Popkultur
Marius Müller-Westernhagen: Ein Porträt
Spitzbübischer Charme, exzentrische Outfits und ein unverwechselbarer Hüftschwung: Marius Müller-Westernhagen gehört zu den erfolgreichsten Rock- und Popmusikern Deutschlands. Am 6. Dezember 1948 erblickt der Ausnahmekünstler in Düsseldorf das Licht der Welt. Blicken wir zurück auf eine Karriere der Superlative.
von Timon Menge
Marius Müller-Westernhagen kommt am 6. Dezember 1948 in Düsseldorf zur Welt und wächst im industriell geprägten Heerdt auf, einem Stadtteil, der wenig Glamour verspricht. Sein Vater Hans Müller-Westernhagen gehört zum Gründgen-Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses, zu dessen Repertoire auch Marius zählt, der erste Teil einer Dramentrilogie von Marcel Pagnol. Im Leben seines Sohnes nimmt der Vater eine zwiegespaltene Rolle ein: Einerseits vermittelt er ihm engagiert die Grundlagen der Schauspielerei, andererseits leidet er an Depressionen, einem Kriegstrauma und Alkoholsucht, was ihn mit nur 44 Jahren das Leben kostet.
Hört hier in die besten Stücke von Westernhagen rein:
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Marius ist zu jener Zeit erst 14 Jahre alt, arbeitet aber bereits an seiner eigenen Schauspielkarriere. Starthilfe erhält er von seinem Vater kurz vor dessen Tod, der sich für die erste Rolle seines Sohnes einsetzt. Mutter Liselottes Begeisterung darüber hält sich in Grenzen. Wenn er schon den gleichen schwierigen Weg einschlagen muss wie sein Vater, dann doch bitte in einem ordentlichen Theater, nicht im Fernsehen. Denn Westernhagen hat seinen ersten Auftritt in der TV-Produktion Die höhere Schule von Regisseur Wilhelm Semmelroth. Die Gage dafür investiert er in eine Eishockey-Ausrüstung, bleibt dann aber doch bei der Schauspielerei. Nach weiteren kleineren TV-Auftritten spricht er 1965 die Hauptrolle in der WDR-Hörspielproduktion Wickie und die starken Männer. Später engagiert man ihn für das Musikmärchen Peter und der Wolf und für Die Geschichte von Babar, dem kleinen Elefanten.
Auch die Musik reizt den jungen Künstler. Seine markante, raue Singstimme entwickelt er nicht zuletzt dank einer klassischen Gesangsausbildung, das Gitarrenspiel bringt er sich selbst bei. Mit seiner Band Harakiri Whoom fährt er Ende der Sechziger bereits regionale Erfolge in der belebten Düsseldorfer Musikszene ein. Anfang der Siebziger verschlägt es den jungen Musiker und seine damalige Partnerin, die Schauspielerin Katrin Schaake, nach Hamburg-Pöseldorf. Von dort aus besucht er regelmäßig die Künstler-WG Villa Kunterbunt, in der unter anderem Udo Lindenberg und Otto Waalkes wohnen.
Credit: WEA
1974 unterzeichnet Westernhagen einen Plattenvertrag mit Warner Music, Anfang 1975 erscheint sein Debüt Das erste Mal. Produziert wird das Album von Peter Hesslein, den Westernhagen im Rahmen der Dreharbeiten zu Roland Klicks Film Supermarkt kennengelernt hat. Noch im selben Jahr strahlt die ARD bereits eine Dokumentation über den Nachwuchsmusiker aus, obwohl das Debüt floppt. Mit Bittersüß (1976) und Ganz allein krieg ich’s nicht hin (1977) erscheinen zwei weitere relativ erfolglose Alben.
Der Durchbruch als Schauspieler gelingt 1976 mit Aufforderung zum Tanz. In dem Film verkörpert Westernhagen den sympathischen Fernfahrer Theo Gromberg aus dem Ruhrgebiet, der 1980 ein weiteres Mal über die Leinwand flimmert — diesmal in der noch deutlich beliebteren Fortsetzung Theo gegen den Rest der Welt, einem der erfolgreichsten deutschen Filme aller Zeiten. Der Streifen markiert den Höhepunkt in Westernhagens Schauspielkarriere, mehr als drei Millionen Zuschauer strömen ins Kino.
