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Popkultur

Interview mit Suzi Quatro: „Mein Zweitname ist Ärger“

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Suzi Quatro
Foto: Tina K.

Letztes Jahr ist Suzi Quatro 70 Jahre jung geworden. Ihr neues Album The Devil In Me straft diese Zahl mit furiosen, hungrigen Songs aus Detroit Rock City Lügen. Im Interview spricht die Rock-Königin gewohnt gut gelaunt über die Zusammenarbeit mit ihrem Sohn, ihre Heimat Detroit und diese Sache mit Elvis.

von Björn Springorum

Seit 57 Jahren steht sie auf der Bühne, seit 1973 veröffentlicht sie unter dem Namen Suzi Quatro Platten. Sie ist eine, die alles gemacht, alles gesehen hat. Eine Sache wie eine globale Pandemie ist dann aber selbst für sie etwas Neues. Ist natürlich kein Grund, sich davon aus der Bahn werfen zu lassen.

Suzi, dir scheint selbst eine Pandemie nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wenn du schon nicht touren kannst, dann nimmst du eben The Devil In Me auf, ein richtig starkes, archetypisches Suzi-Quatro-Album. Du machst also wirklich Limo, wenn dir das Leben Zitronen gibt?

Jeder Mensch ist anders gestrickt, doch bei mir ist mein Glas immer halbvoll. Das bin ich, unerschütterlich, übertrieben optimistisch. 2020 hat mich natürlich auch erwischt, uns alle hat es erwischt. Doch sobald ich mich justiert hatte, war mir klar, dass ich meine ganze Energie in ein neues Album legen und dass ich dieses Album erneut mit meinem Sohn Richard schreiben würde. Aus Vorsehung oder einfach nur durch pures Glück hatte ich mir kurz vor dem ersten Lockdown ein eigenes Studio gebaut. In das zogen wir uns zurück – mein Sohn im Technikraum, ich draußen auf der Veranda. So fingen wir an. Wir schrieben und spielten und nahmen auf und probierten aus. Irgendwann war nicht nur irgendein Album fertig; sondern eine Platte, die ich persönlich für meine beste halte.

„Mein Sohn hatte eine beunruhigend genaue Vorstellung davon, wie seine Mutter zu klingen hat.“

Mit Richard Tuckey hast du schon No Control geschrieben. Wie sieht eure Zusammenarbeit aus?

Beim letzten Album war es natürlich für uns beide eine völlig neue Arbeitsweise, weil wir noch nie zuvor zusammen Musik gemacht hatten. Diesmal wussten wir schon, wie wir funktionieren. Richard nahm aus den Aufnahmen zum letzten Album unglaublich viel Selbstvertrauen mit und brachte sich richtig ein. Mein Sohn hatte eine beunruhigend genaue Vorstellung davon, wie seine Mutter zu klingen hat. (lacht) Sein Plan: Er wollte ein wegweisendes Werk wie mein Debüt schreiben. Erfüllte ein Song diese Voraussetzungen nicht, schmiss er ihn weg. Anfangs war ich noch so „Wer zum Teufel denkst du eigentlich, dass du bist?“-mäßig unterwegs, aber irgendwann musste ich einsehen, dass seine Vorgehensweise beeindruckend und seine Vision die richtige war. Zudem machte er das ja für mich, und nicht für sich. Also beschloss ich, ihm zu vertrauen. Und irgendwie schaffte er es tatsächlich, das alte Suzi-Quatro-Feuer wieder zu entfachen. Das Verstörende daran ist: Ich dachte ja eigentlich, dieses Feuer brennt noch. (lacht)

Ist The Devil In Me also ein Stück weit auch die Suzi Quatro, wie ihr Sohn sie sieht?

Ja. Richard sah mich schon als kleiner Junge auf der Bühne. Er wuchs auf mit einer Mutter, die Musik machte und Konzerte spielte. Er hat ein sehr präzises Bild von mir, das mir jetzt sehr viel Schub gibt. Dieser Blick von außen hat mir sehr gut getan.

