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Popkultur

The Filth And The Fury – Der Aufstieg des Punk

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“The Filth and the Fury” (der Dreck und die Wut) ereiferte sich die britische Tageszeitung Daily Mirror in seiner Schlagzeile am 2. Dezember 1976. Das hätte genau so gut der Titel eines Sex Pistols Songs sein können, aber es war die Reaktion der Zeitung, und der britischen Medien im Allgemeinen, auf den frühabendlichen Fernsehauftritt der Band, bei dem sie “die schmutzigsten Ausdrücke der britischen TV-Geschichte” benutzt hatten. Es war der Schock, der zu diesen Schlagzeilen führte, aber für einige Kids im Vereinigten Königreich waren die Sex Pistols schon Kulthelden, weil sie nachvollziehbare Alternativen anboten.

Ein Album, das den Punk formte:

PunkWenn sich Musik, Mode, Kunst und eine gewisse innere Haltung so vermischen wie damals 1975, als die Sex Pistols zum ersten Mal in London auf der Bildfläche erschienen, dann schlägt diese Mischung sofort auf ganzer Linie ein. Diese Mischung wurde zum Teil dirigiert vom Strippenzieher des Punk, Malcolm McLaren. Den Nährboden für den britischen Punk bereiteten die konservativen Medien, die eifrig ihre bedauernswerte, ahnungslose Leserschaft vor den Barbaren warnte, die dort vor den Toren der wohlerzogenen Gesellschaft standen. 1975, als Margaret Thatcher Vorsitzende der konservativen Partei wurde, hassten die meisten über 25-Jährigen den Punk instinktiv. Ein Großteil von ihnen hatte die Musik wahrscheinlich noch nie gehört, aber sie wussten, dass das jedenfalls nichts für sie war.

Anfang der Sechziger, in einem Amerika vor der britischen Invasion, boten die Beach Boys und Jan and Dean eine Alternative zu dem, was die New Yorker Brill Building Songwriter nicht nur den Amerikanern, sondern der ganzen Welt aufzwangen. Zu viele Lieder über zu viele Jungs mit Namen Bobby, über den Mond und June und ein Leben, das kein Teenager sich wünschen würde. Für die Beach Boys drehte sich alles um frisierte Autos und Fun, Fun, Fun. Sie wurden als Rebellen bezeichnet, nicht als Punks.

Aus diesen amerikanischen Surf- und Gitarren Bands der frühen Sechziger und als Alternative zur British Invasion, ging eine der ersten als Punk bezeichneten Bands hervor – The 13th Floor Elevators. Ihr 1966 erschienenes Album The Psychedelic Sounds of the 13th Floor Elevators hat definitiv viele der Charakteristika, die wir mit Punk assoziieren. Einfache, energiegeladene, kurze Songs voller Attitude und Power.

PunkMalcolm McLaren, der Mann der einst auch als der Colonel Tom Parker der Blank Generation bekannt war, hatte von Leuten gelernt, die schon vor ihm den Managementstil des Strippenziehers praktiziert hatten; insbesondere Andrew Loog Oldham, der grundlegend an der Schaffung eines Images für die Rolling Stones beteiligt war. Oldham tat so viel für rebellierende und denkende Musiker, die sich nicht der Doctrine für Popmusiker unterwerfen wollten – ein Image, das die Beatles zumindest am Anfang ihrer Karriere gerne annahmen. Musikalisch hatten sich die Stones dem Blues und R&B verschrieben, aber sie gehörten nicht zu den Vorgängern des Punkrock. Als leidenschaftliche Bluesjünger wollten sie sich zweifellos von den geschniegelten Beatboom Bands der frühen 1960er abheben. Wie eine anständige Punkband wollten sie den Status Quo neu definieren.

Ein Album, das den Punk formte:

Zehn Jahre bevor die Londoner Punkszene richtig groß wurde, standen die Stones öffentlich am Pranger, weil sie in Autohöfe gepinkelt hatten, einer Autorität gegenüber respektloses Verhalten gezeigt hatten und weil sie die Dreistigkeit besessen hatten, sich wie ‘Höhlenmenschen’ anzuziehen und zu benehmen; zumindest wurden sie so in mehreren Zeitungen beschrieben. Tatsächlich war für viele Eltern im Großbritannien der frühen Sechziger das Gerücht, dass sich die Stones nicht wuschen, schon mehr als sie ertragen konnten. Dieses Image heizte Oldham noch weiter an, indem er an Familien aus der Vorstadt die Frage richtete: “Würden Sie Ihre Schwester mit einem Rolling Stone ausgehen lassen?” Verglichen mit dem was folgte, erscheinen die Eskapaden der Stones heute ziemlich harmlos, aber wie Oldham vertrat auch McLaren die Auffassung, dass es nicht ausreichte, einfach gute Musik zu machen. Bands mussten auffallen, sich abheben, eine Reaktion hervorrufen, auch – oder besonders -, wenn es sich um ablehnende oder sogar feindselige Reaktionen handelte.

