Popkultur
35 Jahre „The Joshua Tree“: U2 verfallen dem maroden Mythos Amerika
1987 suchen U2 nach Liebe und Spiritualität. Sie finden sie in der Weite des mythischen Amerika – und verewigen diese Odyssee auf The Joshua Tree, dem monumentalen Album, das sie von Helden zu Superstars macht.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr The Joshua Tree von U2 anhören:
Amerika kriegt sie alle. Die frühen Weltentdecker*innen, die Menschen auf den Treks gen Westen, die Künstler*innen und Sinnsuchenden: Früher oder später verfallen sie alle dem Mythos USA. Der epochalen Weite, den schnurgerade in die Unendlichkeit führenden Landstraßen, den mächtigen Bergen der Rocky Mountains und der transzendenten Magie der Wüste. Wenige haben die morbide Magie und die Anziehungskraft dieses Kontinents besser für ihre Sache genutzt als U2. 1987 veröffentlichen sie mit The Joshua Tree ihr fünftes, von Amerika durchdrungenes Album. Und schießen sich damit vom Status einer erfolgreichen und anerkannten Band in den höchsten Thronsaal der Rockmusik. Dies ist die Geschichte eines der besten und erfolgreichsten Alben aller Zeiten.
In der ersten Hälfte der Achtziger werden U2 von ein paar irischen Youngstern mit guten Ideen zu einer anerkannten Macht der Rockmusik. Mit Sunday Bloody Sunday haben sie einen ordentlichen Hit in der Hinterhand, ihr Auftritt bei Live Aid trägt den Namen U2 erstmals in Millionen von Haushalten. Es soll dennoch nur ein schwacher Vorgeschmack auf das sein, was 1987 auf die Band zurollt wie eine Flutwelle.
Schroffe Poesie und mythische Grandezza
Nach ihrer Tour zum eher ruhigen, experimentellen, bewusst unfokussierten Album The Unforgettable Fire (110 Shows zwischen August 1984 und Juli 1985) macht sich die Band langsam wieder an die Arbeiten zu einem Nachfolger. Noch weiß niemand in Dublin, was bevorsteht, doch Leadsänger Bono hat einen klaren Plan: Er will ein Album, das seine Liebe und Faszination zu den Vereinigten Staaten in große, mythische, spirituelle Rocksongs hüllt. Seit Anfang der Achtziger verbringt seine Band mehrere Monate pro Jahr on the road in den USA, längst sind Bono und seine Band der popkulturellen Romantik, der schroffen Poesie und der mythischen Grandezza des riesigen Landes verfallen.
Der geplatzte Traum
Bono geht es aber eben nicht um den American Dream. Von dem ist in den Achtzigern herzlich wenig übrig geblieben. Eher geht es ihm um die Menschen, die diesem Ideal immer noch hinterherjagen, um die Vergessenen, die Verlorenen, die, die immer Tellerwäscher geblieben sind. Ein Aufenthalt in Afrika öffnet ihm die Augen, zeigt ihm die Dekadenz der westlichen Welt. Die innere Wüste als Sinnbild einer spirituellen Leere lässt ihn nicht mehr los. Gekoppelt an die tatsächliche Wüste in den Vereinigten Staaten, die auch das Titelmotiv bestimmt, und fertig ist das Konzept eines der größten Rockalben des 20. Jahrhunderts.
Bono nimmt Nachhilfe
Überhaupt ist es für Bono eine Zeit des Augenöffnens. In New York jammt er mit Mick Jagger und Keith Richards und bemerkt ihre Affinität zu Blues-, Roots- und Gospelmusik. Gespräche mit Bob Dylan und Van Morrison bekräftigen ihn in seiner ernüchternden Feststellung: Bono hat einen Punk-Background, aber abgesehen davon keinerlei Ahnung von Musikgeschichte. Erstmals stellt er bitter fest, dass U2 „keine Tradition“ habe, wie er sagt, und eher so klänge als wären sie „aus dem Weltall“. Er nimmt Nachhilfe bei den ganz großen, taucht ein in irische Folklore, in amerikanischen Blues und in den Nukleus all dessen, aus dem schließlich auch Punk entstehen würde. The Joshua Tree – das Album, das Bono vom Ignoranten zum Musikliebhaber machen wird.