„Wenn wir zusammen arbeiten, ist Richard nicht mein Sohn.“

Ist es nicht schwer, mit dem engsten Familienkreis zu arbeiten? Den eigenen Sohn kann man zumindest nicht so leicht feuern wie einen Produzenten oder einen Studiomusiker…

Ich denke, da hilft mir mein musikalischer Background. Du darfst nicht vergessen, ich wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf, spielte mit meinen Schwestern in meiner ersten Band. Ich kenne es also gar nicht anders, als mit meiner Familie zu arbeiten. Wenn ich Musik mache, spielen Beziehungen oder Verwandtschaftsgrade keinerlei Rolle. Sie bleiben draußen vor der Tür oder fern der Bühne. Wenn wir zusammen arbeiten, ist Richard nicht mein Sohn.

Wie kam es denn eigentlich zu dieser Zusammenarbeit?

Richard macht ja auch schon lange Musik, geriet mit seiner Band vor einigen Jahren aber in eine Sackgasse. Ich riet ihm, sich einen anständigen Job zu suchen – wohl wissend, dass er es dann nur noch vehementer mit der Musik versuchen würde. Umgekehrte Psychologie, ich kennen meinen Sohn. (lacht) Irgendwann schlug er vor, dass wir zusammen schreiben. Er hängte sich so rein, kanalisierte all seine Energie, seine Frustration und sein Talent – und wir merkten beide recht erstaunt, dass es funktionierte. Ich bin bis heute überrascht und baff, was er alles in sich hat. Ich wusste es einfach nicht, weil er es nie zeigte.

Das Internet behauptet hartnäckig, dass du es bis heute bereust, eine Einladung von Elvis nach Graceland ausgeschlagen zu haben. Um ehrlich zu sein, wirkst du mir aber nicht wie eine Künstlerin, die Dinge bereut…

Das ist das Problem mit Wikipedia, ich sagte nie, dass ich es bereue! Im Gegenteil: Ich glaube fest daran, dass alles aus einem ganz bestimmten Grund geschieht. Ich war damals nicht bereit, Elvis zu treffen, so einfach ist das. So bleibt er meine gesamte Karriere über als Inspiration auf meiner Schulter sitzen. Hätte ich ihn getroffen, hätte ich wahrscheinlich nie Singing With Angels geschrieben, mein Tribut an ihn. Es sollte nicht sein, Elvis sollte wohl auf ewig mein spiritueller Ratgeber aus der Ferne bleiben. Meine Inspiration.

„Wir drücken eher aufs Gas als zu bremsen.“

Inspiration ist ein gutes Stichwort: In Motor City Riders huldigst du deiner alten Heimat Detroit. Warum lässt dich diese Stadt nicht los?

Darüber unterhalte ich mich regelmäßig mit Alice Cooper oder den MC5. Ich habe so viel über Detroit gesprochen, so viel über diese Stadt nachgedacht, und ich glaube, es sind die Abgründe, die Detroit so besonders machen. In dieser Stadt herrscht eine gefährliche Energie, eine ganz eigene Intensität, die ich nirgendwo anders gespürt habe. Wer aus Detroit kommt, wird das sein ganzes Leben in sich tragen. Wir drücken eher aufs Gas als zu bremsen. Die Rocker und Motown, weiß und Schwarz, alles lief Hand in Hand, entwickelte sich auf Augenhöhe nebeneinander. Detroit steht ständig unter Strom, die Stadt brummt vor Elektrizität. Ich lebe nicht mehr dort, doch Detroit wird für immer mein Zuhause sein.

Das sieht Alice Cooper ganz ähnlich. Er hat ja gerade erst seine Detroit Stories veröffentlicht…

Oh ja, Alice wollte mich für ein Duett auf der Platte haben. Der Produzent meinte dann aber, dass für mich wohl nur einige Zeilen vorgesehen wären. Ich sagte dann dankend ab. Das hat für mich nichts mit einem Duett zu tun.

