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Popkultur

Verbotene Songs: 10 kontroverse Lieder, die die Welt schockten

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Jane Birkin & Serge Gainsbourg
Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images

Von Texten mit scheinbarem Drogenbezug bis hin zu Angriffen gegen die Obrigkeit, sexuell eindeutigen Inhalten oder Produktplatzierung – die Charts dienten oft als Schauplatz für das Kräftemessen zwischen Künstler*innen und Sittenwächter*innen. Nicht wenige Acts bringen es auf mehrere gesperrte Songs im Laufe ihrer Karriere, was nicht nur zeigt, wie weit manche Künstler*innen den Bogen in Sachen Zensur überspannen, sondern auch, wie weit die Sittenwächter*innen gehen, um ihnen den Mund zu verbieten. Diese zehn Songs haben dennoch triumphiert.

von Jamie Atkins

Hört hier in die verbotene Playlist rein:

1. Sex Pistols: God Save The Queen (1977)

Es gibt Songs, wie z. B. Strange Fruit, deren verstörende Wirkung auch nach vielen Jahren ungebrochen ist. Aber wenn man sich heute God Save The Queen von den Sex Pistols anhört, ist es wirklich schwer, den Aufschrei nachzuvollziehen, den der Song damals verursachte. Auch heute ist der Song aufregend und rebellisch, aber könnte er nochmal die britische Gesellschaft derart erschüttern? Wohl kaum.

1977 sah das anders aus und die Band – allen voran Sänger John Lydon – fanden sich im Zentrum einer öffentlichen Panik wieder. Das silberne Thronjubiläum der englischen Königin stand kurz bevor und die Sex Pistols, zusammen mit Manager Malcom McLaren, witterten ihre Chance, Kapital daraus zu schlagen. Am 10. März unterschrieb die Band direkt vor dem Buckingham Palace einen neuen Plattenvertrag mit A&M Records und ließ 25.000 Exemplare ihrer Schimpftirade auf das Establishment pressen. Die Party geriet allerdings so sehr außer Kontrolle, dass das Label sich der Band nur vier Tage später wieder entledigte und die meisten Singles einstampfen ließ.

Auftritt Richard Branson und Virgin Records, die die Pistols am 18. Mai unter Vertrag nahmen und den Song in aller Eile noch rechtzeitig zu den Jubiläumsfeierlichkeiten veröffentlichten. Obwohl die BBC die Single boykottierte, wurde sie nur so aus den Regalen gerissen und verkaufte innerhalb der ersten Woche über 200.000 Exemplare. Aus irgendeinem Grund schaffte es der Song aber trotzdem nicht an die Spitze der Charts. Die Band und McLaren hatten das Gefühl, von der Musikbranche betrogen worden zu sein und organisierten eine weitere Aktion: Am 7. Juni spielten die Sex Pistols einen nicht zugelassenen Gig auf einem Boot, während dieses die Themse hinunter und am Parlamentsgebäude vorbeischipperte. Die Boulevardzeitungen konnten ihr Glück kaum fassen und die Sex Pistols hatten sich ihren Ruf als Schreckgespenst redlich verdient.

2. NWA: F__k Tha Police (1988)

Ende der 1980er Jahre gehörten Polizeischikanen für junge Afroamerikaner*innen in L.A. zum Alltag. 1987 startete das LAPD ein Programm mit dem klangvollen Namen Operation Hammer, um der Ganggewalt den Kampf anzusagen. Nur ein Jahr später hatten sie mehr als 50.000 Menschen verhaftet. Die Wenigsten bekamen die Chance, ihrem Ärger Luft zu machen (nur ein Prozent der Polizist*innen, denen während der Zeit extreme Gewaltanwendung vorgeworfen wurde, wurden tatsächlich angeklagt). Aber NWA konnten sich zumindest der Kraft der Musik bedienen. Ice Cube sagte: „Es war ein unerträglicher Zustand, unter solch einen brutalen Besatzungsmacht [der Polizei] zu leben. Was zuviel ist, ist zuviel. Unsere Musik war unsere einzige Waffe. Gewaltfreier Protest.” Die Antwort von NWA kam in Form des kompromisslosen F__k Tha Police: Eine textliche Glanzleistung, in der sie nicht mit Beleidigungen sparten und die Obrigkeiten herausforderten.