Musikalisch zu polarisieren war immer ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung von Pop und Rock und zunächst lehnten sich die Bands, die als Wurzeln des Punk gelten, definitiv gegen die faulen und verrückten Tage des Summer of Love und das kalifornische Hippie-Idyll auf. Die amerikanische Jugend, zumindest ein Teil davon, hatte genug von Blumenkränzen, Kaftanen und verträumten Texten. Was sie wollten, war Hardcore und Detroit war die perfekte Stadt für den Gegenschlag.

In der ‘Motor City’ gehörten The Stooges und The MC5 bald zu den Großen; auch wenn die MC5 aus Lincoln Park stammten (das wäre doch mal ein Bandname) und die Stooges aus Ann Arbor, beides in Michigan. Beide Bands waren wild und ihre Musik war teilweise primitiv – Eigenschaften späterer Punkbands an denen sich die Geister von Publikum und Kritikern schieden. Die Stooges wurden 1972 von dem Kritiker Lester Bangs als “punkiest band in history” bezeichnet und ließen ihr Debütalbum von dem früheren Velvet Underground Bassisten John Cale produzieren.

Das Debütalbum von Velvet Underground and Nico wurde zu einem der wichtigsten Alben der 1960er gekürt. Als es 1967 auf den Markt kam, verkaufte es sich mit nur circa 10.000 Exemplaren sehr schlecht, aber angeblich “gründete jeder, der das Album gekauft hatte, eine Band”. Ab 1965 nannten sie sich Velvet Underground, nach einem Roman über sexuelle Subkultur Anfang der Sechziger, und wurden musikalisch von Lou Reeds Songwriting und dem Bassspiel des klassisch ausgebildeten Walisers John Cale bestimmt. Andy Warhol übernahm das Management und als das Album The Velvet Underground and Nico veröffentlicht wurde, lieferte es eine Art Vorlage für die Verquickung von Kunst und Musik, an der sich Punk später teilweise orientieren würde.

 

Ein Album, das den Punk formte:

Anfang der 1970er führten die New York Dolls den Punkethos in eine neue Richtung, gespickt mit einer ordentlichen Prise Glam. Ihr selbstbenanntes Album von 1972 wurde von dem früheren The Nazz-Mitglied Todd Rundgren produziert. Auch The Nazz beeinflussten viele ihrer Nachfolger und hatten auf ihrem Debütalbum mehrere Proto-Punktracks. Manche sind der Ansicht, dass die New York Dolls mehr Glamrock als Punkrock waren und das kann man sicherlich so sehen. Aber es ist ihr Einfluss, der ihnen diese wichtige Stellung einbringt. Nachdem sie die New York Punk Szene eine zeit lang dominiert hatten, trennten sich die Dolls im Jahr 1975. Die Tatsache, dass sie auf dem Cover ihres ersten Albums Make-Up trugen, hatte den Verkäufen geschadet; etwas, womit David Bowie nie Probleme hatte.

Malcolm McLaren und seine Freundin, die Designerin Vivienne Westwood, besaßen einen Fashion Store in der Kings Road. Dieser hatte schon mehrere Inkarnationen durchlebt und hörte unter Anderem auf die Namen ‘Let it Rock’ und ‘Too Fast To Live Too Young To Die’, bis er 1975 den Namen SEX erhielt. McLaren und Westwood waren nach New York City gereist und statteten bald die New York Dolls mit ihren Bühnenoutfits aus. 1975 war McLaren der Manager der Sex Pistols geworden. Die Tatsache, dass der Bandname den Namen ihres Shops enthielt, war kein bloßer Zufall. Marketing stand immer im Zentrum von McLarens Mission.

Beim ersten Sex Pistols Konzert 1975 trug John Lydon in zerrissenes Pink Floyd T-Shirt, allerdings nicht als Huldigung, sondern weil sie für so ziemlich alles standen, was die Sex Pistols nicht waren und nicht sein wollten. John hatte ‘I Hate’ darauf gekritzelt und das brachte die Meinung der Band zu der Musik des bombastischen Pomprock Mainstream zum Ausdruck, aber eben auch zu allem anderen, was damit assoziiert wurde. Wie der Leadsänger Johnny Rotten, wie John Lydon sich seit 1976 nannte, sagte: “Ich hasse Hippies… Ich hasse lange Haare, ich hasse Kneipenbands. Ich will bewirken, dass es mehr Bands wie uns gibt.” Dieser verzweifelte Aufschrei hätte auch von vielen anderen Bands davor und danach kommen können.

