Popkultur
Zeitsprung: Am 7.9.1988 treiben es Metallica mit „…And Justice For All“ auf die Spitze.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 7.9.1988.
von Christof Leim
1988 stehen Metallica kurz vor dem Sprung in die Oberliga. Mit Master Of Puppets haben sie sich 1986 ein Denkmal gesetzt, jetzt wollen sie ihren ebenso brachialen wie cleveren Thrash Metal mit …And Justice For All zu neuen Höhen treiben. Ein Rückblick auf ein ambitioniertes, eigenständiges, nur fast perfektes Machtwerk.
Hört hier in …And Justice For All rein:
Als Metallica am 7. September 1988 ihr viertes Album …And Justice For All veröffentlichen, liegen ebenso großartige wie harte Zeiten hinter ihnen. Mit Kill ‘Em All haben die vier blutjungen Wilden 1983 den Thrash Metal losgetreten, sich mit Ride The Lightning im Folgejahr massiv weiterentwickelt und 1986 schließlich das monumentale Master Of Puppets veröffentlicht (die ganze Geschichte dazu steht hier). Die Band durchbricht mit Schwung alle Grenzen des Underground, das Genre explodiert, und die Metal-Welt liegt ihnen zu Füßen. Ob die bierdurstigen Herren sich darüber sorgen, was sie musikalisch folgen lassen können, ist nicht überliefert. Dann stirbt Bassist Cliff Burton am 27. September 1986 bei einem Tourbusunglück, und die Band verliert einen wichtigen Steuermann.
Schwieriger Einstand
Mit diesem Verlust haben die noch jungen Musiker sehr zu kämpfen, ernennen jedoch schon wenige Monate später den gleichaltrigen Jason Newsted zu ihrem neuen Bassisten, nachdem sie mehr 50 Kandidaten getestet haben, darunter Joey Vera (Armored Saint), Greg Christian (Testament) und Les Claypool (Primus). Sogar David Ellefson von den damals noch quasi verfeindeten Megadeth steht kurzzeitig auf der Liste.
Newsted kommt von den Thrashern Flotsam & Jetsam, mit denen er als großer Fan mehr als einmal Metallica-Songs gecovert hat. Für seine Audition hat er sich sämtliche Stücke der Setlist draufgeschafft, was für großen Eindruck sorgt und charakteristisch für seine Arbeitseinstellung bei Metallica sein sollte. Sein erster Auftritt findet am 8. November 1986 in Reseda, Kalifornien statt, danach geht es auf Japan-Tour und nach Europa. Musikalisch kann man Newsted nichts vorwerfen, selbst wenn er im Gegensatz zu Burton mit einem Plektrum statt mit den Fingern spielt. Vor allem auf der Bühne glänzt er mit unfassbarem Einsatz. Vermutlich liegt es an der unverarbeiteten Trauer über Cliffs Tod, dass die Band ihn trotzdem fortwährend piesackt. So werfen die anderen seine Klamotten aus dem Hotelfenster, schmieren ihn mit Rasierschaum ein oder bestellen teuersten Room Service auf seine Rechnung. Ständig. Newsted zieht trotz allem durch, stolz macht das die Kollegen später natürlich nicht. Fest steht: Metallica sind mittlerweile die Lars-und-James-Show, noch mehr als früher. Kirk Hammett gilt eher als Diplomat, ist kein Alphamännchen, und der Neue hat ohnehin wenig zu sagen.
Ab in die Garage
Zum Aufwärmen nehmen die vier Metal-Helden erstmal fünf Songs für die The $5.98 E.P.: Garage Days Re-Revisited auf, die sie – nomen est omen – in Lars’ umgebauter Garage einproben (alles dazu hier). Auf diesem ersten Vinyl-Lebenszeichen nach Burtons Tod finden sich Gassenhauer von Diamond Head, Holocaust, Killing Joke, Budgie und den Misfits. Das Ding rockt, und der Bass von „Jason Newkid“ drückt ordentlich. Danach geht es ans Songwriting. Metallica entscheiden sich für die Flucht nach vorne und führen die Entwicklung der vergangenen Jahre fort: Die Songs werden noch komplexer, noch länger, noch anspruchsvoller. Mehr Riffs, mehr Harmonien, mehr Taktwechsel sogar im Vergleich zu Master Of Puppets, und nach jedem zweiten Chorus geht es ab in ein „verdammtes anderes Universum“, wie Lars Ulrich es einmal ausdrückte.
