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Popkultur

Ich will zurück nach Westerland: Die Ärzte und ihre (Anti-)Sylt-Hymne

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Die Ärzte
Foto: Frank Hempel/United Archives via Getty Images

Die Hit-Liste der Ärzte ist lang. Doch nur eine Handvoll Songs der Berliner läuft auch Jahrzehnte später noch im Radio. Mit ihrer Sylt-Hymne Westerland landeten die Ärzte einen ihrer größten Erfolge, nicht zuletzt aufgrund der Gefälligkeit des Stücks. Im Text kommt Westerland aber nicht nur gut weg.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Das ist nicht die ganze Wahrheit … von den Ärzten anhören:

Ab Mitte der Achtziger geht es mit den Ärzten bergab. Bassist Sahnie muss nach einem Streit mit Farin Urlaub und Bela B. seinen Hut nehmen; die Produktion des dritten Albums Die Ärzte wird dadurch nur anteilig leichter. Als die Platte erscheint, reicht das Stadtjugendamt Essen auch noch einen Antrag auf Indizierung ein — und bekommt recht. Die Ärzte lassen ganz schön Federn, denn ein finanzielles Polster haben sie damals noch nicht und durch die Indizierung darf die neue Platte nicht mehr frei verkauft werden. Die Stimmung wird schlechter und die Band einigt sich darauf, nur noch ein letztes Album zu veröffentlichen. Das ist nicht die ganze Wahrheit … erscheint am 19. April 1988. Doch die erfolgreichste Single von der Platte schieben die Ärzte schon am 8. April vor.

Westerland: Die ironische (Anti-)Sylt-Hymne der Ärzte

Eigentlich sollte die Nummer Helgoland heißen, nicht Westerland. Doch die Pläne ändern sich, als die Ärzte ein Konzert auf der Insel Sylt geben. Die Gruppe beschließt: Helgoland bietet zu wenig Angriffsfläche für eine Punkband. Westerland hingegen steht für Bürgerlichkeit, Spießigkeit und ein wenig Schickimicki — und lässt sich dadurch hervorragend veralbern. „Es ist zwar etwas teurer“, singt Farin Urlaub in dem Stück. „Dafür ist man unter sich / Und ich weiß jeder Zweite hier / Ist genauso blöd wie ich“. Autsch. Die Urlaubshymne, für die viele das Stück halten, ist Westerland also nur zum Teil. Trotzdem (oder deshalb) kommt der Song hervorragend an und die Ärzte dürfen eine Premiere feiern.

Mit Westerland gelingt den Berlinern zum ersten Mal der Sprung in die Top 40. Das liegt zum einen an der Eingängigkeit und der vordergründigen Gefälligkeit des Stücks. Doch auch die Gerüchte um die Trennung der Ärzte sickern durch und sorgen für einen kleinen Hype. Der Song brennt sich tief ins kollektive Gedächtnis Deutschlands; Sylt wird noch mehr zu einer Art Symbol der neureichen Schickeria Norddeutschlands. 2022 führt die Einführung des 9-Euro-Tickets sogar dazu, dass zahlreiche Punks nach Sylt reisen, um die Insel zu belagern und ihr einen Teil des exklusiven Chics zur rauben. Ob die Ärzte mit ihrer Komposition dazu beigetragen haben? Das darf zumindest vermutet werden. 1988 geht die Story allerdings erstmal ungut weiter: Die Ärzte machen ernst und lösen sich auf.

Ohne Ärzte geht es nicht

Fünf Jahre lang scheinen die Ärzte ein Fall für die Geschichtsbücher zu sein. Farin Urlaub widmet sich der Band King Køng; Bela B. ruft sein neues Baby Depp Jones ins Leben. 1990 nehmen Farin und Bela einen Song für den Film Werner — Beinhart! auf und kommen dabei wohl auf den Geschmack. Sie fragen Depp-Jones-Bassist Rod González, ob er nicht bei der Neugründung der Gruppe dabei sein möchte. Der nimmt das Angebot an, nachdem er sichergestellt hat, dass Farin und Bela nicht nur ihre alten Songs spielen wollen. 1993 sind die Ärzte zurück. Westerland bleibt natürlich ein fester Bestandteil der Setlist, doch die allergrößten Ärzte-Hits sollen erst in den Jahrzehnten mit González entstehen. Nach der Neugründung kennen Belafarinrod nämlich nur noch eine Richtung: bergauf.

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