Popkultur
Ozzy, Lemmy & Co: 8 Rockstars, 8 Künstlernamen – und 8 überraschende Bedeutungen
Ozzy, Elton, Freddie, Lemmy: Einige der größten Rockstars aller Zeiten sind mit Pseudonymen berühmt geworden. Dahinter steckt manchmal etwas vollkommen Profanes – und manchmal eine ganze Menge mehr.
von Björn Springorum
1. Lemmy (geboren als Ian Fraser Kilmister)
Das Leben von Heavy-Metal-Volksheld Lemmy ist ein einziger Mythos, der an Schulen unterrichtet werden sollte. Da passt es, dass wir nie mit Sicherheit wissen werden, woher sein Spitzname eigentlich so ganz genau kommt. Geboren als Ian Fraser Kilmister, wurde er irgendwann während seiner Schulzeit in Wales Lemmy genannt. Obwohl die Motörhead-Galionsfigur mehrfach beteuerte, nichts über die Herkunft des Namens zu wissen, scheint sich in der Provenienz seiner Person eine Geschichte durchgesetzt zu haben: Lemmy soll vom auffällig häufig geäußerten Satz „Lemmy a quid until Friday“ kommen (also „Komm schon, leih mir bis Freitag ein Pfund“), der auf seine schon damals vorhandene Passion für Geldspielautomaten hindeuten soll. Mythos oder Wahrheit? Wir wissen es nicht. Und das ist okay.
2. Elton Hercules John (geboren als Reginald Kenneth Dwight)
Gleich mal so viel: Die in Rocketman kolportierte Geschichte über die Genesis des Namens Elton John ist nur zum Teil richtig. Korrekt ist: Elton kommt von Saxofonist Elton Dean, der mit Dwight bei Bluesology spielte. Unvergessen der Nachruf auf Elton Dean im Guardian, der die Ironie herausstellt, dass ein Weltklasse-Saxofonist wie Dean am ehesten dafür bekannt war, Elton John seinen Vornamen gegeben zu haben. Falsch dargestellt ist indes die Sache mit John. Die hat nichts, wie im Film behauptet wird, mit John Lennon zu tun, sondern schon wieder mit Bluesology. Deren Sänger hieß Long John Baldry. Und das Hercules, nun gut, das klang einfach cool. Am 7. Januar 1972 ändert Reginald Kenneth Dwight seinen Namen offiziell in Elton Hercules John und bringt eine der größten Karrieren der Musikwelt ins Rollen. Unbedingt anschauen: das passende Gespräch dazu mit Rowan Atkinson.
3. Freddie Mercury (geboren als Farrokh Bulsara)
Wieder nah am Reich der Spekulation sind wir bei der Herkunftsgeschichte des Namens Freddie Mercury. Fest steht zumindest: Der auf Sansibar geborene Farrokh Bulsara besuchte irgendwann ein Internat in Indien, wo er den Namen Freddie annahm. Der Ursprung des Nachnames Mercury wurde von Freddie nie enthüllt, doch für Brian May ist die Sache klar. Er ist überzeugt davon, dass der Queen-Song My Fairy King etwas damit zu tun hat, in dem es heißt: „Mother Mercury Mercury, look what they’ve done to me.“ Freddie verriet May wohl mal, dass die Mutter in dem Lied seine eigene sei und er deswegen offiziell den Namen Mercury annehmen möchte. Fun fact: Er selbst nannte sich gern Melina und hatte auch für die meisten seiner Freunde und Kollegen weibliche Spitznamen: Brian May war Maggie, Roger Taylor war Liz, Elton John war Sharon und Rod Stewart Phyllis. Freddie Mercurys ehemalige Freundin Mary Austin wurde hingegen zu Steve.
