Popkultur
5 Wahrheiten über Joe Strummer
Hier nehmen wir uns mal ein paar Minuten Zeit und prüfen gängige Klischees und Falschannahmen in der Musikwelt… Einfach, weil wir es können bzw. einfach, weil es so viel mehr Vorurteile gibt als alle Beatles, Rolling Stones und Queen-Singles zusammenaddiert (lies: sehr viele). Wir nehmen uns also ein Genre oder eine*n Künstler*in und schauen, wie stichhaltig die gemeinhin als richtig wahrgenommenen Annahmen sind.
Zieht eure Kugelsicheren Westen an, der Beschuss mit gängigen Klischees erfolgt diesmal zu einem Künstler, der Punkrock vom feinsten zelebriert: Joe Strummer.
Hört hier die größten Hits von The Clash:
1. Gründer, oder wie?
Nein, war er nicht. Der Diplomatensohn, geboren in Ankara, lief in Brixton den eigentlichen The-Clash-Gründern auf der Straße durch Zufall in die Arme. Aber zu den Voraussetzungen: Mitte der 1970er, als The Clash geboren wurde, lag England am Boden. Die De-Industrialisierung nahm ihren Lauf, Städte wie Hull wurden langsam aber sicher zu Geisterstädten und das erste Referendum 1975 unter Harold Wilson, Premierminister und Vorsitzender der Labour-Partei, fand statt. England entschied sich in der ersten landesweiten Volksabstimmung für den Verbleib in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Heute Brexit, aber das ist ein anderes Thema.
Der Londoner Stadtteil Brixton war ebenso wenig attraktiv wie die Hafenstädte. Eher zum Weglaufen, wenn man konnte. Dort hatte Joe Strummer seine Band, die 101’s. Das Internatskind beteuerte bis zu seinem Lebensende: „I shudder to think what would have happened if I hadn’t gone to boarding school.“ Denn dort wurde ihm erst klar, was Musik für ihn bedeutet, darauf (und auf Zufall natürlich) baute alles auf.
Paul Simonon und Mick Jones waren Kunststudenten in London. Mick hatte eine Band und brachte Paul dazu zu singen. War aber nix. „‘You can sing, can’t you?’ And they got me singing. But I couldn’t get into it. They were into the New York Dolls and they all had very long hair, so it only lasted a couple of days.“
Paul wollte nicht singen und hatte in der Zwischenzeit, woher auch immer, einen Bass ergattert. Man probte, oder auch nicht. Nach einem Sex-Pistols-Konzert liefen beide die Golborne Road entlang, direkt in die Arme von Joe Strummer, der in dieser Nacht mit seiner Band, den 101’s, als Support spielte.
Mick meinte zu Joe: „I don’t like your group, but we think you’re great.“ Für Joe war die Sache sofort klar: „I knew that that was what a group, in my eyes, was supposed to look like. So I didn’t really hesitate when they asked me to join.“ Die 101’s waren bald Geschichte. Das war der Zeitpunkt, an dem The Clash wirklich geboren wurden. Ähnlich wie es begann, ging es auch zu Ende. Aber das zum Schluss…
2. The Clash – Just Punk?
Nein, auch wenn der Punk zu dieser Zeit aus drei Schrammel-Akkorden bestand, machten sie den schlecht gespielten Rock’n’Roll Englands wieder hörbar. Nicht, dass sie technisch besser waren, nein! Aber sie verzichteten auf das „Einfache“. The Clash explodierten aus ihrem Punk-Korsett in alle Richtungen. „Brand New Cadillac ist eine tadellose Rock’n’Roll-Nummer. Spanish Bombs klingt wie The Cure – nur waren The Clash fünf Jahre früher. The Guns Of Brixton bedient sich im Rocksteady und Revolution Rock klingt immer noch verkiffter als mancher Reggae.“
Mit London Calling traten The Clash eine Welle los wie keine andere Band. Die Wut des Punks, gepaart mit dem Beherrschen der Instrumente. England war durch sie musikalisch voll auf der Höhe und in allen Facetten vertreten, die die englische (Migrations-)Gesellschaft zu bieten hatte. Reggae, Rock, Dub und Acid – alles war da.
3. Ein Heroin-Opfer
Nein, Joe Strummer starb zwar in Alter von 50 Jahren an den Folgen einer nie erkannten Herzerkrankung. Und er war ein Trinker. Aber im Gegensatz zu Kollegen wie Sid Vicious von den Sex Pistols hatte er die Droge Heroin, die zu diesem Zeitpunkt Europa überrannte, niemals angerührt. Auch in der Band gab es Probleme deswegen. Drummer Topper Headon musste die Band aufgrund des Konsums verlassen.
