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Popkultur

„Yesterday”: Von Rührei zum Übersong der Fab Four

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Bob Whitaker/Getty Images

Selbst für die Beatles, bei denen grundsätzlich andere Maßstäbe gelten, war der 14. Juni 1965 ein außergewöhnlich produktiver Tag. Kurz nach der Bekanntgabe der bevorstehenden Verleihung des britischen Verdienstordens MBE durch die Queen verschwand die Band schon wieder in den Studios der EMI in der Abbey Road. Zwei Songs nahmen sie an dem Nachmittag auf: I’ve Just Seen A Face und I’m Down.

von Paul McGuiness

Aber was am Abend passierte, darüber spricht man noch heute: Zwischen 19 Uhr und 22 Uhr spielten sie Yesterday ein, oder, um genauer zu sein, Paul McCartney, aus dessen Feder der Song stammte, spielte ihn alleine mit seiner Akustikgitarre.

„Ups. ihr meint solo?”

„Es war das erste Mal, dass ich den Song ins Studio brachte und auf der Gitarre spielte“, erinnerte sich Paul. „Nach einer Weile sagte Ringo, ‚Ich kann da nicht Schlagzeug drauf spielen – das würde überhaupt keinen Sinn machen’. Und John und George meinten, ‚Da ist kein Platz für mehr Gitarren’. Also schlug George Martin vor, dass ich es einfach mal alleine versuche. Ich sah von einem zum anderen: ‚Ups, ihr meint solo?’ Sie sagten, ‚Ja, das ist schon okay, wir können da wirklich nichts beitragen – mach es einfach’. Und so machte ich es.

Der Song wurde in der Wimpole Street 57 in London geschrieben, wo Paul das Dachgeschoss des Elternhauses seiner Freundin, der englischen Schauspielerin Jane Asher, bewohnte. Wie Paul immer wieder beteuert, hat er den Song im Schlaf geschrieben: „Ich wachte mit einer wunderschönen Melodie im Kopf auf und dachte, ‚Das ist ganz hübsch. Ich frage mich, was das ist’. Neben mir stand ein Klavier – rechts neben dem Bett, gleich am Fenster. Ich stand auf, setzte mich ans Klavier, spielte G-Dur, Fis-Moll mit Septime – und dann ging es automatisch weiter zu H-Dur, dann E-Moll und dann zurück zu G-Dur.”


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Eine Zeitlang konnte Paul nicht glauben, dass er diesen Song geschrieben hatte. Er spielte ihn allen möglichen Leuten vor und fragte sie, ob er ihnen bekannt vorkam, weil er dachte, dass es vielleicht eine alte Melodie war. Aber natürlich kannte ihn niemand. „Schließlich entschied ich, den Song wie eine Fundsache zu behandeln – wenn ihn nach ein paar Wochen keiner zurückhaben wollte, würde ich ihn behalten.”

„Es klingt wie ein Märchen, aber es ist die pure Wahrheit”

Darüber, wann all das passierte, gibt es unterschiedliche Meinungen. Einige, darunter auch Pauls Freund und Biograf Barry Miles, behaupten, dass es nur wenige Wochen vor besagtem 14. Juni war. John Lennon erinnerte sich aber, dass der Song schon seit Monaten herumschwirrte: „Paul hatte ihn fast komplett geschrieben, aber uns fiel einfach kein Titel ein. Jedesmal, wenn wir uns zum Schreiben trafen oder um etwas aufzunehmen, kam dieses Thema irgendwann auf den Tisch. Wir nannten ihn Scrambled Eggs und das entwickelte sich zum Running Gag. Wir waren fast fertig, als wir uns letztendlich einig wurden, dass der Titel auf jeden Fall nur aus einem Wort bestehen sollte. Aber welches? Und dann eines Morgens wachte Paul auf und hatte den Titel und den Song. Erledigt! Ich weiß, es klingt wie ein Märchen, aber es ist die pure Wahrheit.”

In George Martins Erinnerung existierte der Song schon über ein Jahr: „Als ich Yesterday zum ersten Mal hörte, hieß es noch Scrambled Eggs – Pauls Arbeitstitel. Das war im Januar 1964 im George V Hotel in Paris.”

Als die Beatles 1965 ihren zweiten Film Help! drehten, arbeitete Paul noch an dem Song – erinnert sich zumindest Regisseur Richard Lester: „Irgendwann stand ein Klavier auf einer der Bühnen und er spielte ständig dieses Scrambled Eggs. Es trieb mich soweit, dass ich zu ihm sagte, ‚Wenn du diesen verdammten Song noch länger spielst, lasse ich das Klavier wegräumen. Schreib ihn fertig oder lass es sein!”

