Popkultur
Scorpions-Gitarrist Rudolf Schenker im Interview: Mit Yoga bis zur 100!
Neben dem Bahlsen-Butterkeks sind die Scorpions zweifelsohne der größte Verkaufsschlager der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Aktuell touren die Rock-Veteranen mit ihrem 19. Album Rock Believer durch die ganze Welt und machen im Mai auch Halt in ihrer Heimat. Sechs Konzerte spielen sie in Deutschland, das erste am 14. Mai in Dortmund. Im Interview verrät Bandmotor Rudolf Schenker, was ihn mit fast 75 Jahren antreibt.
von Andrea Leim
Hier könnt ihr Rock Believer hören:
Geht man in der Biografie der Scorpions zurück an den Anfang, landet man tatsächlich im Jahr 1965: Damals gründen der jugendliche Rudolf Schenker und sein Schlagzeuger-Kumpel Wolfgang Dziony die Gruppe Nameless, weil sie sich auf keinen besseren Namen einigen können. Ein Jahr später wird die Kombo dann in Scorpions umbenannt, und schon damals ist Schenker wichtig, dass sich der Titel international verwenden lässt. Denn der Hannoveraner Gitarrist hat von Anfang an ein Ziel im Auge: ganz groß und vor allem weltweit rauszukommen! Das hat er eindeutig geschafft – entgegen vieler Zweifler, wie Rudi Schenker im Interview verrät. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs erklärt er: „Wir Musiker kennen gar kein ‚Sie‘. Das ist nur was für Geschäftsleute!“ Also geht es natürlich im „Du“-Modus los.
Rudolf, du lebst nach dem Prinzip, dass alles im Leben Freude und Spaß machen sollte. Auf der Bühne vor Tausenden Fans zu stehen, muss ein unfassbares Gefühl sein. Aber macht das reine Touren, mit Jetlag und so weiter, auch immer noch Spaß und Freude?
Bei uns Rockmusikern darf man nicht nur das sehen, was glitzert, sondern auch die ganze Arbeit, die dahintersteckt. Als wir mit unserer Band loslegten, haben wir die ganze Organisation allein gemacht. Wo gibt es billige Pensionen? Haben wir noch Sprit im Tank? Wie sehen unsere Klamotten aus? Wichtig dabei war vor allem, dass zwischen uns die Chemie stimmt. Denn Musik entsteht durch Freundschaft. Ich wollte nie wie Elvis allein auf der Bühne stehen, sondern viel lieber wie die Beatles oder die Rolling Stones mit Freunden um die Welt reisen. Deshalb zur Antwort: Ja, das alles macht noch immer Spaß! Wenn du die richtigen Leute an deiner Seite hast, dann ist das einfach nur toll und wunderbar!
Schon dein Vater hat früher zu dir gesagt: „Wenn du Freude an dem hast, was du machst, kommt das Geld von ganz allein.“ Damit hatte er ganz offenbar Recht.
Es war allerdings so, dass zuerst meine Mutter mir sagte, dass ich meinen Hirngespinsten erst dann nachgehen kann, nachdem ich etwas Ordentliches gelernt habe. Die Aussage meines Vaters rührt daher, dass ich nicht so genau wusste, welchen Beruf ich erlernen sollte. Erst dachte ich an Fernmeldetechniker, weil ich in Physik und Chemie gut war. Letztlich habe ich Starkstromtechniker gelernt, was ja auch gut zum Rock’n’Roll passt. Dadurch, dass ich meine Lehre abgeschlossen und im Anschluss zwei Jahre als Geselle gearbeitet habe, konnte ich meine Bodenständigkeit gewinnen und erfahren, wie das ganz normale Leben so ist. Als es später dann darum ging, mit einer Band durch die Gegend zu ziehen, gefiel mir das natürlich viel besser, als jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Aber im Grunde haben mich immer schon die Musik und der Wunsch zu spielen angetrieben.
Du bist ein spiritueller Mensch, meditierst und betreibst seit vielen Jahrzehnten schon Yoga. Haben diese Dinge dir beim Erreichen deiner Ziele geholfen?