Der musikalische Durchbruch lässt bis 1978 auf sich warten: Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz entsteht gemeinsam mit Produzent Lothar Meid, seines Zeichens Ex-Bassist der deutschen Kultband Amon Düül II, und verkauft sich bis dato mehr als anderthalb Millionen Mal. Gehörten Westernhagens vorherige Alben eher in die Liedermacherecke, gestalten er und Meid das Image des jungen Musikers um und machen einen Rock’n’Roller aus ihm. Gemeinsam mit anderen Künstlern treibt Westernhagen die rasante Entwicklung des Deutschrock voran und bereitet die Mainstream-Tauglichkeit des Genres vor.
Für Aufruhr sorgt der Song Dicke. Eigentlich gesellschaftskritisch gemeint, wird der Text missverstanden und löst starken Gegenwind aus: „Dicke haben Blähungen / Dicke ham ‘nen dicken Po / Und von den ganzen Abführmitteln / Rennen Dicke oft aufs Klo / Und darum bin ich froh, dass ich kein Dicker bin / Denn dick sein ist ‘ne Quälerei / Ich bin froh, dass ich so’n dürrer Hering bin / Denn dünn bedeutet frei zu sein.“Die Aufregung um das Stück bringt etliche Radiosender dazu, das Lied boykottieren.
Auch Grüß mir die Genossen eckt an: Das Stück thematisiert die umstrittene Fahndung nach den RAF-Terroristen während des Deutschen Herbstes: „Neulich, 6 Uhr früh, tritt man mir die Tür ein / Ich spring’ aus dem Bett, da stürmt die Polizei rein / Los, stellen sie sich an die Wand, man hat sie erkannt / Ein Nachbar rief uns an: Sie sind ein Sympathisant / Ich sag: Das muss ein Irrtum sein, ich bin doch bloß ein Bürger / Doch die pflügen mir die Wohnung um, als wäre ich ein Würger.“
Die Pfefferminz-Nachfolger Sekt oder Selters (1980) und Stinker (1981) fahren ebenfalls kommerzielle Erfolge ein, erreichen aber nicht so hohe Verkaufszahlen wie ihr Vorgänger. Es wird ruhiger um den gerade erfolgreich gewordenen Musiker. Ab 1982 geht Westernhagen experimentellere Wege, spielt fünf Alben lang mit der damals relativ neuen Entdeckung namens Synthesizer herum und veröffentlicht die Balladen-Compilation Laß uns leben (1985). Zudem nutzt er die Achtziger, um sich einen Namen als Livemusiker zu erspielen, was mit Bravour gelingt.
Für den Kinofilm Der Schneemann (1984) arbeitet Westernhagen wieder mit Regisseur Peter F. Brinkmann zusammen, der schon Theo gegen den Rest der Welt umsetzte. Am Set verliebt er sich in die britische Schauspielerin Polly Eltes — die Mutter seiner Tochter Mimi (eigentlich: Sarah). Die Beziehung ist nicht von Dauer.
1988 heiratet er das Model Romney Williams. Mit ihr und ihrem Sohn aus früherer Ehe verbringt Westernhagen 25 Jahre, bis die Ehe 2013 geschieden wird. (Seit 2016 ist er mit Lindiwe Suttle liiert, einer Sängerin aus Südafrika. Im Juli 2017 heiratet das Paar.) In der Zeit während der Partnerschaft mit Williams hängt er die Schauspielerei an den Nagel und vollzieht einen weiteren Imagewechsel. Er möchte nicht mehr der kleine Rotzbengel Marius sein, sondern der gut gekleidete Salonrocker Westernhagen. Sein neues Album, das ebenfalls einfach Westernhagen (1987) heißt, stößt viele Fans von früher vor den Kopf, erfährt allerdings viel Beachtung. Es wird deutlich: Der Düsseldorfer mit der unvergleichlichen Rockröhre ist gekommen, um zu bleiben. Die Platte enthält nicht nur die Klassiker Ganz und gar und Weißt Du, dass ich glücklich bin, sondern auch den Song Freiheit, der sich 1989 unbeabsichtigt zu einem Soundtrack zur deutschen Wiedervereinigung entwickelt.
