitet er noch in der Musikindustrie und bringt Suede endlich mit ihrem Drummer Simon Gilbert zusammen. Danach wendet er sich dann aber bald der Comedy zu, wo er bis heute ebenso erfolgreich wie gefürchtet ist.

Damon Albarn ist Schuld

Bei Suede kann es also endlich losgehen. Wären da nicht Anderson und Frischmann, die sich im Frühling 1991 trennen. Weil Frischmann danach aber ausgerechnet was mit Damon Alban von Blur anfängt, schmeißt sie Brett Anderson einfach raus. Die Meinungen, warum er das tut, gehen auseinander, festhalten lässt sich aber, dass es mit der Band danach so richtig losgeht. Obwohl sie in den frühen Neunzigern anders klingen als die Musik ihrer Londoner Kollegen, obwohl sie so gar nichts mit der erblühenden Grunge-Szene in Nordamerika zu tun haben, nehmen Suede Fahrt auf, entwickeln sich zum raunend weitergereichten Geheimtipp. Unter ihren frühen Fans: Morrissey, Sänger ihrer großen Idole The Smiths. Eines ihrer frühen Konzerte beschreibt John Mulvey vom NME so: „So hatten Charme, Wut und… wenn vielleicht nicht ganz Sex-Appeal, dann auf jeden Fall etwas Gefährliches und Aufregendes.“

Größter Hype seit den Sex Pistols

Das führt 1992 dazu, dass Suede das größte Musikphänomen Großbritanniens werden – und das ganz ohne Debüt. Alle sprechen plötzlich von ihnen, ihre allererste Single The Drowners macht klar, dass das hier weder Madchester noch Grunge oder sonst was ist. Noch vor der Veröffentlichung landen sie auf dem Cover des Magazins Melody Maker. Die Überschrift: „Suede: Die beste neue Band in Großbritannien“. Die ganze Sache steigert sich das Jahr 1992 über zum totalen Kult, den man sein den Sex Pistols nicht erlebt hat. Ihr Debüt wurde mit atemloser Spannung erwartet wie zuletzt das erste und einzige Album der Sex Pistols, überhaupt gibt es endlich mal wieder eine Band, die ebenso begeistert wie polarisiert.

Das liegt auch an Frontmann Brett Anderson. Der bezeichnet sich als bisexuellen Mann, der noch nie homosexuelle Erfahrungen gemacht hat. Oh lord, und das in den frühen Neunzigern in Großbritannien. Nicht zu vergessen seine ungewöhnliche, hohe Stimme natürlich. Die erkennt man noch heute sofort. All das steigert sich und steigert sich, die dritte Single Animal Nitrate ist plötzlich in den britischen Top Ten und die Band steht bei den Brit Awards auf der Bühne. Spätestens da ist auch den letzten klar: Das hier wird groß. Sehr groß.

Kontrovers, neu, groß

Das schlicht Suede betitelte Debüt erfüllt diese Erwartungen natürlich. Die Platte rauscht direkt auf die Eins und wird mit über 100.000 verkauften Einheiten in der ersten Woche das erfolgreichste Debüt seit Frankie Goes To Hollywoods Welcome To The Pleasuredome mehr als zehn Jahre zuvor. Zurecht natürlich: Damals klingt keiner wie sie, damals singt keiner wie sie. Andersons Texte sind sexuell fluide, voller Anspielungen, auch auf dem Cover sind zwei küssende Frauen zu sehen. Er trocken dazu: „Wer das kontrovers findet, der findet es auch kontrovers, wenn jemand ein Eis isst. So etwas passiert doch jeden Tag.“

Startschuss für Britpop

Die Vergleiche mit den Smiths hinken ebenso wie die mit David Bowie. Also steht sehr bald fest: Das hier ist etwas Neues, eine neue Bewegung. Ganz und gar ungeplant: „Es gibt keinen Malcolm McLaren bei uns, keinen Sugar Daddy, der uns sagt, welche Schuhe wir tragen sollen“, so sagt Brett Anderson 1993 in einem MTV-Interview. „Wir schreiben wohl interessante Songs, die die Menschen beschäftigen.“ Im April 1993 posiert Anderson auf dem Cover von Select, die Suede als Speerspitze einer neuen britischen Rock-Revolution sehen, die sie provokant mit „Go home, Yanks!“ übertiteln. Unwissend starten sie damit etwas, das schon sehr bald als Britpop wie ein Lauffeuer um die Erde gehen wird. Von Oasis ist damals noch keine Spur: Die veröffentlichen erst ein Jahr später ihre erste Single Supersonic. Und zeigen sich dann natürlich wenig beeindruckt von Suede.

Suede im Umkehrschluss können mit dem Terminus Britpop so gar nichts anfangen. „Was für ein fürchterlicher Begriff“, schimpfte Anderson mal. Dennoch steht ihre Musik natürlich für genau das, was dieses Genre zu subsumieren versucht: Der von den Sechzigern und Siebzigern geprägte Sound, die Referenzen an Englands Kleinstädte, die sexuelle Offenheit, diese allgemein gänzlich unamerikanische Herangehensweise an Rock’n’Roll – hier nimmt sie ihren Anfang.

Wie so oft, ist im kometenhaften Aufstieg bereits der Fall einprogrammiert: Nur ein Jahr später gibt es Spannungen in der Band. Anderson will den Sound experimenteller, introvertierter gestalten, um sich so weit wie möglich vom Britpop zu distanzieren. Die ganze Welt redet plötzlich nur noch von Oasis, Blur oder Pulp. Suede werden vom Mainstream praktisch augenblicklich wieder vergessen. Was äußerst schade ist: Insbesondere ihr zweites Album Dog Man Star ist eine der besten Platten aller Zeiten.

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