------------

Popkultur

Zeitsprung: Am 17.10.1989 fühlen sich Kiss „Hot In The Shade“.

Published on

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 17.10.1989.


von Christof Leim

Gitarren wieder nach vorne und weniger bunte Klamotten: Mit Hot In The Shade wollen Kiss zurück zu ihren Wurzeln. Raus kommt ein Haufen guter Songs samt einer Hitsingle, an der ein Schmusesänger mitmischt. Zu den unverzichtbaren Klassikern der Bandgeschichte gehört die Platte trotzdem nicht. Ab 17. Oktober 1989 steht Hot In The Shade in den Läden.

Hier gibt es Hot In The Shade zu hören:

Als sich die Achtziger ihrem Ende zuneigen, müssen Kiss sich gut überlegen, wohin die Reise gehen soll. Seit den güldenen Frühzeiten mit Make-up und Millionenverkäufen mussten die ehemaligen Schminkemonster eine ziemliche Achterbahnfahrt erleben (mehr dazu hier). Zuletzt hatten sie mit Crazy Nights (1987) ein keyboardlastiges Pop-Metal-Album produziert, das leider nicht die MTV-Welt im Sturm nehmen konnte wie geplant. Deshalb wollen sich Paul Stanley, Gene Simmons, Bruce Kulick und Eric Carr mit ihrem nächsten und fünfzehnten Studiowerk wieder auf das Wesentliche besinnen: mehr Gitarren, mehr Rock’n’Roll, weniger Bombast und Brimborium, und auch keine Farbkombinationen mehr, die Netzhäute sprengen können.

Riskante Gegend

Im Sommer 1989 entsteht Hot In The Shade in einem Etablissement namens The Fortress in Hollywood. Das ist kein riesiger Aufnahmetempel, sondern ein eher kleines Studio in einer „abgefahrenen Gegend, wo sogar das Parken riskant werden kann“ (Kulick). Das passt den Herren aber gut in den Kram: Keine Ablenkung, kein Schnickschnack, sondern ein Platz zum Arbeiten. Für einen reduzierten, möglichst auf Gitarre, Bass, Schlagzeug beschränkten Klang entscheiden die Produzenten Stanley und Simmons sogar, viele ihrer naturgemäß spontan klingenden Demos als Grundlage der Songs zu verwenden und diese lediglich mit Overdubs aufzupeppen. Heraus kommt tatsächlich ein viel weniger glatt gebügeltes Album als Crazy Nights, rumpeligen Garagensound muss man (glücklicherweise) nicht befürchten. Es ist eben alles relativ.

Cowboystiefel gehen immer: Werbeposter für “Hot In The Shade”.

 

Selbst wenn man es nicht wirklich hört, finden sich durch die Verwendung vorhandener Aufnahmen eine ganze Reihe an Musikern auf der Platte: Kevin Valentine etwa trommelte schon in ihrer Entstehungsphase bei zwei Stücken (und später inkognito auf dem 1998er-Reunionalbum Psycho Circus), und auch der heutige Schlagwerker Eric Singer soll insbesondere an Demos von Paul mitgewirkt haben. Für andere Nummern nutzt Eric Carr E-Drums, bei manchen Stücke erklingt sogar ein Drumcomputer, wie Kulick 25 Jahre später berichtet.

Die drei Singles von „Hot In The Shade“

Viele Köche kochen mit

Für die Lieder selbst arbeiten die Hauptkomponisten Stanley und Simmons mit einer ganzen Reihe an Songwriter-Kollegen und -Kolleginnen zusammen. Die beiden Chefs bringen jeweils sieben ihrer Ideen auf die Platte, ein Song stammt hauptsächlich von Eric Carr, Bruce Kulick trägt zu zwei Nummern bei. Mit 15 Tracks wird Hot In The Shade damit zur längsten Scheibe in der Kiss-Diskografie.

Bei fünf Titeln taucht Vini Poncia wieder auf, der mit Dynasty (1979) und Unmasked (1980) die poppigste Kiss-Phase als Produzent betreut hatte, außerdem Adam Mitchell, der zu Zeiten von Creatures Of The Night (1982) dabei war. Daneben schreibt Judas-Priest-Kollaborateur Bob Halligan Jr. mit,  an zwei Liedern ist Tommy Thayer beteiligt, der 2002 selber Leadgitarrist und neuer „Spaceman“ werden sollte.