„Ich habe sehr viel gekämpft und den Frauen nach mir viele Türen geöffnet.“

Das klingt so, als müsste Suzi Quatro auch mit 70 noch gegen die Männerwelt kämpfen.

Natürlich muss sie das! (lacht) Ich habe sehr lange und sehr viel gekämpft und den Frauen nach mir viele Türen geöffnet. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie jetzt auch alle geöffnet sind.

Du hast schon als junges Mädchen Konzerte gegeben. Hättest du damals in den Sechzigern gedacht, dass du mit 70 noch ein neues Album veröffentlichen würdest?

Ich stehe seit 57 Jahren auf der Bühne. Als ich mit 15 Jahren mein erstes Konzert in New York gespielt hatte, rief ich meinen Vater aus dem Hotelzimmer an und sagte ihm, dass ich nicht die Schule fertig machen, sondern den Rest meines Lebens Musik machen wollte. Ich wollte damals nicht nur für fünf Minuten in diesem Business sein, sondern nie wieder etwas anderes tun.

Wie war dieser Anruf?

Oh, das ist eine meiner Lieblingsgeschichten. Als ich meinem Dad eröffnete, dass ich die Schule schmeißen wollte, um Musikerin zu werden, wurde er sehr ruhig. Suzi, sagte er dann, gibt es irgendetwas, womit ich deine Meinung ändern kann? Ich verneinte und er legte ganz sanft und leise auf. Er knallte den Hörer nicht auf die Gabel, was es mir natürlich viel leichter gemacht hätte. Nein, er legte ganz leise auf. Sehr clever. Ich saß bestimmt 15 Minuten neben dem Telefon und dachte noch mal alles durch. Traf ich die richtige Entscheidung? Pause, Pause, Pause… ja, verdammt, natürlich! (lacht) Es war sehr gut, dass er so reagierte, weil er mich zwang, mich noch mal auf den Prüfstand zu stellen. Danach war ich nur noch entschlossener. Kein Weg zurück.

Letzte Frage: Welchen Teufel meinst du im Albumtitel The Devil In Me?

Meine Mutter sagte früher immer: Du bist ein Engel – aber nur solange bis dein Heiligenschein herunterrutscht und zur Schlinge wird. Ich war wohl zugleich das süßeste und schelmischste Kind aller Zeiten. Und irgendwie bekomme ich das nicht raus. Mein Mann sagt immer, mein Zweitname ist Ärger. Und damit kann ich gut leben. (lacht)

Die frühen Frauen des Rock ’n’ Roll: Wichtig, aber übersehen

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Zeitsprung: Am 30.9.1978 veröffentlicht Gary Moore „Back On The Streets“.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.9.1978.

von Christof Leim und Tom Küppers

Als Gary Moore am 30. September 1978 Back On The Streets veröffentlicht, hat er schon einige Bands hinter sich. Die Platte erscheint unter eigenen Namen, doch er kann auf helfende Freunde zählen. Insbesondere die Herren Lynott und Downey, zwei alte Bekannte aus Dublin, mischen mit.


Hört hier in Back On The Streets rein:

Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.

Dass bei Gary Moore etwas mit Musik gehen würde, zeichnet sich schon früh ab: Mit zehn bekommt er seine erste Gitarre in die Finger, schon im Alter von 16 Jahren wird er 1968 von der Dubliner Band Skid Row rekrutiert (nicht verwandt oder verschwägert mit den gleichnamigen Hardrockern aus New Jersey). Nach dem Ende dieser Truppe gründet er die kurzlebige Gary Moore Band und veröffentlicht 1973 das Quasi-Soloalbum Grinding Stone. 1974 hilft er kurzfristig auf der Bühne und im Studio bei Thin Lizzy aus und betätigt sich parallel bei den Jazzrockern Colosseum II. Als Lizzy Anfang 1977 vor einer gemeinsamen US-Tour mit Queen ohne Gitarrist dastehen, springt Gary wieder ein.



