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Popkultur

Die musikalische DNA von Simple Minds

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Don’t you forget about… them! Die Simple Minds sind nach gut 40 Jahren im Musikbusiness immer noch Alive And Kicking. Und das, obwohl sich der Kern der Band aus Glasgow über die Jahre durchaus dezimiert hat: Von den Gründungsmitgliedern sind lediglich Jim Kerr und Charlie Burchill dabei, die aktuell von Andy Gillespie an den Keys, dem 1982 dazu gestoßenen Drummer Mel Gaynor und Ged Grimes am Bass unterstützt werden. Die stetigen Besetzungswechsel allerdings hatten ohne Zweifel auch ihr Gutes: Wie keine andere Band konnten die Simple Minds dezente Kurskorrekturen vornehmen und sich neue musikalische Felder erschließen.


Hört euch hier die musikalische DNA von Simple Minds in einer Playlist an und weiter:


Beeinflusst vom Punk-Sound der Endsiebziger widmete sich die Band erst rumpeliger Musik, bevor sie inspiriert von Kraftwerk, Post-Punk und New Wave im Aufkommen der britischen Synth Pop-Szene berühmt wurden – allem voran mit (Don’t You) Forget About Me natürlich. Ein zweifelhafter Erfolg für die Band, welche den Song bekanntermaßen selbst nicht geschrieben hatte. Keith Forsey und Steve Schiff waren die Masterminds hinter dem slicken Stück Musikgeschichte, das mit dem Film Breakfast Club weltberühmt wurde und der Band immer noch nachhängt. Nein, damit hatten es die Simple Minds nicht immer leicht. Denn wer will schon als ewiges One-Hit-Wonder gelten, wenn dieser Hit nicht aus der eigenen Feder stammt? Erst recht, wenn böse Zungen die Band in späteren Jahren als langweiligen U2-Rip-Off abtaten?


Schaut euch hier das offizielle Musikvideo zu Simple Minds Song Dont’t You (Forget About Me) an und lest weiter:


Dennoch haben die Schotten stets das Beste draus gemacht und sich aller Widrigkeiten zum Trotz oben gehalten. Was die Simple Minds auf ihrem langen Weg inspiriert hat, das erfahren wir mit Blick auf ihre musikalische DNA.


1.Generation X – Your Generation

Vor den Simple Minds gab es Johnny & The Self-Abusers. Gegründet wurden sie 1977 in Glasgow von Alan Cairnduff, der sich gerne als schottischer Malcom McLaren inszenieren wollte und die Band doch prompt aufgab, um seinen Kumpel John Milarky ans Ruder zu lassen. Der fand sich mit Jim Kerr und Charlie Burchill zusammen, zwei Sandkastenfreunden, die noch den Drummer Brian McGee sowie den Bassisten Tony Donald mit anschleppten. Komplettiert durch Allan McNeill als drittem (!) Gitarristen im Bunde, spielte die Band im April desselben Jahres ihren ersten Gig im Vorprogramm von den aufstrebenden Punkhelden Generation X, an deren Mikro ein gewisser Billy Idol zugange war. Noch bevor Generation X mit Dancing With Myself einen Riesenhit landen konnten und Billy Idol schicksalsträchtig zwei Songwriter abblitzen ließ, die ihm ein Stück namens (Don’t You) Forget About Me anboten, spielte seine Band schnoddrigen Punk im Sex Pistols-Stil, der Pop-Potenzial und Mitsingchöre aufwies. In Richtung Pop zog es auch die restlichen Mitglieder von Johnny & The Self-Abusers, nachdem Milarky und McNeill (übrigens nicht zu verwechseln mit dem späterem Simple Minds-Keyboarder Mick McNeil) sich verabschiedeten, um The Cuban Heels zu gründen. Von denen haben wir seitdem nichts mehr gehört, von der anderen Band allerdings schon.