4. Ozzy Osbourne (geboren als John Michael Osbourne)
Schon gut, schon gut, eigentlich heißt Ozzy Osbourne ja Prince Of Darkness. Dann wiederum heißt Ozzy eigentlich John Michael, aber damit wird man nun wirklich nicht zum gefürchteten Advokaten des Teufels. Gerüchten nach geht der Spitzname auf seine Grundschulzeit zurück. Damals wusste natürlich noch niemand, dass man mit dem Hohepriester des Heavy Metal in dieselbe Klasse ging, also verunglimpfte man ihn mit dem frotzelnden, veralbernden Namen Ozzy. John Michael bleibt gelassen und nimmt den Namen einfach an – er verinnerlicht ihn so sehr, dass ihn seit Jahrzehnten niemand mehr als John Michael angesprochen hat. Lang lebe Ozzy!
5. Ringo Starr (geboren als Richard Starkey)
In den frühen Tagen der Beatles hatten alle Mitglieder früher oder später mal irgendwelche albernen Pseudonyme. Der einzige, der seins behielt, war Richard Starkey. Den kennt man seit fast 60 Jahren nur noch als Ringo Starr – und das ist ein nicht gerade bescheidener Spitzname: Während Ringo von seinem Faible für auffällige, dicke Ringe kommt, ist Starr natürlich die ultimativ glamouröse Kurzform seines Nachnamens. So glamourös, dass seine Drum-Solos in den formativen Tagen der Beatles noch Star Time genannt wurden.
6. David Bowie (geboren als David Robert Jones)
Auch wenn David Bowie selbst ein Künstlername ist, kennen wir ihn unter vielen anderen Bezeichnungen: Ziggy Stardust, Alladin Zane, Goblin King oder Thin White Duke zum Beispiel. Bevor er in all diese Personas schlüpfen konnte, musste er aber erst mal David Bowie werden. Das tat er aus einem überaus praktischen Grund im zarten Alter von 18 Jahren: Um Verwechslungen mit dem späteren The-Monkees-Frontman Davy Jones zu vermeiden, gab er sich einen anderen Nachnamen, der zugleich seine flammende Liebe zum US-Kino widerspiegelte: Im Film The Alamo ist es ein texanischer Rebell mit Namen Jim Bowie zu sehen.
7. Ronnie James Dio (geboren als Ronald James Padavona)
Bei Ronnie James Dio gibt es wie immer keine halben Sachen: Zwei Theorien zirkulieren um seinen Nachnamen – und beide haben sich gewaschen. Die eine besagt, dass sich der Name auf dem Mafioso Johnny Dio bezieht. Und die andere, dass der Sänger eine Gabe Gottes erhalten hat und deswegen Dio (italienisch für Gott) genannt werden soll. Dios Witwe Wendy hat diese zweite Theorie allerdings als Unsinn abgetan. Also doch die Mafia?
8. Snoop Dogg (geboren als Calvin Cordozar Broadus Jr.)
Künstlernamen gibt es natürlich nicht nur in der Welt der Rockmusik. Einer, der das Spiel mit den Pseudonymen ad absurdum geführt hat, ist Calvin Cordozar Broadus Jr. Den kennt man besser als Snoop Dogg, früher natürlich als Snoop Doggy Dog, zwischenzeitlich auch mal als Snoopzilla, DJ Snoopadelic, Snoop Lion, Snoop Rock oder Big Snoop Dogg. Auffallend ist: Mit Snoop hat der Name eigentlich immer was zu tun. Der soll von der Liebe des Rappers zu Snoopy und den Peanuts stammen, die er sich in den Siebzigern reingesuchtet hat.
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Motörhead, Foo Fighters, Alice Cooper: Was Bandnamen wirklich bedeuten

Popkultur
„Please Please Me“: Vor 60 Jahren erscheint das schlüpfrige Debüt der Beatles
Am 22. März 1963 erscheint das erste Beatles-Album Please Please Me. Es beginnt mit einer frechen Aufforderung zum Oralverkehr, endet mit dem Orkan Twist And Shout – und macht die Beatles endgültig zu Stars.
von Björn Springorum
Heute kennt man sie ja alle, die Geschichten. So gut, dass es sich manchmal fast so anfühlt, als wäre man damals dabei gewesen. Auf der Reeperbahn. Im Cavern Club. Als Astrid Kirchherr aus den vier unscheinbaren Liverpooler Jungs die coolen Beatles macht. Bei ihrem vergeigten Vorspielen für Decca am Neujahrsmorgen 1962. Im Van von Gig zu Gig im kalten Großbritannien. Damals kennen diese Geschichten aber eben nur die wenigsten. Auch weiß niemand, dass hinter den Kulissen der Popmusik, hinter den in Großbritannien so angesagten Stammhaltern wie Cliff Richard und den Shadows eine Wachablösung vorbereitet wird. Eine neue Zeitrechnung. Gut, niemand außer Brian Epstein vielleicht.
