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Popkultur

„Need You Tonight“: Warum Michael Hutchence als das letzte große Sexsymbol der Rockwelt gelten muss

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Michael Hutchence
Foto: © INXS Archives

Eine Metallplakette blitzt auf. Darauf zu lesen sind drei Buchstaben – „S-E-X“. Dazu eine Lederjacke, nichts drunter. Zerzauste, schulterlange Locken, die einen durchdringenden Blick und einen waffenscheinpflichtigen Schmollmund einrahmen. Dazu huscht eine weiße Ratte über die Arme, am Hals entlang. Alles so zu sehen im Video zu Need You Tonight von INXS, das für alle Nichtkenner der australischen Rockszene wahrscheinlich das erste war, was man von Micheal Hutchence zu sehen bekam. Er war der Sänger der Band – und womöglich das letzte große Sexsymbol der Rock- und Popwelt.

von Jeanette Leech

Need You Tonight und die anderen Auskopplungen ihres Kick-Albums (1987) – Mystify, Never Tear Us Apart, New Sensation und Devil Inside: allesamt Klassiker – machten Hutchence & Co. schlagartig weltberühmt. Obwohl er über eine wirklich außergewöhnliche Gesangsstimme verfügte, brachte ihr Durchbruch noch eine andere Sache ans Licht, die Hutchence wie kein anderer beherrschte: Er wusste einfach, wie man Sex-Appeal ausstrahlt – mit jeder Bewegung, jedem Auftritt, jedem Blick.

„Die anderen haben Leute, die ihnen sagen, was sie anziehen sollen. Hab ich nie gebraucht.“

Wir erinnern uns: Die Ära, in der Kick erschien, war sonst eher von makellosem, um nicht zu sagen: retortengemachtem Pop definiert. Sicher gab es auch Ausnahmen: die Sinnlichkeit eines Terence Trent D’Arby etwa, die Supermodel-Inszenierung von George Michael – aber der Trend ging doch ganz klar in Richtung unbedrohlicher Hit-Fabrik à la Stock Aitken Waterman. Und mal ehrlich: Rick Astley und Kylie Minogue hatten vielleicht andere Stärken – aber Libido? Sex-Appeal?

Hutchence war dagegen fast schon ein Wilder. Seit 1977 war er bei INXS, vor Kick waren schon fünf Alben erschienen. Alles war also echt, war nicht konstruiert und hochgezüchtet, sondern organisch gewachsen: ohne Marketingplan, ohne Retorte. Und genau diese Authentizität machte ihn so anziehend. Seine Ausstrahlung war natürlich, quasi ungezügelt, ausgelassen. „Andere haben Choreographen und Leute für ihre Haare, Make-up-Künstler und Manager, die ihnen sagen, was sie anziehen sollen. Hab ich noch nie gebraucht. Nie“, sagte Hutchence im Jahr 1993. Bei ihm waren tatsächlich sogar der Schweiß und die dreckigen Fingernägel echt.

Michael Hutchence

Foto: © INXS Archives

Obwohl es Ähnlichkeiten zu früheren Ikonen der Rockwelt gab – zu Mick Jagger zum Beispiel, auch zu Jim Morrison –, war Hutchence durch und durch zeitgenössisch. Sein Sex-Appeal passte in die Zeit. Wie sein Kollege Prince glaubte auch Hutchence an das Recht auf weibliche Lust, die ausgelebt werden durfte; an abenteuerlichen, Sex als Begegnung auf Augenhöhe. Und obwohl er sich augenscheinlich als heterosexuell identifizierte, wirkte seine Vielgestaltigkeit anderen Sexualitäten gegenüber offen und verbunden – selbst, während er als der klassische männliche Rock Star durch die Welt stolzierte.

„Ich habe so viel von ihm gelernt“

Seine ganze Anziehungskraft zu spüren bekam man vor allem auf der Bühne, wo er am leidenschaftlichsten war. Den Mikrofonständer verließ er immer wieder, um sich ganz aufs Publikum einzulassen. Denn genau wie Iggy Pop sprang auch Hutchence gerne mal von der Bühne und ging auf Tuchfühlung mit denjenigen, die ihn vergötterten. Wer Glück hatte, bekam ihn kurz zu fassen. Und konnte spüren, dass sein Sex-Appeal nichts Distanziertes, Abgehobenes hatte. Es war greifbar und warm.