2. David Bowie – Jean Genie

„He’s so simple minded he can’t drive his module / He bites on the neon and sleeps in the capsule / Loves to be loved, loves to be loved“, singt David Bowie im Song Jean Genie von seinem bahnbrechenden Aladdin Sane-Album. Damit wurde er zum Namensgeber für die neu gegründete Band, die aus der Asche von Johnny & The Self-Abusers entstand: die Simple Minds. Der exzentrische, sich ständig wandelnde Pop-Star wurde zu einem Fixpunkt im Simple Minds-Kontinuum. Selbst nachdem die Band fast zu Bruch gegangen wäre und sich Jim Kerr schon nach Italien zurückgezogen hatte, um dort ein Hotel zu gründen, wurde ein Bowie-Song zum Soundtrack ihres Comebacks: Das 2001 veröffentlichte und parallel zur LP Cry aufgenommene Cover-Album Neon Lights versammelte neben Stücken von Van Marrison, Patti Smith oder Kraftwerk auch eine Simple Minds-Version von The Man Who Sold The World, welche die Band noch heute regelmäßig zum Besten gibt. Einen nur wenig größeren Helden fand die Band in T. Rex-Mastermind Marc Bolan, dem die Band 2014 via Facebook mit den vielsagenden Worten „Vor Bowie gab es Bolan. Vor Bolan? Nichts.“ huldigte. Den Namen allerdings hatten sie sich vom Thin White Duke geliehen.


3. Roxy Music – For Your Pleasure

Neben Glam Rock-Stars wie Bolan und Bowie wurden aber auch abwegige Musikstile für die junge schottische Band schnell wichtig. Ihr zweites Album Real To Real Cacophony aus dem Jahr 1979 zeigte sich stark vom aufkommenden Post-Punk-Sound beeinflusst und experimentierte mit dessen Faible für satte Dub-Sounds, schräge Synthesizer-Einsätze und minimalistischen Songstrukturen. Real To Real Cacophony wird noch heute von vielen Fans – darunter auch prominenten Vertretern aus der Indie-Szene – als das beste Simple Minds-Album bezeichnet. Die Experimentierphase der Band war vor allem auch durch ihre Identitätssuche bedingt. „Jim war die ganze Zeit am Schreiben, versuchte Lyrics und verschiedene Gesangsstile aus“, erinnerte sich Produzent John Leckie. „Er klang damals noch ziemlich anders.“ Wie Bryan Ferry nämlich, fand die Musikpresse schon damals. Dessen Band Roxy Music sollte Kerr und seine Kollegen noch länger beschäftigten, denn auch die exaltierten Rocker coverten die Simple Minds auf Neon Lights: Das Stück For Your Pleasure klang bei ihnen aber schon deutlich anders als noch zu Post-Punk-Zeiten und die Simple Minds schon wenig später viel elektronischer.


4. Peter Gabriel – Biko (Live)

Billy Idol, David Bowie, Bryan Ferry – fehlt noch wer? Klar, wir dürfen natürlich Peter Gabriel nicht vergessen. Der ehemalige Genesis-Frontmann dürfte die Band nicht allein zu ihren ausgefallenen Bühnenkostümen in Anfangstagen inspiriert haben, er nahm sie auch früh unter seine Fittiche, das heißt mit auf Tour. „Wir waren solche Riesenfans von ihm und so froh, dabei zu sein“, erinnerte sich Jim Kerr. „Obwohl wir eine Nacht in Brüssel von der Bühne gebuht wurden. Und die restliche Zeit herunter geheult. Geheult!“ Die frühe Unterstützung durch den damals schon als Weltstar bekannten Gabriel war es eventuell auch, die den Simple Minds im Jahr 1981 zu ihrem ersten Hit verhalf, Love Song. Darauf experimentierten sie immer noch fröhlich, verlegten sich allerdings lieber auf elektrisierende Sequencer-Sounds statt (absichtlich) zerfahrene Songstrukturen. Kein Wunder, dass der Song auch bei einem breiteren Publikum Anklang fand. Die gemeinsame Geschichte von Gabriel und den Schotten endete dort jedoch nicht. Sein ehemaliger Bassist John Giblin half für drei Alben bei den Simple Minds aus und schließlich standen 1988 sie gemeinsam mit Gabriel bei einem Konzert zu Ehren von Nelson Mandela auf der Bühne, um gemeinsam mit dem Freund dessen Song Biko zu performen. Auch der eigens für das Konzert geschrieben Song Mandela Day erklomm als B-Seite der Single Ballad of the Streets im Januar des Folgejahres die Charts. Gabriel scheint wohl ein echter Glücksbringer zu sein!