Die Neunziger markieren zweifellos den Höhepunkt in Westernhagens Karriere, mindestens quantitativ. Sein 13. Album Halleluja (1989) läutet die Erfolgsserie bereits ein und bricht die bisherigen Verkaufsrekorde des Musikers. Die Platte steigt aus dem Stand auf Platz eins der Charts ein, verkauft sich in nur einem Jahr mehr als eine Million Mal und zieht stolze 50 ausverkaufte Konzerte nach sich. Der Auftritt in den Dortmunder Westfalenhallen erscheint als Doppelalbum und geht 1,5 Millionen Mal über die Ladentheke. Auch die dazugehörige VHS-Kassette verkauft sich gut. Bis heute gehören Songs wie Sexy, Weil ich dich liebe und Fertig zu Westernhagens Klassikern.
1992 produziert er in Eigenverantwortung das Album Jaja und legt damit den Grundstein für eine legendäre Tournee, die ihn als ersten deutschen Künstler nicht nur durch die größten Hallen des Landes führt, sondern auch durch die größten Fußballstadien. Am Erscheinungstag sind die Plattenläden innerhalb weniger Stunden fast ausverkauft. Was klingt, als sei es kaum zu toppen, markiert nach wie vor bloß den Anfang.
1994 brechen dann alle Dämme: Affentheater, bis heute das erfolgreichste Album des Düsseldorfers, verkauft sich bereits vor Veröffentlichung mehr als 700.000 Mal, erreicht mühelos Platz eins und enthält unsterbliche Hits wie Willenlos und Es geht mir gut. Auch die dazugehörige Affentour schlägt ein und führt den Musiker wieder durch sämtliche Stadien. Unvergessen bleibt der energiegeladene Westernhagen im besten Alter, der wie vom Teufel getrieben über die größten Bühnen des Landes fegt und Hunderttausende in seinen Band zieht wie bei einer Massenpredigt. In der Sendung Wetten dass..? ist er Dauergast, der Musiksender VIVA widmet ihm einen gesamten Tag. Die übrige Presse zeichnet indes das Bild vom “Armani-Rocker”, der inzwischen im Geld schwimmt. Das stimmt natürlich, ändert aber nichts daran, dass seine Fans ihn nach wie vor als Kumpel wahrnehmen, als “einen von uns”. Auch Westernhagen selbst erweckt nicht den Eindruck, als sei er abgehoben und übt sich stattdessen in den Werten, die sein Vater ihm mit auf den Weg gab: Bescheidenheit und Demut. Hinter den Kulissen spielen sich bisweilen andere Szenen ab, doch vergessen wir nicht, unter welchem Druck ein Superstar stehen muss, der als erster deutscher Musiker Headline-Shows vor mehr als 100.000 Menschen spielt.
1998 veröffentlicht Westernhagen Radio Maria, gefolgt von einer weiteren Tour der Superlative. Die Vorbereitungen dauern ganze anderthalb Jahre, und die Produktion umfasst nicht nur einen enorm großen, beweglichen Monitor-Satelliten, ein aufwändiges Lichtdesign sowie eine 570 Tonnen schwere Bühne, sondern auch eine Tonanlage, die ganze 200.000 Watt leistet. Für die Promotion werden ebenfalls weder Kosten noch Mühen gescheut. Die Werbekampagne im Vorfeld der Veröffentlichung verschlingt satte drei Millionen D-Mark und gipfelt in einem dreitägigen Interviewmarathon in einer Hamburger Villa. Die Songs auf Radio Maria schreibt Westernhagen in Italien, woher auch der Albumtitel stammt. Ein gleichnamiger katholischer Radiosender liefert die Inspiration. In die öffentliche Diskussion gerät das Stück Jesus. So wirft die Konferenz Evangelikaler Publizisten dem Rockmusiker vor, der Text sei gotteslästerlich. Die Single Wieder hier läuft im Radio rauf und runter. Mit über 1,2 Millionen verkauften Einheiten belegt Radio Maria Platz zwei der erfolgreichsten Westernhagen-Alben. Beim letzten Konzert der Tour in Hamburg verkündet der Musiker auf dem Zenit seines Schaffens, dass dies seine letzte Stadionshow sei. Das Rampenlicht setzt ihm zu.
Sein 16. Album In den Wahnsinn erscheint 2002, bleibt aber hinter den kommerziellen Erfolgen der vergangenen Jahre zurück. An der Qualität wird es nicht liegen, denn die Platte wartet mit genau den energie- und emotionsgeladenen Songs auf, wie man sie von Westernhagen liebt. Auch die handwerkliche Seite kann sich sehen lassen: Nie klang seine Musik abwechslungsreicher, tiefgründiger und feiner abgestimmt.
