------------

Popkultur

30 Jahre „In Utero“: Was kann die Mega-Box zu Nirvanas letzter Platte?

Published on

Nirvana
Foto: Anton Corbijn

53 unveröffentlichte Bonustracks verspricht In Utero: 30th Anniversary. Wir haben uns die Jubiläums-Neuauflage von Nirvanas schroffem Schwanengesang mal ganz genau angehört. Kaufempfehlung? Gibt’s vor allem wegen der furiosen Live-Mitschnitte.

von Björn Springorum

Über In Utero wurde alles geschrieben, alles gesagt. Nirvanas Reaktion auf ihren unerwarteten und letztlich katastrophalen Mainstream-Erfolg mit Nevermind ist ein mal schroffes, mal dissonantes, mal zerbrechliches Meisterwerk. Bei Erscheinen am 21. September 1993 polarisiert das dritte und letzte Werk der Band: Viele sind schockiert von der schonungslosen Ehrlichkeit und dem brutalen Sound; ebenso viele sind begeistert von dieser heftigen Attacke, die eher wieder in Richtung Bleach schielt und durch möglichst viele unharmonische Parts und psychotische Passagen den riesigen Erfolg des Vorgängers Nevermind am liebsten für immer übertönen würde.

Schwieriges Dokument künstlerischer Tapferkeit

In Utero ist das vielleicht schrägste, schrillste, unkommerziellste Rock-Album, das in den USA jemals auf Platz eins der Charts war. Und der Höhepunkt im tragisch kurzen Schaffen Nirvanas. 30 Jahre später ist die Band Geschichte, ist Kurt Cobain unsterbliche Ikone, ist die Musik immer noch Epitom einer Ära, einer Bewegung, einer Haltung. In Utero ist wohl die wahrhaftigste Darstellung dessen, was Nirvana war: ein Naturereignis mit den Prinzipien und der Integrität einer DIY-Band. Ein schwieriges, aber unumstößliches Dokument künstlerischer Tapferkeit. Ein halbes Jahr später ist Kurt Cobain tot.


Jetzt in unserem Shop erhältlich:

Nirvana - In Utero 30th Anniversary
Nirvana
In Utero 30th Anniversary
Ltd. Super Deluxe 8LP, Ltd. Super Deluxe 5CD uvm.

HIER BESTELLEN


Hier wollen wir die Neuauflage des Grunge-Referenzwerks mal chirurgisch sezierend unter die Lupe nehmen, genauer gesagt vor allem die drei „Super Deluxe“-Editionen des Albums, die alle mit ganzen 72 Songs um die Ecke kommen. Zwölf davon sind, klar, das Herzstück des Albums, das Original. Die wurden allerdings neu gemastert, und zwar von den originalen analogen Master-Stereobändern von Bob Weston, dem einzigen Tontechniker neben Steve Albini, der bei den ursprünglichen Sessions assistierte. Hört man das? Auf einer guten Anlage schon. Braucht man das? Nicht unbedingt. Doch irgendwie ergibt es Sinn, weil selbst Nirvana damals legendär unzufrieden mit dem finalen Sound der Platte waren.

Morbider Vorgeschmack auf die Foo Fighters

Dazu kommen fünf Songs, die man schon von B-Seiten oder früheren Neuauflagen kennen könnte. Da ist zum Beispiel das schräge, erst plätschernde und dann in klanglichen Wahn kippende Gallons Uf Rubbing Alcohol Flow Through The Strip (wer hält die 7:34 Minuten durch?), der längste Nirvana-Song, wahrscheinlich als spontaner Jam entstanden als alle high waren. Marigold ist da schon viel interessanter. Die B-Seite von Heart-Shaped Box wurde eigentlich 1992 von Dave Grohl für dessen Projekt Late! geschrieben. Das Besondere: Cobain ist hier gar nicht zu hören, Grohl singt und spielt fast alles selbst. Ein morbider Vorgeschmack auf die ersten Songs der Foo Fighters, die Grohl aus Trauerbewältigung und Katharsis im Alleingang aus sich herausschnitt.

Das letzte Seattle-Konzert erscheint endlich

Die wirklich interessanten Titel kommen aber dann erst: In Utero enthält gleich zwei ungekürzte Livemitschnitte: Live In Los Angeles (1993) sowie Live In Seattle (1994). Letztere Aufzeichnung vom 7. Januar 1994 ist ein ganz besonderes Tondokument, weil es tatsächlich das letzte Konzert ist, das Nirvana jemals in Seattle spielen sollten (Scentless Apprentice klang nie besser). Diese beiden Konzerte, zusammen mit sechs weiteren Live-Bonustracks aus Rom, Springfield und New York City sind dann auch die wirkliche Sensation an dieser Neuauflage: Nirvana live waren ja immer ein unvorhersehbares Ereignis; diese Shows zeigen die Band aber auf der Höhe ihrer schöpferischen und zerstörerischen Kraft. Viszeral, roh, besessen.

Liegt auch an der messerscharfen, durchdringenden, intensiven Produktion: Der aus Seattle stammende Produzent und Tontechniker Jack Endino, der schon 1988 beim Debütalbum Bleach hinter den Reglern saß, konstruierte alle Live-Aufnahmen aus den damals aufgenommenen Stereo-Tapes in mühevoller Kleinarbeit. Das muss man wirklich gehört haben. Es zeigt ein weiteres Mal, wie einzigartig, unberechenbar, brutal, intensiv, verletzlich und unschlagbar diese Band war. Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass diese hier enthaltenen Live-Platten die besten Konzertdokumente sind, die von Nirvana jemals veröffentlicht wurden. Und allein für diese Juwelen kann man In Utero: 30th Anniversary sehr dankbar sein.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Zeitsprung: Am 21.9.1993 erscheint Nirvanas drittes und letztes Album „In Utero“.

Don't Miss