5. Grace Jones – Nightclubbing

Punk, Post-Punk, Glam- und Prog-Rock beziehungsweise Art Pop – das scheint den Sound der Simple Minds doch bisher nur sehr unzureichend zu erklären, oder? Natürlich waren auch beispielsweise The Velvet Underground oder die New York Dolls Vorbilder für die schottischen Jungs. Ihren tanzbaren Pop-Sound der achtziger Jahre allerdings lieh sich nicht nur von Kraftwerk und New Wave, sondern ebenso aus Soul- und Disco-Musik einige Kniffe – vor allem deren elektronisch angehauchte Version. Jim Kerr beispielsweise zählt Stevie Wonders kongeniale LP Innervisions als eines seiner Lieblingsalben und betonte, dass die Platte ihm nach Ende der goldenen Motown-Zeiten neue Hoffnung in politische Pop-Musik einimpfte. Garniert mit dezenten Synthie-Sounds natürlich! Noch deutlicher wurden die elektronischen Elemente im Werk von Grace Jones, deren funkigen Disco-Hybride vom Album Nightclubbing die Simple Minds während einer USA-Tour kennenlernten. Kerr erinnert sich besonders lebhaft ein Konzert der flamboyanten Künstlerin in San Francisco. „Das war damals, als sie die Sache mit dem King Kong-Kostüm abzog und alles. Was für ein Bild!“ Und die Musik dazu erst! „Wir liebten diese Sounds, und das soll echt was heißen, weil wir uns sonst nur selten einig waren, was auf unsere Playlist gehörte“, so Kerr.


6. Pretenders – Precious

Die fabelhafte Grace Jones war zu den Hochzeiten von Kerrs Band allerdings nicht die einzige Frau in seinem Leben. Eine andere wurde noch weitaus wichtiger für ihn und das nicht nur im persönlichen Leben. „Chrissie Hynde ist offensichtlich sehr wichtig für mich, das aber lange bevor ich sie geheiratet und lange nachdem ich mich von ihr habe scheiden lassen“, betonte Kerr in einem Interview. „Ich war und bin immer noch ein großer Fan.“ Bevor die US-Amerikanerin 1978 die Pretenders gründete, arbeitete sie sogar an der Geburtsstätte britischer Punk-Kultur, dem Klamottenladen SEX von Vivienne Westwood und Malcom McLaren. Kerr erinnert sich an sie aber vor allem als Musikjournalistin, die fachkundig über Punk schrieb und in die er sich verknallte, ohne sie jemals getroffen zu haben! Als es hieß, dass die schillernde Persönlichkeit eine Band gründen wollte, habe das die halbe Szene amüsiert, erinnert sich Kerr. Niemand wollte sie damals ernstnehmen. Sie wurden alle eines besseren belehrt. Als die Pretenders ihr selbstbetiteltes Debütalbum mit Singles wie Stop Your Sobbing veröffentlichten, hing der Punk-Szene die Kinnlade herunter. „Ich war einfach nicht auf diese Stimme vorbereitet“, sagte Kerr über das The Kinks-Cover. Auf eine Ehe mit der freigeistigen Hynde wohl allerdings auch nicht: Nur sechs Jahre lang blieben die beiden verheiratet. Immerhin aber hat der Ex-Gatte nur lobende Worte für die Pretenders-Frontfrau über.