George Martin hat den richtigen Riecher
Im März 1963 ist die Welt noch weit von einer Beatlemania entfernt. Seit 1961 besteht die Band aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und dem glücklosen Drummer Pete Best, der ja bekanntlich kurz vor ihrem großen Durchbruch gefeuert werden. Im Mai 1962 unterschreiben sie bei EMI und arbeiten fortan mit Produzent George Martin zusammen. Auch das weiß damals niemand: Die Band und ihr Produzent werden gemeinsam Musikgeschichte schreiben. Selbst wenn er ihnen anfangs nicht zutraut, jemals einen Hit zu komponieren. Seine Meinung ändert er schnell, als nach Love Me Do auch die zweite Beatles-Single Please Please Me einschlägt und in verschiedenen Hitparaden sogar bis an die Spitze klettert.
Das Rätselhafte ist: Nach den frühen Erfolgen ihrer ersten Singles will Martin ein ganzes Album mit den Beatles aufnehmen. Ein Album, von einer eher bei Teenagern beliebten Band? Ein absolutes Novum und nach Ansicht vieler ein vorprogrammierter Reinfall. Erwachsene kaufen Alben mit langweiliger Musik, die Kids Singles mit dem heißen Scheiß. So läuft das damals. Ist Martin aber egal. Der wittert Anfang 1963 etwas in der Luft, das die Welt für immer verändern wird.
Das Debüt wird an einem Tag aufgenommen
Recht zackig geht es damals noch in den Studios zu, viel Zeit für Experimente ist nicht vorgesehen. Ihr allererstes Album Please Please Me nehmen die Beatles dann auch an einem einzigen Tag auf – am 11. Februar 1963. Pete Best musste auf George Martins Anraten da schon seine Koffer packen und Platz machen für Ringo Starr. Wie wir aus der Peter-Jackson-Doku Get Back wissen, ist ein Studiotag zum Ende ihrer Karriere nicht mal genug Zeit, in der man die eine oder andere Meinungsverschiedenheit aus der Welt zu räumen. Man sieht also: Am Anfang der kurzen und dafür unerreicht steilen der Karriere soll alles noch ganz anders sein als am Ende knapp sieben Jahre später.
„Es war eine sehr geradlinige Angelegenheit, eher wie eine Aufführung“, so sagte George Martin mal zu den legendären Debüt-Aufnahmen der Beatles. „Wir buchten eine Morgen- und eine Nachmittags-Session und fügten dann noch die Abend-Session hinzu.“ Darüber schreibt der Beatles-Chronist Mark Lewisohn später: „In der Geschichte der aufgenommenen Musik gab es wohl nie wieder derart 585 produktive Minuten.“ Neben Chef George Martin sind Norman Smith und Richard Langham als Tontechniker dabei, als im Studio 2 der Abbey Road Studios (damals noch EMI-Studios) Musikgeschichte auf Tape gebannt wird. „Wir probten unser erstes Album nicht“, erinnerte sich Ringo Starr einst. „Wir nahmen es live auf.“ Davon profitiert das schnörkellose, direkte Material bis heute. Please Please Me klingt als einziges Beatles-Album wie eines ihrer Konzerte in Hamburg oder Liverpool – wo der Schweiß von der Decke tropft und alles nach Bier und Zigaretten riecht.