Im Frühjahr 2005 zeigt sich der Künstler von seiner introvertierten Seite und veröffentlicht mit Nahaufnahme ein Album, dessen Titel Programm ist. Ruhige, nachdenkliche Stücke zeichnen das Bild eines Mannes, der abseits der Bühne so gar nicht zur Rampensau taugt. Die Platte führt den Düsseldorfer zurück auf die Straße, wie der junge Marius es schon in Mit 18 verlangt. Dieses Mal füllt er allerdings wie angekündigt keine Stadien, sondern “nur” Hallen. Den Vertrag mit Warner Music verlängert er auf beiderseitigen Wunsch nicht, trotz 32-jähriger Zusammenarbeit. Bis heute nennt Westernhagen In den Wahnsinn und Nahaufnahme, wenn man ihn nach seinen Lieblingsalben fragt.
Williamsburg, das Westernhagen in dem gleichnamigen Stadtteil des New Yorker Bezirks Brooklyn einspielt, erscheint 2009. Es handelt sich um sein erstes Album seit vier Jahren und zudem um die erste Veröffentlichung, die er ohne Plattenfirma stemmt. 2014 folgt Alphatier, das 19. und bis dato letzte Album des Düsseldorfers.
Lobenswert: Westernhagen sammelt nicht nur goldene Schallplatten, sondern übernimmt auch gesellschaftliche Verantwortung. „Ich bin der Meinung, dass sich jeder, der etwas veröffentlicht, darüber im Klaren sein sollte, dass er Politik betreibt“, erklärt er sein Engagement. Ein Beispiel für seine Haltung: Als die Antisemitismus-Debatte um die Echo-Verleihung 2018 aufflammt, gibt er aus Protest seine sieben Echos zurück. Schon 2001 wurde er von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, 2017 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis.
Westernhagen bei der Berlinale 2010 – Credit: Siebbi
Westernhagen polarisiert. Den Einen tritt er mit seiner vermeintlichen Arroganz auf den Schlips, den Anderen imponiert er mit seiner überlebensgroßen Ausstrahlung. Fakt ist: Als Schauspieler füllt er Kinosäle, als Sänger ganze Stadien. Obwohl er vom Publikum gottgleich behandelt wird, bleibt er auf dem Boden und steckt all seine Energie in das, was wirklich wichtig ist: die Kunst und die Menschlichkeit. Ob Theo gegen den Rest der Welt, Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz, Affentheater oder Radio Maria: Über Jahrzehnte hinweg fußt Westernhagens Werdegang darauf, dass er tut, worauf er gerade Lust hat. „Die Sachen, die man sich am Anfang der Karriere vorstellt, Geld, Ruhm, alle finden einen toll, die sind es nicht“, verrät er in einem Interview mit Spiegel Online. „Erst wenn du anfängst, dich in dem, was du erschaffst, zu erkennen. Dass du genau das sagst, was du sagen willst und ganz bei dir bist, das macht dich glücklich.“ Ein Deutschland ohne Westernhagen scheint unvorstellbar. Ein Ende seiner Karriere ist nicht in Sicht. Zum Glück.
Weiter aktiv: Westernhagen gut gelaunt auf der Bühne, 2014 – Credit: Stefan Brending
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Popkultur
Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.
von Bolle Selke und Christof Leim
Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.
Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:
Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.
Psychedelische Scheißmusik
1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.
Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.
Unisex, roh und gewalttätig
Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.
Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“
Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…
Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.
Popkultur
Der Beginn einer Weltkarriere: Das ABBA-Debüt „Ring Ring“
Auch wenn es 150 Millionen verkaufte Alben später kaum noch vorstellbar ist: ABBA waren nicht immer so erfolgreich wie heute. So landete die Gruppe mit ihrem Debüt Ring Ring im Jahr 1973 noch keinen allzu großen Hit. Ein Jahr später klingelten allerdings tatsächlich die Telefone — und bescherten ABBA den Durchbruch.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Ring Ring von ABBA anhören:
Als ABBA zu Beginn der Siebziger zusammenfinden, haben die vier Mitglieder der Gruppe schon einiges an musikalischer Erfahrung auf dem Buckel. Benny Andersson konnte bereits große Erfolge mit The Hep Stars feiern, Björn Ulvaeus verdiente sich seine Sporen bei den Hootenanny Singers. Anni-Frid „Frida“ Lyngstad singt damals schwedische Schlager, ebenso wie Agnetha Fältskog. Doch durch die Irrungen und Wirrungen des Musikgeschäfts finden die vier Talente Stück für Stück zusammen, zunächst als Paare, dann als Pop-Quartett. Im April 1970 treten ABBA zum ersten Mal gemeinsam auf, und zwar ganz spontan am Strand von Zypern. Die Chemie stimmt. Deshalb dauert es auch nicht lange, bis die ersten gemeinsamen Songs entstehen.