Meditation bringt dich zu dir selbst und sagt dir, was dein Ziel sein könnte. Ich habe mein Ziel einfach sehr hoch gesteckt. 1970 habe ich schon in Riebes Fachblatt, einem damaligen Musikmagazin, auf die Frage, was wir erreichen wollen, geantwortet: ‚Die Scorpions wollen zu den Top-30-Rockbands der Welt gehören!‘ Klar war das hochgesteckt, und ich wurde belächelt und Spinner genannt. Aber das ist der Punkt: Wenn du deine Ziele hoch steckst und sie stetig verfolgst, dann kommst du eher dahin, als wenn du nur kleine Schritte wagst.
Haben dich damals viele für deine Träume belächelt?
Klar. Conny Plank, der Produzent unseres ersten Albums, hielt uns irgendwann einen Vertrag unter die Nasen, den wir unterzeichnen sollten. Ich fragte ihn, was das für ein Musikverlag sei, weil ich den nicht kannte. „Mensch Kinners, ihr müsst erstmal so anfangen“, hat Conny mir entgegnet. „Ne, ne“, hab ich ihm gesagt. „Ich will so nicht anfangen. Ich will international anfangen. Wir wollen mal in Amerika spielen!“ Daraufhin hat er sich totgelacht. Aber was soll ich sagen: Es hat alles geklappt, wir sind unseren Weg gegangen. Und das nur, weil wir ein Ziel hatten, die Chemie stimmte und alles gemeinsam beschlossen wurde.
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Habt ihr eure Shows auch gemeinsam vorbereitet?
Ja. Wir sind zum Beispiel zusammen im alten 300er SEL zum Gig gefahren, nach Marseille runtergebrettert, haben Musik gehört und uns über die Bands unterhalten, deren Songs liefen, Wir haben uns gefragt, was wir auf der Bühne machen wollen, um rauszustechen, um aufzufallen. Wir waren immer ein Team und haben die Entscheidungen gemeinsam getroffen.
Du hast all diese Ziele erreicht, wirkst aber nicht wie der Typ, der sich jetzt zurücklehnt und nur noch zuschaut. Welche Ziele hast du dir für die nächsten Jahre gesteckt?
Ich will 100 Jahre alt werden! Ich habe ja zum Glück sehr früh angefangen, Yoga zu machen und habe so auch Ayurveda kennengelernt, eine 4000 Jahre alte Form der Gesundheitspflege. Dadurch ist mir aufgefallen, dass unser heutiges Gesundheitssystem darauf ausgelegt ist, mit Hilfe von Arzneien rasch alle Wehwehchen zu beseitigen. Das hat zur Folge, dass sich kaum jemand ausreichend um seinen Körper kümmert und weiß, wie der funktioniert. Wenn du das weißt und an deiner Gesundheit arbeitest, dann kannst du das Leben viel besser genießen. Das Leben genießen kann man nur mit vollem Bewusstsein und vor allem guter Gesundheit. Und das ist mein Weg. So will ich 100 Jahre alt werden.
Deshalb machst du auch schon seit über 50 Jahren Yoga?
Man muss irgendwann die Entscheidung treffen, genug für seinen Körper zu tun. Genug Sport zu treiben, sich ausreichend zu dehnen und und und. Yoga ist auch deshalb so gesund, weil es nicht nur die Faszien der Muskeln, sondern auch die der Organe dehnt. Zu viele Menschen betreiben Raubbau an ihrem Körper. Das habe ich natürlich früher auch immer mal wieder getan. Aber irgendwann habe ich zu mir selbst gesagt: ‚Moment mal! Du willst doch Musiker sein und kein Partykönig!’
Als du anfingst, war kaum ein Rockfan oder -musiker älter als 30 Jahre. Heute ist das anders, die meisten sind über 30, andere schon über 70. Ist Rock heute „Rentnermucke“ oder sind Rentner einfach viel rockiger als früher?