7. U2 – Pride (In The Name Of Love) (Live)

Andere dagegen hatten nicht unbedingt lobende Worte für die Simple Minds über! Deren flächiger Rock-Sound und selbst ihr politisches Engagement veranlasste die Kritik dazu, sie als die „schottischen U2“ abzutun. Der Vergleich ist zumindest ist insofern angebracht, als dass beide ungefähr zur selben Zeit gegründet wurden, anders als viele andere Bands ihrer Zeit nicht direkt aus London oder Manchester kamen und… Ja, das war es eigentlich schon. Andere Verbindungen sind sehr direkt und aus dem (gegenseitigen!) Respekt wurde nie ein Hehl gemacht. Das Simple Minds-Erfolgsalbum Once Upon A Time beispielsweise wurde von Tommy Iovine produziert, der zuvor schon mit U2 zusammengearbeitet hatte und 1988 – wohlgemerkt drei Jahre später – an deren sechstes Album Rattle and Hum Hand anlegte. Tatsächlich kreuzten sich die Pfade beider Bands ständig und U2 selbst haben mindestens fünf Simple Minds-Songs gecovert. 1985 trat Frontmann Bono dafür sogar gemeinsam mit den Schotten in ihrer Glasgow vors Mikro, um mit ihnen New Gold Dream zu singen. Nicht das einzige Mal, dass er die Freunde auf der Bühne begleiten durfte. Wen wundert’s also, wenn sich auch die Simple Minds von U2 inspirieren ließen. Oder besser gefragt: Wen schert’s?


8. Noel McLoughlin – She Moved Through The Fair

Zumal die Simple Minds sich auch mit der Kultur von U2s Heimatland intensiv beschäftigt haben. Als A-Seite ihrer Ballad Of The Streets verarbeitete das Stück Belfast Child einen keltischen Folk-Song namens She Moved Through The Fair. Obwohl sich Belfast Child anders als Sunday, Bloody Sunday von U2 nicht mit einem bestimmten Ereignis befasst, so wurde es doch unter dem Eindruck einer Gräueltat geschrieben. Am 8. November 1987 explodierte im nordirischen Enniskillen während einer Gedenkfeier und tötete zwölf Menschen. Die Simple Minds arbeiteten zu dieser Zeit mit Produzenten Trevor Horn am Album Street Fighting Years und waren schockiert von dem Vorfall. „Wir haben einfach drauf los geschrieben“, erinnerte sich Kerr, der selbst irische Wurzeln hat. Bassist John Giblin spielte die Melodie von She Moved Through The Fair über 20 Minuten, während Kerr die neuen Lyrics verfasste – begeistert vom Einfallsreichtum des Kollegen. „Ich fragte ihn: ‚Wann hast du das komponiert?‘“, lachte Kerr in einem Radiointerview. „Und er sagte: ‚Vor zweihundert Jahren, du Witzbold!‘“ So entstand Belfast Child und wurde ein mehr als unwahrscheinlicher Riesenerfolg, denn schließlich ist der Song mehr als sechseinhalb Minuten lang! Kerrs Vater aber konnte sich freuen: Der hatte seinem Filius von Anfang an eingebläut, dass sich nur mit Folk und Country die Hitparade stürmen ließe. Dieses Mal sollte er recht behalten.


