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Popkultur

Der Geist des Punk: Vertonter Nonkonformismus – von den Sex Pistols bis zu Anti-Flag

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In dem Mockumentary-Klassiker The Great Rock’n’Roll Swindle über die Sex Pistols macht deren damaliger Manager Malcolm McLaren ein wichtiges Statement: „Traue keinem Hippie – konzentrier dich stattdessen einfach aufs Tagesgeschehen“, so sein Kommentar gegenüber Helen Wellington-Lloyd, um gleich danach zuzugeben, dass das Silberne Thronjubiläum von Elisabeth II. einfach die ideale Vorlage für die Sex Pistols war, die perfekte Situation, die sie einfach „ohne Ende ausschlachten“ mussten.

von Tim Peacock

So lustig diese und andere Episoden des Films auch sein mögen, behauptet natürlich niemand, dass sich damals (im Jahr 1977) alles tatsächlich genau so abgespielt hat. Eine Sache jedoch hat der 2010 verstorbene McLaren damals ganz richtig festgestellt: Dass Vertreter des Punk noch nie vor einem offenen Schlagabtausch mit den Regierenden, mit den Meinungen des Mainstream zurückgeschreckt sind. Eine Anti-Establishment-Haltung war von Anfang Sache des Punk, gepaart mit einer unmissverständlichen Anti-Haltung gegen die vorherrschenden politischen Ansichten.

Staatsfeinde

Von Anfang an ging es im Punk, dessen Vertreter ab Mitte der Siebziger auf beiden Seiten des Atlantiks aus dem Boden schossen, um politische Ansagen, um vertonten und gelebten Nonkonformismus, um eine laute, deutliche Absage an den Status quo. Kein Wunder, dass auch die britischen Behörden die Sex Pistols sofort auf dem Schirm hatten, wo Johnny Rotten & Co. doch vor laufenden Fernsehkameras mit Schimpfworten um sich geworfen hatten. Echte Staatsfeinde waren sie spätestens, nachdem die Polizei ihr berüchtigtes Bootskonzert im Sommer ’77 auf der Themse beendet hatte – immerhin feierte die Queen, wie bereits angedeutet, wenige Meter daneben gerade ihr Silbernes Thronjubiläum… ungeplanter Soundtrack dazu: God Save The Queen und Anarchy In The UK von den Sex Pistols! Perfekt „ausgeschlachtetes“ Timing, um es mit McLaren zu sagen!



Noch immer gelten diese beiden Songs als das ultimative Manifest der Punkbewegung, gewissermaßen als Fundament und Blaupause für alle relevanten Punksongs, die auf sie folgen sollten. Ähnlich legendär sind dabei Stücke wie London’s Burning oder Career Opportunities, die The Clash im selben Jahr auf ihrem gleichnamigen Debüt präsentierten – zusammen mit ihrer grandiosen Coverversion des Reggae-Songs Police & Thieves. Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen, Polizeigewalt & Co. zählen seither zu den Kernthemen des Punk.

Dazu gab es schon früh Allianzen mit anderen gesellschaftlichen und politischen Bewegungen: The Clash, The Ruts, die Tom Robinson Band, Sham 69 und Stiff Little Fingers traten z.B. allesamt schon 1978 und 1979 für Rock Against Racism auf. Und während sich die Punkbewegung schließlich in verschiedene Lager ausdifferenzierte, blieb der Fokus aufs Politische auch danach zentral: The Slits, The Raincoats und Gang Of Four thematisierten u.a. die Konsumgesellschaft und Geschlechterfragen; Paul Weller von The Jam hingegen schrieb Songs wie Mr Clean, Down In The Tube Station At Midnight und Eton Rifles, die mit rechter Gewalt und dem britischen Klassensystem abrechnen.



Natürlich hatten jegliche Veränderungen in der politischen Landschaft der Achtziger direkte Auswirkungen auf die Weiterentwicklung des Punk: Dead Kennedys aus Kalifornien attackierten dabei nicht nur Politiker vor der eigenen Haustür (California Über Alles), sondern auch in Kambodscha – mit der Single Holiday In Cambodia. Danach knöpften sie sich auf Alben wie Plastic Surgery Disasters und Frankenchrist den US-Präsidenten Ronald Reagan vor, gegen den sie obendrein sogar eine Reihe von Rock Against Reagan-Konzerten organisierten.

How does it feel, Frau Thatcher?

Danach wurde der Sound härter, aggressiver, schneller – Hardcore war geboren. An der US-Westküste traten z.B. Black Flag auf den Plan, im Osten der USA wurde Washington DC zu einem neuen Epizentrum – mit Bands wie den Bad Brains und Minor Threat. Letztere brachten auch das Thema „straight edge“ ins Spiel: kein Alkohol, keine Drogen, Vegetarismus waren essentielle Grundpfeiler für sie und andere Straight-Edge-Hardcore-Acts. In Großbritannien waren Crass zwar eher dem Anarcho-Punk zuzuordnen, aber auch sie machten sich u.a. für Tierrechte stark, wie auch für Feminismus und Umweltschutz. Dazu erteilten sie der Arbeitsweise der Musikindustrie eine klare Absage.