Der Geist von Hank Williams
Entsprechend möchte Bono auch den Sound seiner Band amerikanischer (lies: größer, härter, epischer) gestalten. Seinem Gitarristen The Edge, der ewige Frickler und Klangalchemist, würde aber lieber die Ambient-lastige Schlagseite des Vorgängers ausbauen. Damals gibt es hitzige Diskussionen, heute wissen wir natürlich, wer sich letztlich durchgesetzt hat. Allerdings ist es nicht Bono allein, sondern eher Bono mit der musikalischen Unterstützung von Country-Ikonen wie Hank Williams oder Howlin‘ Wolf, die dann sogar auf The Edge ordentlich Eindruck geschunden haben.
Musste man also nur noch ein Album aus all dem machen. Sozusagen. Ein volles Jahr widmen sich U2 den Aufnahmen für The Joshua Tree, arbeiten wieder mit dem Produzententeam Brian Eno und Daniel Lanois und lassen sich erstmals von Mark „Flood“ Ellis dabei unterstützen, durch den sie für seine Arbeiten mit Nick Cave aufmerksam werden. Das feudale Danesmoate House nahe Dublin wird die kreative Heimat der Band, die sich vollkommen in den Arbeiten verliert und mehrere Deadlines reißt.
In die Schatten mit Joan Baez
Vielleicht aber auch Glücksache: Mehrfach unterbrechen U2 ihre Aufnahmen, um Benefizkonzerte zu geben, so auch auf der Tour A Conspiracy Of Hope, die sie im Sommer 1986 an der Seite von unter anderem Joan Baez durch die Vereinigten Staaten führt. Sie mag die Arbeiten um zwei Monate verlängern; doch sehr wahrscheinlich ist es diese Reise durch die Schattenseiten der USA, Seite an Seite mit der Protestikone Baez, die dem Album seinen letzten desillusionierenden Schliff gibt.
Am 15. Januar 1987 ist The Joshua Tree endlich im Kasten – als einfaches Album und nicht, wie anfangs mal gedacht, als Doppelalbum. Schon wenige Wochen später, am 9. März 1987, wird es veröffentlicht. Doch die zehrende Arbeit im Studio hat sich gelohnt: U2s Fünfte wird zum am schnellsten verkauften Album aller Zeiten in Großbritannien und zählt mit über 25 Millionen abgesetzten Einheiten zu den erfolgreichsten Platten aller Zeiten.
Ist aber auch schwer, sich etwas anderes vorzustellen: Die ersten drei Songs der Platte heißen Where The Streets Have No Name (inklusive legendärem Rooftop-Video in Los Angeles), I Still Haven‘t Found What I‘m Looking For und With Or Without You. Das muss man der Band erst mal nachmachen. Inspiriert von Bruce Springsteen, Bob Dylan und den Größen der US-amerikanischen Roots-Musik erfinden sich U2 im Herzen der Wüste neu. Ihre spirituelle Sinnsuche in der Endlosigkeit der Vereinigten Staaten konterkariert in den Texten mit einem Panoptikum an abgehängten Figuren der Ronald-Reagan-Ära, bei Bullet The Blue Sky besingt Bono die kriegstreiberischen Absichten der US-Regierung, während die Gitarren das Geräusch von Kampffliegern nachahmen.
Die Schönheit der Wüste
„Ich liebe Amerika“, sagte Bono 1987, „doch auf diesem Album musste ich neben meiner Liebe für die Weite, die Wüsten und Berghänge auch mein Problem mit dem politischen Amerika und seinen Auswirkungen auf die Welt thematisieren.“ Daher auch der anfängliche Arbeitstitel des Albums, Two Americas. A Tale Of Two Cities von Charles Dickens lässt grüßen.
Von der Josua-Palmlilie auf dem Cover über die Corbijn-Fotos von Zabriskie Point in der Wüste bis hin zur intensiven, träumerischen, gewaltigen Musik: The Joshua Tree steht auch 35 Jahre später als unerschütterliches Monument der Rockmusik. Und auch wenn die Iren mit Achtung Baby wenige Jahre später gleich den nächsten Klassiker vorlegen: So gut wie auf The Joshua Tree sind sie danach nicht mehr.