9. Bob Dylan – Tangled Up In Blue

Dabei hatten die Simple Minds doch bis zur Veröffentlichung von Belfast Child eigentlich recht wenig mit Folk am Hut gehabt. Selbst einem Genie wie Bob Dylan war Kerr nicht sonderlich zugetan. „Dylans Akustik-Musik war echt nicht mein Ding“, gab er zu. Auf dessen Erfolgsalbum Blood On The Tracks stieß er im Haus seiner ersten Freundin. „Sie hatte Eltern, die eher Bohème drauf waren, um es mal so zu formulieren. Sie standen total auf Dylan und Blood On The Tracks war damals ein Riesending, weil es so etwas wie ein Comeback-Album auf Columbia war.“ Die Platte lief folglich im Elternhaus der Freundin rauf und runter, Kerr musste sich zwangsläufig damit befassen. Gefallen fand er vor allem am Opener Tangled Up In Blue, insbesondere an Dylans außerordentliches Talent als Texter beeindruckte ihn. „All diese Zeilen kommen auf dich zu und jede ist wie ein Gemälde für sich, an dem ich anhalten konnte, um darüber nachzudenken.“ Ein poetisches Lob für einen echten Poeten! Kein Wunder, dass sich Kerr mit Dylan noch anfreunden konnte, Blood On The Tracks mittlerweile zu seinen Lieblingsalben zählt und mittlerweile selbst gerne die Klampfe spielt.


10. Manic Street Preachers – Of Walking Abortion

Das neu gefundene Faible für akustische Klänge in der Simple Minds-Spätphase ist nur ein Indikator für die stilistische Bandbreite, welche die Band im Laufe von vier Jahrzehnten durchlaufen hat. So inspirierten sie wiederum auch selbst eine Vielzahl von Bands und Solo-KünstlerInnen, die ihre Stücke etwa für Hip Hop-Tracks sampelten oder aber sich im wütenden Frühwerk der Schotten verloren. „Die Simple Minds waren wie kristallene Götter für mich“, gab etwa James Dean Bradfield nebulös zu Protokoll. Der Manic Street Preachers-Frontmann war noch in der Grundschule, als die Simple Minds ihre ersten Alben veröffentlichten und legte sich sein erstes Album allerdings viel später zu. Über Empires And Dance aus dem Jahr 1980 sagte er: „Ich kaufte es, weil ich den Song I Travel in einer alten Radio 1-Session gehört hatte und nicht mit der Band vereinbaren konnte, die (Don’t You) Forget About Me gemacht hatten.“ Bradfield gab selbst zu, dass er das von Fans und Kritik übersehen Album in das zuerst ebenso erfolglose Manic Street Preachers-Album The Holy Bible einfließen lassen wollte und gnadenlos dran scheiterte. Statt hartem synthetischen Sound gab es bei den Manic Street Preachers stattdessen viel Gitarrenkrach und tolle Melodien zu hören! Das war doch wiederum ganz im Sinn der frühen Simple Minds.


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Popkultur

Als Led Zeppelin facettenreicher wurden: „Houses Of The Holy“

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Led Zeppelin HEADER
Titelfoto: Evening Standard/Hulton Archive/Getty Images

Vier durchnummerierte Platten brauchten Led Zeppelin, um die Spitze des Rockolymp zu erklimmen. Auf ihrer fünften Veröffentlichung Houses Of The Holy schlugen die Briten experimentierfreudigere Pfade ein — mit großem Erfolg. Den Titeltrack mussten sie allerdings auf das nächste Album verschieben.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Houses Of The Holy von Led Zeppelin anhören:

Pause? Für Led Zeppelin ist das zu Beginn ihrer Karriere ein Fremdwort. In gerade einmal drei Jahren veröffentlichen die Briten vier legendäre Alben, touren mehrfach um den Globus und spielen weltweit vor ausverkauften Häusern. Großbritannien, Nordamerika, Japan, Australien — und wieder von vorn. Ein wenig zur Ruhe kommen Led Zeppelin erst 1972, als sie mit der Aufnahme ihres fünften Albums Houses Of The Holy beginnen. Die Gruppe schlägt darauf experimentellere Wege ein und setzt auf aufwändige Arrangements und neue Einflüsse statt auf schnodderigen Hardrock-Sound. Doch wie genau kam es zu dieser Typveränderung — und hatten auch die Fans Freude an den neuen Led Zeppelin?