John Lennon ist heftig erkältet
Um zehn Uhr morgens geht es los, John Lennon schleppt eine üble Erkältung mit ins Studio, (McCartney schnieft auch, kein Wunder, das schreckliche englische Wetter…), und lutscht eine Halspastille nach der anderen. Sie nehmen den ganzen Tag auf, bis sie um zehn Uhr abends ihr Cover von Twist And Shout im Kasten haben. Die Nummer muss solange warten, weil Lennons Stimmbänder nach dem rachenzerfetzenden Gebrüll der Nummer vollkommen ruiniert sein würden. Denkt zumindest George Martin. Und zeigt sich beeindruckt: „Ich weiß nicht, wie die das machen. Wir nahmen den ganzen Tag auf, doch je später es wurde, desto besser wurden sie.“ Lennon sieht das etwas anders: Er kann danach wochenlang nicht schlucken. Alles für den Ruhm eben.
Und der kommt. Mit großen Schritten. Zwar wird das Debüt dann doch Please Please Me genannt und nicht Off The Beatle Track, wie McCartney vorschlägt; die Gottwerdung der vier Protagonisten ist von da an aber nicht mehr aufzuhalten. Das Album, das damals für gerade mal 400 Pfund (heute umgerechnet 9000 Pfund) aufgenommen wird, erscheint vor 60 Jahren am 22. März 1963, ist im Mai auf Rang eins der britischen Charts geklettert und bleibt dort satte 30 Wochen, bis es vom Nachfolger With The Beatles abgelöst wird. Da ist die Beatlemania längst ausgebrochen. Und die vier Jungs aus Liverpool auf dem Expressweg zur größten Band der Welt.
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Zeitsprung: Am 26.2.1970 erscheint in den USA ein halbherziges Beatles-Album.
Popkultur
Zeitsprung: Am 22.3.1987 brillieren Anthrax mit „Among The Living“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.3.1987.
von Christof Leim
Bunte Shorts und schnelle Riffs: Mit „Among The Living“ legen Anthrax am 22. März 1987 einen Klassiker des Thrash Metal hin. Dabei wäre die Sache beinahe beim Mix gehörig schief gegangen. Für den „Zeitsprung“ blickt Scott Ian zurück auf Comics und Sozialkritik, Hetfields Segen und die zufällige Erfindung des Rap-Metal.
Hier könnt ihr euch die Thrash-Granate ganz anhören:
Mit ihrem zweiten Album Spreading The Disease hatten Anthrax 1985 ihren Stil gefunden. Thrash Metal als Genre explodiert, und die New Yorker reiten ganz vorne mit. Die fünf blutjungen Headbanger touren was das Zeug hält, eine Pause gibt es nicht: „Als es mit den Shows für Spreading The Disease losging, haben wir mit dem Songwriting einfach weitergemacht“, erinnert sich Gitarrist Scott Ian im Gespräch mit dem Autor. „Uns war klar, dass wir in einem Jahr eine neue Platte abliefern müssen.“
Hetfield findet es gut
Vor allem Drummer und Hauptsongwriter Charlie Benante hat jede Menge Ideen, die die Band bei Soundchecks und im Bus ausarbeitet. Anthrax verfolgen vor allem die mit dem Song A.I.R. von Spreading The Disease eingeschlagene Richtung, legen aber noch einen drauf. Schon während der Europatour im Herbst 1986 als Vorgruppe von Metallica haben sie die beiden späteren Klassiker I‘m The Law und Indians am Start. „Ich kann mich erinnern, dass wir James Hetfield die Songs im Bus vorgespielt haben. Er fand die Riffs großartig. Und auch wir wussten, dass das Zeug einschlagen würde. Es klang noch besser als A.I.R., mit besseren Riffs und schnelleren Parts.“ Leider kommt bei dieser legendären Konzertreise Cliff Burton ums Leben, der Bassist von Metallica und ein Freund von Anthrax.