Die Agenda von Crass und ihren Anarcho-Zeitgenossen wie Poison Girls und Conflict stand vor allem im krassen Gegensatz zur damaligen britischen Regierung: Margaret Thatcher & Co. waren ein rotes Tuch für sie, stand das konservative Lager doch für alles, was diese Bands verurteilten. Für ihren Pazifismus bekannte Punk-Combos wie Discharge und Charged GBH schraubten das Tempo derweil noch ein bisschen höher und setzten auf Gitarrensounds, die von Motörhead inspiriert waren – ein Sound, der als Streetpunk oder auch UK82 bekannt werden sollte.

Der kurze aber heftige Falklandkrieg, den England gegen Argentinien führen sollte, war eines der nächsten großen Themen, die von den Bands verurteilt wurden: Plötzlich meldete sich sogar ein New-Wave-Künstler wie Elvis Costello zu Wort (Shipbuilding, das auch Robert Wyatt einsingen sollte), und Crass brachten die Frage, die alle sich stellten, auf den Punkt: How Does It Feel (To Be The Mother Of A Thousand Dead)? Kollegen wie Paul Weller, Billy Bragg und Tom Robinson schlossen sich ab Mitte der Achtziger sogar zu einem richtigen Anti-Thatcher-Bündnis zusammen: Ihr Kollektiv Red Wedge wollte die Labour-Partei unterstützen und alles dafür tun, dass Thatcher 1987 nicht wiedergewählt wurde (wurde sie doch).

Obwohl US-Präsident Bush in den Staaten weniger Hass auf sich zog als sein Vorgänger Reagan, sollte die Protestwelle gegen den Golfkrieg im Januar 1991 auch das Weiße Haus erreichen – wo direkt vor der Tür von Mr. Bush aus diesem Grund ein großes Punkkonzert stattfand. Mit dabei: u.a. Fugazi, die zweite legendäre Band von Ian MacKaye (zuvor Minor Threat). Neben dem Irak-Krieg adressierten die Demonstranten und Bands u.a. auch das Problem der Obdachlosigkeit in den USA.

Von Green Day bis Pussy Riot

In den Neunzigern, die als Jahrzehnt des Alternative-Rock (Grunge & Co.) in die Geschichte eingehen sollten, traten in den USA dann Bands wie Green Day, Rancid und The Offspring auf den Plan – womit auch der alte Punkspirit plötzlich ein sehr angesagtes zeitgenössisches Update hatte. Besonders nach dem 11. September war es Präsident George W. Bush, der viele Bands richtig, richtig wütend machte und sie so zu immer neuen Protestsongs inspirierte.



Anknüpfend an die bereits erwähnten Anti-Reagan-Konzerte der Dead Kennedys, veranstalteten NOFX z.B. einige Rock Against Bush-Shows, zu denen auch Compilation-Alben erschienen. Wie viele Menschen sich mit ihren Haltungen identifizieren konnten, bewiesen wiederum Green Day: Ihr American Idiot-Album aus dem Jahr 2004, das wie eine Punkrock-Oper angelegt ist und gleichermaßen gegen Bush und die Medien austeilt, verkaufte sich allein sechs Millionen Mal in den USA. Einen Grammy gab’s obendrein.

Seit dem Beginn des digitalen Zeitalters ist es deutlich einfacher geworden für Bands (und andere Aktivisten), auf Do-It-Yourself-Methoden zu setzen und im Alleingang politische Grassroots-Bewegungen loszutreten. So wurden die drei Russinnen von Pussy Riot z.B. sehr schnell international berühmt, nachdem sie für ihr spontanes „Punk-Gebet“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau sogar ins Gefängnis mussten. In Island stellte sich derweil Ex-Punk Jón Gnarr nach dem Börsencrash zur Wahl auf und wurde tatsächlich mit seiner „besten Partei“ Bürgermeister von Reykjavík: Ab sofort hatten vier Jahre lang in seinem Kabinett etliche Künstler und Ex-Punks das Sagen, und es wurden Dinge auf den Weg gebracht, die wahrscheinlich sogar Vorreiter wie die Band Crass abgesegnet hätten.



Auch in Zeiten von Fake News gibt es unmissverständliche Songs aus den Staaten zu hören: Anti-Flag aus Pittsburgh und die Rap/Punk-Supergroup Prophets Of Rage machen ihren Namen alle Ehre und nehmen kein Blatt vor den Mund.

Natürlich klingen diese neuesten Inkarnationen ganz anders als der Punk von 1977. Natürlich ist die Szenerie heute eine ganz andere. Doch die Stoßrichtung, der Geist und die Energie sind immer noch dieselben – was Punk nicht nur zu einem wichtigen Ventil macht, sondern auch zu einem notwendigen Sprachrohr und einer Gegenkraft, die tatsächlich Veränderungen auslösen kann.


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