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Popkultur

Schwarze Wucht: Das „Black Album“ von Metallica

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Metallica

Am 12. August 1991 kracht ein schwarzer Monolith auf Erde: Metallica veröffentlichen Metallica. „Die Schwarze“ oder auch The Black Album klingt zugänglicher, konzentrierter, mächtiger – und wird zum erfolgreichsten Metal-Album aller Zeiten. Hier seine Geschichte.

von Christof Leim

Hier könnt ihr Metallica anhören:

Im Sommer 1990 wollen es Metallica wissen: Sie gehören zu den größten Bands im Metal, an der Spitze der Thrash-Welle stehen sie sowieso. Mit dem komplexen Rifffeuerwerk …And Justice For All haben sie 1988 nicht nur die US-Top Ten und das Musikfernsehen geknackt, sondern sich weltweit als Headliner etabliert.

Doch der kompositorische Weg ist ausgereizt: Noch verschachtelter, noch thrashiger als auf Justice geht es nicht, zumindest nicht, wenn das nicht zum Selbstzweck verkommen soll. Das Format langer Metal-Songs mit siebenhundert Riffs und dauerdurchgedrücktem Gaspedal langweilt James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett und Jason Newsted zusehends. „Auf sicher“ zu spielen und Justice II zu schreiben, ist keine Option. Metallica wollen den Erfolg, sie wollen ihre Musik noch größer, noch besser machen und sie auch besser klingen lassen.


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Neuer Fokus

Dazu brauchen sie einen neuen Ansatz, nicht zuletzt beim Produzenten: Der Kanadier Bob Rock hatte sie mit seiner Arbeit für Sonic Temple von The Cult und insbesondere Dr. Feelgood von Mötley Crüe mit seinem unglaublich wuchtigen Drumsound beeindruckt. Rock wiederum kannte die Thrash-Könige nur am Rande und stand eigentlich im Wort bei seinem Kumpel Richie Sambora von Bon Jovi für dessen erstes Soloalbum. Doch er entscheidet sich für Metallica und will das Album nicht nur wie angedacht abmischen, sondern komplett produzieren. Die Metal-Szene-Polizei heult natürlich sofort rum, aber Hetfield sagt zu Recht: „Klingen Bon Jovi plötzlich wie Metallica, wenn Flemming Rasmussen sie produziert?“

Metallica

Die Entscheidung erweist sich als goldrichtig: Rock bricht liebgewonnene Arbeitsweisen auf und richtet den Blick auf den Kern der Songs, auf den Vibe und auch auf Groove – Parameter, die der perfekten und mit Überschall getackerten Riffwelt bisher keine große Rolle einnahmen. Die Platte soll kein auf ein Raster genageltes Metal-Reißbrett werden, weswegen er die die Jungs die Basic Tracks (vor allem der Drums) auch zusammen einspielen lässt. Rock scheut sich auch nicht, Metallica in ihre Songs reinzureden, was zu ständigen, harten und nervtötenden Diskussionen und so viel Streit führt, dass die Parteien nach der Produktion tatsächlich erstmal eine ganze Weile nicht miteinander reden.

Rocks Ansatz passt zu dem Material, das Lars und James in zwei Monaten im Keller des Drummers zusammengesetzt haben. Die Songs sind langsamer und kürzer als früher, kommen mit wenigen Riffs aus und deshalb besser zum Punkt, doch als simpel und billig entpuppen sie sich bei genauerem Hinsehen nicht. Natürlich entfernen Metallica sich damit von der reinen Thrash-Lehre, doch von kindischen Underground-Werten lassen sich die Musiker seit 1984 nicht beeindrucken, und mit Nische und Untergrund hat es wenig tun, was da gerade entsteht. Die neue Musik klingt größer, zugänglicher und unbeschränkter als früher.

Nachtriffs & Monsterwalzen

Gleich der erste geschriebene Song gibt die Marschrichtung vor: Enter Sandman basiert auf einem Riff von Kirk, dass ihm nachts um zwei und inspiriert von Soundgardens Louder Than Love aus der Gitarre gefallen war. Nach einem kleinen Umbau durch Lars entsteht daraus ein Ohrwurm erster Güte, auf dem das gesamte Stück aufbaut. Enter Sandman erscheint zwei Wochen vor der Platte als erste Single und wird, ganz einfach gesagt, zum Megahit. Mehr Fakten zu der Nummer findet ihr hier.