Mit dem Song untermauerten NWA ihren Status als „Die gefährlichste Gruppe der Welt”. Dass er nicht im Radio gespielt werden durfte, machte ihn nur noch interessanter. Die Polizei ging sogar soweit, den Text vor der Tour in die verschiedenen Städte zu faxen und verstärkte damit die Ressentiments, sodass die Veranstalter Schwierigkeiten hatten, Securities für die Shows zu finden.

3. The Kinks: Lola (1971)

Interessanterweise war es nicht das Thema des Songs an sich, wegen dem die BBC Ray Davies‘ kleine Geschichte über eine nicht ganz eindeutige Begierde aus dem Radio verbannte. Auch wenn sich der Protagonist vom unerwarteten Geschlecht seines angetrunkenen Schwarms nach einem kurzen Schockmoment durchaus nicht abgestoßen zeigt, war das eigentliche Problem, dass der Softdrink Coca-Cola namentlich erwähnt wird.

Was Produktplatzierung angeht, hatte die BBC strenge Regeln und so fand Lola im Radio nicht statt. Dadurch minimierten sich natürlich die Chancen, dass der Song ein Hit werden würde und so entschied man sich schnell, den Markennamen im Text durch das unproblematische „Cherry Cola” zu ersetzen. Dummerweise waren die Kinks zu dem Zeitpunkt in den USA auf Tour und die Bänder befanden sich in Großbritannien. Also flog Davies nach einem Auftritt in Minnesota nach England. Er arbeitete an den Overdubs, unterbrach die Arbeit für den nächsten Auftritt in Chicago … und kehrte dann nach London zurück, um die Änderungen zu finalisieren. Jetzt dominierte der Song die Radioplaylisten und bescherte den Kinks ihren größten Hit für mehrere Jahre. Und Ray legte vermutlich erstmal die Füße hoch.

4. Neil Young: This Note’s For You (1988)

Neil Young war es nie besonders wichtig, die Erwartungen der Musikbranche zu erfüllen, aber in den 80er Jahren verstörte er mit einer Reihe von Alben selbst die, die ein gewisses Maß an Unangepasstheit von ihm erwarteten. Die Fans waren verwirrt und sein Label verklagte ihn, weil er „nicht-repräsentative” Alben produzierte. Da überrascht es nicht, dass er auch die damals in Musikerkreisen um sich greifende Praxis, Marken zu unterstützen, mit einigem Zynismus beobachtete.

Der Titelsong seines 1988 erschienenen Album This Note’s For You ließ an seiner Meinung zum wachsenden Einfluss der Konsumindustrie auf die Musik keinen Zweifel. Trotzig singt Young: „Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke/I don’t sing for nobody, makes me look like a joke”. Im Video zur Singleveröffentlichung ging er noch weiter und machte sich über die Stereotypen der Werbeindustrie lustig (die übliche verrauchte Bar, Parfumwerbung im Schwarz-weiß-Look). In dem Video tauchen sogar Doppelgänger von Michael Jackson und Whitney Houston auf – ein Seitenhieb auf Künstler*innen, die das Geld der Werbeindustrie gerne angenommen hatten. Der wichtige Musiksender MTV fand das allerdings nicht so witzig und verzichtete darauf, das Video zu zeigen.

Young schrieb einen herrlich unverblümten Brief an den Sender: „MTV, Ihr rückgratlosen Affen”, begann er und endete mit: “Wofür steht das ‘M’ in MTV: Music oder Money? Lang lebe der Rock’n‘Roll.” Der Song wurde trotzdem ein Hit und 1989 gab sich MTV geschlagen und zeichnete This Note’s For You mit einem Video Of The Year-Award aus.