Ich glaube, Rockmusik hat eine ganz stabile Entwicklung durchgemacht. Allerdings sind wir und viele andere Bands mit der Zeit in das Business hineingewachsen. Die Chance haben junge Bands oft nicht. Sie kommen rein ins Business, nehmen eine Platte auf, haben Erfolg, aber der hält nicht ewig. Und es fehlt ihnen die Stabilität, die wir uns aneignen mussten.
Die Rockband Heavysaurus, die in Dinosaurierkostümen Metal für Kinder spielt, hat gerade einen Scorpions-Song für ihr junges Publikum umgeschrieben. Aus Rock You Like A Hurricane wurde Dinos wollen euch tanzen sehen. Die Zielgruppe ist 3 bis 11 Jahre alt. Freut ihr euch über solche Generationswechsel?
Ja, die kenne ich! Ich finde das Hammer, und mein Sohn ist sehr großer Fan! Daran kannst du sehen, wie viel diese Musik kann, dass sie jetzt schon wieder auf die jüngere Generation übergreift.
Du bezeichnest dich selbst als sensiblen Menschen und kannst auch öffentlich in Interviews weinen. Siehst du diese Sensibilität mehr als Stärke oder als Schwäche? Und ist diese Eigenschaft mit den Jahren deutlicher hervorgetreten oder weniger?
Ich sehe meine Sensibilität heute auf jeden Fall als Stärke an, obwohl ich sie früher als Schwäche wahrgenommen habe. Aber ohne sie hätte ich ganz viele Stücke gar nicht komponieren und schreiben können. Als ich zum ersten Mal Stairway To Heaven gehört habe, fand ich den Song total geil und habe mir gewünscht, so etwas auch zu können. Irgendwann kamen dann Still Loving You und viele Songs, die zu Hits wurden. Aber all das ging nur, weil ich die Sensibilität besitze. Tränen zu vergießen, wenn einen etwas rührt, ist auch für einen Mann gut. Ich bin froh über diese Eigenschaft.
Ihr spielt auch immer wieder kleinere Konzerte wie etwa 2015 auf dem Schlossplatz in Coburg oder in Ulm vor dem Münster. Könnt ihr euch vorstellen, auch nochmal im vergleichbaren Rahmen zu spielen?
Wir haben gerade darüber gesprochen, was wir in Zukunft machen können und wollen. Und genau das war ein Thema: Stadtfeste im kleineren Rahmen, die dieses ganz besondere Flair haben, diese Wärme. Da kommen auch Leute, die nicht unbedingt auf Hallenkonzerte gehen wollen. Bei den Stadtfesten gibt es eine tolle Atmosphäre unter freiem Himmel, und alle sind immer super drauf. Vorstellen können wir uns das auf jeden Fall!
Die Daten der Rock Believer-Tour in Deutschland:
- Mai, Dortmund, Westfalenhalle
- Mai, Mannheimer, SAP-Arena
- Mai, Hannover, ZAG-Arena
- Mai, Stuttgarter, Schleyer-Halle
- Mai, Berliner, Mercedes-Benz Arena
- Juni, München, Olympiahalle
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Zeitsprung: Am 25.2.1979 starten die Scorpions den „Lovedrive“.

Popkultur
Vor 55 Jahren feierten Simon & Garfunkel mit „Mrs. Robinson“ eine Nummer eins
Am 1. Juni 1968 landeten Simon and Garfunkel mit Mrs. Robinson auf Platz 1 der US-amerikanischen Billboard Hot 100 Charts — und blieben dort drei Wochen lang. Wir werfen einen Blick auf die Entstehung des Songs.
von Markus Brandstetter
Es ist einer der größten Songs der Popgeschichte — und entstand zu einem guten Teil sozusagen aus Verlegenheit. Geschrieben hatte Paul Simon den Song eigens für den 1967 erschienenen Film The Graduate. Ganz einfach war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Mike Nichols nicht — dieser hatte nämlich zwei andere Songvorschläge abgelehnt.