Für das folgende Sad But True stimmen Metallica ihre Gitarren tiefer, lassen ihrem inneren Godzilla freien Lauf und konzentrieren sich auf Groove, Wucht und Heaviness. Alleine das Hauptriff ist so heavy, dass sich das Erdgravitationsfeld verbiegt. Ursprünglich spielen Metallica das Ding ein Stück schneller, aber Bob Rock regt an, sich zurückzulehnen. Sad But True genießt lange den Status eines Livestandards und erscheint als fünfte und letzte Single mehr als anderthalb Jahre nach dem Album – was zeigt, wie lange die Platte „heiß“ und die Band auf Tour bleibt. Bob Rock zieht bei diesem Lied sogar Vergleiche mit Kashmir von Led Zeppelin, und das darf er auch.

Der kann ja singen!

Holier Than Thou weist mit zackigem Tempo und gehackten Riffs noch am ehesten Spuren der alten Thrash-Zeiten auf und wird vielleicht deswegen als erste Single gehandelt. Doch Lars besitzt die richtige Vision und setzt die in langen Diskussion durch: Von Anfang an sieht er in Enter Sandman die Nummer, mit der Metallica das neue Jahrzehnt einläuten sollten. Offensichtlich zu Recht. Und tatsächlich verlieren Metallica an Holier irgendwann die Lust: In 30 Jahren spielen sie das Stück weniger als 100 mal live, was man von Enter Sandman nicht behaupten kann (bis zum Jubiläum: 1356 Einsätze).

Eine Tradition ziehen die Kalifornier aber durch: Die Ballade kommt an vierter Stelle. Üblicherweise hören wir dann eine ruhige Strophe und einen lauten Chorus, aber Metallica drehen das für The Unforgiven um. Das Horn zu Beginn soll aus einem Ennio-Morricone-Soundtrack gemopst worden sein, die fingergepickte Konzertgitarre als Intro gibt dem Ganzen einen Westerncharakter. Im Chorus wiederum nimmt die Band die Dynamik zurück und lässt viel Raum für Hetfield, der hier ungewohnt „richtig“ singt. Die melodramatische Stimmung, der düstere Clip und die Massentauglichkeit lassen The Unforgiven zu einem Schlüsselstück werden, das als zweite Single ausgekoppelt wird und in späteren Jahren zwei „Sequels“ bekommt. Vom Video existiert sogar eine zwölfminütige „theatrical version“.

Versteckte Perlen & schwierige Verbindungen

Metallica gelten schon immer als Straßenköter, für das Black Album werden sie sogar an die 300 Shows abreißen. Wherever I May Roam thematisiert dieses Leben und klingt auch so: weit, frei und zielstrebig. Die vierte Single. Don’t Tread On Me gehört zu den „Deep Tracks“ der Platte, dabei steht das Lied gewissermaßen sogar auf dem Albumcover – in Form der Schlange, die wie der Titel von der so genannten Gadsen-Flagge aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg stammt. Im Intro zitieren Metallica sogar Leonard Bernsteins America aus West Side Story.

Historisch stehen Flagge, Schlange und Zeile für Freiheit, Unabhängigkeit und die Unterstützung des Militär. Diese patriotischen Konnotationen kommen nicht überall gut an, zumal die Flagge im neuen Jahrtausend zusehends Verwendung in reaktionären oder gar extremistischen Kreisen findet (etwa bei der Capitol-Erstürmung am 6. Januar 2021), was allerdings nur lose auf ihrer Historie beruht. Stattdessen kann man die Titelzeile vor allem im Wortsinn und auf die Band selbst bezogen verstehen: „Legt euch nicht mit uns an.“ Das wiederum passt bestens zum Anti-Establishment-Charakter vieler Metallica-Songs und darf durchaus auch als Kommentar zu erwartbarem Fan-Geschimpfe über die gemäßigtere Gangart auf dem Black Album gelesen werden darf. Zum Bühneneinsatz kam die Nummer erst ein Dutzend Mal.

Etwas für’s Herz

Mit Through The Never zeigen die Burschen dann, dass sie es durchaus noch schnell können, doch dann wird es ungewöhnlich melodisch: Nothing Else Matters ist zweifelsfrei einer der wichtigsten Metallica-Songs – und einer der weichesten, weswegen Hetfield ihn ursprünglich gar nicht für die Band verwenden wollte. Auch hier schreitet Lars ein und beweist die richtige Vision. Den Startschuss gibt ein offener E-moll-Akkord, den James während eines Telefonats auf Tour mit der rechten Hand zupfte – die andere Hand braucht man dazu gar nicht. Daraus entstand eine Megaballade, die nur während des Solos mal laut wird. Das spielt ausnahmsweise James, und auch sonst hört man Kirk in der Albumversion nicht. Hetfield zeigt hier erstaunlich viel Gefühl in Gesang und Text, was vor allem Bob Rocks Zuspruch zu verdanken ist. Sogar eine Orchesterbegleitung wird komponiert von Soundtrack-Guru Michael Kamen, doch da treten die vier Headbanger dann doch auf die Bremse. Sie verbannen Celli und Geigen weit in den Hintergrund.