Strummer gab Headon eine letzte Chance, in Amsterdam. Doch während sich die Band im Backstage für den Gig vorbereitete, rannte Headon durch den Raum, riss einen Spiegel an sich und nahm das Kokain, dass er gerade noch hatte. Zurück in London wurde er von Strummer „suspendiert“. Strummer selbst erklärte einem Journalisten vollkommen betrunken, dass Topper ein Junkie sei.
4. Polit-Punk?
„There’s a million reasons why the hippies failed“, ist ein Satz, den Strummer in den frühen Jahren des Punks in England rausgehauen hat. Er war bekannt für Aussagen, die polarisierten. Mal abgesehen davon, dass der Punk nicht aus England, sondern durch MC5, Iggy And The Stooges und etwas später mit New Yorker Bands wie den New York Dolls, Dictators oder den Ramones ins Rollen kam, müssen hier auch noch die unterschiedlichen Bedeutungen angemerkt werden: Ursprünglich bedeutet Punk „scum“, also Abschaum. In Amerika allerdings war ein Punk ein „waster“, ein sogenannter Verschwender.
Strummer war bis zum letzten Atemzug politisch aktiv, aber weder als das eine oder andere. Er wusste um seinen Einfluss und hat es ausnutzen können, als Punk zu gelten. The Clash verstanden sich nie als politische Institution (sagen sie zumindest) sondern, als Band vom linken Flügel, die es geschafft hat (mit Äußerungen und Taten), viele Menschen auf die soziale und menschliche Seite zu ziehen.
5. Das Ende 1983?
Wenn man über die Bandgeschichte von The Clash spricht, endet diese häufig im Jahre 1983, als die Band auf dem US Festival in San Bernadino ihre Auflösung bekannt gab. Aber ist dem auch so?
Zu diesem Zeitpunkt war The Clash im Pop-Olymp angekommen. Mit Combat Rock waren sie der seriösen Konkurrenz weit voraus (schrieb die Kritik) und Rock The Casbah sowie Should I Stay Or Should I Go liefen im Radio und auf MTV hoch und runter. Nach einer halbjährigen Tour machte die Band erstmal eine Pause, bis Steve Wozniak, Apple-Mitbegründer sie zum US Festival einlud und ihnen 500.000 Dollar bot, wenn sie als Headliner des New Wave Days spielen würden. Die interne Zerreißprobe der Band begann.
Zerstritten kamen sie in Kalifornien an – Managementprobleme – und die innere Lage spitze sich noch weiter zu, als sie hörten, dass die Fans 25 Dollar anstatt wie besprochen 17 Dollar zahlen mussten. The Clash gaben vor dem Konzert eine Pressekonferenz, in der sie verkündeten, dass sie nicht spielen würden, bis Apple 100.000 Dollar spendet, um die Differenz der Preise auszugleichen.
Erst später wurde bekannt, dass der wahre Grund wohl war, dass Van Halen 1 Mio. Dollar bekommen haben soll. Sie spielten den Gig vor einem Banner „The Clash is not for sale“, Strummer beschimpfte die Fans und zettelte nach dem Auftritt eine Schlägerei mit der Security an. Trotzdem nahm die Band das Geld und machte sich aus dem Staub.
Es bröckelte weiter. Nachdem Drummer Topper Headon die Band wegen Drogenmissbrauch schon früher verlassen musste, kündigte Mick Jones vier Monate nach dem Chaosfestival seinen Ausstieg an. Das US Festival war somit der letzte gemeinsame Auftritt. Zwar nahmen Strummer und Simonon noch das Album Cut The Crap auf, tourten damit auch, aber alle sind sich einig: Ohne Mick Jones – der dann Big Audio Dynamite gründete – war The Clash nicht mehr The Clash. Somit ist die Trennung auf 1983 zu datieren.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 30.9.1978 veröffentlicht Gary Moore „Back On The Streets“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.9.1978.
von Christof Leim und Tom Küppers
Als Gary Moore am 30. September 1978 Back On The Streets veröffentlicht, hat er schon einige Bands hinter sich. Die Platte erscheint unter eigenen Namen, doch er kann auf helfende Freunde zählen. Insbesondere die Herren Lynott und Downey, zwei alte Bekannte aus Dublin, mischen mit.
Hört hier in Back On The Streets rein:
Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.
