Popkultur
Die musikalische DNA von Elton John
Reginald Kenneth Dwight, das ist doch kein Name für einen Popstar! Bei Elton John aber denken wir an ausgefallene Brillen, viele Federn und die schönsten Songs der Welt. Elton John ist seit fast einem halben Jahrhundert eine Konstante in einem unsteten Business, ein Popstar ohne viele Skandale und dafür mit viel Einfühlungsvermögen. Wer fühlt sich denn bei den Worten “My gift is my song and this one’s for you“ nicht angesprochen? Wer kann Candle In The Wind hören, ohne dass sich dabei die Armbehaarung stramm zieht? Elton John hat seit Beginn seiner Karriere die seltene Fähigkeit an den Tag gelegt, große Emotionen in noch größere Melodien zu verpacken und blieb seiner Exzentrik zum Trotz doch immer ein nahbarer Künstler, der uns nach wie vor in unserem Leben begleitet.
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Ein leichtes Leben hatte Reginald Kenneth Dwight indes nicht immer. Schon früh in seiner Karriere schien er fast über seinem Ruhm zu zerbrechen, die Presse verfolgte ihn geradezu wegen seiner Homosexualität und der sozial engagierte Künstler musste sich im Laufe der Zeit von immer mehr geliebten Menschen verabschieden, ob nun Freddie Mercury oder Lady Diana, welcher er die vielleicht schönste musikalische Ehrerbietung der Pop-Geschichte widmete. Das aber wird mit Blick auf Johns umfassendes Schaffen deutlich: Jeder Schicksalsschlag kann auch immer die Grundlage für überragende Kunst sein. Zwischen klassischen Klavierkompositionen, fetzigem Rock und zeitgemäßen Pop zieht John nach wie vor alle Register und der Erfolg gibt ihm Recht. Seine Songs sind unsterblich und sogar seine Soundtrack-Arbeiten wie zu König der Löwen sind aus dem kulturellen Gedächtnis nicht mehr wegzudenken. Höchste Zeit, einen Blick auf seine eigenen Einflüsse zu werfen. Wie klingt wohl die musikalische DNA von Elton John? Na, so vielseitig wie er selbst natürlich!
1. Elvis Presley – Heartbreak Hotel
Mehr noch als andere Stars ist Elton John immer auch Fan geblieben. Über seine Karriere hinweg zeigte er sich stets offen für und begeistert von neuen Sounds, die er selbst in seine Musik integrierte, wenn er nicht gerade hoffnungsvollen Talenten Schützenhilfe leistete. Angefangen hat alles in einem musikalisch interessierten Elternhaus: Die Dwights deckten sich regelmäßig mit Platten ein, die auch den jungen Reginald faszinierten. Seine liebste aber? „Oh mein Gott, das ist eine schwierige Frage“, stöhnte er 2011 in einem Interview, als der Interviewer von ihm wissen wollte, welche Platte denn für ihn die beste aller Zeiten sei. „Die Platte, die dem am nächsten kommt und die mein Leben auf immer verändert hat, ist wohl Heartbreak Hotel“, antwortete er. „Es hat eine völlig neue Welt eröffnet und war revolutionär in einer Art und Weise, mit der wir uns noch immer auseinandersetzen. Die 78er, die meine Mutter an diesem Tag aus dem Plattenladen mitbrachte, war wirklich unglaublich.“ Starke Worte, aber wer würde angesichts der Wichtigkeit eines Elvis Presley ernsthaft widersprechen? So wissen wir zumindest, woher das Rock-Interesse des kleinen Reginald her rührte.
2. Georg Friedrich Händel – Harpsichord Suite No. 1 in A Major, HWV. 426: II. Allemande
Noch früher allerdings setzte das Ehepaar Dwight den Filius ans Klavier: Mit stolzen drei Jahren begann er, die ersten Kniffe am Piano zu lernen und konnte schon innerhalb eines Jahres ein Stück von Winifred Atwell rein nach dem Gehör nachspielen. Ein Mythos? Vielleicht, aber nicht der einzige dieser Art: Mit elf Jahren gewann er ein Junior-Stipendium für die Royal Academy of Music und überzeugte seinen Lehrer dort mit einer exakten Interpretation einer Komposition Georg Friedrich Händels, die er kurz zuvor gehört hatte. Absolutes Gehör, phonografisches Gedächtnis – noch was? Die Ambitionen zumindest legte der kleine Reginald angeblich nicht an den Tag: „Ich habe es gehasst, zur Academy zu gehen“, gab er einst zu Protokoll und gestand, seine Zeit lieber im U-Bahnnetz Londons verbracht zu haben als im Klassenzimmer. Die rebellische Attitüde mag er sich vielleicht aber selbst angedichtet haben: Laut seinen Lehrern war Elton John ein überdurchschnittlicher Schüler, der sogar neben der Ausbildung im Konservatorium Extrastunden bei einem Klavierlehrer nahm! Also doch ein Streber, wie? Immerhin einer, der schon früh Jerry Lee Lewis nachahmte – so viel Revolution muss sein!
