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Popkultur

„…And Out Come The Wolves“: Vor 25 Jahren machen Rancid den echten Punk zum Goldesel

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Rancid
Foto: Martyn Goodacre/Getty Images

Punk und kommerzielle Interessen schließen sich ja eigentlich aus. Bei Rancid nicht. Die hauen 1995 ihre dritte Platte …And Out Come The Wolves raus, werden damit zum Mega-Seller – und behalten trotzdem ihre alte Fanbase. Ein lauter und ruppiger Widerspruch.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr …And Out Come The Wolves nochmal hören:

Mitte der Neunziger verändert der Punk radikal sein Gesicht. Was sich zuvor im Underground abspielt und eine hermetisch abgeschlossene, geradezu isolierte Szene ist, tritt aus den ranzigen Kellern plötzlich in den gleißenden Sonnenschein der kalifornischen Sonne. Bad Religion, Green Day, The Offspring – alles Bands, die die Subkultur Kaliforniens schon seit den Achtzigern mit subversiven Inhalten befeuern – starten plötzlich kommerziell durch. Sie unterzeichnen bei Major-Labels, sie landen im Musikfernsehen, und sehr bald auch in der Bravo.

Von Punks zu Posterboys

Daran ist nichts Verwerfliches. Insbesondere bei The Offspring und Green Day lässt sich aber einerseits eine starke Verpoppung des Sounds und andererseits eine Verjüngung des Publikums feststellen. Aus den Punk-Jungs werden Posterboys. Eine Band, die mittendrin steckt in dieser kalifornischen Punk-Klitsche, ist Rancid. Billie Joe Armstrong von Green Day schreibt Songs für sie, Brett Gurewitz von Bad Religion produziert ihre ersten beiden Platten, sein Label Epitaph bringt sie heraus.

Doch als Smash und Dookie Millionen Einheiten absetzen, die gierigen Plattenbosse den Punk als Wirtschaftszweig für sich entdecken und auch auf Rancid aufmerksam werden, passiert etwas Seltsames. Rancid werden mit Angeboten für fette Major-Verträge überhäuft, Madonnas Label Maverick will sie haben, also verlangen Rancid Nacktfotos von ihr, um über das Angebot nachzudenken. Und ein Verantwortlicher bei Epic soll sich auf Geheiß der Band einen blauen Irokesenschnitt zugelegt haben. Doch am Ende treiben Rancid nur ein fieses Spiel mit den armen, armen Labels. Und bleiben ihrem Indie-Label Epitaph doch treu.

California calling

Auf dem veröffentlichen sie am 22. August 1995 ihre dritte Platte …And Out Come The Wolves. Der Titel, obgleich einem Gedicht entliehen, zielt auf die Geldhaie ab, die Rancid ans Leder wollen. Doch Rancid lassen sich nicht darauf ein. Sie machen einfach das, was sie am besten können – sehr zum Gusto ihrer Anhänger*innen: Englisch geprägter Punk der alten Schule, insbesondere auf diesem Referenzwerk hörbar geprägt von Ska. The Clash auf kalifornisch etwa, wenn auch vielleicht ohne das große sozialkritische Narrativ, das Joe Strummer so meisterhaft beherrschte. 19 Songs in knapp unter 50 Minuten: Rancid haben 1995 eine Menge zu erzählen und tun das mit Verve, Schmiss und einem stolzen Trotz, der so brüllen scheint: Das hier ist immer noch unsere Musik, also Finger weg! Zeigt letztlich auch schon das Cover, eine Verbeugung an die DC-Legende Minor Threat.

Hilft natürlich nichts. Punk ist einfach das Gebot der Stunde. Und daran hindern, die Platte zu kaufen, kann man die Leute natürlich nicht, also wird auch …And Out Come The Wolves zu einem sagenhaft erfolgreichen Album. Nach wenigen Wochen holt es Gold, längst ist es Platin-zertifiziert und hat über eine Million Exemplare verkauft. Für eine Band, die nicht gentrifiziert wurde, mutet das schier unglaublich an. Während Basket Case oder Self Esteem auf den Klassenfahrten rauf und runter laufen und juvenilen Vorstadtkids die Illusion vermitteln, echt harte Punks zu sein, bleiben Rancid ihrem Underground-Credo treu.

Runter von der Straße

Hängt vielleicht auch mit der Lebensgeschichte ihres Frontmanns zusammen. Tim Armstrong (weder verwandt noch verschwägert, wohl aber eng befreundet mit Armstrong von Green Day) hat vor Rancid schon gefühlt drei Leben gelebt. Erst gründet er 1985 Basic Radio, 1987 dann die Ska-Punk-Band Operation Ivy und 1989 sowohl die Dance Hall Crashers als auch Downfall. Der Name dieser letzten Band ist für Armstrong Programm: Seine Alkoholabhängigkeit gerät außer Kontrolle, er hat Depressionen, landet auf der Straße und lebt eine Weile als Obdachloser. Sein Kindheitsfreund Matt Freeman, mit dem er im 924 Gilman Street Club ein und ausgeht, überzeugt ihn davon, Rancid zu gründen, um von seiner Sucht loszukommen. Armstrong ist dabei, zieht es durch und baut sich mit Freeman schnell eine Gefolgschaft auf. Rancid ist für ihn mehr als eine Band. Deswegen komtm es für ihn selbst im allergrößten Punk-Boom nicht in Frage, Kapital daraus zu schlagen.

Bis 2003 zumindest. Dann schließen Rancid für ihre sechste Platte Indestructible doch noch den Pakt mit dem Teufel und setzen ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit Warner Bros. Der Aufschrei ist vorprogrammiert und genau so groß wie man es sich vorstellt, die Band verzichtet sogar darauf, das Warner-Logo auf dem Backcover abzubilden. Streng genommen stehen Rancid da immer noch beim Epitaph-Ableger Hellcat unter Vertrag. Doch in einer Szene voller Gralshüter*innen wie der Punk-Szene gilt selbst ein Vertriebsdeal mit einem Major als Hochverrat. Da interessiert es nur am Rande, dass sich Rancid im Vergleich zu ihren Zeitgenossen bis heute treuer als treu geblieben sind. Sei’s drum. Besser, bissiger und zupackender als auf …And Out Come The Wolves klingen sie aber nie wieder.

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