Von Januar bis Mai 1988 finden die Aufnahmen statt, dank eines neu verhandelten und gut dotierten Plattenvertrages diesmal in Kalifornien, nicht mehr im kalten Kopenhagen. Leider steht ihr alter Weggefährte Flemming Rasmussen zunächst nicht als Produzent zur Verfügung, weswegen die Band Mike Clink anheuert, der gerade mit dem Debüt von Guns N’ Roses, Appetite For Destruction, einen Megahit gelandet hat. Doch die Zusammenarbeit funktioniert nicht: Nach drei Wochen und ein paar Drumtracks wird Clink entlassen, Rasmussen fliegt zur Rettung ein.
Die Performance der vier Musiker im Studio kann sich sehen lassen: James Hetfield als „Gott der rechten Hand“ haut uns äußerst tighte und ziemlich vertrackte Rhythmusgitarren um die Ohren, mehrfach geschichtet und hochgezogen wie eine Thrash-Metal-Backsteinmauer. Lars Ulrichs Spiel strotzt nur so vor cleveren Ideen, Fills und ordentlich Doublebass. Der Mann ist definitiv besser als sein Ruf. Auch Kirk Hammett hat die meisten seiner Soli sorgsam auskomponiert und zieht im Höllentempo alle technischen Register: modale Skalen, Geschredder, Tapping, markante Melodien, Whammy-Bar, das ganze Programm. Nur Jason Newsted hört man fast nicht.…
Mischen impossible
Zwischen den Gigs der US-Monsters Of Rock-Tour mit Van Halen und den Scorpions fliegen Ulrich und Hetfield mit müden Ohren ständig nach New York, um mit Steve Thompson und Michael Barbiero (ebenfalls bekannt von Appetite For Destruction) das Album abzumischen. Wo und wie genau das Urteilsvermögen der beiden Metallica-Chefs auf der Strecke geblieben ist, weiß man nicht, aber Lars und James entscheiden sich dafür, den Bass rauszudrehen und den Sound zudem extrem trocken und „scooped“, also ohne Mitten, einzustellen. Damit wirkt die Scheibe durchaus speziell, was man als Vorteil und Nachteil betrachten kann. Rund, lebendig, fett klingt sie allerdings nicht, dafür knüppelhart und düster.
Die Gründe sind vielfältig, eine ausführliche Analyse des Bass-Debakels findet ihr hier. Insbesondere scheint Ulrich auf diesem Sound bestanden zu haben, wie Thompson kürzlich erst zu Protokoll gab: „Am ersten Tag kam Lars an mit einem Stapel Notizen zum EQ-Setup für die Drums. Das haben wir umgesetzt, und es klang beschissen.“ Also rudern die beiden zurück, bauen einen fetten Mix, den Hetfield absegnet. Lars’ beharrt jedoch auf seiner Vision einschließlich fast unhörbarer Bassspuren, Hetfield wirft (laut Thompson) nur resigniert die Arme in die Luft. Hinzu kommt, dass Newsted es von Flotsam & Jetsam gewohnt ist, die Riffs der Rhythmusgitarre einfach mitzuspielen, nicht ungewöhnlich in diesem Stil. Doch weil sein Instrument und die mächtige Axt von Hetfield sich dank des speziellen Sounds bei den gleichen Frequenzen tummeln, geht er unter. Die Tatsache, dass er seine Spuren in wenigen Tagen ohne viel Führung und Kommunikation nur in Anwesenheit des Toningenieurs Toby Wright eingespielt hatte, verstärkt das Problem noch. Glücklich macht Jason das alles nicht, doch drei Dekaden später und nach seinem Ausstieg 2001 hat er seinen Frieden damit geschlossen. Darauf angesprochen, lässt er meist durchblicken, dass das Album „ist, was es ist“, eine spezielle, nicht perfekte Momentaufnahme. Ein kleiner Trost immerhin: Gleich der erste Song basiert auf einem seiner Riffs…
Lang, länger, Justice
Das vierte Metallica-Album erweist sich als ein komplexer Brocken, ein ebenso brachiales wie anspruchsvolles Machtwerk: Von neun Stücken bleiben nur zwei – knapp – unter sechs Minuten. Jeder Tracks weist unzählige Parts, ungewöhnliche Strukturen, Taktwechsel und gerne natürlich halsbrecherische Tempi auf. Das Bemerkenswerte: Die Truppe schafft es tatsächlich, das alles in sinnvolle Songs zu gießen, meistens zumindest. Ein paar Längen gibt es, aber die sind nichts im Vergleich zum Geschwurbel auf Death Magnetic (2008). Das Songwriting teilen sich wie gewohnt James und Lars, Kirk trägt zu vier Stücken bei, Jason zu einem. Für To Live Is To Die findet eine Idee Burtons Verwendung.