Ring Ring: Wie ABBA ihre Identität fanden
Es sind vor allem Benny und Björn, die für ABBA komponieren. Dabei entstehen zunächst schwedische Stücke wie Hej, gamle man und Det kan ingen doktor hjälpa. Polar-Music-Chef Stig Anderson glaubt fest an das kreative Doppel und prophezeit: „Eines Tages werdet ihr einen Song schreiben, der zum weltweiten Hit wird.“ Vermutlich ahnt damals noch niemand, wie sehr er recht behalten wird. Bereits im März 1972 landen Benny und Björn mit She’s My Kind Of Girl überraschend einen Top-Ten-Hit in Japan; nur ein Vorbote auf die Erfolge der nächsten Jahrzehnte. Ab Mitte 1972 rücken ABBA ihre Frauenstimmen stärker in den Vordergrund. Im Juni erscheint die Single People Need Love — erstmals unter dem Namen Björn & Benny, Agnetha & Anni-Frid.
Mit der Single springen die Musiker*innen auf Platz 17 der schwedischen Charts und merken, dass sie zusammen funktionieren. In den USA landen sie immerhin auf Platz 114 und steigen zum ersten Mal in die Hitparade jenseits des großen Teichs ein. Nachdem sich Benny und Björn zuvor schon einmal beim schwedischen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest beworben hatten, startet die Gruppe diesbezüglich einen neuen Versuch. 1973 reichen die Vier den Song Ring, Ring ein, in der Hoffnung, mit dem Stück für Schweden beim Wettbewerb antreten zu dürfen. Das klappt zwar noch nicht ganz, doch einmal mehr gelingt ABBA mit ihrer Musik ein voller Erfolg. Am 26. März 1973 erscheint ihr Debütalbum Ring Ring und legt viele wichtige Grundsteine.
Wie zahlreiche klingelnde Telefone ABBA zum Durchbruch verhalfen
Die ganz großen ABBA-Hits enthält Ring Ring noch nicht. Auch die Performance in den Charts und die Verkaufszahlen lösen noch keine Begeisterungsstürme aus. Zwar erreicht das Quartett in Schweden den zweiten Platz der Hitparade und in Norwegen einen soliden zehnten Platz, ebenso wie in Australien. Doch woanders auf der Welt interessiert man sich noch nicht so sehr für die vier Schwed*innen. Zu Unrecht: Mit dem Titeltrack, People Need Love und She’s My Kind Of Girl enthält das ABBA-Debüt einige echt starke Songs. Auch die unbekannteren Stücke Disillusion und Love Isn’t Easy (But It Sure Is Hard Enough) können sich mehr als nur hören lassen. Bis zum großen Erfolg von ABBA soll es trotzdem noch ein paar Monate dauern.
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Ab Oktober 1973 nimmt das schwedische Musikmärchen langsam Form an. Zum ersten Mal bezeichnet sich die Gruppe selbst als ABBA. Wenig später melden sich die Vier ein weiteres Mal zum schwedischen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. Der Glam Rock erobert inzwischen die Welt und ABBA passen sich an. Mit der recht rockigen Nummer Waterloo können die Vier ihr Heimatland überzeugen. Am 6. April 1974 dürfen ABBA für Schweden antreten. Und nicht nur das: Sie gewinnen den Wettbewerb, weil die Telefone klingeln. „Ring, Ring“, quasi. Belgien, Dänemark, Großbritannien, Deutschland, Finnland, Irland, Niederlande, Südafrika, Schweiz: Überall landet Waterloo auf dem ersten Platz der Singlecharts. Doch das ist eine andere schwedische Erfolgsgeschichte.