3. Ray Charles – Ain’t That Love
Die gute Ausbildung allerdings war noch lange nicht alles, der junge Pianist musste sich schon noch einen Namen machen. Als Reggie – die etwas coolere Version seines Vornamens! – trat der damals Fünfzehnjährige regelmäßig in einem lokalen Pub auf, wo er neben frühen Eigenkompositionen auch Klassiker von Ray Charles aufspielte. Mit dem blinden Pionier des Soul-Sounds verbindet Elton John einiges. „Ironischer Weise war mein erster Fernsehauftritt in den USA im Jahr 1970 bei der Andy Williams Show mit Mama Cass und Ray Charles“, erinnerte er sich in einem Interview. „Und ich musste ein Duett eines Stevie-Wonder-Songs mit Ray machen. Er spielte ein weißes Piano und ich ein schwarzes. Ich war so nervös, weil ich mit meinem absoluten Idol auftritt, einem meiner Lieblingsmenschen auf dieser Welt!“
Charles aber brachte den damals noch unerfahrenen Songwriter mit seiner charmanten Art auf den Boden der Tatsachen zurück und der Auftritt wurde ein voller Erfolg. Die Wege der Beiden sollten sich noch häufiger kreuzen, tatsächlich ist der letzte von Charles aufgenommene Song ein Cover von Elton Johns Sorry Seems To Be The Hardest Word. „Er war schwach“, erinnerte sich John an eine bewegende Aufnahmesession. „Aber er hatte dieses Feuer in der Stimme, weißt du, dieses Ray-Charles-Feuer. Die Leute im Studio waren den Tränen nah und ich hatte einen ziemlichen Kloß im Hals. Ich habe alles, was er mir an diesem Tag sagte, auf einer separaten CD gespeichert, die Gespräche, die wir hatten. Du arbeitest nicht jeden Tag mit einem Typen wie diesem zusammen.“ Wohl wahr!
4. Patti LaBelle – Lady Marmalade
Seine eigene Soul Sister fand Elton John in Patti LaBelle, in deren Vorprogramm er mit seiner damaligen Band Bluesology spielte. In Londoner Clubs schlugen sich die Band und LaBelles Bluebelles die Nächte beim Kartenspielen um die Ohren, wobei sich Bluesology regelmäßig über den Tisch ziehen ließen! Es legt sich eben niemand ungestraft mit einer echten Lady Marmelade an. Seine Dankbarkeit äußerte Elton John lange nach seinem Durchbruch mit einem ganz besonderen Geschenk. „Sie hatten kein Geld und ich habe in meiner Wohnung gekocht, sie eingeladen und gefüttert“, erinnert sich LaBelle an die harte Frühphase. „Elton klaute mir damals meine Tupperware! Aber er ersetzte sie später mit einem großen Diamantring, den ich jetzt zuhause habe.“ Kein schlechtes Tauschgeschäft für LaBelle! Wie Ray Charles übrigens setzten sich die Beiden für eine Coverversion eines Elton-John-Stücks zusammen und vertonten seine erste Hit-Single Your Song neu, der Startschuss für seinen Welterfolg. Nicht nur LaBelles Tupperware aber nahm der junge Reggie aus seiner Londoner Zeit mit, sondern lieh sich auch von seinen Bluesology-Kollegen Elton Dean und Long John Baldry etwas. Ratet mal, was!