Zähe Soundtrack-Zusammenarbeit
Simon hatte ihm zwei Stücke namens Punky’s Dilemma und Overs vorgespielt, so richtig enthusiastisch stimmen Nichols die Songs allerdings nicht. Der Sänger und Songschreiber hatte noch etwas in der Tasche: einen Entwurf eines Stücks namens Mrs. Roosevelt (so der Arbeitstitel des Stücks, der sich ursprünglich auf die Politaktivisten und Ehefrau des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Eleanor Roosevelt bezog. Dass der Song dann auf Mrs. Robinson umgetauft wurde, macht Sinn — schließlich heißt so der weibliche Hauptcharakter des Films. Die Geschichten, wie es dazu kam, variieren indes ein wenig.
„Paul hatte an dem Song gearbeitet, der jetzt Mrs. Robinson heißt, aber es gab keinen Namen darin und wir füllten ihn einfach mit irgendeinem dreisilbigen Namen. Und wegen des Charakters in dem Film fingen wir einfach an, den Namen Mrs. Robinson zu verwenden, weil er passte […]“, erinnerte sich Art Garfunkel einmal. Eines Tages saßen wir mit Mike zusammen und sprachen über Ideen für einen weiteren Song. Und ich sagte: Wie wäre es mit Mrs. Robinson? Mike schoss auf die Beine. Ihr habt einen Song, der Mrs. Robinson heißt, und ihr habt ihn mir noch nicht einmal gezeigt? Also erklärten wir ihm den Arbeitstitel und sangen ihn ihm vor. Und dann hat Mike ihn für den Film als ‘Mrs. Robinson’ verewigt.“
Paul Simon: „Ich wusste nicht einmal, was ich spielte“
Paul Simon, der am Anfang von der Auftragsarbeit nicht wirklich begeistert war, erinnert sich folgendermaßen: „Mike Nichols rief an und fragte uns. Er sagte, er habe ein Buch und wolle einen Film mit dem Titel The Graduate drehen… Er überzeugte uns, die Musik zu machen. Die Musik sollte größtenteils Originalmusik sein, aber es kam vor, dass wir, um eine Szene zu füllen, ein Musikstück nahmen und es dort einsetzten, nur um zu hören, wie die Musik klingen würde.“ Die Entstehung des Songs sei sehr spontan und intuitiv gewesen, erzählt er: „Mrs. Robinson wurde an Ort und Stelle erfunden”, fährt er fort. “Ursprünglich sollte das eine Verfolgungsszene sein, und sie wollten Gitarrenmusik. Ich spielte… Ich wusste nicht einmal, was ich spielte, ich riffte einfach auf der Gitarre.” Auf dem Soundtrack des Films finden sich zwei Kurzversionen des Stücks. Die volle Version — die sich in einigen Dingen unterscheidet, gab es erst im Jahr darauf zu hören: da veröffentlichten Simon & Garfunkel ihr Album Bookends.
„Das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens“
Textlich ist der Song ganz auf die Filmfigur Mrs. Robinson zugeschnitten, die eine komplexe Beziehung mit einem jungen Mann eingeht. Oder wie es das Magazin American Songwriter beschreibt: „Der berüchtigte Song Mrs. Robinson von Simon & Garfunkel ist die inoffizielle Hymne einer außerehelichen Affäre. Es ist die inoffizielle Hymne der älteren Frau. Es ist das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens.“
Joe DiMaggio: „Ich bin nirgendwo hingegangen!“
Einer soll übrigens über den Text — genauer gesagt die legendäre Zeile „Where have you gone, Joe DiMaggio“ — nicht begeistert gewesen sein: nämlich die Baseball-Legende Joe DiMaggio selbst. Simon berichtet, ihn in einem Restaurant getroffen zu haben. Das Gespräch sei so verlaufen: „Ich war zufällig in einem Restaurant und da war er. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging hin, um mich vorzustellen und zu sagen: ‚Hi, ich bin der Typ, der “Mrs. Robinson” geschrieben hat’, und er sagte: ‚Ja, setzen Sie sich… warum sagen Sie das? Ich bin hier, jeder weiß, dass ich hier bin.æ Ich sagte:‚’So habe ich es nicht gemeint – ich meine, wo sind diese großen Helden jetzt?’ Er war geschmeichelt, als er verstand, dass es schmeichelhaft gemeint war.”