Alle mit allen

Als erste Single wird zeitgleich mit der Platte Hide Your Heart ausgekoppelt, geschrieben von Paul Stanley mit der hochdekorierten Songwriterin Holly Knight (Tina Turner, Aerosmith) und Platinlieferant Desmond Child (Bon Jovi, Alice Cooper). Dass damals tatsächlich alle querbeet miteinander rumkomponieren und Songs gerne weiterreichen, treibt bei Hide Your Heart lustige Blüten: Die Nummer hatte Paule ursprünglich für Crazy Nights angedacht, dann aber nicht verwendet. Deshalb veröffentlicht zuerst Bonnie Tyler den Song auf einer gleichnamigen 1988er-Platte, dann packen im September 1989 die Southern-Rocker Molly Hatchet das Stück auf ihr Album, anschließend nimmt niemand Geringeres als Ex-Kiss-Gitarrist Ace Frehley eine eigene Version für Trouble Walkin’ auf, die fast zeitgleich mit der von Kiss erscheint. Später legt die Sängerin Robin Beck nach. An diesem Überangebot  könnte es gelegen haben, dass Hide Your Heart nicht der ganze dicke Durchmarsch wird.

Die zweite Auskopplung beschert der Band dann jedoch den größten Hit seit Beth und I Was Made For Lovin’ You: Mit der Ära-typischen Powerballade Forever schaffen es Kiss auf Platz acht der Billboard-Charts und in die Heavy Rotation der entsprechenden TV- und Radiokanäle. Das Ding ist aber auch schön: Akustikgitarre im Intro, Herzschmerz-Lyrics, ein großer Chorus mit Feuerzeugpflicht und zur Krönung ein wirklich brillantes Gitarrensolo von Bruce Kulick. Geschrieben hat Paul Stanley diesen Schmachtfetzen mit Schmusesänger Michael Bolton, einem alten Kumpel von Bruce aus ihrer gemeinsamen Zeit in der Band Blackjack. Als Bolton mitbekommt, dass das Stück sich zum Hit entwickelt, lässt er sich die Lyrics faxen (so ging das damals) und spielt es fortan selbst bei seinen Shows.

Schminke: Ja oder nein?

Beim Uptempo-Rocker Rise To It als dritter Single merken Kiss-Nerds angesichts des Videos auf. Hier sieht man Paul und Gene, wie sie eine Backstage-Szene der Siebziger nachstellen: Gerade legen sie ihre Kriegsbemalung an und unterhalten sich darüber, ob es klappen kann, jemals das Make-up abzulegen. Was dann ja 1983 auch passiert. Einig werden sich die Herren nicht so recht. (Den Experten fällt zudem auf, dass Simmons ein Outfit der Unmasked-Ära trägt, Paul aber von Love Gun. Geschenkt.)

Was gibt es sonst? Bei Read My Body versucht sich Paul an sowas wie Rap, der Chorus klingt hart nach Here I Go Again und I Love Rock’n’Roll. In Cadillac Dreams singt Gene über eins seiner Lieblingsthemen (Geld), und bei Boomerang ballert sogar eine Doublebass zu jeder Menge Flitzefingergitarre. Schön auch: Silver Spoon endet mit einem herrlichen Gospelchor dreier Sängerinnen, der „Sisters Of No Mercy“.

Eric darf singen

Mit Little Caesar gibt es eine Premiere: Zum ersten Mal darf Eric Carr auf einer Kiss-Platte den Leadgesang eines Songs, zudem aus seiner Feder, übernehmen (sieht man von einer Neuaufnahme des Klassikers Beth für die Best-of-Kompilation Smashes, Trashes & Hits ab). Ein einziges Mal wird die Nummer live gespielt (am 26. April 1990 in Reseda, Kalifornien), noch vier weitere Stücke kommen im Laufe der Jahre zu Konzertehren, die meisten nicht lange. Filmaufnahmen von der Tour erscheinen später im Rahmen der Kissology-Reihe. Leider hören wir Eric auf Hot In The Shade zum letzten Mal in voller Albumlänge: Der Schlagzeuger verstirbt am 24. November 1991 (am gleichen Tag wie Freddie Mercury) mit nur 41 Jahren an Krebs.

