Popkultur
Die musikalische DNA von U2
Wie viele Bands schaffen es eigentlich, über vierzig Jahre zusammenzuhalten? Also, ohne dass dabei jemand aussteigen oder – schlimmer noch und leider in der Rock-Geschichte doch verbreitet – sterben würde? U2 zumindest ist es gelungen, und nicht nur das. Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen Jr. zeigen weiterhin keine Ambitionen, sich irgendwo in der irischen Einöde niederzulassen und sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Mit U2 geht es weiter – In The Name Of Love!
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Beständigkeit und der unbändige Wille, neue Grenzen erst zu finden und sie dann zu überschreiten, forderte von der Band auch seinen Preis. Auf den anfänglichen Siegeszug der Band folgten Zeiten voller Selbstzweifel, der Konflikte und kommerzieller Misserfolge. U2 jedoch überwanden diese und wurden schon als die neuen The Who oder Led Zeppelin gefeiert. Ein tolles Kompliment? Nicht für U2, die erklärtermaßen immer mehr als nur das „next big thing“ sein wollten, wie Bono sagte. Rückblickend auf eine von U2s erfolgreichsten Schaffensphasen nach der Veröffentlichung von The Joshua Tree angesprochen grummelte Mullen: „Wir waren die Größten, aber nicht die Besten.“
Wie hoch die Anforderungen sind, welche die Band an sich selbst stellt, lässt sich allein an ihren rekordverdächtigen Bühnendesigns oder an ihrem sozialpolitischen Engagement ablesen. Noch mehr indes werden die übermenschlichen Ambitionen der vier Iren deutlich, wenn wir dem Sound lauschen, der tief in ihre musikalische DNA eingeschrieben ist. Die Einflüsse U2s sind so mannigfaltig und weitreichend, dass ihnen wohl keine Liste gerecht würde. Doch zeigt schon die Auswahl von zehn wichtigen Artists und Songs, warum diese Rock-Band keine normale ist. Und warum sie letztlich nicht nur die Größten, sondern auch die Besten sind.
1. The Buzzcocks – Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve)
Fangen wir aber mit einer Zeit an, als die Band noch klein war und ihr Fähigkeiten… Naja, bescheiden. Wie so viele andere Teenager ihrer Zeit erlebten die Mitglieder Ende der siebziger Jahre eine wahre Offenbarung, als Punk die Bühne betrat. Der angeblich im Fanzine Sniffin’ Glue veröffentlichte – tatsächlich schrieb dessen Herausgeber Mark Perry diese Worte so niemals auf – Leitsatz lautete: „Here’s one chord, here’s another. Now go and form a band.“ Auch der 14-jährige Larry Mullen Jr. und die sechs Menschen, die auf seinen Aushang in der Mount Temple Comprehensive School geantwortet hatten, wurden von Punk beflügelt. Bands wie The Jam, The Clash, die Buzzcocks und natürlich die Sex Pistols oder auch die Ramones von der anderen Seite des großen Teichs hatten gezeigt, dass es eben nicht viel Können braucht, um Musik zu machen. Sondern vor allem den Mut, den Willen und ein paar gute Ideen.
Einige dieser Ideen nahm auch die junge Band mit auf dem Weg, die sich schnell auf die Kerntruppe von vier Personen dezimierte und bald in U2 umtaufte. Insbesondere die Indie-Vorreiter The Buzzcocks wurden für U2 wichtig. „The Buzzocks“, schwärmte Bono in einem Interview. „Die Melodien waren so großartig!“ Die Band gab sogar zu, sich am Anfang ihrer Karriere dreist bei den Drumpassagen der Buzzcocks bedient zu haben. Nicht nur das: The Edge lernte seine spätere Frau auf einem ihrer Konzerte kennen – vielleicht zum Sound von Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve)? Das wäre wohl ein schlechtes Omen gewesen.