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Popkultur
Zeitsprung: Am 1.6.1975 beginnt Ron Wood seine erste Tour als Gitarrist der Rolling Stones.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.6.1975.
von Christian Böhm und Christof Leim
Manchmal regelt das Universum die Dinge. So mag es sich zumindest für Ron Wood anfühlen, als er am 1. Juni 1975 die Bühne betritt. Es ist der Beginn der USA-Tour der Rolling Stones zum gerade erschienenen Album It’s Only Rock’n’Roll – und Ron Woods erste Tour als ihr neuer Gitarrist. Sein Einstieg bei der wahrscheinlich größten Rock-Band der Welt stellt sicherlich einen Meilenstein seiner Karriere dar, die bis dato schon beachtlich lief. Und Ron Wood, der davor bei den Birds, der Jeff Beck Band und bei den Faces gespielt hatte, bleibt bis heute Mitglied der Rolling Stones.
Hier könnt ihr euch das damals aktuelle Album It’s Only Rock’n’Roll anhören:
Für einen Kollegen geht mit diesem Anfang natürlich etwas zu Ende – und im Nachhinein sagt Woods Vorgänger bei den Stones, Mick Taylor, dass ihm schon immer irgendwie klar war, dass er in dieser Band nicht ewig spielen würde. Auch für Ron Wood endet gerade etwas, als Mick Jagger anruft und ihm den Job des Tourgitarristen anbietet: Die Faces sind im Begriff, sich aufzulösen, als das Telefon klingelt und für Ron etwas Neues beginnt. Man sagt ja, dass neue Türen sich genau dann öffnen, wenn man die alten schließt.
Touren sind nie langweilig
It’s Only Rock’n’Roll heißt die Tour, und der Titel trifft es wohl ziemlich genau: Vor Beginn fährt die Band Brown Sugar spielend auf einem LKW über die New Yorker 5th Avenue. Ein gelungener Promo-Gag! Nicht ganz so gelungen und auch nicht unbedingt lustig verläuft dann eine Fahrt durch Arkansas. Im Örtchen Fordyce droht die Sause vorzeitig zu enden, als die dortige Polizei die Band stoppt und zumindest einen Teil der nicht gerade wenigen Drogen in ihrem Wagen findet. Ihr Anwalt boxt die Rocker aus der Situation heraus, und so zieht der Tross weiter durch den sogenannten „Bible Belt“, den extrem christlichen Teil der USA. Wem nicht klar ist, wie die Gepflogenheiten in diesem Landstrich so aussehen, dem sei gesagt, das in Arkansas einmal versucht wurde, Rock’n’Roll per Gesetz zu verbieten.
Darüber lacht Keith Richards nicht schlecht in seiner in seiner Autobiografie Life, welche übrigens mit der oben beschriebenen Geschichte beginnt.
Ron (oder auch Ronnie, wie manche ihn nennen) Wood kannte seine neuen Mitstreiter schon vorher: Am Titelsong des Albums It’s Only Rock’n’Roll ist der Gitarrist kompositorisch beteiligt. Jagger und Richards wiederum hatten ihm zuvor bei seinem Soloalbum I’ve Got My Own Album To Do (1974) ausgeholfen. Als er die Platte 1974 schreibt, gehört Ron Wood auch zu den Faces und gibt dort mit Rod Steward ein ähnliches Duo ab wie Mick Jagger mit Keith Richards bei den Stones.
Man kennt sich, man versteht sich
Auf selbiger verstehen Keith und Ron sich fast blind. Schmunzelnd sagt Richards im Interview mit Gitarre & Bass: „Wenn ich mitbekomme, dass er sich irgendwohin bewegt, ziehe ich mich zurück und tauche unter ihm ab. Und wenn er hört, dass ich abhebe, macht er dasselbe. Es ist eben genau wie beim Weben, mit den verschiedenen Fäden – und wir sind die dienstälteste Manufaktur auf Erden. Alt und rostig. Aber hey – es funktioniert.“ Die Chemie zwischen den beiden stimmt also. Seine eigenen Songs aber kann Ronnie bei den Stones eher selten unterbringen. Die meisten Songs kommen dann eben doch von… na, von den beiden anderen eben.
