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Popkultur

So war’s: Alice In Chains live in Köln 2018

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"Das notorisch regnerische Wetter im Nordwesten der USA mag ja den Sound beeinflusst haben, der Anfang der Neunziger aus Seattle kam. Heute Abend in Köln herrschen allerdings kalifornische Temperaturen. Der Gegensatz macht aber nichts, man kann schließlich auch bei düsterer Musik lachen. Vor allem, wenn Alice In Chains so souverän abliefern.

von Christof Leim

Hier könnt ihr in die Setlist des Abends reinhören:

Für die ganze Playlist klickt auf “listen”.

Hochsommer und ein ausverkauftes Haus: Heute wird es kuschelig in der Live Music Hall. Die Bierstände im Hof erfreuen sich äußerst reger Nachfrage, die meisten Zuschauer bleiben erstmal an der frischen Luft, weshalb die Vorgruppe Mother Cake vor einer halbleeren Halle spielen muss. Doch die drei Österreicher schreckt das nicht davon ab, Nachdruck in ihre Performance zu legen. Allerdings vermag der eigenständige, schräge Dröhnsound mit den heulenden Vocals die meisten Anwesenden offensichtlich nicht zu überzeugen.

Alice In Chains beginnen schließlich ohne viel Drama mit Bleed The Freak. Auf der Bühne gibt es außer Verstärkern keine Aufbauten, kein riesiges Schlagzeugpodest und auch kein Backdrop, lediglich ein paar bewegliche Lichtleisten, die eine nicht überbordende, aber wirkungsvolle Lichtshow unterstreichen. Davor steht die vierköpfige Band ganz in Schwarz. In seiner Reduktion zeigt dieses Gesamtbild durchaus auch eine Wirkung. Der Sound erweist sich als druckvoll und klar, ohne zu laut zu geraten, was einfache Wuchtriffs wie im folgenden Check My Brain und im sperrigen Again richtig knallen lässt. Dazu geben sich Gitarrist Jerry Cantrell und Frontmann William DuVall bei den zweistimmigen Gesängen, die so charakteristisch für Alice In Chains sind, kaum eine Blöße. Die Band klingt damit auf der Bühne heute genau, wie sie soll: melodisch, dunkel, mitunter verstörend schräg, dann doch wieder griffig und zupackend.

Einfache Bühne, große Show: Alice In Chains in Köln. Pic by Axel Jusseit

Souveräner Frontmann bei alten und neuen Stücken: William DuVall

Dass die Fans überhaupt nochmal erleben dürfen, liegt viel an William Duvall, der seit 2006 den verstorbenen Layne Staley ersetzt. Nach all dieser Zeit muss man nicht mehr über seine Eignung diskutieren, denn die steht außer Frage: Der 50-Jährige, dem man sein Alter so gar nicht ansieht, empfiehlt sich als hervorragender Frontmann, gelegentlicher Gitarrist und exzellenter Sänger, der das Timbre von Layne Staley nicht zu imitieren versucht, aber den alten Stücken mit eigener Note vollkommen gerecht wird.

Auf der Setlist stehen Stücke aus allen Phasen, von den natürlich die frühen Hitplatten Facelift, Dirt und Jar Of Flies mit größtem Hurra abgefeiert werden. Aber auch die neuen Scheiben kommen zu Ehren mit Hollow, Last Of My Kind (groß!) und Stone. Die wirken mitunter schräger und schwerer zugänglich, womöglich, weil sie einfach weniger bekannt sind. Den größten Headbanger-Alarm gibt es beim Doppelschlag Them Bones/Dam That River, doch viel bewegen können sich die Musiker selbst notgedrungen nicht: DuVall und Cantrell stehen ja meistens an ihren Mikros. An denen haben sie kleine iPads befestigt, um die Texte ablesen zu können, was nach drei Dekaden im Geschäft ein wenig verwundert.



Dafür zeigt Jerry Cantrell erneut, dass es bei Musik nicht auf sportliche Fähigkeiten ankommt, sondern auf Ideen. Natürlich beherrscht der Mann sein Instrument, doch er lässt in seinen Soli nie die Finger in technischer Ekstase fliegen und sorgt lieber für weitere melodische Hooklines. Das ist einfach und effektiv, nur muss man es erstmal können. Bassist Mike Inez bleibt meistens in seiner Ecke, geht in der Musik auf und sorgt mit seinem massiven Basston für mehr Wumms in der Darbietung, als man zunächst annimmt. Der Vierte im Bunde, Sean Kinney, bearbeitet dieDrums mit Wucht und bleibt dabei immer schön im „Pocket“, in diesem schwer zu definierenden Groove-Bereich, der die großen Jungs vom Nachwuchs unterscheidet. (Bestes Beispiel: AC/DC. Kann man nicht nachmachen.) Das bringt den meist im mittleren Tempo angelegten Nummern zusätzliches Leben. Ja, man kann sagen: Alice In Chains klingen wie die Black Sabbath der Neunziger, damals wie heute.

Gitarrist mit eigenem Stil: Jerry Cantrell

Die Zuschauer feiern das alles nach anfänglicher Zurückhaltung sehr laut ab, was der Band natürlich und deutlich sichtbar gefällt. Die beiden Kapitäne Cantrell und DuVall bedanken sich mehrmals, und ja, man kann auch bei molltönender Musik lachen. So geht bei der Depri-Hymne Down In A Hole tatsächlich die Sonne auf, so komisch das auch klingt. Gleiches gilt für die hauptsächlich auf Akustikgitarren basierenden No Excuses und Heaven Beside You, zwei wundervoll zartbittere Lieder zum Mitsingen. Die bösen Kampfgesichter, die wir alle bei besonders fetten Riffs machen, kommen natürlich nicht zu kurz. Dafür sind Kracher wie We Die Young (Hammer!) und It Ain’t Like That da, bevor das besonders abgefeierte Man In The Box das reguläre Set beschließt. Band und Zuschauer sind mittlerweile komplett vollgeschwitzt, wollen aber mehr.



DuVall verspricht deshalb „drei weitere Songs, vielleicht vier“, wenn die Anwesenden das lautstark genug fordern. Kein Problem. Alice In Chains bringen daraufhin mit dem ruppigen The One You Know den einzigen neuen Song des zum Zeitpunkt des Konzertes noch unveröffentlichten neuen Albums Rainier Fog und ziehen mit Got Me Wrong nochmal eine Unplugged-Nummer. Die Endrunde beginnt mächtig mit Would?, beim abschließenden Rooster singen die Fans noch lauter als vorher. Großartig. Wenn sich Alice In Chains in Zukunft in so guter Form präsentieren und die Fans weiter so darauf abgehen, dann können wir uns auf die „richtige“ Tour zum neuen Album freuen.



PS: Pro-Tipp für die Live Music Hall in Köln: Vorne links befindet sich nicht nur die Lüftung, da ist meistens noch überraschend viel Platz. Man muss nur hinkommen…


Header-Bild Credit: Axel Jusseit

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