2. Joy Division – Love Will Tear Us Apart
Punk verglühte so schnell, wie er aufgeflammt war. Bands wie The Clash erweiterten ihren Stil um Reggae, Dub, Disco und Pop, während die Sex Pistols ein eher unrühmliches Ende fanden. Nur zwei Jahre nach dem bedeutenden Jahr 1977 nahm die nachfolgende Generation von Bands das Erbe der destruktiven Punk-Bewegung auf und schuf einen neuen Sound: Post-Punk. Eine der wichtigsten und heute noch bekanntesten Bands waren die aus dem Post-Punk-Epizentrum Manchester stammenden Joy Division, deren Album Unknown Pleasures die Musiklandschaft nachhaltig verändern sollte. Besonders die Produktion der Platte wurde mit ihrer klammen, brutalistischen Ästhetik ikonisch und die Aufnahmesessions dazu legendär. Der Mastermind dahinter hieß Martin Hannett. Hannett war ein aufbrausender Kauz, dessen unkonventionelle Ideen noch jeder Band zum Erfolg verhalfen.
Moment, jeder? Nicht einer jungen irischen Band, deren von ihm produzierten Single 11 O’Clock Tick Tock nicht den erwünschten Erfolg einfuhr. Bei den Aufnahmen des Debütalbums eben jener Band setzt sich deshalb ein anderer Produzent hinter die Regler, ein gewisser Steve Lillywhite. Der hatte ähnlich verrückte Ideen, konnte mit der genannten Band jedoch eine langjährige und mehr als erfolgreiche Zusammenarbeit feiern. Die Rede ist natürlich von U2 und ihrem Debütalbum Boy, das stark vom aufkommenden Post-Punk-Sound geprägt war. Joy Division-Songs gehörten sogar hin und wieder zum Bühnenprogramm, den unsterblichen Klassiker Love Will Tear Us Apart etwa hat die Band schon mehrmals live gecovert. Auch in ästhetischer Hinsicht gibt es Überschneidungen: Anton Corbijn, der Haus- und Hoffotograf von U2, porträtierte auch Ian Curtis und seine Band Joy Division sowie später deren Nachfolgeband New Order.
3. Brian Eno – 1/1
Der Beginn von Post-Punk markierte auch eine neue Experimentierfreude in der Rock-Musik, die ebenso an U2 nicht spurlos vorbeiging und sie auf noch abwegigere Pfade schickte. Spätestens mit dem Album The Unforgettable Fire zeigten U2 eine Seite von sich, die vielen Rock-Fans eher komisch vorkam. „Wir versuchten etwas, das ernsthafter und künstlerischer war“, hieß von Bandseite. Wie war es dazu gekommen? Nun, die ansonsten recht laute Rock-Band entdeckte die stille und feinfühlige Musik von Brian Eno für sich. Der hatte 1978 mit dem Album Ambient 1: Music For Airports ein Meisterwerk geschaffen, das einem ganzen Genre seinen Namen geben sollte.
Die beruhigenden Klänge wie auch die verschrobenen Klangexperimente Enos weckten das Interesse von U2, die ihn prompt als Produzent einluden – sehr zum Entsetzen ihrer Plattenfirma. U2 aber setzten ihren Willen durch und kollaborierten wieder und wieder mit dem ehemaligen Roxy Music-Mitglied. Kommerzieller Erfolg war dabei immer Nebensache und blieb des Öfteren aus. U2 aber war das egal: Was sie gemeinsam mit Eno erreichen wollten, war nichts weniger, als Musik für die Ewigkeit zu schaffen. Und so wie Ambient 1 zu einem Meilenstein der Musikgeschichte wurde, so hat sich auch das gemeinsam mit Eno produzierte Album Achtung Baby für immer in die Annalen der Rock-Musik eingeschrieben. Und wer den flächigen Sound von The Edges Gitarrenriffs liebt, der muss dafür unter anderem Eno danken.
4. Kraftwerk – Neonlicht
U2 ging es im Laufe ihrer Karriere immer darum, größer und noch besser zu werden. Die Bühnenshows wurden stetig opulenter, der Sound zunehmend fetter. Typisches Rockstar-Gehabe? Mitnichten. U2 verstehen sich und ihre Musik vielmehr als Gesamtkunstwerk, zu dem aufwändige visuelle Präsentationen ebenso gehören wie politische Ansagen. Wer U2 will, bekommt nicht nur eine Band, sondern das ganze Paket. Auch für diesen Ansatz finden sich in der Pop-Geschichte ausreichend Vorbilder, kaum jemand aber hat diesen (Selbst-)Anspruch dermaßen zur Perfektion getrieben wie Kraftwerk. Die Düsseldorfer Truppe zeigte, dass selbst eine eigenwillige Ästhetik nicht bedeuten musste, auf große Melodien und noch größere Erfolge zu verzichten.