„Ich wäre schon froh, wenn sie meine Stücke überhaupt mal ernsthaft anhören würden, sie könnten ja sagen: „Vergiss es, das Zeugs ist Mist.“ Aber sie könnten meinen Stücken wenigstens eine Chance geben“, sagt Wood dazu. Klingt nicht gerade nach Friede-Freude-Eierkuchen, aber so läuft das Rock’n’Roll-Geschäft ja auch nicht immer. Man sagt, Ron sei nicht immer nur Gitarrist gewesen, sondern musste auch öfter den Streitschlichter geben, wenn die beiden guten Freunde Keith und Mick sich mal wieder in den Haaren hatten.
Nicht ungefährlich
Apropos Rock’n’Roll: Für Präsident Richard Nixon waren die Stones nicht die größte, sondern „die gefährlichste Rock’n’Roll-Band der Welt“, was er dem Anwalt der Band offiziell mitteilen ließ. Ganz ungefährlich lief auch Ron Woods Leben nicht: Mehrmals unterzieht er sich Entziehungskuren, um seiner Alkoholsucht zu entkommen, und auch bezüglich anderer Substanzen galt er nicht als Kind von Traurigkeit. Bis zu acht Pints Guinness (und das sind immerhin über vier Liter Bier!) an einem Tag sollen keine Seltenheit gewesen sein – und obendrauf kamen mehrere Flaschen harter Schnaps. Nüchtern betrachtet war es Ron Wood vielleicht auch deshalb nicht möglich, die Leadgitarre der Band zu übernehmen, obwohl er das eigentlich tun sollte, denn Keith Richards gab seit jeher den Rhythmusgitarristen. Gern nennt man Keith das „Human Riff“, das menschliche Gitarrenriff, aber nun übernimmt er öfter die Leadgitarre. Auf der Bühne bedröhnt waren sie bisweilen beide.
Nochmal zurück zum Anfang der Geschichte: Mick Taylor, der den Platz für Ron Wood im Juni 1975 räumte, hatte die Qualitäten eines Rhythmusgitarristen. Noch weiter zurück findet man den anderen, vielleicht bekannteren Vorgänger Woods: Brian Jones. Auch dieser war bekannt für seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum. Während man Jones aber 1969 tot im Pool fand, hat Ron Wood seine Eskapaden überlebt.
Ein langer Weg
Vom langen Weg an die Spitze des Rock’n’Roll sang bekanntlich schon eine andere Rock-Größe vom unteren Ende der Welt. Vom Tour-Gitarristen avanciert Ronnie Wood zum festen Bandmitglied. Dann vergehen fast 20 Jahre als angestellter Musiker, bevor er 1993 auch Beteiligter am Unternehmen Rolling Stones wird. Später wird er sagen, dass ihm schon vor dem 1. Juni 1975 irgendwie klar war, dass er letztendlich bei den Stones landen würde. Er musste nur warten, bis das Universum das für ihn regelt.
Zeitsprung: Am 19.7.1989 rebelliert eine Kleinstadt gegen die Rolling Stones.
Popkultur
„Speaking In Tongues“ wird 40: Die Talking Heads verbrüdern Art-Rock und Schwarzen Soul
Die Talking Heads sind Ikonen der kunstvollen Popmusik. Ihr größter Erfolg landet vor genau 40 Jahren: Mit Speaking In Tongues gelingt David Byrne und Band der Durchbruch – auch dank Burning Down The House, das man in Europa aber eher wegen Tom Jones kennt.
von Björn Springorum
Die New Yorker Kunstszene der Siebziger ist ein Schmelztiegel radikaler Ideen und freakiger Gestalten. Nur hier kann Andy Warhols Factory entstehen, nur hier fließen Kunst, Pop und Punk so mühelos zusammen. Auch die Talking Heads gehen aus der Kunst-Bubble der Stadt hervor. David Byrne und Chris Frantz besuchen die Rhode Island School Of Design, gehen mit so ziemlich den gegensätzlichsten Ideen in die Bandgründung wie beispielsweise die Ramones. Kunstvoll soll es sein, avantgardistisch, vielschichtig, intelligent. Mit Kommilitonin Tina Weymouth ziehen sie nach New York City, teilen sich ein Loft. Bis dahin also eine ganz normale Studentengeschichte.