Houses Of The Holy: Ein Album unter anderen Umständen

Anfang der Siebziger ist das Bankkonto von Led Zeppelin bereits gut gefüllt — so gut, dass sich Gitarrist Jimmy Page und Bassist John Paul Jones ihre eigenen Heimstudios einrichten. Zum ersten Mal können die beiden Musiker ihre Ideen in aller Ruhe aufnehmen, noch einmal hören, bearbeiten und ergänzen. Dadurch werden die Songs ausgeklügelter als sonst — weg vom Bluesrock, hin zum AOR, wenn man so möchte. Als Led Zeppelin mit den offiziellen Aufnahmen von Houses Of The Holy beginnen, sind die vier Musiker deutlich besser vorbereitet als bei ihren vorherigen vier Alben. Zu gut, wie es scheint, denn die Band spielt mehr Songs ein als auf die Platte passen.

Während der Sessions zu Houses Of The Holy sammeln Led Zeppelin so viel Material, dass sie ein paar ihrer neuen Kompositionen für später aufbewahren müssen. Das betrifft zum Beispiel den Song Walter’s Walk, der erst 1982 auf der Zusammenstellung Coda erscheint. The Rover und Black Country Woman packen die Briten auf ihr sechstes Album Physical Graffiti (1975). Besonders kurios: Sogar den Titeltrack verschieben Led Zeppelin auf später, sodass der Song Houses Of The Holy nun nicht auf dem Album Houses Of The Holy zu finden ist, sondern ebenfalls auf dem Nachfolger Physical Graffiti. Trotzdem klingt Houses Of The Holy stimmig — auch wenn „Led Zep“ darauf einige Experimente wagen.

Da wäre zum Beispiel die Funk-lastige Nummer The Crunge, die man den Briten vorher wohl nicht unbedingt zugetraut hätte. Auch das Reggae-beeinflusste Stück D’yer Mak’er klingt nicht wie ein typischer Led-Zeppelin-Song. Genau das war das Ziel, wie Gitarrist Jimmy Page in dem Buch Light & Shade: Conversations With Jimmy Page erklärt: „Auch wenn alle ein zweites Led Zeppelin IV wollten: Es ist sehr gefährlich, sich selbst zu kopieren. Ich werde keine Namen nennen, aber jeder kennt Bands, die sich ewig wiederholen. Nach vier oder fünf Alben sind sie ausgebrannt. Bei uns hingegen wusste man nie, was als nächstes kommt.“

Eine Tour der Superlative — und der anschließende Burnout

Das gilt auch für die Tour zu Houses Of The Holy, mit der Led Zeppelin einmal mehr neue Live-Show-Maßstäbe setzen. Laser, Discokugeln, aufwändige Outfits, Pyrotechnik: Die britischen Rocker lassen sich nicht lumpen und feuern auf ihrer insgesamt dreimonatigen Tour aus allen Rohren. 55 Konzerte geben Led Zeppelin, darunter auch in Nürnberg, München, West-Berlin, Hamburg, Essen und Offenburg. Überall feiert wird die Band gefeiert; später ist sogar die Rede davon, dass die Tour der technische Höhepunkt der Gruppe gewesen sein muss. Doch der Preis ist hoch: Nach der Konzertreise sind Led Zeppelin so fertig, dass sie eine fast zweijährige Pause einlegen.

Was die Verkaufszahlen und den Erfolg von Houses Of The Holy betrifft, geht die Platte im Vergleich zum direkten Vorgänger Led Zeppelin IV beinahe unter. „Nur“ elffaches Platin gelingt den Briten bis heute mit dem Album; bei Led Zeppelin IV ist es mehr als doppelt so viel und auch der Houses Of The Holy-Nachfolger Physical Graffiti kann insgesamt 16 US-Platinveredelungen abräumen. Dennoch: Led Zeppelin zeigen sich auf Houses Of The Holy von ihrer erwachsenen Seite und das kommt an. Drei Alben bringen die Briten anschließend noch raus, bis der Tod von Schlagzeuger John Bonham die Karriere der Gruppe im Jahr 1980 beendet. Doch das ist wieder einmal eine andere Geschichte.