U2 nannten das Projekt immer wieder als Vorbild, coverten live einige ihrer Stücke sowie den Song Neonlicht (in der englischen Version als Neon Lights), der auf der B-Seite zu ihrer 2004 erschienenen Single Vertigo veröffentlicht wurde. Als U2 2014 mit Invisible zurückkehrten, nannte Bono gleich zwei Bands als Inspiration: Die Ramones einerseits und Kraftwerk andererseits. Klingt zuerst nach einer absonderlichen Kombination, oder? Tatsächlich aber ist beiden Bands und damit auch U2 etwas gemein: Sie alle wissen um die Kraft des Minimalismus. So überwältigend U2s Songs auch klingen mögen, im Kern ihrer Musik steht immer ein schlichtes und doch mitreißendes Songwriting. Punk mit den Mitteln von Kraftwerk, sozusagen!
5. Einstürzende Neubauten – The Interimlovers
Kraftwerks Einfluss erstreckt sich selbstverständlich nicht allein auf U2. Ihre Songs legten das Fundament der frühen Hip-Hop-Kultur, als sich Afrika Bambataa für seinen Überhit Planet Rock bei gleich zwei ihrer Tracks bediente. Auch der während der achtziger Jahre entstandene neue elektronische Musikstil mit dem Namen Techno sei, so sagte einer seiner Pioniere Derrick May, vergleichbar mit dem, was passieren würde wenn Funk-Legende George Clinton mit Kraftwerk in einem Fahrstuhl eingesperrt würde. Bei den Aufnahmen von Achtung Baby im Jahr 1990 war der Techno-Hype in Berlin bereits im vollen Gange und hinterließ einen prägenden Eindruck bei Bono und The Edge, was zu inneren Konflikten in der Band führte. Clayton und Mullen nämlich wollten sich lieber auf ihre Rockwurzeln besinnen. Der Song One von Achtung Baby wurde zur Versöhnungsnummer.
Mit Dance Music im Allgemeinen und Industrial-Musik im Speziellen, wie sie in West-Berlin vor dem Mauerfall von den Einstürzenden Neubauten und anderen maßgeblich geprägt wurde, setzte sich die Band trotzdem intensiv auseinander. Auf Pop wurde dieser Einfluss deutlicher denn je. Dass die Band im Video zur Single Discotheque als Village People verkleidet waren, sagt da schon einiges aus! Zum Glück für uns (und sie!) klangen sie aber nicht so. Vielmehr zeigte sich auf Pop der dezente, aber nachhaltige Einfluss der Einstürzenden Neubauten, die 1993 gemeinsam mit den Iren auf Tour gingen. „Wir wollten ein Album machen, das elektronisch klingt und nach den Einstürzenden Neubauten“, bestätigte auch Bono.
6. Danger Doom – Crosshairs
Auch als der große Hype um elektronische Musik gegen Ende der neunziger Jahre merklich abflaute, verließ U2 das Interesse an den alternativen Möglichkeiten der Musikproduktion nicht. Es gehört zu einer Besonderheiten dieser großen und großartigen Rock-Band, stets neue Wege gesucht und betreten zu haben. Die künstlerische Abenteuerlust schlug sich bei ihnen vorrangig in der Auswahl ihrer Produzenten nieder. Nach Lillywhite und Eno war es vor allem einer, der für Aufruhr sorgte: Danger Mouse. Der US-Amerikaner hatte 2004 mit einem ambitionierten Projekt schlagartig Weltruhm erlangt. Sein Grey Album war ein Mash-Up aus dem White Album der Beatles und Jay-Zs Black Album und bedeutete eine musikalische Revolution. Wenig später schon saß er bei den Gorillaz hinter der Konsole und nahm gemeinsam mit dem Rapper MF Doom das stilprägende Album The Mouse & The Mask unter dem Projekttitel Danger Doom auf.