Basslernen mit Suzi Quatro
Fast: Weymouth bringt sich nämlich das Bassspielen mit alten Suzi-Quatro-Platten bei, geboren sind auch schon die Talking Heads. Und Apropos die Ramones: Ihren ersten Gig spielen sie ausgerechnet im Vorprogramm der Punk-Rocker aus Queens – am 5. Juni 1975. Danach geht es recht schnell: 1977 landen sie mit Psycho Killer einen riesigen Hit, Ende der Siebziger stecken sie vermehrt mit Frickelguru Brian Eno unter einer Decke. Ihr Ruf als Art-Rock-Band trägt sich in die Welt hinaus, scheinbar mühelos vermengen die Talking Heads Pop, Funk, Rock, Wave oder Afrobeat. Doch die Flamme brennt hell: Vier Alben in vier Jahren zollen ihren Tribut, die Band muss kürzer treten, macht erst mal Pause.
Die Band verfolgt eigene Projekte, trennt sich von Eno (der sich bekanntlich U2 zuwendet) und findet im Sommer 1982 wieder zusammen. Die Akkus sind voll, der Ideenkoffer prall gefüllt. Zwischen Juli 1982 und Februar 1983 entsteht in New York City, Philadelphia und den legendären Compass Point Studios auf den Bahamas Speaking In Tongues – das Album, das ihr kommerzieller Durchbruch werden soll. Denn aller Anerkennung und Reputation zum Trotz: So richtig Kohle gescheffelt wurde mit der anspruchsvollen Musik bisher noch nicht.
Ohne Brian Eno wird es kommerzieller
Nun kann man so etwas natürlich nie planen, doch ohne die Kopflastigkeit ihres Kollaborateurs Eno gelingt ihnen ein leichteres, zugänglicheres Album, das ihre kunstvolle Wave-Sensibilität mit Schwarzem Funk verbrüdert. Slippery People oder Swamp zeigen klare Gospel-Schlagseite, zudem ist da natürlich diese Vielfalt an Effekten, Synthie-Spielereien, seltsamen Arrangements und Sounds. Aber eben nie so viel um einen einfachen Hörgenuss zu schmälern. Ohne es genau zu wissen machen die Talking Heads ihren komplexen Sound offener, eingängiger. Kommerzieller. Die Talking Heads sind 1983 das Mittelstück zwischen Television und Michael Jackson.
Auch der Tiger brennt das Haus nieder
Liegt natürlich auch an Burning Down The House, den sie gleich als Opener auf Speaking In Tongues packen. Ihr einziger Top-Ten-Hit in den USA ist ein unwiderstehlicher Groover, der außerhalb von Nordamerika aber auf legendär wenig Interesse stößt. Da ist das Cover von Tom Jones und den Cardigans aus dem Jahr 1999 deutlich erfolgreicher: Halb Europa heißt die Interpretation in den Top Ten Willkommen.
Für die Band bedeutet der Erfolg finanzielle Sicherheit, eine sehr erfolgreiche Tournee und jede Menge Airplay auf dem neuen Medium MTV. Bis 1988 sollen noch drei weitere Alben folgen, danach löst sich die Band auf. Oder quasi: Bassistin Weymouth erfährt aus der Los Angeles Times vom Ende der Talking Heads. Was bleibt, ist ein riesiger Einfluss auf Bands und Künstler*innen wie Eddie Vedder, Radiohead, St. Vincent, The Weeknd oder Trent Reznor. Und natürlich jede Menge Musik, die zeigt, wie originell Pop eigentlich sein kann. Wenn er von den richtigen Leuten gemacht wird.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
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