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Popkultur

Zeitsprung: Am 30.8.1965 veröffentlicht Bob Dylan den Meilenstein „Highway 61 Revisited“.

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Bob Dylan Highway 61 Revisited Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.8.1965.

von Christian Böhm und Christof Leim

Der 30. August 1965 markiert eine Zäsur: Mit Highway 61 Revisited erscheint Bob Dylans sechstes Studioalbum. In den Jahren davor hat sich der Folksänger bereits einen Namen gemacht, mit The Times They Are A Changin’ und Blowin’ In The Wind erfolgreiche Songs in die Welt entlassen. Er ist mit Joan Baez getourt und nahm mit ihr am Marsch auf Washington teil, wodurch er Teil der Bürgerrechts- und bekanntes Gesicht der amerikanischen Folk-Bewegung wurde. Highway 61 Revisited zeigt ihn nun von seiner rockigeren Seite.

Hier kannst du dir Highway 61 Revisited anhören:

Damit setzt er die musikalische Entwicklung fort, die mit dem Vorgängeralbum Bringing It All Home (1965) begonnen hat und 1966 mit Blonde On Blonde weitergeht — und sie stößt nicht bei allen auf Begeisterung, erweist sich aber als Glücksgriff. Das Album wird eines seiner erfolgreichsten und enthält mit Like A Rolling Stone einen seiner bekanntesten Songs.

Highway 61: Die Straße 

In mehrerlei Hinsicht hat Dylan eine Beziehung zum Highway. Mitte 1965 kommt er gestresst von einer Tour nach Hause. Die Fahrerei über die Schnellstraßen der Welt und die vielen Konzerte haben ihn ausgelaugt. Zudem überschattet harsche Kritik den Erfolg der letzten Jahre, da die Hälfte der Songs des Albums Bringing It All Home mit der E-Gitarre eingespielt wurden. Das ist neu, doch die puritanischen Folk-Fans meinen, ihr Genre müsse akustisch und stromlos bleiben. All das kratzt so an Dylans Nervenkostüm, dass er zwischendurch sogar darüber nachdenkt, mit der Musik ganz aufzuhören. Doch dann besinnt er sich und schreibt ein Album, das fast ausschließlich mit elektrisch verstärktem Sound erscheint.

Joan Baez & Bob Dylan

Gesichter des Folks und des Folk-Rocks: Joan Baez und Bob Dylan (Foto: Rowland Scherman/National Archive/Newsmakers/Getty Images)

Der Highway 61 selbst ist legendär: Im Norden nahe Kanada beginnend, erstreckt er sich durch das Mississippi-Delta bis nach New Orleans im Süden der USA. Man nennt ihn auch den „Highway Of Blues“, denn zahlreiche bekannte Musiker und Musikerinnen haben in seiner Nähe gewirkt und viele Mythen genährt: Muddy Waters und Charley Patton wurden in seiner Nähe geboren, Elvis Presley arbeitete in den Sun Studios in Memphis am Rock’n’Roll, und Blueslegende Bessie Smith verunglückte tödlich auf ihm (deswegen kaufte ihr Janis Joplin Jahre später einen Grabstein). Robert Johnson soll auf einer Kreuzung gar seine Seele dem Teufel verkauft haben, um sein Gitarrenspiel zu verbessern. Ob Luzifer ihm den Namen „King of the Delta Blues“ gab, ist nicht bekannt, jedenfalls wurde Johnson so genannt. Viele musikalische Einflüsse Bob Dylans finden sich also auf dieser Straße, und auch seine Geburtsstadt Duluth liegt am Highway 61.

Highway 61: Das Album

Noch während seiner Tour durch England schreibt Dylan ein 20-seitiges Manuskript. Das Gedicht wird er später kürzen und zum ersten Track des neuen Albums machen: Like A Rolling Stone. Am 15. und 16. Juni 1965 nimmt er den Song gemeinsam mit Produzent Tom Wilson auf. Das Studio A seines Labels Columbia Records liegt in New York, dort arbeitet Dylan an weiteren Songs. Er unterbricht die Aufnahmen am 25. Juli für einen Auftritt beim Newport Folk Festival, wo eine inzwischen legendäre Geschichte passiert: Bei dem Teil des Sets, den er elektrifiziert mit der Paul Butterfield Band spielt, wird er von vielen Fans ausgebuht. Doch das bestärkt nur seine Überzeugung, diesen Weg weiter zu gehen. Vom 29 Juli bis 4. August spielt er den Rest des Albums ein — wieder im Studio A und erneut mit elektrischen Instrumenten. Nur der Produzent wird nun gewechselt: Bob Johnston begleitet die weiteren Aufnahmen.

