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Popkultur

Die musikalische DNA von The Carpenters

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Richard und Karen Carpenter

Es gibt eigentlich nur drei Sorten von Bands: Solche die Hotelzimmer kaputtmachen, solche die selbst kaputt gehen und solche, auf die beides zutrifft. Kaum zu glauben, dass selbst das Geschwisterpaar Carpenter in eine diese Kategorie, namentlich die zweite, fällt. Denn die Geschichte von Richard und Karen Carpenter ist nicht nur eine von Welterfolgen und großen musikalischen Momenten, sondern auch vielen persönlichen Tiefs. Karens Tod nach ihrer langjährigen Magersucht im Jahr im Februar 1983 markierte das Ende einer Ära. Ihr Bruder, selbst über lange Zeit von den Dämonen seiner Drogensucht heimgesucht, sollte das Ableben seiner Schwester schwer treffen.


Hört euch hier die musikalische DNA von The Carpenters als Playlist an und lest weiter:


Nein, bei den Carpenters war nicht alles so harmonisch wie es klang oder aussah. Selbst Lester Bangs, der berühmteste aller Rockjournalisten, machte dem Duo unerwartete Zugeständnisse. Die beiden Geschwister würden viel konservativer wirken, als sie es eigentlich seien, schrieb der Rolling Stone-Autor. Er hatte – wie so oft – Recht. Wusstet ihr, dass der Carpenters-Hit Mr. Guder eine Abrechnung mit einem Disneyland-Manager desselben Namens ist? Der hatte die beiden hochkant rausgeschmissen, als sie während eines Engagements zeitgenössische Pop-Musik statt wie gefordert olle Kamellen für ihr Publikum spielten. Dem gefiel das zwar, nur eben der Parkleitung nicht.

Aber so waren die Carpenters nun mal: Sie wollten der Welt lieber etwas Gutes tun. Oft hieß das, dass die beiden alten Songs ein völlig anderes Gewand anzogen. Mit Richards genialem Talent für Arrangements und Karens ebenso sanfter wie eindringlicher Stimme holten sie das allerbeste aus einer Vielzahl von Fremdkompositionen heraus. Den Song Goodbye To Love schrieb Richard sogar in Anlehnung an einen Bing Crosby-Film, in welchem die Hauptfigur mit dem Erfolg eines Stücks mit eben jenem Titel hadert, welches aber im Film nicht zu hören war. Also schrieb Richard ihn kurzerhand selbst. Was das talentierte Geschwisterpaar außerdem inspirierte, erfahren wir mit Blick auf ihre musikalische DNA.


1. Sergei Rachmaninoff – Liebesleid

Richard Carpenter ist ein Meister an den Tasteninstrumenten und ein genialer Arrangeur. Sein Handwerk hat er von der Pieke auf gelernt. Tschaikowski, Red Nichols, Spike Jones und Sergei Rechmaninoff standen bei dem Knirps auf dem Lehrplan, während sich seine Schwester als Tänzerin im Ballett umtrieb.

Mit Rachmaninoff versuchte er schon früh einen der schwierigsten Komponisten überhaupt zu meistern. Die Kompositionen des russischen Spätromantikers gelten als extrem komplex. Kein Problem für Richard, der noch später in seiner Karriere das Warsaw Concerto von Richard Addinsell, welches wiederum auf den Arbeiten Rachmaninoffs basierte, live interpretieren sollte.


2. Les Paul & Mary Ford – How High The Moon

Die Geschwister Karen und Richard pflegten von Kindesbeinen an ein enges Verhältnis und tauschten sich auch bald rege über Musik aus. Insbesondere die Hits von Les Paul und Mary Ford hatten es ihnen angetan. Nachdem Richard im Alter von neun frustriert seinen Klavierunterricht schmiss, brachte er sich das Spielen nach Gehör bei und nahm erst wieder mit elf Jahren den Unterricht auf, bevor er mit 14 zur Yale School of Music zugelassen wurde.

Von Paul und Ford lernten die beiden, mit Overdubs zu arbeiten und ihre Gesangsspuren nach dem Einsingen im Studio zusammenzuführen. Insbesondere Karen stach als Sängerin hervor und wurde als „One-Take-Wonder“ bezeichnet, weil sie gewöhnlich nur einen einzigen Versuch für den perfekten Lauf brauchte. So konnte das ungleiche Geschwisterpaar sein Talent bündeln – Les Paul und Mary Ford hatten es vorgemacht!