Der Opener Blackened, basierend auf einem flotten 7/4-Riff von Newsted, entwickelt sich schnell zum Publikumsliebling und eröffnet in den nächsten Jahren viele Shows. Auch die Vorabsingle, der Stampfer Harvester Of Sorrow, gibt den Fans live die Gelegenheit, für 5:42 Minuten zu Godzilla zu werden. Herrlich. Der Hit der Scheibe heißt jedoch One: Für diese ebenso epische wie bedrückende Nummer, die sich von einem balladesken Anfang bis zu einem furiosen Finale aufbaut, drehen Metallica sogar ihren ersten Videoclip überhaupt (alles dazu hier). One wird im Januar 1989 als dritte Single veröffentlicht und seitdem bei jedem Gig gespielt.
Die Texte: real und finster
Das vertrackte Eye Of The Beholder hingegen, die zweite Auskopplung Ende Oktober 1988, taucht seit 1989 nicht mehr komplett in der Setlist auf. Ansonsten gehen Metallica mit dem treibenden Titelstück …And Justice For All und dem ausgefuchsten Instrumental To Live Is To Die hart an die Zehn-Minuten-Grenze, was den Akteuren bei ersterem live irgendwann sogar selbst auf die Nerven geht. Im vertrackten The Frayed Ends Of Sanity haut uns Hetfield, der alle Rhythmusgitarren einspielt, in 7:40 Min so viele Riffs um die Ohren wie andere Bands auf einer ganzen Plattenseite, und trotzdem kann er noch einen griffigen Chorus einbauen. The Shortest Straw galoppiert böse und fies, und Dyer’s Eve thrasht so schnell und brutal, dass Metallica die Nummer erst 16 Jahre später auf die Bühne bringen. (Noch mehr zur den neun Tracks von Justice gibt’s hier.)
In seinen Texten hat sich James Hetfield längst von Dämonen, Satan, dem wilden Rockerleben und anderen Klischees entfernt. Mehr noch als auf Master Of Puppets beobachtet und kommentiert der damals 25-Jährige die Welt um sich herum, was Lars Ulrich später als die „CNN-Phase“ bezeichnet. Die Themen spannen sich von Umweltzerstörung, Korruption und die McCarthy-Ära über Einschränkung der freien Meinungsäußerung und Folgen des Krieges bis zu mentalem Wahnsinn und einer bitterbösen Abrechnung Hetfields mit seinen Eltern. Nach „Peace & love“ klingt das alles nicht.
Gelächter beim Grammy
…And Justice For All erscheint im Spätsommer 1988. Als offizielles Datum wird drei Dekaden später der 7. September genannt, allerdings gehen viele Online-Quellen vom 25. August aus, damalige Werbeanzeigen zeigen den 5. September, und die Metallica-Homepage verkündet den 6. September. Das grau-weiße Cover zeigt eine auseinander bröckelnde, mit Seilen gefesselte Justitia-Statue, deren Waagschale vor Geldscheinen überquillt. (Das Vorbild steht übrigens in Frankfurt.) Mit dem Album landen Metallica zum ersten Mal in den US-amerikanischen Top Ten, nämlich auf Platz 6, in Deutschland und England sogar noch einen bzw. zwei Plätze höher. Nach neun Wochen erreicht das Werk in den USA bereits Platinstatus für (damals noch) eine Million verkaufter Exemplare. Damit sind Metallica sind auch geschäftlich in der Oberliga angekommen und haben sich als Arena-Headliner etabliert.
1989 werden sie folgerichtig für einen Grammy für „Best Hard Rock/Metal Performance“ nominiert, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wird. Sie gelten als haushohe Favoriten und spielen One bei der Zeremonie. Überraschend aber verlieren sie gegen Jethro Tull. Die wiederum sind auf Anraten ihres Managers gar nicht erst erschienen, weil selbst der felsenfest mit einem Sieg der Thrasher gerechnet hat. Die Musikwelt lacht zu Recht über die Grammy-Jury, die die Scharte im Folgejahr durch die Auszeichnung von One auswetzt.