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„Achtung Baby“: Wie sich U2 mit ihrem siebten Album neu erfanden

Popkultur
Als Led Zeppelin facettenreicher wurden: „Houses Of The Holy“
Vier durchnummerierte Platten brauchten Led Zeppelin, um die Spitze des Rockolymp zu erklimmen. Auf ihrer fünften Veröffentlichung Houses Of The Holy schlugen die Briten experimentierfreudigere Pfade ein — mit großem Erfolg. Den Titeltrack mussten sie allerdings auf das nächste Album verschieben.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Houses Of The Holy von Led Zeppelin anhören:
Pause? Für Led Zeppelin ist das zu Beginn ihrer Karriere ein Fremdwort. In gerade einmal drei Jahren veröffentlichen die Briten vier legendäre Alben, touren mehrfach um den Globus und spielen weltweit vor ausverkauften Häusern. Großbritannien, Nordamerika, Japan, Australien — und wieder von vorn. Ein wenig zur Ruhe kommen Led Zeppelin erst 1972, als sie mit der Aufnahme ihres fünften Albums Houses Of The Holy beginnen. Die Gruppe schlägt darauf experimentellere Wege ein und setzt auf aufwändige Arrangements und neue Einflüsse statt auf schnodderigen Hardrock-Sound. Doch wie genau kam es zu dieser Typveränderung — und hatten auch die Fans Freude an den neuen Led Zeppelin?
Houses Of The Holy: Ein Album unter anderen Umständen
Anfang der Siebziger ist das Bankkonto von Led Zeppelin bereits gut gefüllt — so gut, dass sich Gitarrist Jimmy Page und Bassist John Paul Jones ihre eigenen Heimstudios einrichten. Zum ersten Mal können die beiden Musiker ihre Ideen in aller Ruhe aufnehmen, noch einmal hören, bearbeiten und ergänzen. Dadurch werden die Songs ausgeklügelter als sonst — weg vom Bluesrock, hin zum AOR, wenn man so möchte. Als Led Zeppelin mit den offiziellen Aufnahmen von Houses Of The Holy beginnen, sind die vier Musiker deutlich besser vorbereitet als bei ihren vorherigen vier Alben. Zu gut, wie es scheint, denn die Band spielt mehr Songs ein als auf die Platte passen.
Während der Sessions zu Houses Of The Holy sammeln Led Zeppelin so viel Material, dass sie ein paar ihrer neuen Kompositionen für später aufbewahren müssen. Das betrifft zum Beispiel den Song Walter’s Walk, der erst 1982 auf der Zusammenstellung Coda erscheint. The Rover und Black Country Woman packen die Briten auf ihr sechstes Album Physical Graffiti (1975). Besonders kurios: Sogar den Titeltrack verschieben Led Zeppelin auf später, sodass der Song Houses Of The Holy nun nicht auf dem Album Houses Of The Holy zu finden ist, sondern ebenfalls auf dem Nachfolger Physical Graffiti. Trotzdem klingt Houses Of The Holy stimmig — auch wenn „Led Zep“ darauf einige Experimente wagen.
Da wäre zum Beispiel die Funk-lastige Nummer The Crunge, die man den Briten vorher wohl nicht unbedingt zugetraut hätte. Auch das Reggae-beeinflusste Stück D’yer Mak’er klingt nicht wie ein typischer Led-Zeppelin-Song. Genau das war das Ziel, wie Gitarrist Jimmy Page in dem Buch Light & Shade: Conversations With Jimmy Page erklärt: „Auch wenn alle ein zweites Led Zeppelin IV wollten: Es ist sehr gefährlich, sich selbst zu kopieren. Ich werde keine Namen nennen, aber jeder kennt Bands, die sich ewig wiederholen. Nach vier oder fünf Alben sind sie ausgebrannt. Bei uns hingegen wusste man nie, was als nächstes kommt.“
Eine Tour der Superlative — und der anschließende Burnout
Das gilt auch für die Tour zu Houses Of The Holy, mit der Led Zeppelin einmal mehr neue Live-Show-Maßstäbe setzen. Laser, Discokugeln, aufwändige Outfits, Pyrotechnik: Die britischen Rocker lassen sich nicht lumpen und feuern auf ihrer insgesamt dreimonatigen Tour aus allen Rohren. 55 Konzerte geben Led Zeppelin, darunter auch in Nürnberg, München, West-Berlin, Hamburg, Essen und Offenburg. Überall feiert wird die Band gefeiert; später ist sogar die Rede davon, dass die Tour der technische Höhepunkt der Gruppe gewesen sein muss. Doch der Preis ist hoch: Nach der Konzertreise sind Led Zeppelin so fertig, dass sie eine fast zweijährige Pause einlegen.