3. The Beatles – Ticket To Ride

Die erste Geige oder besser gesagt die ersten Tasten spielte aber stets Richard. 1963 zog die Carpenter-Familie sogar nach Downey, Los Angeles, um ihm bessere Aufstiegschancen im Musikbusiness zu ermöglichen. Zunächst aber musste der Jungspund auf Ochsentour gehen und bei Hochzeiten oder in der Kirche die Orgel bedienen. Auch das war dem rebellischen Teenager jedoch zu langweilig. Nicht selten spielte er neu arrangierte Beatles-Stücke statt langweiliger Messelieder!

So vermutlich kam es dazu, dass die Carpenters auf ihrem Debütalbum eine ungewöhnliche Cover-Version von Ticket To Ride von den Pilzköpfen präsentierten. Aus dem hymnischen Beat-Stück war plötzlich eine einfühlsame, getragene Ballade geworden! Es sollte die Durchbruchssingle der Geschwister werden und sogar ihre erste LP konnte sich nach einer Umbenennung in Ticket To Ride besser verkaufen als zuvor. Wenn das der Pastor wüsste!


4. Dave Brubeck Quartet – Take Five

Das Talent Richards an den Tasteninstrumenten und seine Fähigkeiten als Arrangeur machten aber immer nur die eine Hälfte der Carpenters-Magie aus. Die andere wurde von Karen beigesteuert, die dem Duo weit mehr als nur ihre Stimme lieh. Schon in High-School-Zeiten fand die junge Musikerin heraus, dass ihre Talente am besten auf dem Schlagzeugschemel aufgehoben waren.

1964 investierten die Eltern in ihre Fähigkeiten und kauften ihr ein Ludwig-Schlagzeug, nachdem sie ein ebenfalls trommelnder Freund dazu bewegt hatte. Karen dankte es ihnen, indem sie sich schon bald einen Namen als Jazz-Drummerin machte. Ihre zweifellos größte Inspiration war das Dave Brubeck Quartet, deren Songs wie Take Five sie trotz ihrer Komplexität mit verblüffender Leichtigkeit zu meistern wusste. Sogar ihr Set-Up orientierte sich an dem von Brubecks Drummer Joe Morello.


5. Frank Sinatra – Girl From Ipanema

Der Jazz war es auch, der für Karen und Richard den Ausgangspunkt ihres ersten ernsteren Unterfangens bedeutete. 1965 gründeten sie gemeinsam mit dem Klassenkameraden Wes Jacobs das Richard Carpenter Trio, bei dem sie erstmals mit den Aufnahmetechniken experimentierten, für welche die Carpenters wenig später berühmt werden sollten. Auch spielten sie fleißig Konzerte und erprobten so ihre Bühnenfähigkeiten. 1966 ging es für das Trio sogar auf die Bretter des weltbekannten Hollywood Bowl, wo sie mit einer eigenen Komposition sowie einer Interpretation des Bossa Nova-Standards Girl From Ipanema aus der Feder von Antônio Carlos Jobim auftraten. Girl From Ipanema ist wohl am bekanntesten in seiner Interpretation durch Frank „Ol’ Blue Eyes“ Sinatra.

Das Richard Carpenter Trio sollte Erfolg haben und den „Battle Of The Bands“-Wettbewerb im Hollywood Bowl gewinnen, was sogleich mit ihrem ersten Plattenvertrag belohnt wurde. Unter ihren ersten Aufnahmen fanden sich auch Interpretationen von Beatles-Songs (Every Little Thing) und, na klar, Frank Sinatra (Strangers In The Night). Nur dem Label gefiel das nicht und schon war die Karriere des aufstrebenden Trios wieder vorbei…


6. Dionne Warwick – (They Long To Be) Close To You

Sei’s drum, die Carpenters haben es ja trotzdem geschafft. Durchschlagen konnten sie sich nämlich bestens. Ihre größten Hits stammten indes zumeist nicht aus eigener Feder. Stattdessen vermochten es Karen und Richard, unerfolgreichen Songs ein neues Leben einzuhauchen und die Originale zu übertrumpfen. Oder an wen denkt ihr bei den Zeilen „Why do birds suddenly appear / ev’ry time you are near“? Na klar, die Carpenters.

Geschrieben hat den Song (They Long To Be) Close To You allerdings ein anderer: Burt Bacharach. Die gemeinsame Komposition mit Hal David wurde zuerst von Richard Chamberlain mit mäßigem Erfolg eingesungen, bevor Dionne Warwick das Stück bekannt machte. Zum Welterfolg allerdings brachten es erst die Carpenters 1970 mit ihrer Interpretation. Sie hauchten dem Stück das gewisse Etwas ein. Insbesondere Karen natürlich, die darauf eine ihrer besten Gesangsleistungen ablieferte.