Raus auf die Straße
Doch bekanntlich zählt „auf dem Platz“: Am 11. September 1988 starten Metallica ihre 13 Monate dauernde Damaged Justice-World Tour. Zwei Shows in Seattle im August 1989 werden für das großartige Boxset Live Shit: Binge & Purge auf Video festgehalten und zeigen eine Band, die aus allen Rohren feuert. Die Musiker spielen mit unfassbarer Energie und Präzision und können für die Setlist aus den Vollen schöpfen. Als besonderer Showeffekt fällt die Statue vom Cover, liebevoll „Doris“ getauft, bei den letzten Songs spektakulär auseinander. Sehenswert.
Als Headliner etabliert: Metallica auf der Damaged Justice-Tour. Pic: Ebet Roberts/Redferns
Ein Fazit
Mit Master Of Puppets haben sich Metallica im Heavy Metal künstlerisch an die Spitze gesetzt, mit …And Justice For All führen sie den Weg konsequent fort und haben den Verlust von Burton mehr oder minder überwunden. Von der Soundfrage einmal abgesehen gelten sie mit der Platte noch als unumstritten in der Metal-Welt und gehören zumindest ideell noch zum musikalischen Underground. Die nervigen Diskussionen über metallische Reinheit sollten erst später kommen. Steigern lassen sich die Komplexität und Riffwucht jedoch nicht mehr, weswegen die Band mit dem Folgewerk kompositorisch und klanglich in die Gegenrichtung aufbricht. Das Resultat heißt Metallica (oder: The Black Album) und schießt den Stern der vier Musiker durch die Stratosphäre. Aber das ist eine andere Geschichte…
„…And Justice For All“ von Metallica: Die Sache mit dem Bass

Popkultur
Zeitsprung: Am 25.3.2015 fährt James Corden Mariah Carey zur Arbeit
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 25.03.2015
von Victoria Schaffrath und Christof Leim
„Danke dir, dass du mir mit dem Weg zur Arbeit hilfst. Der Verkehr ist echt übel“, murmelt James Corden da beiläufig Richtung Beifahrersitz. „Ich weiß, es ist unerträglich“, erwidert keine Geringere als Mariah Carey. Am 25. März 2015 startet mit diesem Dialog Carpool Karaoke, die Kultsequenz aus Cordens Late Late Show. Sehen wir uns die Höhepunkte des Formats an.
Schaut euch hier alle Folgen von Carpool Karaoke an
Als James Corden am 23. März 2015 die Late Late Show von Brit-Kollege Craig Ferguson übernimmt, kennt ihn in Amerika kaum jemand. Der Schauspieler und Komödiant hatte sich zwar in Großbritannien einen Namen machen können, doch das Scheinwerferlicht in Kalifornien wirft größere Schatten. Corden weiß, dass er sich beweisen muss. So zieht er zwei Tage nach Amtsantritt ein Ass aus dem Ärmel.
Fahrgemeinschaft 2.0
Der junge Brite importiert ein Format, dass er erstmals für die britische Wohltätigkeitsveranstaltung Red Nose Day 2011 umgesetzt hatte: Da beorderte er George Michael in ein Auto, kurvte mit ihm durch London und trällerte gemeinsam mit dem Sänger dessen Hits. Michael entpuppte sich dabei als charmanter Partner, Corden als kompetenter Gastgeber. Zum Auftakt der US-Show muss also ein ähnlich hochkarätiger Gast her.
So kommt es, dass zwei Tage nach der „British Invasion“ des Abendprogramms Weltstar Mariah Carey in einen LA-typischen SUV steigt. Zunächst kokettiert sie noch, sie könne nach einer durchzechten Nacht nicht mitsingen, aber dann sprengt plötzlich ihr Schmettergesang die Autoscheiben. Dass Corden eine absolut passable zweite Stimme hinbekommt, sorgt bei Stücken wie Always Be My Baby, Fantasy, Thirsty und Vision Of Love mitunter für Ansätze von Gänsehaut.