5. The Beatles – Lucy In The Sky With Diamonds
Während Elton John und Patti LaBelle die Karten auf die Tische siffiger Bars knallten, eroberte eine britische Band nonchalant die ganze Welt. Die Beatles bewiesen, dass selbst die USA nicht vor dem Charme britischer Pop-Musik gefeit war und legten damit vielleicht auch einen Grundstein für Johns Erfolg in Übersee. So oder so wurden die Beatles natürlich auch zum Maßstab für den aufstrebenden Künstler. John Lennon wurde sogar zu seinem musikalischen Partner. 1974 fanden sich die Beiden im Studio für ein Cover von Lucy In The Sky With Diamonds zusammen und spielten später zusammen im Madison Square Garden auf, wo sie noch andere Stücke aufführten.
Es sollte John Lennons letzter großer Live-Auftritt vor seinem tragischen Tod im Jahr 1980 sein. Ein Gig, für den Elton John einiges an Überredungskunst aufwenden musste. „Eines Tages“, erinnerte sich Lennon in einem Interview, „rief Elton an und sagte: Weißt du noch, als du mir versprochen hast… Nicht, dass ich irgendeinem Agenten etwas versprochen hätte und so war ich dann in der Zwickmühle. Ich musste auf die Bühne!“ Ein Highlight ihrer Freundschaft, in deren Verlauf Elton John sogar Pate von Lennons Sohn Sean wurde. Und nicht sein einziger Auftritt mit einem Beatle: 1997 spielte er gemeinsam mit Paul McCartney und anderen Hey Jude auf dem Benefizkonzert Music For Montserrat.
6. The Who – Pinball Wizard
Mitte der Siebziger wurde Elton John zu einem der gefragtesten Songwriter seiner Zeit. Selbst die destruktiven The Who klopften bei ihm an und Pete Townshend fragte, ob der Sänger nicht eine Rolle im Film Tommy spielen wollte. John nahm auch eine Coverversion vom Song Pinball Wizard auf, die im Film zu hören ist und einmal mehr Johns Leidenschaft für knackigen Rock unterstrich. Eine ganz besondere Ehre erwies ihm die Firma Bally Technologies, die eine Captain-Fantastic-Pinballmaschine herstellte, die eine Illustration von Elton John in seinem ausgefallenen Filmaufzug zeigte! Mehr als nur eine Fußnote der Musik- und Filmgeschichte, denn 1989 brachten The Who das Album anlässlich seines 20. Jubiläums erneut auf die Bühne. Mit dabei war natürlich auch Elton John und selbst dessen alte Freundin Patti LaBelle half bei der opulenten Neuaufführung aus. The Who revanchierten sich nur wenig später mit einem Cover von Elton Johns Saturday Night’s Alright (For Fighting), einem Song ganz nach dem Geschmack der Rowdies, die anders als ihr exaltierter Kumpel nicht unbedingt pflegeleicht waren!
7. Guns’n’Roses – November Rain
Obwohl er vor allem für seine zarten Balladen bekannt wurde, schlummert in Sir Elton John ein beinharter Rocker. Selbst bei der Metalband Saxon und den Wüstenrockern von Queens Of The Stone Age half er bereits aus! Eine ganz besonders enge Beziehung pflegt er zur Band Guns N’ Roses, deren Sänger Axl Rose wohl einer der größten Elton-John-Fans überhaupt ist. „Für mich wie auch für andere ist wohl niemand inspirierender als Elton John gewesen“, sagte er in einer Rede anlässlich der Aufnahme Johns in die Rock’n’Roll Hall Of Fame. Besonders lobte Rose das Engagement des Idols gegen AIDS und „seinen Mut darin, die Triumphe und Tragödien seines Privatlebens offenzulegen“. 1992 standen sie gemeinsam auf der Bühne, um bei den MTV Video Music Awards Guns N’ Roses’ unsterblichen Song November Rain aufzuführen. In dem Stück wird John sicherlich seine eigene Handschrift gehört haben, seine enge Freundschaft zu Axl Rose aber legt nahe, dass der Einfluss auch umgekehrt wirkte.
8. Queen – Bohemian Rhapsody
Es war nicht das einzige Mal, dass Rose und John gemeinsam auf der Bühne standen. Nur wenige Monate zuvor hatten die beiden Musiker gemeinsam einem ganz besonderen Star ihre Ehre erwiesen: Freddie Mercury. Beim Freddie Mercury Tribute Concert interpretierten sie neben anderen Artists Songs aus dem Queen-Backkatalog neu, darunter auch Bohemian Rhapsody. Keine leichte Aufgabe, handelt es sich doch um einen der komplexesten Rock-Songs der Musikgeschichte! Schwer wird es für Elton John sicherlich auch deswegen gefallen sein, weil Freddie Mercury an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung verstorben war – eben jener Epidemie, deren Bekämpfung sich Elton John verschrieben hatte.
