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Popkultur

Zeitsprung: Am 1.4.1984 wird Marvin Gaye erschossen – von seinem Vater.

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Marvin Gaye
Foto: Motown/EMI-Hayes Archives

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.1984.

von Andrea Leim und Christof Leim  

„Vater, es muss zwischen uns nicht eskalieren. Krieg ist nicht die Antwort, nur Liebe kann Hass überwinden“. Dass Marvin Gaye diese Zeilen aus What’s Going On 1971 an seinen eigenen Vater richtet, lässt sich nur vermuten. Sicher ist aber, dass genau der ihn 13 Jahre später, am 1. April 1984 nach einem Streit erschießt.

Hört hier in What’s Going On rein:

Zu Beginn der Achtziger muss Marvin Gaye sein Leben, seine Sucht und seinen Ärger mit dem Finanzamt in den Griff bekommen. Dazu lebt der Soulsänger ein paar Jahre im belgischen Ostende, im November 1982 kehrt er in die USA zurück. Er will sein neues Album Midnight Love unter die Leute bringen und geht dafür im April 1983 auf die Sexual-Healing-Tour, benannt nach der ersten Single-Auskopplung. Freunde und Vertraute raten ihm allerdings davon ab, weil sie sich Sorgen um den psychisch angeschlagenen Künstler machen.

Zu Recht: Gaye greift wieder zum Kokain und fällt diesmal noch tiefer als zuvor. Er entwickelt zum Beispiel so starke Paranoia, dass er nur noch mit schusssicherer Weste und mehreren Bodyguards vor die Tür geht. Aus Angst schenkt er seinem Vater Marvin Gaye Sr. an Weihnachten eine Smith & Wesson-Pistole, damit der die Mutter und den Sohn zur Not verteidigen kann. Ein furchtbarer Fehler.

Kurz nach dem Ende der Tour im August 1983 zieht Marvin Gaye wieder bei seinen Eltern in Los Angeles ein. Eine schwierige Konstellation, denn der Musiker war 1957 mit gerade mal 18 Jahren vor seinem gewalttätigen Vater zum Militär geflüchtet. Jahrelang soll der Priester einer konservativen Sekte seine Kinder regelmäßig geschlagen haben. Nun also leben beide Männer wieder unter einem Dach – und natürlich kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Mehrfach soll der Junior mit Selbstmord drohen, mehrfach der Vater damit, seinen Sohn zu töten, wenn der jemals die Hand gegen ihn erhebt.

Bewusste Provokation?

Der 1. April 1984 ist dieser fatale Tag. Bei einem Streit seiner Eltern geht Marvin Gaye dazwischen, will seine Mutter verteidigen und greift den Vater an. Er soll ihn – laut Aussage von Alberta Gaye – geschlagen und dann den am Boden Liegenden getreten haben. „Ich habe Marvin angeschrien, dass er aufhören soll, aber er hat mich gar nicht beachtet. Er hat meinen Mann noch mehrfach hart getreten.“ Als der Sohn vom Vater ablässt, rappelt der sich auf, geht ins Schlafzimmer und greift nach der Waffe, die unter seinem Kopfkissen liegt. Marvin folgt ihm und steht dem Senior gegenüber, als der abdrückt. Mutter Alberta sieht alles mit an: „Mein Mann sagte kein Wort, sondern richtete die Waffe auf Marvin. Ich schrie, doch alles ging ganz schnell. Er, mein Mann, drückte ab, und Marvin schrie auf. Ich versuchte mich zu verstecken, Marvin sank zu Boden.“ Dann geht der Vater, erneut laut Aussage der Mutter, auf seinen Sohn zu und zielt noch einmal aus nächster Nähe auf ihn. Ein Geschoss trifft die Schulter, die tödliche Kugel durchschlägt den rechten Lungenflügel, das Herz, die Leber, den Bauch und die linke Niere, bevor sie in der Hüfte steckenbleibt.

Die Mutter rennt schreiend und in Todesangst aus dem Haus, wo sie von ihrem anderen Sohn Frankie abgefangen wird, der in einem Gästehaus auf dem gleichen Grundstück lebt. Sie erzählt, was passiert ist, er rennt zum Tatort. Dort findet er seinen Bruder stark blutend auf dem Boden und nimmt dessen Kopf in seinen Arm. Laut Frankie soll Marvin noch ein paar letzte Worte gesagt haben: „Ich habe bekommen, was ich wollte. Ich konnte es nicht allein, also habe ich ihn dazu gebracht, es zu tun. Jetzt ist es gut. Ich bin mein Rennen gelaufen, ich habe keine Kraft mehr.“

Diese Aussage ist einer der Gründe, warum Teile der Familie des Musikers davon ausgehen, dass er die Schüsse des Vaters bewusst provoziert hat. Nur vier Tage vor dem tödlichen Streit soll der Sänger versucht haben, sich umzubringen. Seine Schwester Jeanne erklärte, dass er aus einem rasenden Sportwagen gesprungen sei, aber nur Kratzer davon getragen hatte. „Mein Bruder wusste, was er tat. Er half meiner Mutter, ihren Mann endlich loszuwerden, und bestrafte meinen Vater, indem er sicher stellte, dass dessen Leben fortan schrecklich sein würde“, wird die Schwerster nach Gayes Tod zitiert.

Letzte Ehre von Smokey Robinson und Stevie Wonder

Gaye Sr. kommt vor Gericht und erklärt nach der Urteilsverkündung noch auf der Anklagebank unter Tränen: „Wenn ich ihn zurückholen könnte, würde ich es tun. Ich hatte Angst vor ihm, ich dachte, er würde mich verletzen und wusste nicht, was er vorhat. Es tut mir alles so leid. Ich habe ihn geliebt und wünschte, er könnte jetzt durch die Tür kommen. Jetzt muss ich damit leben.“ Der Richter verurteilt den 70-Jährigen wegen Totschlags zu sechs Jahren mit Haftverschonung und fünf Jahren Bewährungsstrafe. Seine Milde begründet er unter anderem damit, dass die Ermittlungen zu dem Schluss kommen, dass der Sohn die Schüsse absichtlich provoziert habe und der Vater nichts dafür konnte – also entsprechend der Vermutung von Marvin Gayes Geschwistern. Noch während seiner Untersuchungshaft lässt sich Alberta Gaye nach 49 Jahren Ehe von ihrem Mann scheiden, der 1998 in einem Pflegeheim stirbt.

Mehr als 10.000 Menschen kommen am 5. April 1984 zur Trauerfeier auf dem Forest-Lawn-Friedhof in Los Angeles. Die Grabreden halten Sängerkollegen wie Smokey Robinson und Stevie Wonder. Gaye liegt in einem offenen Sarg und trägt eine gold-weiße Militäruniform, wie er sie während seiner letzten Konzertreise auf der Bühne trug. Einen Tag nach den tödlichen Schüssen, am 2. April 1984, wäre Marvin Gaye 45 Jahre alt geworden.

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Zeitsprung: Am 12.1.1959 gründet Berry Gordy die legendäre Hitschmiede Motown Records.

 

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