Ihrem Ziel, die „Gitarren wieder nach vorne zu bringen“, wie Gene damals etwa im Metal Hammer erklärte, kommen Kiss mit der Platte tatsächlich halbwegs näher. In den USA reicht das für Platz 29, in Deutschland für Rang 46. Im Kontext der üppigen Kiss-Diskografie geht Hot In The Shade trotz guter Songs allerdings unter.

Achtziger halt: Gene Simmons 1989 ohne Schminke auf der Bühne – Foto: Jim Steinfeldt/Michael Ochs Archives/Getty Images

Zeitsprung: Am 29.12.1982 spielen Kiss die erste Show mit Vinnie Vincent.

Popkultur

„Atomic City“: Neuer U2-Song feiert die Post-Punk-Jahre

Published on

U2 HEADER
Foto: Jason Kempin/Getty Images

Und plötzlich ist ein brandneuer Song von U2 gelandet: Auf Atomic City schwelgen die Iren im Sound früherer Jahre und läuten zugleich eine furiose neue Ära ein. Hier bei uns gibt es Song samt Video!

U2 fahren die Motoren langsam hoch. Kürzlich erst gaben sie einen Überraschungsauftritt mitten auf dem Strip in Las Vegas, um ihre furiose Residence im Sphere zu bewerben. Die startet am heutigen Freitag und verspricht ein revolutionäres Konzerterlebnis: 160.000 Lautsprecher und 260 Millionen Videopixel läuten dieses Wochenende eine neue Ära in Sachen Livemusik ein.

Hommage an Las Vegas

Passend dazu erscheint heute die brandneue Single Atomic City. Produziert wurde der Song von Jacknife Lee und Steve Lillywhite und ist als Hommage an Las Vegas zu verstehen – die Stadt wurde in den fünfziger Jahren als Atomic City bezeichnet. Musikalisch ist der Song ein Kniefall vor dem magnetischen Geist des Post-Punk der Siebziger und Bands wie Blondie oder The Clash, die U2 beide stark beeinflussten. Hier gibt es die starke Nummer zu hören:

Aufgenommen wurde die Single in Los Angeles und erscheint passend vor den anstehenden Terminen der Band im Sphere in Las Vegas, wo sie ihr bahnbrechendes Album Achtung Baby aus dem Jahr 1991 zelebrieren. Der Frontmann Bono selbst sagt über die Single: „Es ist ein Liebeslied an unser Publikum: Where you are is where I’ll be.“ Das dazugehörige Musikvideo wurde unter der Regie von Ben Kutchins gedreht und zeigt U2s nächtlichen Überraschungsauftritt des Songs in Downtown Las Vegas letzter Woche. Da hat sich mal jemand mit Schnitt und Post-Production beeilt.

Jetzt können wir nur noch warten und morgen schon die Bilder dieser grandiosen neuen Show mit Ersatzschlagzeuger Bram van den Berg bestaunen. Oder doch vielleicht eher gleich Flüge buchen?

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

U2: Alle Alben im Ranking

Continue Reading

Popkultur

„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge

Published on

Tom DeLonge HEADER
Foto: Christopher Polk/Getty Images

Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:

… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …

Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan

Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?

DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …

Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?

In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

blink-182: Alle Studioalben im Ranking

Continue Reading

Popkultur

Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.

Published on

Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.

von Christof Leim

In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.

Hier könnt ihr das Album hören:

Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still. 

Neues Spielzeug

Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“  singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.

Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo

Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.

Fünf Minuten mindestens

Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.

Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.

Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…

Filme und Bücher als Inspiration

Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.

Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel. 

Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool

Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.

Ein Cover wie ein Bildband

Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch. 

Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs

Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“  und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.

…und die Rückseite ist genauso bombastisch.

Auf die Straße. Natürlich.

Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit. 

Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images

So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.

Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

Continue Reading

Don't Miss