Bob Dylan: Der Folk-Rocker

Dylan ist nicht mehr gewillt, ein reiner Folk-Musiker zu sein. Mit Tombstone Blues lässt er einen schnellen Rock-Song dem im mittleren Tempo gehaltenen Opener folgen. Mit It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry packt er einen langsamen Blues auf die Platte, während Tombstone Blues und das Titellied Highway 61 Revisited geradezu schneller Garagenrock sind. From a Buick 6 kommt dreckig daher und würde auch den Rolling Stones gut zu Gesicht stehen. Desolution Row beendet das Album. Das elf Minuten dauernde Stück kommt dem Folk noch am nächsten, ist aber —auch ohne Schlagzeug — durchaus Folk-Rock.

Bob Dylan

Bob Dylan mit elektrischer Gitarre (Foto: David Gahr/Getty Images)

Anders als Dylans erste Alben wird Highway 61 Revisited komplett mit Liveband eingespielt. Michael Bloomfield an der Gitarre und Al Kooper an Orgel und Klavier sind maßgeblich verantwortlich für den rockigen Sound, Bobby Gregg trommelt dazu das Fundament.

Die Texte: sehr skurril

Tombstone Blues könnte sozialkritisch verstanden werden. Im Refrain sucht ein Vater in den Gassen nach Geld, während die Mutter in der Fabrik ohne Schuhe arbeiten muss. „I’m in the kitchen with the tombstone blues“ — in der Küche sitzend über die Ungerechtigkeit des Lebens nachdenken, vielleicht ist das der Grabstein-Blues. Manche Menschen haben schon vor dem Tod nicht viele Chancen auf ein schönes Leben.

Über die Seltsamkeiten dieser Welt wundert sich ein gewisser Mr. Jones in Ballad Of A Thin Man. So kann er nicht damit umgehen, einen nackten Mann in einem Raum zu treffen:

Du versuchst es so sehr
Aber du verstehst nicht
Was wirst du sagen
Wenn du nach Hause kommst?

Weitere surreale Situationen folgen und am Ende wird gar empfohlen, den verwirrten Herrn nicht frei herumlaufen zu lassen.

Mögliche Lösungen bietet der Titelsong: Auf die Frage Abrahams etwa, wo er seinen Sohn töten solle, antwortet Gott: Auf dem Highway 61. Ein Bezug zur biblischen Genesis (aber auch Dylans Vater hieß Abraham und hatte den im Songtext verwendeten Spitznamen „Abe“). In der vierten Strophe wendet sich eine fünfte Tochter in der zwölften Nacht an den ersten Vater, weil sie zu blass sei. Die Lösung sei die zweite Mutter, die aber mit dem siebten Sohn auf dem Highway 61 sei. Schräg? Ja. Und weiter geht die Reise mit König Ludwig, der Mack the Finger rät, seine blau-weißen Schnürsenkel und die 1000 nicht klingelnden Telefone auf dem Highway zu entsorgen. Und zwischendurch ertönt immer wieder eine obskure Sirene, die die seltsamen Geschichten der Landstraße voreinander hertreibt.

Etwas konkreter geht es bei Desolation Row zu. Allerdings nur bedingt. Der finale Song ist eines der längsten Lieder, die Dylan je schrieben hat. Er könnte sich auf die grausamen rassistischen Lynchmorde von Duluth beziehen, von denen sein Vater ihm berichtete. Doch dann tauchen weitere historische und fiktive Figuren auf: Kain und Abel, Cinderella, Albert Einstein, Quasimodo und der Glöckner von Notre-Dame. Ganz so einfach macht es der Künstler es seinem Publikum dann doch nicht, er lässt es im Unklaren. Klar ist jedoch, dass das Rolling Stone-Magazin das Lied später zu dem vierten der 500 besten Songs aller Zeiten kürt (neben Like A Rolling Stone, der es auch auf diese Liste schafft).

Der Erfolg: sehr groß

Nach der Veröffentlichung klettert das Album geradewegs auf Rang drei der Billboard Charts und auf Nummer vier in Großbritannien. Es verkauft sich gut und gilt gemeinhin als sein bestes, wenn nicht gar als eines der besten Alben überhaupt. Auch hier meldet sich der Rolling Stone zu Wort und setzt es auf Platz vier der „500 großartigsten Alben aller Zeiten.“ 2010 meint Robert Dimery, es sein eines der “1001 Albums You Must Hear Before You Die.” In jedem Fall hat Bob Dylan sich gegen die Puristerei durchgesetzt, seine Hörerschaft vergrößert und mit der Mischung aus Blues, Folk und Rock’n’Roll das Genre des Folk-Rock mitbegründet. Konsequenterweise verdoppelt er die Dosis danach, indem er 1966 mit Blonde On Blonde das erste Doppelalbum der Rockmusik folgen lässt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zeitsprung: Am 15.6.1965 nimmt Bob Dylan „Like a Rolling Stone“ auf. Gefällt nicht allen.

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