Erfolgsformel Menschlichkeit
Der Sympath erklärt den durchschlagenden Erfolg des Segments (und demzufolge auch der gesamten Show) recht einleuchtend: „Da schwingt eine Einfachheit und Intimität mit. Einen Star solchen Kalibers in der gleichen Umgebung zu sehen, in der du und ich sonst auf dem Weg zur Arbeit singen, macht ihn menschlich.“
Logisch, dass danach nicht nur Musiktreibende auf Promotour, sondern ganze Musical-Besetzungen mit Corden „zur Arbeit fahren“ möchten. Die Videos, die im Netz häufig viral gehen, bringen so ungewöhnliche Partnerschaften wie Rod Stewart und Rapper ASAP Rocky oder Michelle Obama und Missy Elliott hervor. Ob oberkörperfreie Red Hot Chili Peppers, die Foo Fighters, Paul McCartney oder den gefiederten Elton John: Auch die großen Namen des Rock holt sich Corden gern dazu.
Bei so viel Prominenz lassen die Starallüren nicht zu wünschen übrig: Berufsprovokateur Kanye West sagt gleich mehrfach hintereinander kurzfristig ab und macht aus dem SUV mal eben eine Boeing; zwischen Corden und Dave Grohl gibt es nach der Ausstrahlung ein kleines Missverständnis. Immerhin rettet Anthony Kiedis laut eigenen Angaben während der Dreharbeiten einem Säugling das Leben. Das ist dann doch etwas mehr Aufruhr, als wir morgens auf dem Weg zur Arbeit ertragen könnten.
Zeitsprung: Am 2.3.2014 knipst eine YouTuberin David Gilmour – ohne es zu wissen.
Popkultur
Review: „Das ist los“ von Herbert Grönemeyer ist genau das Album, das wir jetzt brauchen
Herbert Grönemeyer schenkt uns auf Das ist los sinnstiftende Lieder über die Liebe und den Zusammenhalt. Ob er die Gesellschaft damit kitten kann, ist fraglich. Doch alleine der Versuch verdient Hochachtung.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr Das ist los hören:
Herbert Grönemeyer veröffentlicht keine Alben. Herbert Grönemeyer veröffentlicht Bestandsaufnahmen. Seines Lebens, aber auch von unser aller Leben. Immer wenn eine neue Platte von Deutschlands größtem und erfolgreichsten Künstler erscheint, so wirkt es, kommt sie genau zur rechten Zeit. Seine Lieder sind Salben für die Wunden, die wir uns seit seinem letzten Album zugezogen haben, zumeist stille und zurückhaltende Gebäude, in denen wir Schutz suchen können.
„Hoffnung ist gerade so schwer zu finden“ lautet dann auch der erste Satz des Albums. Er stammt natürlich aus der Lead-Single Deine Hand, mit der Grönemeyer schon vor einigen Monaten begeistern konnte. Eine einfühlsame Ode an Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt – wie viele seiner Songs sowohl im Mikrokosmos als auch im Makrokosmos zu sehen. Es geht um tatsächliche Partnerschaft, aber auch um den universellen Zusammenhalt. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir das als Gesellschaft dringend nötig haben.
Nur ein Gutmensch?
Fünf Jahre nach Tumult ist die Welt noch viel tumultartiger geworden. Da braucht es große Künstler, die mit Ruhe, Reflexion und Besonnenheit aufarbeiten, was da eigentlich mit uns und der Welt passiert ist in diesen irren letzten Jahren. Sicher kann man das abtun, verunglimpfen als onkelnde Ratschläge vom alten weißen Mann, als Motivationscoach mit nasaler Stimme. Damit macht man es sich aber zu einfach. Grönemeyer polarisiert, und das schon sehr lange. Die einen echauffieren sich darüber, dass er ja gar nicht singen (geschweige denn tanzen) kann, die anderen halten ihn für einen aufdringlichen Gutmenschen mit Moralkomplex und biederen Thesen. Gutmensch – wie so ein Wort überhaupt zu einer Beleidigung werden konnte, sagt ja auch sehr viel.
Manchmal spielt er seinen Kritiker*innen in die Karten auf diesem Album. Der Titelsong zum Beispiel erinnert eher an Bierzelt oder Schlagerfestival – trotz seines cleveren, defragmentierten Textes, der den Informations-Overkill der heutigen Zeit versinnbildlichen soll. Doch die großen Momente gehören eh den Balladen, das ist bei Grönemeyer schon lange so. Tau zum Beispiel, ein Lied, umrankt von Trauerflor. Der Rest ist mal flott und tanzbar, mal umgarnt von Vintage-Elekronik, mal elegisch mit Streichern.