„Nach und nach fügte ich alles zusammen”

Er schrieb ihn fertig. Nach den Dreharbeiten machten Paul und Jane in Portugal, in der Villa ihres Freundes Bruce Welch von den Shadows, Urlaub. Auf der knapp 300km-langen Fahrt vom Flughafen vollendete Paul endlich sein Werk. „Es war eine lange, heiße und staubige Fahrt“, erinnerte sich Paul. „Jane schlief, aber ich konnte nicht. Und wenn ich auf so einer langen Fahrt nicht schlafen kann, dann fängt mein Gehirn an zu arbeiten. Ich weiß noch, dass ich Yesterday im Kopf hin- und herwälzte und plötzlich flogen mir diese kleinen Strophenanfänge zu.

„Ich sah zu, wie die Idee sich entfaltete: ‚Scram-ble-d eggs, da-da da’. Ich wusste, dass die Silben zu der Melodie passen mussten, logisch: ‚da-da da’, ‚yes-ter-day’, ‚sud-den-ly’, ‚fun-il-ly’, ‚mer-il-ly’ und ‚yes-ter-day’, das ist gut. ‚All my troubles seemed so far away’. Das ist leicht zu reimen: say, nay, today, away, play, stay – es gibt viele Reime, die sich wie von selbst zusammenfügen. ‚Sud-den-ly’ und ‚be’ ist auch wieder ein sehr einfacher Reim: e, me, tree, flea, we, und damit hatte ich eine Grundlage.”

Welch bestätigte das: „Ich packte gerade für die Abreise, da fragte mich Paul, ob ich eine Gitarre hätte. Er hatte wohl während der Fahrt vom Flughafen Lissabon nach Albufeira am Text gearbeitet. Er borgte sich meine Gitarre und spielte den Song, den wir heute alle als Yesterday kennen.”

Paul und Jane nach ihrem Urlaub in Portugal 1965. Keystone/Getty Images

„Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, wären Streicher”

Nachdem der Song an diesem Montag im Juni 1965 endlich aufgenommen wurde, fragten sich die Beatles und ihr Produzent George Martin, was sie damit anfangen sollten. Martin erinnert sich, wie er zu Paul sagte: „‚Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, wären Streicher, aber ich weiß, was du davon hältst.‘ Und Paul sagte, ‚Ich will keinen Mantovani’. Ich antwortete, ‚Wie wäre es mit einer ganz kleinen Anzahl von Streichern, ein Quartett?‘ Das fand er interessant.” Pauls eigene Version weicht ein bisschen ab, denn er meint, dass er ursprünglich gegen diese Idee war, weil sie schließlich eine Rock’n’Roll-Band sind. Aber er vertraute Martin und die Beiden arbeiteten in Martins Haus zusammen an dem Arrangement.

Beatles go 2019! Hier könnt ihr euch den ganzen Yesterday-Soundtrack anhören:

Am Nachmittag des 17. Juni wurde das Streichquartett aufgenommen und damit war Yesterday komplett. Es war das allererste Mal, dass ein Beatles-Song derart ausgeschmückt wurde, aber wie wir wissen, sollte es nicht das letzte Mal gewesen sein.

Yesterday erschien in Großbritannien im Sommer 1965 auf dem Album Help! (im Film selbst kam der Song nicht vor). In den USA erschien er als Single am 13. September 1965 und verbrachte dort vier Wochen an der Spitze der Charts (in Großbritannien kam er erst am 8. März 1976 als Single heraus und erreichte Platz 8 der Charts). Heute ist es wahrscheinlich der berühmteste Beatles-Song. John Lennon erzählte in einem Interview 1980: „In jedem Restaurant, in das ich gehe, spielt die Kapelle Yesterday. In Spanien haben Yoko und ich sogar die Violine eines Musikers signiert, nachdem er Yesterday für uns gespielt hatte. Er konnte nicht verstehen, dass ich den Song nicht geschrieben habe. Aber ich schätze, er konnte auch schlecht von Tisch zu Tisch gehen und I Am The Walrus spielen.“

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Popkultur

Als Led Zeppelin facettenreicher wurden: „Houses Of The Holy“

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Led Zeppelin HEADER
Titelfoto: Evening Standard/Hulton Archive/Getty Images