7. Joe Cocker – Superstar (Live At The Fillmore East 1970)

Zeit ihrer Karriere bewiesen die Carpenters ein unvergleichliches Gespür für das ungenutzte Potenzial, das in fremden Kompositionen schlummerte. Mit Superstar von Bonnie Bramlett und Leon Russell allerdings hatten sie sich ordentlich etwas vorgenommen: Zuerst erschien der Song nämlich auf dem Live-Album Mad Dogs & Englishmen von Joe Cocker, gesungen wurde er dort von Rita Coolidge. Eine ganz schöne Herausforderung!

Die Carpenters aber meisterten sie. Ein paar Kompromisse mussten sie dennoch machen. Nicht nur klang der Song als solcher glatter, auch die Lyrics mussten sie ändern: Aus „I can hardly wait to sleep with you again“ machten sie „I can hardly wait to be with you again“. Aus ihrem Saubermann-Image war eben kein Ausbrechen. Das wurde ihnen beiden zum Verhängnis.


8. Ella Fitzgerald – My Funny Valentine

Unter der heilen Fassade des erfolgreichen Geschwisterpaars nämlich brodelte es schon lange. 1979 ließ sich Richard schließlich wegen seiner Drogenabhängigkeit einweisen. Seine Schwester stritt derweil ab, an Magersucht zu leiden und verweigerte jede Behandlung. Da ihr Bruder sich eine Pause gönnte, um neue Kraft zu sammeln und seine Dämonen ein für alle Mal zu verbannen, wollte Karen die Zeit lieber für ihr erstes Solo-Album nutzen. Es sollte ihr einziges werden und in einem kreativen Desaster enden. Erst 13 Jahre nach ihrem Tod erschien die Platte, deren Produktion fast eine halbe Million Dollar verschlungen hatte.

Während sich Richard langsam wieder ans Spotlight annäherte, ging es mit Karens Gesundheit Anfang der achtziger Jahre rapide bergab. Einer ihrer letzten Karrierehöhepunkte war ein gemeinsames Medley mit Ella Fitzgerald im Rahmen des Carpenters-TV-Specials Music, Music, Music im Jahr 1980. Gemeinsam sangen die beiden ein unvergessliches Duett mit vielen Klassikern und Standards aus Fitzgeralds Repertoire wie etwa My Funny Valentine.


9. Dusty Springfield – Son Of A Preacher Man

Bis heute kümmert sich Richard um das Erbe seiner 1983 an den Folgen ihrer Magersucht verstorbenen Schwester. Leicht werden ihm aber weder die Verwaltung des Nachlasses noch die ersten Schritte als Solo-Künstler nach Karens Tod gefallen sein. Mit Karen ging nicht nur seine Schwester und engste Vertraute, sondern auch seine beste musikalische Partnerin. Die beiden hatten sich ergänzt wie sonst kaum jemand. Das ließ sich nicht ersetzen.

Als Richard vier Jahre später mit seinem ersten Solo-Album zurückkehrte, fanden sich darauf viele Gastsängerinnen, doch die Carpenters-Magie fehlte. Neben einem Stück mit Dionne Warwick allerdings stach zumindest Something In Your Eyes heraus, der gemeinsame Song mit Dusty Springfield. Obwohl Springfields ungleich rauchigere Stimme nicht an Karens herankam: So ging es auch.


10. Sonic Youth – Tunic (Song For Karen)

Den Carpenter-Geschwistern wurde ihre Karriere über ein Image aufgezwängt, unter deren Last sie letztlich zerbrochen sind. Dabei hatten sie sich doch, wie wir gesehen haben, oft genug die Konventionen aufgelehnt. Das erkannten Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre sogar Bands aus der US-Indie Rock-Szene, die dem Duo 1994 mit der Compilation If I Were A Carpenter ein Denkmal setzten.

Neben Shonen Knife, den 4 Non Blondes und der irischen Band The Cranberries waren auch Sonic Youth mit einem Stück vertreten. Es war nicht das erste Mal, dass sie Karen Carpenter ihren Tribut zollten: Tunic (Song For Karen) vom 1990 erschienenen Album Goo war der Sängerin gewidmet. Was die wohl zu dem krachigen Sechs-Minuten-Song gesagt hätte? Wir werden es leider nie erfahren…


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