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5 Dinge, die ihr über John Paul Jones von Led Zeppelin noch nicht wusstet

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Popkultur

Zeitsprung: Am 28.3.1985 tritt Alicia Keys zum ersten Mal im TV auf. Sie ist 4.

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Alicia Keys
Paola Kudacki/Sony Music

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.3.1985.

von Timon Menge und Christof Leim

Mehr als 150 Preise gewinnt Alicia Keys im Lauf ihrer Karriere, darunter 15 Grammys. Ihre Premiere im Showgeschäft feiert sie allerdings am 28. März 1985 in einer TV-Serie – mit vier Jahren.

Hier könnt ihr euch Here anhören:

Übernachtungsparty! Die kleine Tochter der Familie hat ihre Freunde und Freundinnen eingeladen, alle sind bestens gelaunt, vor allem als sie reihum mit dem Herrn Papa Rodeo spielen. Die Regeln: Wer sitzen bleibt, gewinnt. Ein Mädchen mit Lockenkopf kann sich trotz wildester Bewegungen halten und geht als Siegerin hervor. Vier Jahre alt ist die junge Schauspielerin in dieser Szene der Bill Cosby Show, ihr Name lautet Alicia Cook. Damals kennt sie niemand, heute schon…

In den Achtzigern kann man sich ein Fernsehprogramm ohne die Familie Huxtable kaum vorstellen. In acht Staffeln thematisiert die Sitcom das Leben einer afroamerikanischen Familie aus der Mittelschicht, die sich mit alltäglichen Situationen und Problemen auseinandersetzt. Dass dieses Format auch bei der weißen Bevölkerung gut ankommt, ist zu jener Zeit noch nicht selbstverständlich. Den Familienvater Dr. Heathcliff Huxtable gibt Schauspieler Bill Cosby, nach dem die Sendung auch benannt ist. (Heute ist Cosby weltweit und zurecht in Ungnade gefallen, weil er wegen dreifachen sexuellen Missbrauchs zu mehreren Jahren Haft verurteilt wird. Aber das ist eine andere, unschöne Geschichte.)

Wer ist Alicia Cook?

Diese kleine Alicia Cook, die da einen Gast der Übernachtungsparty der kleinsten Huxtable-Tochter Rudy spielt, lernen wir Jahrzehnte später unter einem anderen Namen kennen: Alicia Keys. Mit dem Auftritt in der Show feiert sie sozusagen ihren Einstand im Showgeschäft. Hier könnt ihr euch den Ausschnitt mit ihr angucken:

In einem späteren Interview mit der Teleschau erzählt Keys: „Ich erinnere mich vor allem daran, dass es ein wahnsinnig langer Tag war. Bis das alles abgedreht war, war es später Abend – und ich und die anderen Kinder waren so müde, dass wir irgendwann einfach auf dem Sofa eingeschlafen sind. Aber ich erinnere mich auch daran, dass es extrem witzig war. Bill Cosby war super. Und hey, immerhin habe ich beim Reite-Spiel auf seinem Knie gewonnen.“

Nur der Anfang

Gewinnen wird Keys nachher noch so einiges, nämlich mehr als 150 Auszeichnungen und 14 Platinschallplatten (allein in den USA). Mit Alben wie Songs In A Minor (2001), The Diary Of Alicia Keys (2003), As I Am (2007) und The Element Of Freedom (2009) räumt sie in den 2000er Jahren wirklich alles ab. Wer hätte 1985 gedacht, dass aus der kleinen Alicia Cook einer der größten Popstars des 21. Jahrhunderts wird?

Zeitsprung: Am 7.9.1984 sind die Jacksons auf Tour und Janet brennt durch.

 

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Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.

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Alice Cooper Easy Action Cover

"Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.

von Bolle Selke und Christof Leim

Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.

Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:

Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.

Psychedelische Scheißmusik

1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.

Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.

Unisex, roh und gewalttätig

Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.

Easy, Action!

Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“

Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…

Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.

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