Vier durchnummerierte Platten brauchten Led Zeppelin, um die Spitze des Rockolymp zu erklimmen. Auf ihrer fünften Veröffentlichung Houses Of The Holy schlugen die Briten experimentierfreudigere Pfade ein — mit großem Erfolg. Den Titeltrack mussten sie allerdings auf das nächste Album verschieben.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Houses Of The Holy von Led Zeppelin anhören:

Pause? Für Led Zeppelin ist das zu Beginn ihrer Karriere ein Fremdwort. In gerade einmal drei Jahren veröffentlichen die Briten vier legendäre Alben, touren mehrfach um den Globus und spielen weltweit vor ausverkauften Häusern. Großbritannien, Nordamerika, Japan, Australien — und wieder von vorn. Ein wenig zur Ruhe kommen Led Zeppelin erst 1972, als sie mit der Aufnahme ihres fünften Albums Houses Of The Holy beginnen. Die Gruppe schlägt darauf experimentellere Wege ein und setzt auf aufwändige Arrangements und neue Einflüsse statt auf schnodderigen Hardrock-Sound. Doch wie genau kam es zu dieser Typveränderung — und hatten auch die Fans Freude an den neuen Led Zeppelin?

Houses Of The Holy: Ein Album unter anderen Umständen

Anfang der Siebziger ist das Bankkonto von Led Zeppelin bereits gut gefüllt — so gut, dass sich Gitarrist Jimmy Page und Bassist John Paul Jones ihre eigenen Heimstudios einrichten. Zum ersten Mal können die beiden Musiker ihre Ideen in aller Ruhe aufnehmen, noch einmal hören, bearbeiten und ergänzen. Dadurch werden die Songs ausgeklügelter als sonst — weg vom Bluesrock, hin zum AOR, wenn man so möchte. Als Led Zeppelin mit den offiziellen Aufnahmen von Houses Of The Holy beginnen, sind die vier Musiker deutlich besser vorbereitet als bei ihren vorherigen vier Alben. Zu gut, wie es scheint, denn die Band spielt mehr Songs ein als auf die Platte passen.

Während der Sessions zu Houses Of The Holy sammeln Led Zeppelin so viel Material, dass sie ein paar ihrer neuen Kompositionen für später aufbewahren müssen. Das betrifft zum Beispiel den Song Walter’s Walk, der erst 1982 auf der Zusammenstellung Coda erscheint. The Rover und Black Country Woman packen die Briten auf ihr sechstes Album Physical Graffiti (1975). Besonders kurios: Sogar den Titeltrack verschieben Led Zeppelin auf später, sodass der Song Houses Of The Holy nun nicht auf dem Album Houses Of The Holy zu finden ist, sondern ebenfalls auf dem Nachfolger Physical Graffiti. Trotzdem klingt Houses Of The Holy stimmig — auch wenn „Led Zep“ darauf einige Experimente wagen.

Da wäre zum Beispiel die Funk-lastige Nummer The Crunge, die man den Briten vorher wohl nicht unbedingt zugetraut hätte. Auch das Reggae-beeinflusste Stück D’yer Mak’er klingt nicht wie ein typischer Led-Zeppelin-Song. Genau das war das Ziel, wie Gitarrist Jimmy Page in dem Buch Light & Shade: Conversations With Jimmy Page erklärt: „Auch wenn alle ein zweites Led Zeppelin IV wollten: Es ist sehr gefährlich, sich selbst zu kopieren. Ich werde keine Namen nennen, aber jeder kennt Bands, die sich ewig wiederholen. Nach vier oder fünf Alben sind sie ausgebrannt. Bei uns hingegen wusste man nie, was als nächstes kommt.“

Eine Tour der Superlative — und der anschließende Burnout

Das gilt auch für die Tour zu Houses Of The Holy, mit der Led Zeppelin einmal mehr neue Live-Show-Maßstäbe setzen. Laser, Discokugeln, aufwändige Outfits, Pyrotechnik: Die britischen Rocker lassen sich nicht lumpen und feuern auf ihrer insgesamt dreimonatigen Tour aus allen Rohren. 55 Konzerte geben Led Zeppelin, darunter auch in Nürnberg, München, West-Berlin, Hamburg, Essen und Offenburg. Überall feiert wird die Band gefeiert; später ist sogar die Rede davon, dass die Tour der technische Höhepunkt der Gruppe gewesen sein muss. Doch der Preis ist hoch: Nach der Konzertreise sind Led Zeppelin so fertig, dass sie eine fast zweijährige Pause einlegen.