Der grundlegende Unterschied zwischen britischem und amerikanischem Punk war das Alter. Johnny Rotten und die Pistols waren alle um die 20 Jahre alt, als sie berühmt wurden. Die amerikanischen Punkrocker waren Mitte 20 und in den Augen der britischen Punks viel konservativer. Ende September 1976 fand im Londoner 100 Club, dem spirituellen Zuhause des Punk, ein zweitägiges Festival statt. Es war für den Punk, was Woodstock für den Rock war, da es den Schrecken von etwas Neuem ankündigte. Die Sex Pistols waren die Headliner des ersten Tages und teilten die Bühne mit Subway Sect, Siouxsie and the Banshees und The Clash. Am nächsten Tag waren es die Slinky Toys, Chris Spedding and the Vibrators und The Damned mit dem Headliner The Buzzcocks. Siouxsie and The Banshees hatten keinen einzigen Song eingeprobt und improvisierten einfach; dabei kam auch das Vaterunser zum Vortrag … echte Performance Kunst. Man sollte nur niemals Punkrock mit Artrock in Verbindung bringen.

Als Siouxsie, die sich optisch an Malcolm McDowells Figur in A Clockwork Orange orientierte, um zu schockieren, und die Banshees ihre finale Besetzung und Gestalt gefunden hatten, unterschrieben sie im Juni 1978 einen Plattenvertrag und veröffentlichten im November 1978 ihr erstes Album The Scream. Zu dem Zeitpunkt hatten sie mit Hong Kong Garden schon eine Top 10 Single in Großbritannien gehabt. Einige ganz harte Punkfans beklagten lautstark den Ausverkauf der Band – wahrscheinlich dieselben, die bei der ‘Sign The Banshees’ Graffitikampagne in ganz London die Zügel in der Hand hatten – aber die Band fand die richtige Balance zwischen Credibility und Erfolg, mit dreißig Charthits in Großbritannien.

 

Ein Album, das den Punk formte:

PunkNach dem unglückseligen TV-Auftritt, der für so viele Kontroversen gesorgt hatte, begaben sich die Sex Pistols zusammen mit The Clash, The Heartbreakers (mit Ex-New York Doll Johnny Thunders) und bei ein paar Terminen The Damned, auf ihre erste UK-Tour. ‘The Anarchy Tour’ sollte ihre Debütsingle Anarchy in the U.K promoten, aber viele Termine wurden von besorgten Veranstaltern gecancelt; wobei nicht ganz klar ist, ob sie mehr Angst vor den Bands oder vor den Fans hatten. Im Februar 1977 kam Sid Vicious zu den Sex Pistols, aber es war nur ein schnelles und tragisches Ende für die Band. Andererseits, wäre ein anderes Ende überhaupt denkbar gewesen?

London war das geistige Zuhause des Punkrock und Kids aus den Grafschaften reisten an, um die Szene live zu erleben, berichtet Paul Weller: “Es schien so weit weg zu sein vom verschlafenen Woking … wir wollten das Gefühl einfangen; wir pilgerten gewissermaßen nach London.” Paul Wellers Band The Jam, die er 1972 mit ein paar Schulfreunden als Post-Mod Band gegründet hatte, waren der Punkszene 1976 sehr zugetan und unterschrieben Anfang 1977 bei Polydor, um ihr erstes Album In The City aufzunehmen. Viele Punkbands waren musikalisch nicht so versiert wie The Jam mit ihrem 60s-Gefühl und Wellers gekonntem, politischem Songwriting. So kamen sie ein bisschen hochklassiger rüber. Die Energie von The Jam beschränkte sich nicht auf ihre Platten und Konzerte. Nur sieben Monate nach ihrem Debüt veröffentlichten sie den Nachfolger This Is The Modern World. Energie war ein zentrales Element von allem, was mit Punk zu tun hatte. Wie Nick Lowe damals öfter sagte: “Die Ansage war Nimm es auf und hau es raus!”

Ein Jahr nach The Jam kamen Sham ’69 – um Bandleader Jimmy Pursey -, aus dem nahe gelegenen Hersham in Surrey mit Borstal Breakout, ihrer ersten Veröffentlichung bei Polydor. Die Platte sollte ursprünglich von John Cale von Velvet Underground produziert werden, aber im Endeffekt produzierte Pursey es selbst. Borstal Breakout war auch eine Ankündigung der aggressiveren Punkklänge der Oi-Musik und wie die meisten richtig guten Punksongs blieb er unter drei Minuten Länge.

Ein weitere erfolgreiche Postpunk Band sind Killing Joke mit ihrem selbst benannten Debüt 1980. Die Charterfolge waren zwar bescheiden, aber sie haben viele spätere Bands beeinflusst, nicht zuletzt Nirvana und Soundgarden in Amerika.

 

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