Thrash Metal ist eine ernste Angelegenheit. Not. – Foto: Brian Rasic/Getty Images
Zurück in den USA können Anthrax mit Hilfe von Island Records sogar Eddie Kramer als Produzenten gewinnen, der mit einigen der größten Namen im Rock gearbeitet hatte, darunter Jimi Hendrix, Led Zeppelin und The Rolling Stones. Für die Musiker zählt aber eine andere Referenz: „Wir wollten ihn vor allem, weil er einige der besten Kiss-Platten produziert hatte, nämlich Alive! und Rock And Roll Over“, stellt Scott klar. Die Band steht auf die Liveatmosphäre, die Kramer seinen Aufnahmen zu verleihen vermag. Die Produktion im Quadradial Studio in Miami läuft hervorragend, es „herrscht eine Energie wie in einem Football-Stadion“.
Ersoffen in Hall und Echo
Doch beim Mix in den Compass Point Studios auf den Bahamas, in dem schon Iron Maiden reihenweise Klassiker geschaffen hatten, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Beeindruckt vom Megaerfolg des Def Leppard-Meilensteins Hysteria (1987) und seiner poppigen Produktion von Robert „Mutt“ Lange ertränkt Kramer die Anthrax-Songs in Hall und Echo. Das klingt nicht nur weicher, sondern lässt angesichts der rasenden Geschwindigkeit der Stücke sämtliche Details verschwimmen. Kurz: eine Katastrophe. Die Band fällt aus allen Wolken und macht – Kiss-Fans hin, Legende her – deutliche Ansagen. Vor allem Scott bleibt stur, weil er weiß, dass die Zukunft seiner Gruppe von dieser Platte abhängt. Glücklicherweise einigen sich die Parteien und kreieren einen trocknen, megafett drückenden, heute klassischen Thrash-Sound.
Textlich schwanken Anthrax auf Among The Living zwischen ernsthaft, lustig und Nerdkram: Während Indians die Vertreibung der nordamerikanischen Ureinwohner anprangert, vertont Scott gleich zweifach seine Liebe zu den Horror-Thrillern von Stephen King. Dessen Bücher The Stand (deutscher Titel: Das letzte Gefecht) und Apt Pupil (verfilmt als Der Musterschüler) standen Pate für die Stücke Among The Living und Skeletons In The Closet.
Comics und Sozialkritik
Efilnikufesin (N.F.L.) thematisiert den Drogentod des Schauspielers John Belushi von den Blues Brothers, während Caught In The Mosh den Umgang mit dummen, nervigen Mitmenschen mit einem Moshpit vergleicht, dem man nicht entkommen kann. „Ich habe über die Themen gar nicht groß nachgedacht“, meint Scott dazu. „Ich würde euch ja gerne erzählen, dass I Am The Law als Metapher für irgendwas steht, eine schlechte Regierung oder böse Cops. Aber nein: Der Song handelt von Judge Dredd, weil ich auf Comics stehe. Damals wusste ich es auch gar nicht besser, ich war gerade mal 22 Jahre alt. Für mein Hirn ergab I Am The Law genauso viel Sinn wie Horror Of It All, in dem es um den Tod von Cliff geht. Ich wurde zum Texter der Band und musste mich anstrengen, damit nicht unterzugehen.“
Dass Anthrax nicht immer alles bierernst sehen, zeigt sich in einem musikalischen Experiment: Weil die Musiker auf Run-DMC und die Beastie Boys stehen, schreibt Scott mit seinem Gitarrentechniker John Rooney einen nach eigenen Worten „blödsinnigen“ Rap-Song, spielt dazu das jüdische Folk-Stück Hava Nagila als Metal-Riff – und fertig ist I‘m The Man, der erste (erfolgreiche) Rap-Metal-Crossover.
Die zufällige Erfindung des Rap-Metal
So haben Anthrax nach der Hardcore-Thrash-Vermählung bei S.O.D. zum zweiten Mal musikalische Grenzen eingerissen. Dabei war die Nummer »ein totaler Witz«, wie Scott auch drei Dekaden später noch betont. I‘m The Man wird zunächst auf der B-Seite von I Am The Law versteckt, findet aber großen Gefallen, gehört fortan zum Liveset und wird später sogar auf einer eigenen EP veröffentlicht.