Was die Verkaufszahlen und den Erfolg von Houses Of The Holy betrifft, geht die Platte im Vergleich zum direkten Vorgänger Led Zeppelin IV beinahe unter. „Nur“ elffaches Platin gelingt den Briten bis heute mit dem Album; bei Led Zeppelin IV ist es mehr als doppelt so viel und auch der Houses Of The Holy-Nachfolger Physical Graffiti kann insgesamt 16 US-Platinveredelungen abräumen. Dennoch: Led Zeppelin zeigen sich auf Houses Of The Holy von ihrer erwachsenen Seite und das kommt an. Drei Alben bringen die Briten anschließend noch raus, bis der Tod von Schlagzeuger John Bonham die Karriere der Gruppe im Jahr 1980 beendet. Doch das ist wieder einmal eine andere Geschichte.
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5 Dinge, die ihr über John Paul Jones von Led Zeppelin noch nicht wusstet
Popkultur
Zeitsprung: Am 28.3.1985 tritt Alicia Keys zum ersten Mal im TV auf. Sie ist 4.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.3.1985.
von Timon Menge und Christof Leim
Mehr als 150 Preise gewinnt Alicia Keys im Lauf ihrer Karriere, darunter 15 Grammys. Ihre Premiere im Showgeschäft feiert sie allerdings am 28. März 1985 in einer TV-Serie – mit vier Jahren.
Hier könnt ihr euch Here anhören:
Übernachtungsparty! Die kleine Tochter der Familie hat ihre Freunde und Freundinnen eingeladen, alle sind bestens gelaunt, vor allem als sie reihum mit dem Herrn Papa Rodeo spielen. Die Regeln: Wer sitzen bleibt, gewinnt. Ein Mädchen mit Lockenkopf kann sich trotz wildester Bewegungen halten und geht als Siegerin hervor. Vier Jahre alt ist die junge Schauspielerin in dieser Szene der Bill Cosby Show, ihr Name lautet Alicia Cook. Damals kennt sie niemand, heute schon…
In den Achtzigern kann man sich ein Fernsehprogramm ohne die Familie Huxtable kaum vorstellen. In acht Staffeln thematisiert die Sitcom das Leben einer afroamerikanischen Familie aus der Mittelschicht, die sich mit alltäglichen Situationen und Problemen auseinandersetzt. Dass dieses Format auch bei der weißen Bevölkerung gut ankommt, ist zu jener Zeit noch nicht selbstverständlich. Den Familienvater Dr. Heathcliff Huxtable gibt Schauspieler Bill Cosby, nach dem die Sendung auch benannt ist. (Heute ist Cosby weltweit und zurecht in Ungnade gefallen, weil er wegen dreifachen sexuellen Missbrauchs zu mehreren Jahren Haft verurteilt wird. Aber das ist eine andere, unschöne Geschichte.)
Wer ist Alicia Cook?
Diese kleine Alicia Cook, die da einen Gast der Übernachtungsparty der kleinsten Huxtable-Tochter Rudy spielt, lernen wir Jahrzehnte später unter einem anderen Namen kennen: Alicia Keys. Mit dem Auftritt in der Show feiert sie sozusagen ihren Einstand im Showgeschäft. Hier könnt ihr euch den Ausschnitt mit ihr angucken:
In einem späteren Interview mit der Teleschau erzählt Keys: „Ich erinnere mich vor allem daran, dass es ein wahnsinnig langer Tag war. Bis das alles abgedreht war, war es später Abend – und ich und die anderen Kinder waren so müde, dass wir irgendwann einfach auf dem Sofa eingeschlafen sind. Aber ich erinnere mich auch daran, dass es extrem witzig war. Bill Cosby war super. Und hey, immerhin habe ich beim Reite-Spiel auf seinem Knie gewonnen.“
Nur der Anfang
Gewinnen wird Keys nachher noch so einiges, nämlich mehr als 150 Auszeichnungen und 14 Platinschallplatten (allein in den USA). Mit Alben wie Songs In A Minor (2001), The Diary Of Alicia Keys (2003), As I Am (2007) und The Element Of Freedom (2009) räumt sie in den 2000er Jahren wirklich alles ab. Wer hätte 1985 gedacht, dass aus der kleinen Alicia Cook einer der größten Popstars des 21. Jahrhunderts wird?
Zeitsprung: Am 7.9.1984 sind die Jacksons auf Tour und Janet brennt durch.
Popkultur
Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.
von Bolle Selke und Christof Leim
Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.
Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:
Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.
Psychedelische Scheißmusik
1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.
Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.
Unisex, roh und gewalttätig
Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.
Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“
Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…
Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.
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