Es war nur einer von vielen Schicksalsschlägen, die Elton Johns Karriere begleiten sollten: 1997 feierte er noch mit einer opulenten Party gemeinsam mit den verbleibenden Queen-Mitgliedern seinen 50. Geburtstag und musste doch im selben Jahr noch zwei geliebte Menschen beerdigen: Gianni Versace und Lady Di. Freddie Mercury begleitete er sogar bis zum Ende hin. „Es war so schmerzhaft und traumatisierend, ihn so zu sehen“, erinnerte sich ein sichtlich bewegter Elton John in einem Fernsehinterview. Kurz nach Mercurys Tod im November 1991 erhielt John noch ein letztes Geschenk des Freundes: ein Gemälde von Henry John Tuke. „Er wollte es mir zu Weihnachten schenken, starb aber einen Monat zuvor. Die Art von Person war er.“ Uns ist da wohl was ins Auge geflogen…
9. Nina Simone – To Be Young, Gifted and Black
Im Kampf gegen AIDS setzte sich Elton John vor allem musikalisch ein. Gemeinsam mit Dionne Warwick, Gladys Knight und Stevie Wonder etwa nahm er das Stück That’s What Friends Are For auf, dessen Einnahmen an die AIDS-Forschung gingen. Der Song wurde ein Erfolg und unterstrich erneut Johns enge Verbindungen zu den Legenden Schwarzer Musik. Gospel, Jazz, Funk und Soul wurden für den Engländer zu Eckpfeilern seines einzigartigen Sounds. Tatsächlich war John sogar der erste weiße Künstler, der in der legendären Fernseh-Show Soul Train zu Gast war! John selbst wurde nicht müde, seine Schwarzen Vorbilder zu würdigen. Marvin Gaye coverte er etwa und vertonte sogar Nina Simones To Be Young, Gifted And Black neu. „Sie war die Diva der Diven“, schwärmte er von der Sängerin. „Als Musiker und Songwriter gesprochen, war sie meiner Meinung nach die größte Künstlerin des 20. Jahrhunderts“, sagte er sogar. „Sie nahm in einer Zeit auf, als die Leute sich Gehör verschaffen und wütend sein mussten und sie blieb wütend, bis sie starb.“ Ehrfurchtsvolle Worte für eine Künstlerin, die Elton John nicht nur ihrer Musik wegen schätzte, sondern die er ebenso für ihr politisches Engagement für die Schwarze Bevölkerung der USA bewunderte.
10. Eminem – Stan (feat. Dido)
Im Hip Hop lebte die Schwarze Protestkultur einer Nina Simone weiter und folgerichtig interessierte sich auch Elton John für den Sound, der von der New Yorker Bronx aus die Welt eroberte. „Ich will mit Pharrell Williams, Timbaland, Snoop, Kanye, Eminem arbeiten und sehen, was passiert“, gab er einst kampfeslustig zu Protokoll. Gesampelt wurden seine Songs tatsächlich von Kanye West, 2Pac, Mary J. Blidge, Raekwon, Aloe Blacc, Action Bronson, Jadakiss und vielen, vielen anderen. Überraschender Weise aber kam er ausgerechnet Eminem am nächsten! Genau, der weiße Rapper, der des Öfteren mit homophoben Aussagen auf sich aufmerksam machte, stand 2001 bei den Grammy Awards gemeinsam mit Elton John auf der Bühne, um seinen Song Stan zu performen! „Natürlich kannte ich Elton John“, sagte er MTV gegenüber im Jahr 2004. „Ich hatte keine Ahnung, dass er schwul ist. Ich wusste nichts über sein Privatleben. Es war mir egal.“ Den gemeinsamen Auftritt verstand Eminem als Statement, Elton John wurde für ihn ein enger Vertrauter und musikalisches Vorbild. Ganz so glaubhaft fanden einige Eminems Distanzierung von seinen homophoben Lyrics trotzdem nicht: Wieder und wieder fiel er mit verachtenden Kommentaren in seinen Songs auf.
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Die größten Songs von Elton John: 10 Meilensteine aus der Feder des „Rocket Man“

Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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