Among The Living erscheint am 22. März 1987 und knackt mit einem Platz 62 die Top 100 in den USA. Die Scheibe zählt nicht nur zu den wichtigsten Alben von Anthrax, sondern eines ganzen Genres. Die neun Songs bersten förmlich vor Thrash-Energie und klingen dabei größer, eingängiger und vielseitiger als auf dem Vorgänger. „Sechs der Stücke könnten wir noch heute jeden Abend spielen“, findet Scott und hat Recht. „Das sagt schon was. Sie sind so gut.“
Bunte Shorts sind Metal!
Das Quintett begleitet nach der Veröffentlichung erneut Metallica in Europa, die mit neuem Bassisten Jason Newsted ihre Master Of Puppets-Tour beenden. In den USA sind Anthrax da bereits als Headliner unterwegs. Dabei gibt sich die Band bei allem ernsthaften Geriffe locker auf der Bühne: Die Zeiten von Nieten und Leder sind endgültig vorbei, unfassbar bunte Shorts und Shirts setzen einen deutlichen Kontrapunkt zum vorherrschenden Stil in der Welt der harten Musik.
Mit der Platte beschleunigt sich das Leben im Anthrax-Lager noch mehr: „Alles passierte richtig schnell! Man muss sich das mal vor Augen führen: Among The Living erschien nur drei Jahre nach Fistful Of Metal. „Im Mai 1987, am Anfang der Tour, haben wir kleine Clubs mit 500 Leuten ausverkauft. Im Dezember standen wir in den USA jeden Abend vor 7000 Fans. Ich war gerade mal 24.“
Popkultur
35 Jahre „Surfer Rosa“: Wie die Pixies quasi Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ schrieben
Zu punkig für Grunge, zu arty für Punk: Schon mit ihrem Debüt Surfer Rosa setzt sich das Alternative-Rock-Kuriosum Pixies 1988 genüsslich zwischen alle Stühle. Der Erfolg kommt dennoch und beeinflusst alles von Nirvana bis Radiohead – auch wegen der großartigen Selbstverlusthymne Where Is My Mind.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch Surfer Rosa anhören:
Als Punk noch nicht ganz tot und Grunge noch nicht ganz da ist, finden die Pixies zusammen. Allerdings nicht in Seattle, wo der Grunge geboren wurde, sondern in Boston an der Ostküste der USA, dem Epizentrum des US-amerikanischen Hardcore Punk. Okay, und der Heimat von Aerosmith, aber die dürften für die Pixies jetzt weniger eine Rolle gespielt haben.
Lang bevor Kurt Cobain und seine Truppe auf die Idee kam, dass die Dynamik einer zurückhaltenden Strophe und eines wild um sich schlagenden Refrains vielleicht auch für Nirvana eine gute Idee wäre, kultivieren die Kommilitonen Joey Santiago und Black Francis während ihres Nebenjobs in einer Lagerhalle die Idee einer Band. Zwei sind dafür aber in der Regel zu wenig, also schalten sie im Januar 1986 eine der wahrscheinlich kuriosesten Stellengesuche in der Welt des Rock’n’Roll: Gesucht wurde jemand für den Bass mit Vorlieben für sowohl den Folk-Act Peter, Paul And Mary als auch für die seltsamen Alternative Punks von Hüsker Dü. Nur eine Person meldet sich auf die Annonce – und sie spielt nicht mal Bass: Kim Deal. Scheint kein Hindernis zu sein, die beiden nehmen sie mit offenen Armen in ihre Mitte auf.
Hinterlistige kleine Kobolde
Wenn eine Band schon so anfängt, ist entweder gar nichts oder eben doch Großes zu erwarten. Rasch noch einen Schlagzeuger gefunden, das Wörterbuch zufällig auf irgendeiner Seite aufgeschlagen und sich für den Namen Pixies entschieden – also diese hinterlistigen kleinen Kobolde aus der englischen Fabelwelt. Man probt in einer Garage, man spielt in Bostoner Bars, man entwickelt einen Sound, der an der anderen Küste der USA sehr bald zu einer Blaupause für das werden soll, was unter dem Namen Grunge in den Mainstream kracht wie eine schlechtgekleidete Rakete mit fettigen Haaren.