Was die Verkaufszahlen und den Erfolg von Houses Of The Holy betrifft, geht die Platte im Vergleich zum direkten Vorgänger Led Zeppelin IV beinahe unter. „Nur“ elffaches Platin gelingt den Briten bis heute mit dem Album; bei Led Zeppelin IV ist es mehr als doppelt so viel und auch der Houses Of The Holy-Nachfolger Physical Graffiti kann insgesamt 16 US-Platinveredelungen abräumen. Dennoch: Led Zeppelin zeigen sich auf Houses Of The Holy von ihrer erwachsenen Seite und das kommt an. Drei Alben bringen die Briten anschließend noch raus, bis der Tod von Schlagzeuger John Bonham die Karriere der Gruppe im Jahr 1980 beendet. Doch das ist wieder einmal eine andere Geschichte.

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Popkultur

Zeitsprung: Am 28.3.1985 tritt Alicia Keys zum ersten Mal im TV auf. Sie ist 4.

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Alicia Keys
Paola Kudacki/Sony Music

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.3.1985.

von Timon Menge und Christof Leim

Mehr als 150 Preise gewinnt Alicia Keys im Lauf ihrer Karriere, darunter 15 Grammys. Ihre Premiere im Showgeschäft feiert sie allerdings am 28. März 1985 in einer TV-Serie – mit vier Jahren.

Hier könnt ihr euch Here anhören:

Übernachtungsparty! Die kleine Tochter der Familie hat ihre Freunde und Freundinnen eingeladen, alle sind bestens gelaunt, vor allem als sie reihum mit dem Herrn Papa Rodeo spielen. Die Regeln: Wer sitzen bleibt, gewinnt. Ein Mädchen mit Lockenkopf kann sich trotz wildester Bewegungen halten und geht als Siegerin hervor. Vier Jahre alt ist die junge Schauspielerin in dieser Szene der Bill Cosby Show, ihr Name lautet Alicia Cook. Damals kennt sie niemand, heute schon…

In den Achtzigern kann man sich ein Fernsehprogramm ohne die Familie Huxtable kaum vorstellen. In acht Staffeln thematisiert die Sitcom das Leben einer afroamerikanischen Familie aus der Mittelschicht, die sich mit alltäglichen Situationen und Problemen auseinandersetzt. Dass dieses Format auch bei der weißen Bevölkerung gut ankommt, ist zu jener Zeit noch nicht selbstverständlich. Den Familienvater Dr. Heathcliff Huxtable gibt Schauspieler Bill Cosby, nach dem die Sendung auch benannt ist. (Heute ist Cosby weltweit und zurecht in Ungnade gefallen, weil er wegen dreifachen sexuellen Missbrauchs zu mehreren Jahren Haft verurteilt wird. Aber das ist eine andere, unschöne Geschichte.)

Wer ist Alicia Cook?

Diese kleine Alicia Cook, die da einen Gast der Übernachtungsparty der kleinsten Huxtable-Tochter Rudy spielt, lernen wir Jahrzehnte später unter einem anderen Namen kennen: Alicia Keys. Mit dem Auftritt in der Show feiert sie sozusagen ihren Einstand im Showgeschäft. Hier könnt ihr euch den Ausschnitt mit ihr angucken:

In einem späteren Interview mit der Teleschau erzählt Keys: „Ich erinnere mich vor allem daran, dass es ein wahnsinnig langer Tag war. Bis das alles abgedreht war, war es später Abend – und ich und die anderen Kinder waren so müde, dass wir irgendwann einfach auf dem Sofa eingeschlafen sind. Aber ich erinnere mich auch daran, dass es extrem witzig war. Bill Cosby war super. Und hey, immerhin habe ich beim Reite-Spiel auf seinem Knie gewonnen.“

Nur der Anfang

Gewinnen wird Keys nachher noch so einiges, nämlich mehr als 150 Auszeichnungen und 14 Platinschallplatten (allein in den USA). Mit Alben wie Songs In A Minor (2001), The Diary Of Alicia Keys (2003), As I Am (2007) und The Element Of Freedom (2009) räumt sie in den 2000er Jahren wirklich alles ab. Wer hätte 1985 gedacht, dass aus der kleinen Alicia Cook einer der größten Popstars des 21. Jahrhunderts wird?

Zeitsprung: Am 7.9.1984 sind die Jacksons auf Tour und Janet brennt durch.

 

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Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.

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Alice Cooper Easy Action Cover

"Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.

von Bolle Selke und Christof Leim

Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.

Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:

Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.

Psychedelische Scheißmusik

1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.

Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.

Unisex, roh und gewalttätig

Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.

Easy, Action!

Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“

Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…

Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.

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