Dieselbe Verbundenheit war auch innerhalb der Band zu spüren: Hutchence und die anderen Bandmitglieder waren dermaßen eingeschworen, dass der Sänger immer wieder versuchte, die Aufmerksamkeit von sich auf alle zu lenken – ganz ähnlich wie Debbie Harry bei Blondie. Dem US-Rolling Stone sagte er deshalb sogar ein Cover ab: „Michael sagte, dass er ohne den Rest der Band nicht aufs Cover wollte – und blies die ganze Sache ab“, erzählte Gitarrist Tim Farriss im Jahr 1991.

Nach Kick veröffentlichten INXS im Jahr 1990 das Album X. Der Titel der ersten Single Suicide Blonde stammte dabei genau genommen von einem Kommentar von Hutchence’ neuester Freundin über ihre neue Haarfarbe. Wer das war? Jene bereits erwähnte Australierin, deren Image eigentlich viel zu glatt war: Kylie. Und ihre Beziehung ging natürlich nicht spurlos an Minogue vorbei, die nun ganz anders auftrat: Provokante Minikleider waren plötzlich angesagt, genauso noch provokantere, wissende Blicke. Schluss mit dem Plastik-Image also. Nach seinen Hobbys befragt, sagte ein schmunzelnder Hutchence einmal: „Kylie zu verderben.“

„Ich habe so viel von ihm gelernt, ja selbst jetzt lerne ich noch Neues durch ihn“, sagte Minogue, die auch nach der Trennung mit Hutchence befreundet war, nach dessen Tod im Jahr 1998. „Er bringt mir bei, wie es ist, jemanden zu verlieren, den ich geliebt habe.“

Echte Leinwandgröße

Und natürlich darf man auch nicht vergessen, dass der INXS-Frontmann in noch einer Sache als Ausnahme gelten darf: Er war einer der wenigen Rockstars, der auch schauspielerisch eine echte Begabung hatte. In dem 1986 veröffentlichten Indie-Film Dogs In Space hatte er grandios das von Drogeneskapaden durchzogene Dasein einer kleinen Musikertruppe aus Melbourne in Szene gesetzt. Hier wurde auch wunderbar seine Verbundenheit zum Underground sichtbar.

1990 spielte er in Roger Cormans Frankenstein Unbound eine ganz andere Rolle: die von Percy Bysshe Shelley. Seine Performance ist umwerfend – und das aus gutem Grund: Schon als 11-Jähriger hatte Hutchence davon geträumt, einmal selbst als Dichter zu leben. Er war von einem Dichter-Hotspot New Yorks zum nächsten gezogen, wollte in Cafés sitzen und einfach schreiben. Eine Haltung, die auch in jenem Blick zu liegen scheint, den man auf frühen Pressefotos noch gelegentlich erkennen kann…

Michael Hutchence

Foto: © INXS Archives

Als er 1997 sein letztes Album mit INXS veröffentlichte, Elegantly Wasted, schauten viele nur noch auf sein Privatleben. Die Klatschpresse handelte nur noch von der Schlacht zwischen seiner Verlobten Paula Yates und deren Ex-Mann Bob Geldof. Todunglücklich über die Tatsache, dass er seine Tochter nicht länger sehen durfte, fand man ihn am 22. November 1997 tot in einem Hotelzimmer in Sydney.

Der Letzte seiner Art

Michael Hutchence war der Letzte seiner Art. Er verkörperte einen Typ von Rockstar, der seither ausgestorben ist. Die Tatsache, dass dieser Typus nie wieder imitiert wurde, mag verschiedene Gründe haben: Mangelndes Talent – oder auch schlicht die Tatsache, dass sich das Verständnis von „Authentizität im Rock“ komplett verändern sollte in den Neunzigern. Plötzlich war Introspektion à la Kurt Cobain und Thom Yorke angesagt. Sänger also, für die Sex und Liebe eher mit Schmerz verbunden waren, wenn denn diese Themen überhaupt auftauchten in ihren Songs.

Obwohl Michael Hutchence nun schon mehr als zwei Jahrzehnte tot ist, ist die Energie seiner Auftritte noch genauso umwerfend wie damals. INXS im Wembley-Stadion im Jahr 1991 zum Beispiel: Hier scheint er tatsächlich jeden Menschen zu berühren, der mit der Band im Stadion ist. Für seine Fans war er tatsächlich immer beides: ein Vertrauter, ganz nah, und eine schillernde Fantasie, die unerreichbar bleiben sollte.

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