2010 kam das Gerücht auf, dass U2 gleichzeitig an drei (!) Alben arbeiten würden. Eins sollte dabei von David Guetta und will.i.am produziert werden und sich eher an Dance Music anlehnen, ein anderes die ruhigere Seite von U2 betonen. Das dritte? Eine Kollaboration mit Danger Mouse, die dennoch auf den klassischen U2-Sound abzielte. Ende des Jahres bestätigte Bono die Arbeit mit Danger Mouse und vertröstete die Fanbase noch etwas bis zur Veröffentlichung. Es folgten ein paar verwirrende Jahre, in denen U2 mal begeistert, mal resigniert vom Fortschritt der Aufnahmen berichteten. Als Songs Of Innocence dann 2014 erschien, hatte es zuvor noch ein ganzes Expertenteam von anderen Produzenten durchlaufen. Danger Mouse gab sich geknickt. „Das sind nicht meine Tracks. Das sind die Songs von U2. Ich bin nicht mit einem Stück glücklich, solange sie es nicht sind.“ Vielleicht hätten also sowohl er als auch U2 bei ihren Leisten bleiben sollen. Den Versuch aber war es doch mindestens wert.
7. Them – Gloria
Während Songs Of Innocence mit dem Song The Miracle (Of Joey Ramone) dezidiert den Ramones Tribut zollte, so schwebte darüber doch auch der Geist eines anderen Musikers, mit dessen Musik die Bandmitglieder aufwachsen waren. Denn Songs Of Innocence beschäftigte sich inhaltlich mit simpleren Zeiten, als sie U2 während des Mammutprojekts durchlebten. Bono nahm darauf die unbeschwerte Jugend der Bandmitglieder in den Blick. Aber Moment mal – unbeschwert? Wuchsen die vier Musiker nicht in einer Zeit auf, in der politische Konflikte und Gewalt an der Tagesordnung standen? Nicht umsonst widmeten sie einen ihrer frühen Songs dem Sunday Bloody Sunday.
In dem politischen Chaos aber gab Musik Halt. Van Morrison wuchs als Nordire in der gleichen Kultur wie U2 auf und lebte doch in einem anderen Land, seine Musik allerdings wurde über alle Grenzen bekannt. 1964 veröffentlichte er mit seiner damaligen Band Them den Song Gloria, damals eigentlich als B-Seite der Single Baby, Please Don’t Go. Wie so oft sollte die Bonus-Nummer den eigentlichen Song übertreffen und viel mehr Wirkung auf die Rock-Welt ausüben. Auch U2 konnten sich dem Sog des rohen Garage Rock-Stücks nicht entziehen und spielen ihn auch heute noch regelmäßig am Ende ihres Songs Exit an. Bei Weitem nicht die einzige Nummer des eigensinnigen Sängers, das die vier Musiker aus dem Nachbarland coverten: Auch Into The Mystic oder In The Garden vom nordirischen Maestro fanden sich zeitweise auf ihren Setlists.
8. The Beatles – In My Life
Von Punk bis Hip-Hop – U2 lieben die Extreme, im Grunde aber sind sie doch eine Rock-Band und fanden dort auch ihre größten Idole. Bob Dylan etwa, den Bono den „Picasso der Rock-Musik“ nannte. „Wir alle tragen ihm seine Koffer nach!“ Auf die Frage hin, wer ihn am meisten geprägt hat, weiß der Sänger sofort eine Antwort. „Den bedeutendsten Einfluss übten auf mich die Beatles aus“, erklärte er. „Mit John Lennons Fähigkeit, den Kopf über die Brüstung zu stecken und sich aus seinen Überzeugungen heraus die Sahnetorte vom Fensterbrett zu mopsen.“ Äh, okay. Das heißt nun was? „Ich denke, dass ein Künstler die Art von Person ist, welche sich die Knochen in der Brust bricht, die Rippen aufreißt und ungeschönt und verletzlich ist. Selbst wenn das bedeutet, einen totalen Esel aus sich selbst zu machen.“ Okay, das ist zwar… grafisch… aber verständlich.