Insbesondere mit Lizzy-Frontmann Phil Lynott versteht sich Moore auf künstlerischer und persönlicher Ebene hervorragend. Doch das Angebot fest bei der seinerzeit populärsten irischen Band einzusteigen, lehnt der Gitarrist noch ab. Zum einen will er seine Colosseum II-Kollegen trotz kommerziellen Misserfolgs nicht im Regen stehen lassen, zum anderen steckt er zu diesem Zeitpunkt schon in den Vorbereitungen für sein erstes „richtiges“ Soloalbum.



Back On The Streets wird im Frühjahr 1978 unter der Aufsicht des legendären Hardrock-Produzenten Chris Tsangarides eingespielt. Neben Studiogrößen wie dem späteren Toto-Schlagzeuger Simon Phillips gastiert mit Phil Lynott und Trommler Brian Downey die Rhythmussektion von Thin Lizzy gleich auf mehreren Stücken. Und auch kompositorisch hinterlässt Lynott deutliche Spuren: Abgesehen von einer gelungenen Neueinspielung des Lizzy-Hits Don’t Believe A Word in balladesker Form profitiert Moore zwei weitere Male von den schöpferischen Fähigkeiten seines Freundes.



Fanatical Fascists zeigt sich von der wuchtigen Simplizität des aufkeimenden UK-Punk inspiriert, für den Lynott große Sympathien hegt. Für die größere Überraschung sorgt Parisienne Walkways: Der gemeinsam von Lynott und Moore geschriebene Schmachtfetzen entpuppt sich als Hit, der im vereinigten Königreich bis auf Position acht der Single-Charts vordringt. Bis heute fesselt die Nummer durch ihre wunderbaren Gitarrenlinien, 2014 trägt sie den japanischen Eiskunstläufer Yuzuru Hanyu gar zum Punkte-Weltrekord im Kurzprogramm. Und selbstverständlich profitiert auch das am 30. September 1978 veröffentlichte Back On The Streets-Album in Sachen Verkaufszahlen von diesem kommerziellen Überraschungserfolg.

Eine weitere denkwürdige (weil einzigartige) Performance gibt es im Januar 1979 im Rahmen der BBC-Sendung The Old Grey Whistle Test zu bestaunen. Für diesen Anlass rekrutiert Moore mit Lynott, Lizzy-Klampfer Scott Gorham, Keyboarder Don Airey und Trommel-Gott Cozy Powell eine All-Star-Truppe ersten Kalibers. Die Interpretationen des Titelsongs von Back On The Street und Don’t Believe A Word sind absolut mitreißend, bei letzterem lässt sich Gary selbst von einer gerissenen Saite nicht aufhalten.



Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Gitarrist allerdings bereits wieder mit Thin Lizzy im Studio, um als festes Bandmitglied deren Album Black Rose: A Rock Legend (1979) einzuspielen. Jedoch verlässt er die von Drogenproblemen geplagte Band im Sommer während einer laufenden US-Tournee wieder. Von dem Moment an widmet er sich fast ausschließlich seinen musikalischen Alleingängen, mit denen er in den kommenden Jahrzehnten so wohl im Hard Rock als auch im Blues epochale Gitarrengeschichte schreiben wird.

Zeitsprung: Am 30.5.1980 landet Gary Moores G-Force auf dem Rockplaneten.

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Popkultur

„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge

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Tom DeLonge HEADER
Foto: Christopher Polk/Getty Images

Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:

… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …

Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan

Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?

DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …

Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?

In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.

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blink-182: Alle Studioalben im Ranking

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Popkultur

Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.

von Christof Leim

In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.

Hier könnt ihr das Album hören:

Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still. 

Neues Spielzeug

Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“  singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.

Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo

Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.

Fünf Minuten mindestens

Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.

Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.

Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…

Filme und Bücher als Inspiration

Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.

Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel. 

Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool

Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.

Ein Cover wie ein Bildband

Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch. 

Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs

Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“  und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.

…und die Rückseite ist genauso bombastisch.

Auf die Straße. Natürlich.

Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit. 

Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images

So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.

Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

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