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Popkultur
Eins der letzten großen Rockalben: „Meteora“ von Linkin Park
Geht man nach den Verkaufszahlen, sind Linkin Park die bisher letzte große Rockband der Musikgeschichte. Besonders von 2000 bis 2003 führte kaum ein Weg an den Kaliforniern vorbei. Am 25. März 2003 veröffentlichte die Band ihr zweites Album Meteora — und schlug dafür einen anderen Weg ein als zuvor.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Meteora von Linkin Park anhören:
Der blitzartige Raketenstart gelingt Linkin Park schon mit ihrem Debütalbum Hybrid Theory (2000). Mehr als 30 Millionen verkaufte Exemplare, Top-5-Platzierungen in den USA, Großbritannien und Deutschland sowie 12-faches Platin: Es wirkt damals fast, als hätte die globale Musikwelt bloß auf die kalifornische Gruppe und ihre einzigartige Rock-Hip-Hop-Mischung gewartet. Doch mit ihrem Einstand legen Linkin Park nur den Grundstein für eine jahrelange Erfolgsgeschichte. Das zweite Kapitel der Story: Meteora. Als die Platte am 25. März 2003 erscheint, brechen einmal mehr alle Dämme. Diesmal gelingt sowohl in den USA als auch in Großbritannien und Deutschland der erste Platz der Albumcharts. Entstanden ist der Nachfolger ein wenig anders als das Debüt.
Meteora von Linkin Park: Mehr Einfluss am Mischpult
Um das zweite Linkin-Park-Album zu verstehen, müssen wir zunächst einen kleinen Haken schlagen. Zwischen Hybrid Theory und Meteora bringen Linkin Park im Jahr 2002 nämlich noch die Remix-Platte Reanimation raus. Darauf verpasst die Gruppe den Songs von ihrem Debüt eine Frischzellenkur und interpretiert das Material von Hybrid Theory noch einmal völlig neu. Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Veröffentlichungen: Während das erste Linkin-Park-Album vollständig von Produzent Don Gilmore betreut wird, legt für die Remixe vor allem Linkin-Park-Rapper und Multi-Instrumentalist Mike Shinoda Hand an das Mischpult. Linkin Park stellen fest, dass ihnen das Produzieren liegt — und machen deshalb genau so weiter.
Zwar setzen die Kalifornier auch für ihr zweites Album auf die Dienste von Gilmore. Doch diesmal möchten Linkin Park stärker mitreden und mehr experimentelle Ideen in ihren Sound einfließen lassen. „Wir wussten was wir wollten, und bis zu einem gewissen Grad wussten wir auch, wie wir das umsetzen konnten“, verrät Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington in einem Interview. „Wir haben einfach losgelegt.“ Die Songs von Meteora entstehen sowohl im Heimstudio von Shinoda als auch während der finalen Produktion. Die Band arbeitet damals paarweise; lediglich Shinoda weiß jederzeit über alles Bescheid. Im Dezember 2002 stellen Linkin Park ihr zweites Album schließlich fertig — und damit auch einige ihrer größten Hits.
Das zweite Album von Linkin Park: Die letzten großen Rock-Hits?
Ob Somewhere I Belong, Faint, Numb oder Breaking The Habit: Meteora strotzt nur so vor einigen der größten Linkin-Park-Songs, genau wie zuvor Hybrid Theory. Inhaltlich beschäftigen sich die Stücke auf Album zwei mit Themen wie Depressionen und Wut, aber auch mit Besserung und Hoffnung. „Wir sprechen in unseren Texten nicht über Situationen, sondern über die Gefühle hinter Situationen“, erklärt Sänger Bennington in einem Interview mit MTV. „Mike und ich sind zwei verschiedene Menschen und können deshalb nicht über dieselben Dinge singen, aber wir kennen beide Frustration und Wut und Einsamkeit und Liebe und Glück. Auf diesen Ebenen können wir uns aufeinander beziehen.“
Im Nachhinein muss man sagen: Mit Meteora legen Linkin Park im Jahr 2002 eins der bisher letzten großen Rockalben vor. Bloß American Idiot (2004) von Green Day und A Rush Of Blood To The Head (2002) von Coldplay gehen ähnlich häufig über die Ladentheke; in ihrer eigenen Diskografie fahren Linkin Park nur mit ihrem Debüt Hybrid Theory noch größere Erfolge ein. Nicht nur das: Ihren Aufstieg verdanken Chester Bennington und Co. nicht zuletzt der Tatsache, dass sie eben keinen lupenreinen Rock spielen, sondern das Genre organisch mit den Hip-Hop-Sounds des 21. Jahrhunderts vermischen. Ob es noch einmal Alben dieser Größenordnung geben wird? Vermutlich schon. Ob es Rockalben sein werden, darf allerdings angezweifelt werden.
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