Dass bei Gary Moore etwas mit Musik gehen würde, zeichnet sich schon früh ab: Mit zehn bekommt er seine erste Gitarre in die Finger, schon im Alter von 16 Jahren wird er 1968 von der Dubliner Band Skid Row rekrutiert (nicht verwandt oder verschwägert mit den gleichnamigen Hardrockern aus New Jersey). Nach dem Ende dieser Truppe gründet er die kurzlebige Gary Moore Band und veröffentlicht 1973 das Quasi-Soloalbum Grinding Stone. 1974 hilft er kurzfristig auf der Bühne und im Studio bei Thin Lizzy aus und betätigt sich parallel bei den Jazzrockern Colosseum II. Als Lizzy Anfang 1977 vor einer gemeinsamen US-Tour mit Queen ohne Gitarrist dastehen, springt Gary wieder ein.
Insbesondere mit Lizzy-Frontmann Phil Lynott versteht sich Moore auf künstlerischer und persönlicher Ebene hervorragend. Doch das Angebot fest bei der seinerzeit populärsten irischen Band einzusteigen, lehnt der Gitarrist noch ab. Zum einen will er seine Colosseum II-Kollegen trotz kommerziellen Misserfolgs nicht im Regen stehen lassen, zum anderen steckt er zu diesem Zeitpunkt schon in den Vorbereitungen für sein erstes „richtiges“ Soloalbum.
Back On The Streets wird im Frühjahr 1978 unter der Aufsicht des legendären Hardrock-Produzenten Chris Tsangarides eingespielt. Neben Studiogrößen wie dem späteren Toto-Schlagzeuger Simon Phillips gastiert mit Phil Lynott und Trommler Brian Downey die Rhythmussektion von Thin Lizzy gleich auf mehreren Stücken. Und auch kompositorisch hinterlässt Lynott deutliche Spuren: Abgesehen von einer gelungenen Neueinspielung des Lizzy-Hits Don’t Believe A Word in balladesker Form profitiert Moore zwei weitere Male von den schöpferischen Fähigkeiten seines Freundes.
Fanatical Fascists zeigt sich von der wuchtigen Simplizität des aufkeimenden UK-Punk inspiriert, für den Lynott große Sympathien hegt. Für die größere Überraschung sorgt Parisienne Walkways: Der gemeinsam von Lynott und Moore geschriebene Schmachtfetzen entpuppt sich als Hit, der im vereinigten Königreich bis auf Position acht der Single-Charts vordringt. Bis heute fesselt die Nummer durch ihre wunderbaren Gitarrenlinien, 2014 trägt sie den japanischen Eiskunstläufer Yuzuru Hanyu gar zum Punkte-Weltrekord im Kurzprogramm. Und selbstverständlich profitiert auch das am 30. September 1978 veröffentlichte Back On The Streets-Album in Sachen Verkaufszahlen von diesem kommerziellen Überraschungserfolg.
Eine weitere denkwürdige (weil einzigartige) Performance gibt es im Januar 1979 im Rahmen der BBC-Sendung The Old Grey Whistle Test zu bestaunen. Für diesen Anlass rekrutiert Moore mit Lynott, Lizzy-Klampfer Scott Gorham, Keyboarder Don Airey und Trommel-Gott Cozy Powell eine All-Star-Truppe ersten Kalibers. Die Interpretationen des Titelsongs von Back On The Street und Don’t Believe A Word sind absolut mitreißend, bei letzterem lässt sich Gary selbst von einer gerissenen Saite nicht aufhalten.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Gitarrist allerdings bereits wieder mit Thin Lizzy im Studio, um als festes Bandmitglied deren Album Black Rose: A Rock Legend (1979) einzuspielen. Jedoch verlässt er die von Drogenproblemen geplagte Band im Sommer während einer laufenden US-Tournee wieder. Von dem Moment an widmet er sich fast ausschließlich seinen musikalischen Alleingängen, mit denen er in den kommenden Jahrzehnten so wohl im Hard Rock als auch im Blues epochale Gitarrengeschichte schreiben wird.
Zeitsprung: Am 30.5.1980 landet Gary Moores G-Force auf dem Rockplaneten.
Popkultur
„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge
Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:
… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …
Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan
Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?
DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …
Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?
In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.
von Christof Leim
In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.
Hier könnt ihr das Album hören:
Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still.
Neues Spielzeug
Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“ singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.
Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo
Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.
Fünf Minuten mindestens
Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.
Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.
Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…
Filme und Bücher als Inspiration
Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.
Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel.
Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool
Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.
Ein Cover wie ein Bildband
Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch.
Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs
Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“ und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.
…und die Rückseite ist genauso bombastisch.
Auf die Straße. Natürlich.
Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit.
Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images
So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.
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