Songs, die Mut zuflüstern
Um Tod, Verlust und Trauer geht es auch auf Das ist los. Aber nicht als Fixpunkt, sondern als Unausweichlichkeiten des Lebens. Überwiegend möchte Grönemeyer uns stärken, uns Mut zuflüstern, uns als Ganzes wieder zusammenbringen. Man darf sich fragen, wieso ihm das so wichtig ist, warum er denkt, dass ausgerechnet er als Messias zu uns singt. Man darf sich aber auch fragen, warum es sonst niemand tut. Das ist los zeigt uns, dass wir nicht aufgeben sollten, nicht verzagen sollten, nicht den Ist-Zustand beibehalten sollten. Stattdessen sollen wir „Raus in den Sturm“, wie es im dringlichen Genie heißt, rein ins Leben, in die Verantwortung.
Diejenigen, die ihn bisher schon als Gutmenschen abkanzelten, werden sich darauf stürzen und ihn in der Luft zerreißen. Dabei sind es gerade diejenigen, die hier mal genau hinhören sollten. Das ist los ist nicht das beste Grönemeyer-Album, wahrscheinlich nicht mal Top fünf. Es ist aber mal wieder mal genau das Album, was wir jetzt brauchen. Und allein dafür gebührt im Hochachtung.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 24.3.1986 triumphieren Van Halen mit neuem Sänger und „5150“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 24.3.1986.
von Christof Leim
Einen geborenen Frontmann wie David Lee Roth zu ersetzen, ist nicht einfach. Doch Van Halen machen aus der misslichen Lage Gold und Platin: Gleich das erste Album mit Sammy Hagar wird zum Nummer-Eins-Erfolg. Dabei eskalierte ein Streit im Studio so sehr, dass ein alter Kollege sogar die Bänder zerstören wollte. Dies ist die Geschichte von 5150. Und wir haben sogar einen unveröffentlichten Song ausgegraben.
Hier könnt ihr 5150 hören:
Nach dem sechsten Album 1984 geht es nicht mehr weiter: Van Halen haben sich mit David Lee Roth so zerstritten, dass sich der Sänger und überlebensgroße „Showman“ in Richtung Solokarriere verabschiedet. Einen Ersatz allerdings können Eddie Van Halen, sein Bruder Alex und Michael Anthony partout nicht finden. Die Sängerin Patty Smyth von der Band Scandal (nicht zu verwechseln mit der Punkikone Patti Smith) lehnt ab, mit der späteren Mr. Big-Stimme Eric Martin und dem australischen Musiker Jimmy Barnes kommen die Kalifornier ebensowenig zusammen. Irgendwann beginnt das Label, Druck zu machen, und fordert sogar eine Namensänderung, was Alex und Eddie Anfang 1986 in aller Form ablehnen. David Lee Roth feiert währenddessen Erfolge mit seiner Cover-EP Crazy From The Heat (1985). Keine schönen Zeiten im Van Halen-Lager also.
Tipp aus der Werkstatt
Doch dann hilft der Zufall: Als Eddie seinen Luxusschlitten – je nach Quelle ein Ferrari oder ein Lamborghini, aber wir wollen da nicht kleinlich sein – reparieren lässt, empfiehlt ihm der Automechaniker den ehemaligen Montrose-Sänger Sammy Hager, der sich mittlerweile mit Hits wie I Can’t Drive 55 und One Way To Rock als Solokünstler etabliert hat. Die Idee ist gut: Als Eddie und Sammy sich treffen, stimmt die Chemie sofort. Hagar verfügt klar über die bessere, vielseitigere Stimme im Vergleich zu „Diamond Dave“ und spielt hervorragend Gitarre, was neue Möglichkeiten für die Liveshow eröffnet. Schlagzeuger Alex Van Halen vergleicht das allgemeine Bandgefühl nach Hagars Eintritt damit, einen Porsche zu fahren nach jahrelanger Schleicherei in einem Volkswagen. Gitarrengott Eddie schlägt in die gleiche Kerbe: „Ich habe noch nie so eine Inspiration erlebt wie an diesem ersten Tag. Wir haben losgespielt, Sammy hat gesungen – und es hat einfach geklickt. Magisch.“
Im November 1985 startet das Quartett die Arbeit an einem neuen Album, im Februar 1986 ist das Ding im Kasten, nur einen Monat vor der Veröffentlichung. Weil Roth den Van-Halen-Stammproduzenten Ted Templeman bei seinem Abgang mitgenommen hatte, übernimmt der langjährige Toningenieur Donn Landee den Job. Doch Sammy fühlt sich damit unwohl: Er wünscht sich eine „richtige“ Besetzung für den Produktionsjob und vor allem eine neutrale Stimme, kein angestammtes Mitglied des inneren Zirkels. Also wird der platindekorierte Foreigner-Gitarrist Mick Jones angeheuert, um das Steuer zu übernehmen.