Nothing Else Matters erscheint als dritte Single, wird ein MTV- und Radiostandard und bringt Metallica einem ganz neuen Publikum nahe. Heute lässt sich das Lied aus keiner Setlist mehr wegdenken und ebensowenig bei Lagerfeuersessions, Hochzeitsfeiern, Balladenmixtapes, Heiratsanträgen, Geburten und sonstigen Liebesbezeugungen. Wenn Möbelhauseröffnungen romantischer werden, würde Nothing Else Matters sicher auch da laufen. Heute lässt sich das Lied aus keiner Setlist mehr wegdenken und läuft überall, wo es romantisch wird.

Wenige Motive, geschickt variiert

Für Of Wolf And Man geht es dann raus in die Wildnis: Hetfield singt über seine Jagdleidenschaft und Verbindung zur Natur. Im Text des stampfenden The God That Failed klagt er schließlich den strengen christlichen Glauben seiner Eltern an, der ihnen verbat, medizinische Hilfe anzunehmen – und die an Krebs erkrankte Cynthia Hetfield das Leben kostet, als der spätere Rockstar noch ein Teenager war.

My Friend Of Misery entspringt einer Idee von Jason, der hier seinen zweiten von drei „Writing Credits“ in 14 Jahren Bandzugehörigkeit einfährt. Eigentlich sollte daraus ein Instrumental werden, wie es sie auf den letzten drei Metallica-Platten gegeben hat, doch Hetfield und Ulrich machen aus Jasons Riff einen düsteren, melancholischen Rock-Song. Das schnellste Stück der Platte kommt zum Schluss. The Struggle Within ballert mit 200bpm und viel Start-Stop-Riffing durch die Botanik.

Was ein Sound!

Diesen zwölf Songs verpasst Bob Rock einen Sound, der noch 30 Jahre später als Goldstandard gilt. Metallica klingt nahezu perfekt – groß, schwarz, breit und stark. Die Drums wirken so groß wie Mount Rushmore, Hetfields Gitarrenwand steht unverrückbar, ertönt dabei lebendig und rund. Zum ersten Mal zeigt sogar Newsteds Bass eine Wirkung, weil Bob Rock die Frequenzen sortiert und die vier Saiten von den sechs Saiten klanglich trennt. Die Songs besitzen Vibe und Swing, vor allem aber einen laserscharfen Fokus auf das Wesentliche, und doch sind sie unbestreitbar: Metal. 

Acht Monate verschanzen sich Metallica für die Aufnahmen in einen Studio namens One On One in Los Angeles, in dem schon Justice entstanden war. (Diese Dauerbesetzung des Studio nervt den japanischen Superstar Yoshiki so sehr, dass er es später kurzerhand kauft, damit das nicht nicht nochmal passiert.) Die Produktion von Metallica verschlingt eine Million Dollar und trägt wesentlich zum Ende der Ehen von Jason, Kirk und Lars bei. Am Ende wird selbst diese lange Zeit knapp, parallel zu den letzten Mixen müssen die Musiker schon das Sandman-Video drehen und erste Interviews geben. Premiere feiern die zwölf Songs bei einer öffentlichen Hörprobe im legendären Madison Square Garden in New York am 3. August 1991 für 19.000 Fans.

Epilog

Schnell stellt sich heraus: Metallica haben es geschafft, sie haben den nächsten Schritt getan. Folgerichtig knallt die Platte auf Platz eins der Charts in den USA, ebenso in Deutschland und acht weiteren Ländern. Heute gehört Metallica zu den meistverkauften Alben aller Zeiten; seit 1991 (und Einführung des elektronischen Zählsystems) hat sich keine Platte in den USA häufiger verkauft. Insgesamt verbrachte das Werk bisher über 550 (!) Wochen in den amerikanischen Albumcharts Billboard Top 200. 1992 erhalten die vier Musiker den Grammy für „Best Metal Performance“.

Metallica

Mit der Schwarzen zu Superstars: Jason Newsted, Lars Ulrich, Kirk Hammett, James Hetfield

Der Rest der Metal-Welt horcht auf: Megadeth, Testament und Annihilator beispielsweise drosseln ebenfalls das Tempo, das Gros der Thrash-Blase zieht sich in den Untergrund zurück, zumal die Metal-Welt ohnehin von neuen Sounds aus Seattle durchgeschüttelt wird. Metallica können dem gelassen entgegenblicken. Sie begeben sich erstmal auf eine mehrjährige Tour mit fast 300 Shows, von der sie als platindekorierte und schwerreiche Superstars zurückkehren.

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