5. Frankie Goes To Hollywood: Relax (1983)

Ist es nicht faszinierend, was ein kleiner Skandal für einen Song alles bewirken kann? Genau genommen steht Frankie Goes To Hollywoods Debütsingle Relax nicht auf der Liste der von der BBC gesperrten Songs. Zwei Monate lang kletterte der Song ohne besondere Eile die Top 100 nach oben. Als er die Top 40 erreichte, spielte DJ Mike Read den Song wie üblich in der Chartsendung von BBC Radio 1. Mitten im Song fielen ihm offenbar die vielen Anspielungen im Song auf und er brach ihn einfach ab. Frankies gewiefter Manager Paul Marley erkannte, dass der Song einen weiteren Schub bekommen könnte, wenn man sich gegen das Establishment stellte und so verbreitete er das Gerücht, dass der DJ die Single komplett vom Sender genommen hatte.

Read betonte später, dass das gar nicht in seiner Macht gestanden hätte und dass er den Song nur deswegen abgekürzt hatte, weil er keine Zeit mehr hatte. Aber für Relax wirkte das „Verbot” Wunder: Die Single verbrachte fünf Wochen auf Platz 1 der britischen Charts, wurde ein internationaler Hit und katapultierte Frankie Goes To Hollywood auf ihren Platz als Popphänomen.

6. Ian Dury & The Blockheads: Spasticus Autisticus (1981)

Mit sieben Jahren erkrankte Ian Dury an Kinderlähmung und ist seitdem gehbehindert. Als Jugendlicher durchlebte er qualvolle Jahre in verschiedenen Einrichtungen, die in den 1950ern als Behindertenschulen durchgingen. Daher kannte er die harte Realität eines Lebens mit Behinderung. Als die UN 1981 das ‘Internationale Jahr der Menschen mit Behinderung’ ausrief, ging Dury der Gedanke, dass eine Randgruppe plötzlich zum Lieblingsthema des Tages ernannt wurde, mächtig gegen den Strich. Als Antwort schrieb er den Track Spasticus Autisticus.

Der Song war sehr direkt, beschönigte nichts und erklärte unmissverständlich, wie ehrlich wohltätige Spenden seiner Meinung nach sind (“So place your hard-earned peanuts in my tin, and thank the Creator you’re not in the state I’m in”) – alles zusammen war das Grund genug für die BBC und diverse lokale Radiosender, den Text als beleidigend einzustufen und Spasticus Autisticus auf ihre Sperrliste zu setzen. Aber was man über so unerschrockene Kunst wissen muss ist, dass sie nicht einfach wieder verschwindet. Durys angriffslustiger Song hat zwar seine Karriere kurz ausgebremst (obwohl es seine erste Singleveröffentlichung auf einem Majorlabel war), aber der Song weiß immer noch zu beeindrucken. Bei der Eröffnungszeremonie der Paralympics 2012 in London wurde Spasticus Autisticus von der aus Künstler*innen mit Behinderung bestehenden Graeae Theatre Company präsentiert.

7. Loretta Lynn: The Pill (1975)

„Ich war die Erste, die genau das aufgeschrieben hat, was Frauen jeden Tag lebten”, sagte Loretta Lynn einmal über einen ihrer direktesten Songs. Damit überzeugte sie viele Fans und wurde zu einem der erfolgreichsten Countrystars aller Zeiten. Konservative Radiosender allerdings sperrten regelmäßig ihre Songs, wie z. B. Fist City, Rated X, Don’t Come Home A-Drinkin’ (With Lovin’ On Your Mind) und ihre bisher bestplatzierte Single in den US-Charts, The Pill.

Lynn hatte den Song schon 1975 geschrieben und aufgenommen. Aber ihr Label MCA veröffentlichte ihn erst drei Jahre später, weil sie sich darüber im Klaren waren, welche Wirkung ein Song, der scheinbar orale Verhütungsmittel promotete, auf die Countrywelt haben würde. Es gab einige Countrysongs über Abtreibung und Familienplanung, aber keinen, in dem die Sängerin das Ganze fröhlich mit einer größeren Freiheit und Selbstbestimmung gleichsetzte. Möglicherweise war es einfach Lynns Ton, an dem sich die Radiosender störten. Selbst die New York Times wurde auf sie aufmerksam und berichtete über ihren Erfolg mit der Überschrift: „Sie öffnet den Bibelgürtel”. Dank der Aufregung wurde The Pill für Lynn ein weiterer Megahit.