„Du hast diesen Typus Künstler vielleicht gefunden und bist ihm gefolgt. Diesen Werdegang habe ich als Fan von John Lennon erlebt.“ Jetzt wird so einiges klar! Was Bono an den Beatles schätzt? So ziemlich alles. Vom „metallischen Klagegesang auf Helter Skelter“ über Paul McCartneys Lyrics hin zur „schwindeligen Psychedelik von Across The Universe“. Also das ganze Paket seiner Komplexität wegen, ja? Genau. Aber welcher ist denn nun sein Lieblingssong? „Derselbe, der auch Kurt Cobains Lieblingsstück war, In My Life.“ Na also, hätten wir das geklärt!
9. The Skids – The Saints Are Coming
Von Punk über Post-Punk hin zu Ambient, dem Techno-Pop Kraftwerks und dem Industrial der Einstürzenden Neubauten ging es bisher und von einer missglückten Kollaboration mit einem Hip-Hop-Produzenten führte uns U2s Weg zurück auf den (Garagen-)Boden der Tatsachen hin zu Bonos absoluter Lieblingsband. Können wir hier etwa schon aufhören? Nein, aber wir müssen auch mal schlussmachen. Sonst würden wir mit U2s Einflüssen noch das gesamte Internet vollschreiben. Schlagen wir also einen Bogen zum Anfang und landen wieder beim Punk.
Während U2 für den Ruf ihres Heimatlandes als Geburtsstätte fantastischer Rock-Musik so einiges leisteten, taten vorher The Skids dasselbe für Schottland und Punk. Die kurzlebige Band, deren Mitglieder sich reihenweise austauschten, schenkte dem Punk-Genre einen seiner größten Hits, das hymnische The Saints Are Coming. U2 zollten der legendären Nummer gemeinsam mit einer anderen Band Tribut, die ebenso wie sie im Punk anfingen und sich bald schon mit Größerem beschäftigten: Green Day. 2006 performten beide Bands den Song im Louisiana Superdome, um damit auf… ein Football-Spiel… einzustimmen? Auch das klingt zuerst merkwürdig, doch gab es dafür einen guten, wenngleich tragischen Grund: Es war das erste Spiel der New Orleans Saints (!) im heimischen Stadion nachdem der Hurricane Katrina in der Region verheerende Verwüstungen hinterlassen hatte. Der Song, der auch als Benefiz-Single erschien, schaffte es somit fast vier Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung zurück in die Charts. Punk’s not dead!
10. Jawbreaker – With Or Without U2
Was aber hält eigentlich die Punk-Szene von U2? Klar, in so gut wie allen anderen Genres wird die Band hoch geschätzt, aber Punk ist eben eigensinnig. Wer solche Ambitionen an den Tag legt wie U2 muss sich schnell Vorwürfe anhören. Sagen wir so: Während die meisten Punks bei der Nennung von U2 wohl nur angewidert die Nase rümpfen (und ihre Platten von Boy bis War nur heimlich hören), konnten sich einige doch nicht verkneifen, ihre Bedeutung in der Rock-Welt lautstark anzuerkennen.
Jawbreaker hatten schon mit ihrem Song Boxcar – „1, 2, 3, 4, who’s punk, what’s the score?“ – gegen die Verbohrtheit ihrer Szene-Kollegen gewettert und gingen mit einem augenzwinkernd With Or Without U2 betitelten Stück noch einen Schritt weiter. Anders als im Titel suggeriert, zitiert dieses auf musikalischer Ebene zuerst Sunday Bloody Sunday, bevor Sänger Jake Schwarzenbach Passagen aus With Or Without You bellt. Das aber ist noch nicht alles: Weiter geht es im Song mit einer Hommage an die Horror-Punks von den Misfits und eine an die britische New Wave-Band The Vapors. Keine schlechte Gesellschaft eigentlich, oder? Es passt eben auch zu U2, die ihre weitreichenden Einflüsse nie verheimlicht und sich doch stets auf ihre Wurzeln besonnen haben.
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Zeitsprung: Am 28.2.1983 werden U2 auf “War” politisch und schreiben Hits.

Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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