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Popkultur

Irisches Rock-Märchen: Vor 30 Jahren erscheint das verwunschene Debüt der Cranberries

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The Cranberries
Foto: Donna Santis/Getty Images

Am 1. März 1993 veröffentlichen The Cranberries ihr erstes Album Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We? Es wird dem Hype um die junge Band gerecht und startet eine der erfolgreichsten Rock-Karrieren aus Irland.

von Björn Springorum

Ein träger Sonntagnachmittag irgendwann Mitte 1990 in Irland. In den Xeric Studios in Limerick warten die Brüder Noel und Mike Hogan mit Fergal Lawler auf das Eintreffen von Dolores O’Riordan. Kurz zuvor haben sie sich von ihrem Sänger Niall Quinn getrennt und in einer Anzeige nach weiblichem Ersatz gesucht. Der kommt gerade auf dem Fahrrad angefahren: Die damals 18-jährige O’Riordan hat sich auf die Anzeige gemeldet und sich in einem pinken Jogginganzug und mit einem kaputten Casio-Keyboard unter dem Arm auf dem Weg zur Audition gemacht.

Hier könnt ihr euch Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We? anhören:

Sinéad O’Connor besorgt ihr den Job

Nicht gerade der Stoff, aus dem glamouröse Rock-Mythen sind. Und doch so passend für eine Band wie The Cranberries, die nie zu einer bestimmten Szene gehörte oder nervös Trends befolgte. Ganz einfach ist es für die ruhige Sängerin, die zuvor noch nie in einer Rock-Band gesungen hat und eher geistliche Lieder singt oder Akkordeon spielt, nicht. „Ich kam rein und Mike mochte mich nicht“, erinnerte sie sich einige Jahre später. „Er war damals gerade in dem Alter, in dem er Leute nicht mochte, wenn sie nicht cool aussahen. Ich fand ihn scheußlich, weil ich damals noch nicht kapierte, dass er die Leute nur auf den Arm nahm.“

O’Riordan singt dennoch vor. Einen Song von Sinéad O’Connor (Troy), was sie nicht besser hätte wählen können. Band und Sängerin merken schnell, dass da etwas Besonderes im Raum schwebt. cPlötzlich war egal, wie wir aussahen. Wir spürten, dass da eine Menge Talent vorhanden war“, sagt sie später. Die Band, komplett baff über das, was da gesanglich aus dieser kleinen, stillen, schüchternen Person herauskommt, schickt alle anderen Bewerber nach Hause, Noel Hoglan und O’Riordan fangen praktisch sofort an, an den ersten bereits komponierten Songs zu arbeiten. Nur eine Woche später trägt sie eine frühe erste Version von Linger vor, diesem unsterblichen, bittersüßen, herzzerreißend schönen Song.

Mit dem Rücken zum Publikum

Man kann es auch kurz machen: Es klickt zwischen Hoglan und O’Riordan. Schon bald bekommt Großbritannien Wind von dieser Band, die damals noch den seltsamen Namen The Cranberry Saw Us trägt und eben nicht klingen will wie ein U2-Klon, von denen es damals unzählige gibt. Eher schon möchte man so sein wie Echo & The Bunnymen, wie The Cure. Der erste Auftritt mit ihrer neuen Sängerin findet im Juli 1990 im Keller eines Hotels in Limerick statt, bald darauf erscheint eine erste EP. Vor Ende des Jahres entbrennt ein regelrechtes Ringen um die Band, fast jedes Major will sie unter Vertrag nehmen. The Cranberries surfen weiter auf der immer steileren Welle des Hypes, spielen am 18. April 1991 ihre wahrscheinlich wichtigste Show in Limerick, deren Publikum reichlich mit findigen Menschen aus der Industrie bestückt ist.

Zu diesem Zeitpunkt haben alle Bandmitglieder bereits ihre Jobs gekündigt, Dolores O’Riordan die Schule. Sie gehen all in, doch die Dinge passieren nur langsam. Geld kommt nur wenig rein, sie fahren in einem klapprigen Van kreuz und quer durch Irland und Großbritannien, schlafen bei irgendwelchen Menschen auf dem Boden. Diese Feuertaufe führt jedoch dazu, dass sie ihre Schüchternheit ablegt. Wo sie bei frühen Konzerten sprichwörtlich mit dem Rücken zum Publikum singt und auch der Rest der Band schön auf seine Füße schaut, ist sie plötzlich wie ausgewechselt.

25 Dollar Gage pro Tag

Das einzige Problem ist jetzt noch ihr alter Manager Pearse Gilmore. Der schafft es fast, sie auseinanderzubringen, bevor es richtig losgeht. Er zahlt jedem Bandmitglied irgendwann nur noch 25 US-Dollar am Tag, pfuscht an bereits aufgenommenen Songs herum, bis ihn die Cranberries im Januar 1992 vor die Tür setzen. Kurz davor, am 9. Dezember 1991, wären sie eigentlich noch als Support für Nirvana in Belfast aufgetreten, doch Nirvana sagen die Shows wegen Kurt Cobains Gesundheitszustand ab.

Egal, jetzt kann die Band nichts mehr halten: Mit neuem Manager und Smith-Produzenten Stephen Street nehmen sie 1992 endlich ihr Debüt fertig auf. Im September 1992 erscheint die erste Single Dreams, im Februar 1993 die zweite Auskopplung Linger. Entgegen der hohen Erwartungen (mal ganz abgesehen von der Klasse der Songs) können die Singles kaum was reißen. Dann gehen die Cranberries mit Suede auf Tour – und plötzlich ändert sich alles. MTV entdeckt die junge Band, spielt ihre Videos rauf und runter. Ab der Hälfte der Tour sind dann plötzlich The Cranberries der Headliner und Suede supporten. Das Ding geht endlich so durch die Decke, wie das Experten schon lange prophezeiten.

Irlands neue Superstars

Der Erfolg von Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We? ist dann nur noch Makulatur. Über sieben Millionen Mal verkauft sich diese besondere, wunderbare Album, dessen Mischung aus Alternative Rock, Dream Pop und Post Punk eine Lücke füllt, von der man damals nicht mal wusste, dass es sie überhaupt gibt. Mit O’Riordans jenseitiger, starker, durchdringender Stimme und diesem Gespür für große, melancholische Rock-Songs nehmen die Cranberries die Überholspur und spielen schon 1994 vor durchschnittlich 12.000 Fans in den USA. Dann kommt der September 1994. Dann kommt Zombie. Und die Cranberries werden endgültig zu einer der größten Rock-Bands der Geschichte.

Die Geschichte endet tragisch: Am 15. Januar 2018 ertrinkt Dolores O’Riordan in einer Bandwanne in ihrem Londoner Hotel, ausgelöst durch eine Alkoholvergiftung – 28 Jahre nach ihrer schicksalhaften Fahrradfahrt im pinken Trainingsanzug.

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