Nach einem Demo und einem Plattenvertrag beim angesehenen Alternative-Pulsmacher 4AD geht es für die Pixies Ende 1987 ins Studio. Das Vorhaben: Ein Debüt aufnehmen. Der Produzent: Steve Albini. Den kennt man in der Szene kaum, zuvor hat er kaum als Produzent gearbeitet. Später, klar, wird er mit Nirvana an In Utero arbeiten, aber 1987 sind es erneut die Pixies, die ihn bekannt machen sollen. Was in zwei verschiedenen Studios in Massachusetts entsteht, ist ein körperlicher, viszeraler, schroffer Sound voller anatomischer Referenzen und Anspielungen auf Selbstverletzung: Bone Machine, Break My Body oder Broken Face heißen die Songs, die die junge Band in diesen Tagen auf die Tape-Maschinen bannt. In Cactus geht es um einen Sträfling, der seine Freundin bittet, ihre Hand an einem Kaktus aufzuspießen, ihr Kleid mit Blut zu beschmieren und es ihm zu senden. Ganz normales Zeug also.
Gesangsaufnahmen im Badezimmer
Der karge, trockene Sound der Drums wird von metallisch sägenden Gitarren und einer Vielzahl menschlicher Laute kontrastiert – singen, schreien, krächzen, würgen, jaulen. Nicht oft harmonisch und melodisch, aber dann (wie bei Where Is My Mind?) so richtig. Laut/leise, hart/sanft, eingängig/abgefahren lauten die Devisen, auf die sich Band und Produzent sofort einigen können. Steve Albini erinnerte sich mal an das erste Treffen mit der Band, bei dem sie über den Sound der Platte sprachen: „Und am nächsten Tag waren wir auch schon im Studio.“
Zehn Tage hat man Zeit, 10.000 US-Dollar ist das Budget. 1.500 davon bekommt Steve Albini, der in alter DIY-Manier auf Royalties verzichtet. Allein in den USA soll sich die Platte über 700.000 Mal verkaufen – das nennt man dann wohl nackten Idealismus. Dafür erweist sich Steve Albini sozusagen als fünfter Pixie und lebt sich bei den Aufnahmen voll in seinen unorthodoxen Produktionsmethoden aus. Ist ja auch fair. Kim Deals Gesang auf Where Is My Mind? wird im Badezimmer aufgenommen, um mehr Echo zu bekommen, Black Francis nimmt seinen Gesang auch mal durch einen Gitarrenverstärker auf. Außerdem erlaubt er sich, Gespräche im Studio mitzuschneiden und unter die Songs zu legen. Ein genialer Kauz eben.
Urmutter des Grunge
Als das Album erscheint, wird es in den USA erst mal gepflegt ignoriert, während es sich in Großbritannien zum echten Hit mausert. Skurrilerweise war die Platte in den USA zunächst nur als UK-Import zu bekommen, wird dann aber auch in den Staaten nach und nach zu einem verehrten Underground-Juwel – klar, spätestens als MTV seine Klauen in den Grunge gräbt und alle langsam checken, was schon einige Jahre zuvor in Boston vor sich ging. Und dann ist da natürlich noch Where is My Mind?, diese geniale, schleppende, jenseitige Hymne an dissoziatives Verhalten, weltberühmt gemacht durch den Film Fight Club.
Heute gilt Surfer Rosa als Grunge-Blaupause. Kurt Cobain gab zu, dass Surfer Rosa der mit Abstand größte Einfluss auf Smells Like Teen Spirit war. „Ich wollte einen Pixies-Song schreiben“, sagte er mal. Auch das Verpflichten von Steve Albini geht auf diese Platte zurück. Ähnlich geht es PJ Harvey, die danach sofort mit Albini arbeiten will.
Und die Pixies? Machen es wie jede gute Band: Fangen an, ihre Stadt und sich selbst zu hassen, halten aber noch bis 1993 durch. Es reicht, um die Alternative-Rock-Welt für immer zu verändern.
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