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Popkultur

45 Jahre „Motörhead“: Lemmys letzte Chance

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Motörhead
Foto: Fin Costello/Getty Images

Die Karriere von Motörhead ist eigentlich vorbei, bevor sie richtig beginnt. Vor 45 Jahren bekommen Lemmy, Eddie Clarke und Phil Taylor eine letzte Chance. Sie ergreifen sie, gehen all in – und wenden das Blatt.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Motörhead hören:

Motörhead haben einen rekordverdächtig schweren Start. Einen so schweren Start, um genau zu sein, dass die lange und glorreiche Karriere der Band aus heutiger Sicht wirkt wie ein einziges Wunder. Was heute als größte Rock’n’Roll-Band aller Zeiten mit dem größten Rock’n’Roll-Frontmann aller Zeiten verehrt wird, hat Mitte der Siebziger nur sehr geringe Überlebenschancen. Hätte man damals ganz London nach den Erfolgsaussichten dieser neuen Band namens Motörhead befragt, wäre die Antwort beinahe einstimmig ausgefallen: Aus diesen Assis wird nichts. Im NME können sie dann auch die fragwürdige Auszeichnung der „besten schlechtesten Band der Welt“ einheimsen. Nicht gerade rosige Aussichten.

„Schnell und gemein“

Dabei setzt Lemmy Kilmister alles dran, es noch mal zu schaffen. Nach seinem Rausschmiss bei Hawkwind (klar, wegen Drogen) gründet er eine neue Band. Seine Agenda: Er will „schnell und gemein wie MC5“ klingen, wie er man sagte. „Es geht um das Wesentliche: Laut, schnell, urban, schmutzig, arrogant, paranoid, Speedfreak Rockn’Roll… es wird so laut, dass dein Rasen vergehen wird, wenn wir neben dir einziehen.“ Nach ersten Gehversuchen mit Larry Wallis von den Pink Fairies und Drummer Lucas Fox probt und lärmt man 1975 in Chelsea, spielt im Oktober desselben Jahres auch eine Supportshow für Blue Öyster Cult. Von ihnen, so geht die Legende, leiht sich Lemmy auch die rock dots für seinen Bandnamen. Der, soweit dürfte die Story bekannt sein, bezeichnet einen Speed-Konsumenten, Lemmys Wahldroge der damaligen Zeit.

Schon bei ersten Aufnahmesessions fliegt Fox aus der Band und wird durch Lemmys Kumpel Phil Taylor ersetzt. Die Aufnahmen kommen nicht gut an, fast ein ganzes Album an Material wird einfach in die Abstellkammer verfrachtet und vergessen. Zu chaotisch, zu laut, zu hässlich. Eddie Clarke soll bald darauf eigentlich als zweiter Gitarrist den Sound verstärken, findet sich nach dem plötzlichen Abgang von Wallis aber plötzlich als Solitär an der Gitarre wieder. Tadaa, mehr durch Zufall als durch Planung ist das ikonische Motörhead-Trio komplett. Die Band fällt damals aber eher durch schlechte Presse und grandiose Unbeliebtheit auf – Motörhead, das unbeliebte Punk-Kid an der Schule.

Eine allerletzte Show

Bis April 1977 hat das Herumdümpeln so auf die Stimmung geschlagen, dass Taylor und Clarke aussteigen wollen, ehe auch nur irgendwas Nennenswertes passiert ist. Lemmy beschwört die beiden, wenigstens noch für einen Abschiedsgig im Londoner Marquee Club zu bleiben – eine der vielleicht schicksalhaftesten Entscheidungen in der Geschichte des Rock’n’Roll: Durch Lemmys Kontakte kommen sie bei der Show an einen zweitägigen kostenlosen Aufenthalt in den Escape Studios in Kent, um eine Single aufzunehmen. Produzent Speedy Keen weiß es zwar noch nicht, aber er wird an diesem Wochenende die größte Rock’n’Roll-Band des Planeten retten.

Anstatt einfach nur eine Single aufzunehmen, bolzen sich Motörhead an diesen zwei Tagen durch elf Songs und haben am Ende eines Wochenendes plötzlich ein Album in der Rohfassung. Noch ein wenig mehr Arbeit in den Olympic Studios, fertig ist Motörhead, ein rohes, gehetztes, fiebriges Debüt. Vielleicht sind Songs und Sound nicht auf dem Niveau späterer Werke wie Overkill oder Bomber; nie wieder würde man Motörhead aber diese Dringlichkeit anhören. Die Band spielt gegen die Uhr und um ihr Leben, gibt Blut, Schweiß und Tränen für ihre rotzigen, punkigen Rock-Orgien.

Riechst du das Bier?

Motörhead ist ein Album wie kein anderes. Im Vergleich klingen spätere Werke der Band poliert, regelrecht bombastisch. Diese körperliche Energie gibt es jedoch nur auf dem Debüt. Man kann Lemmys Bieratem und den Schweiß der Band förmlich riechen, man spürt die Hektik, die Eile, den Druck. Mit dem psychedelischen The Watcher enthält das Album zudem den vielleicht ungewöhnlichsten Motörhead-Song, mit Iron Horse/Born To Lose oder White Line Fever zudem absolute Klassiker.

Apropos Klassiker: Auf dem Cover des Albums röhrt uns das erste Mal Snaggletooth an, das von Joe Petagno kreierte, tollwütige Bandmaskottchen. Wie die Musik, wurde auch dieser adrette Kumpan von vielen als hässlich und abstoßend empfunden. Mehr noch: Von Petagno als naturally pissed-off bastard konzipiert und eindeutig an Lemmys Attitüde ausgerichtet, stößt Snaggletooth selbst beim Rest der Band auf wenig Begeisterung. „Mich überlief ein Schaudern, als ich das Maskottchen das erste Mal sah“, erinnerte sich Clarke mal. „Das war echt zu viel. […] Damals wurde so etwas einfach als schlechter Geschmack angesehen.“

Gilt auch für Motörhead: Das Album bleibt weitgehend erfolglos, 1978 steht die Band ein weiteres Mal kurz vor dem Ende. Irgendwie hält Lemmy den Kahn auf Kurs. Dann kommt 1979, dann kommen die Alben Overkill und Bomber. Und den Rest, den kennen wir alle.

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Zeitsprung: Ab 10.3.1979 rattert die Doublebass auf „Overkill“ von Motörhead.

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