Eine harte Drohung
Das geht Landee so dermaßen gegen den Strich, dass er sich – kein Witz – im Studio einschließt und damit droht, die bereits gemachten Aufnahmen zu zerstören. Plötzlich fühlt sich die Atmosphäre sehr, sehr angespannt an, doch kurz vor der Explosion kann die Zündschnur gekappt werden. Landee rückt die Bänder raus, alle Unklarheiten werden beseitigt, und tatsächlich verläuft der Rest der Aufnahmen zur Zufriedenheit aller. Das fertige Album mit neun Songs (ja, damals brauchte man nicht 15 Nummern und ein halbes Dutzend Bonustracks) taufen Van Halen auf den Namen 5150, ausgesprochen „fifty one fifty“. So heißt auch Eddies Studio, benannt nachdem dem kalifornischen Polizeicode für eine geistig gestörte Person.
Das Material klingt runder und musikalischer als die Songs mit „Diamond Dave“, auch mehr nach Mainstream und weniger gewagt, aber – und hier liegt der springende Punkt – ohne jeden Zweifel zu 100 Prozent nach Van Halen. Es finden sich ein paar mehr Love-Songs und Balladen als früher, dazu ein paar ganz dicke Ohrwürmer, allen voran natürlich Why Can’t This Be Love.
Ohrwurm und erste Single von 5150: Why Can’t This Be Love
Start-Ziel-Sieg
5150 marschiert nach der Veröffentlichung am 24. März 1986 ohne Umschweife auf Platz eins der US-Charts, was Van Halen bisher noch nie hinbekommen hatten. (1984 schaffte es bis auf Platz zwei.) Satte fünf Singles werden ausgekoppelt – von insgesamt neun Songs. Das ist schon nicht so richtig schlecht. Die Tracks kennen wir alle: Why Can’t This Be Love, Dreams, Love Walks In, Best Of Both Worlds und Summer Nights . Der Rolling Stone kommentiert damals: „Die Welt gehört Van Halen, ob mit oder ohne David Lee Roth. 5150 gleicht einem bombastischen Feuerwerk einer Band auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten.“
Vier der fünf (!) Singleauskopplungen von 5150
Die nächsten zehn Jahre laufen bestens für Van Halen: Jedes (!) der folgenden Alben wird ebenfalls eine Nummer eins in den USA: OU812 (1988), For Unlawful Carnal Knowledge (1991) und Balance (1995). (Die ausführliche Geschichte der letzten Van Halen-Platte mit Sammy, findet ihr hier.)
Bonustrack!
Für die Van Halen-Freaks und Komplettisten haben wir noch ein Schätzchen: Ursprünglich sollte als fünfter Titel auf der zweiten Seite noch der Song I Want Some Action erscheinen, doch der wird nicht veröffentlicht, zumindest nicht offiziell. Zum 30. Geburtstag der Platte stellen Van Halen den Track dann ins Netz. Und hier ist er:
Vorher führte I Want Some Action ein lustiges Schattendasein: Eddie benutzt Teile der Komposition für das bluesige Instrumental Stompin’ 8H, das er 1987 bei Saturday Night Live spielt. Außerdem überlässt er die Nummer seinem Kumpel Steve Lukather, der sie 1989 auf seinem ersten Soloalbum Lukather unter dem Titel Twist The Knife verbrät, nachzuhören hier. Doch das Hauptriff gefällt Eddie so gut, dass er es selbst 1998 nochmal für den Song Dirty Water Dog auf dem Rohrkrepierer-Album Van Halen III (mit Extreme-Sänger Gary Cherone) wiederbelebt.
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Zeitsprung: Am 14.7.1984 steht Eddie Van Halen mit Michael Jackson auf der Bühne.
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