8. Scott Walker: Jackie (1967)

BBC Radio 1 wurde im September 1967 als Antwort auf die Popularität trendiger Piratensender gegründet, die sich perfekt auf die Wünsche der hippen Jugend eingestellt hatten. Aber auch wenn sie sehr bemüht waren, die coolen Kids zurückzuerobern, waren sie doch meilenweit davon entfernt, einige der riskanteren Veröffentlichungen ins Programm zu nehmen.

Als sie den Text von Scott Walkers Cover des Jacques Brel-Songs La Chanson De Jacky hörten – und dabei mit „authentic queers and phony virgins” konfrontiert wurden, von „boats of opium” ganz zu schweigen –, wurden die BBC-Bosse so nervös, dass sie zum allerersten Mal einen Song offiziell sperrten und nicht spielten. Viele weitere sollte das gleiche Schicksal ereilen. Es war extrem schade, denn ohne seinen galoppierenden Rhythmus und herrlich vulgären Text war die Radiolandschaft ein bisschen langweiliger.

9. The Beatles: Lucy In The Sky With Diamonds/A Day In The Life (1967)

1967 waren die Beatles Kontroversen schon gewöhnt. Das gehört schließlich zum Handwerk, wenn man die Popmusik ständig neu erfindet. John Lennon hatte es fertiggebracht, fanatische Elemente in den USA zu verärgern, als er andeutete, die Band könnte für junge Leute eine größere Bedeutung haben als Religion. Außerdem brachten sie ein Album mit einem so umstrittenen Artwork heraus, dass die ausgelieferten Exemplare zurückgerufen werden mussten (das sogenannte „Butcher Sleeve” des nur in den USA erschienen Albums Yesterday & Today).

Aber erst mit dem Album Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band schafften sie es auf die Liste der von der BBC gesperrten Songs: A Day In The Life und Lucy In The Sky With Diamonds wurden beide nicht gespielt, weil sie wohl Hinweise auf illegalen Drogenkonsum enthielten. Und obwohl die Band darauf bestand, dass die Songs nichts mit bewusstseinsverändernden Substanzen zu tun hatten, wurden sie doch innerhalb einer sich bestimmten Subkultur gefeiert.

10. Jane Birkin & Serge Gainsbourg: Je T’aime… Moi Non Plus (1969)

1967 war die französische Schauspielerin Brigitte Bardot ein beliebtes Pin-up und Serge Gainsbourg einer von Millionen Bewunderer*innen weltweit. Der spitzbübische Songwriter nahm Bardot auf seinem Label unter Vertrag und überredete sie zu einem Date, obwohl sie verheiratet war. Von Alkohol benebelt spielten Gainsbourgs Nerven verrückt und er versaute es. Das dachte er zumindest. Am nächsten Tag rief Bardot an und bot ihm die Chance zur Wiedergutmachung. Er müsste ihr lediglich „das schönste Liebeslied schreiben, das er sich vorstellen konnte”. Er ging auf Nummer sicher und schrieb zwei: Bonnie & Clyde und das wollüstige Je T’aime… Moi Non Plus.

Die Beiden wurden ein Paar und ihre Version von Je T’aime… war so heiß, dass sie einen Skandal in der französischen Presse verursachte. Bardot flehte Gainsbourg an, den Song nicht zu veröffentlichen. Aber er wusste, dass er Song viel zu gut war, um ihn komplett zu den Akten zu legen. 1969 überredete er seine neue Freundin, die englische Schauspielerin Jane Birkin, Bardots Textpassagen zu singen. Das Stöhnen, Seufzen und schwere Atmen sorgte für einige Aufregung und führte zu einer Sperre von der BBC. Selbst der Vatikan protestierte. All diese Maßnahmen gossen aber nur noch mehr Benzin ins Feuer. In Großbritannien war es die erste derart umstrittene und obendrein gesperrte Single der 60er Jahre, die es trotzdem auf Platz 1 der Charts schaffte.

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