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Popkultur

„I/O“ von Peter Gabriel: Warum sich die 21 Jahre Wartezeit gelohnt haben

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Peter Gabriel

Es ist Peter Gabriels Chinese Democracy: 21 lange Jahre gab es kein reguläres Studioalbum des ehemaligen Genesis-Sängers. Jetzt ist I/O endlich da – und begeistert mit melancholischer Philosophie und wunderschönen Songs.

von Björn Springorum

Peter Gabriel war schon immer der große Erneuerer. Der Poet der Popmusik, der, der lieber den unkonventionellen, exzentrischen Weg geht. Seine ersten paar Soloplatten? Einfach unbetitelt. Seine größten Hits? Eher zufällig passiert. Sein Arbeitsrhythmus? Höchst unregelmäßig. Und gerade deswegen so spannend: Wenn er sich rührt, wenn er etwas veröffentlicht, dann hört man zu. Weil man weiß: Hätte er nichts zu sagen, würde er den Mund nicht öffnen.

Die Spuren reichen bis 1995 zurück

Deswegen erscheint  jetzt mit I/O mal wieder ein neues Studioalbum. 21 Jahre nach dem letzten regulären Album Up. Eine längere Pause gab es noch nie. Doch so unregelmäßig sein Muster, so sehr lässt er sich rund um I/O von kosmischen Bahnen lenken: Zu jedem neuen Vollmond gab es einen neuen Song – von Januar bis zur Veröffentlichung. Dinge wie diese machen aus Pop mehr als Musik. Machen Pop zur Kunst. Weil man ihn ernst nimmt, ihm gönnt, groß zu denken, ein Konzept zu haben.

Peter Gabriel ist weiterhin der große Astronom der Popmusik, der Sternenforscher, der in den ganz großen Bahnen denkt und nichts hält von Kurzlebigkeit, von Trends. Fast drei Jahrzehnte hat er an I/O gearbeitet, bis ins Jahr 1995 reichen die Spuren zurück. 2004 sollte das Werk ursprünglich erscheinen, bis es zu seinem ganz eigenen Chinese Democracy wurde. Mit einem Unterschied: I/O ist ein kohärentes, fesselndes, virtuoses, zutiefst philosophisches Werk, durchzogen von Beobachtungen seines eigenen Lebens und des Kosmos, von Momenten des Lichts und Augenblicken tiefster Dunkelheit.

Brian Eno als Schlüsselfigur

Aus 130 Songs hat Gabriel am Ende zwölf ausgewählt, die es im Bright-Side Mix und im Dark-Side Mix zu hören gibt. So tickt er eben: Weil ihm sowohl die Mixe von Mark Stent als auch von Tchad Blake gefielen, veröffentlicht er einfach beide. Eine weitere Schlüsselfigur auf I/O ist Brian Eno – als Produzent, Sound Designer und Tastenmann am Synthesizer. Ach ja, der Session-Zampano Tony Levin steht auch wieder am Bass.


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Alle diese fähigen Akteure sorgen für ein vielseitiges Vexierspiel von einem Album, für eine Reise durch das Leben. Ahnungsvoll ist alles im Opener Panopticom, vertrackt-sinfonisch und ein wenig wie alte Genesis klingt The Court, Playing For Time könnte eine Nummer in einem nachdenklichen Broadway-Musical sein. So Much setzt sich elegisch, aber kunstvoll mit der eigenen Sterblichkeit auseinander und hat in seiner zurückgenommenen Art was von Leonard Cohen.

Vertontes Älterwerden

Das wirklich Besondere an I/O ist aber die Tatsache, dass wir einem Künstler beim Älterwerden, beim Reifen zuhören dürfen. Er war erst 45 Jahre alt, als er dieses Album begann. Bei Erscheinen ist er über 70. Und blickt auf eine große Karriere zurück. Alterswerk sollte man dieses Album dennoch nicht nennen. Dafür spricht er immer noch zu viel Gegenwärtiges an, in Four Kinds Of Horses (hallo, Carpet Crawlers!) etwa religiösen Fundamentalismus; dafür ist er auch in Sachen Sounddesign, Produktion und Innovation immer noch viel zu weit vorn. Er ist, da wiederholen wir uns gern, immer noch der Erneuerer, der neue Wege für seine Musik sucht anstatt in Altbewährtes zurückzufallen. Gut, in This Is Home gönnt er sich ein wenig Achtziger-Pathos, aber das darf er auch.

Den Stadion-Moment gibt es auch

I/O ist ein fließendes Werk, dem man seine Patchwork-Genese nicht anmerkt. Zusammengesetzt ist es aus Sessions in Großbritannien, Italien, Südafrika, Schweden und auf der Bühne des Rexall Place, einer kanadischen Arena, die vor fünf Jahren geschlossen wurde. Dennoch klingt es aus einem Guss. Da kommt es eben zupass, dass Peter Gabriel ein großer, ein fähiger Architekt des Klangs ist. Große Kracher wie Slegdehammer fehlen hier natürlich. Dafür gibt es mit dem Klimax des Titeltracks einen echten Stadionmoment. Und ansonsten ganz viel englische Melancholie, die schon Genesis in den Siebzigern so kunstfertig einzusetzen wussten.

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Vor 45 Jahren tritt Peter Gabriel aus dem Schatten von Genesis

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