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Popkultur

„Music Box“ wird 30: Wie Mariah Careys Welterfolg am Reißbrett geplant wurde

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Mariah Carey HEADER
Foto:Al Pereira/Getty Images

Alles an ihrem dritten Album ist auf Erfolg getrimmt: Mit aller Macht will Mariah Carey auf Music Box zur Balladenqueen werden. Die Kritik reibt sich daran auf, der Erfolg gibt ihr Recht – auch wegen der phänomenalen Schmonzette Without You.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Musik Box anhören:

Es gibt zwei Mariah Carey. Die vor Music Box. Und die nach Music Box. Die Mariah Carey prä 1993 ist eine integre R&B-Sängerin, die 1992 sogar ein MTV Unplugged-Album veröffentlicht. Das reicht Produzent Walter Afanasieff nicht. Er ist seit ihrem Debüt Mariah Carey als Hitmacher und Produzent an ihrer Seite, wird später mit Celine Dions Mini-Melodrama My Heart Will Go On stinkreich werden. 1993 will er aber erst mal Mariah Carey neu erfinden. Weniger Soul, mehr Tränendrüse. Weniger Groove, mehr Pomp.

Die Neuerfindung der Mariah Carey

Gemeinsam mit Carey und einer Riege anderer Songwriter schnitzt er Ballade nach Ballade, macht ihren Sound glatter, gefälliger, noch poppiger. Ein etwas seltsamer Move für die Diva: Nachdem sie Tommy Mottola von Columbia entdeckt, sie zum Star macht und dann auch gleich heiratet, schwimmt sie sich nach ihrem Debüt mit dem Nachfolger Emotions frei. Mehr Einflüsse, Gospel, Dance, Pop, dazu ihre große Stimme: Die Welt ist begeistert und sich sicher, das hier eine neue, unabhängige Janet Jackson entsteht.

Was zwischen Oktober 1992 und May 1993 in Studios in New York City und Los Angeles entsteht, ist dann aber eben ein eher rückschrittlich klingendes Album, das Produkt eines Pop-Sternchens, das sich mit einer Armada an Produzenten und Hit-Fabrikanten umgibt, um ihren Sound noch erfolgreicher und gefälliger zu machen. An mangelndem Erfolg kann das nun wirklich nicht liegen: Ihre ersten beiden Platten verkaufen sich zusammen über 23 Millionen Mal. Psst, Spoiler: Music Box wird das sogar toppen und geht insgesamt über 28 Millionen Mal weg. Allein aus ökonomischer Sicht lohnt sich diese Reißbrettumgestaltung der Mariah Carey also.

Die Stimme eines kleinen Mädchens

Die geschieht durchaus auf Druck des Labels, also auch auf Druck ihres Mannes. Das Experiment, ihr mehr künstlerische Kontrolle zuzugestehen, wird nach den „nur“ acht Millionen verkauften Einheiten von Emotions für gescheitert erklärt. Ihre Stimme wird merklich zurückgefahren, soll eher säuseln, hauchen und lieblich klingen als laut und fordernd zu singen. Das Ergebnis ist eine Stimme wie aus einem Disney-Film, „immerwährend glücklich“ und die eines kleinen Mädchens, wie Kritiker schrieben. Man muss nicht dazusagen, wie problematisch das ist.

Auf Blockbuster getrimmt

Glaubt man ihren Zeitgenossen, geschieht das aber eben alles mit ihrem Einverständnis. Mariah Carey ist involviert in Songwriting, Aufnahmen und Produktion, entscheidet sogar, jeden Song mit Live-Backing-Vocals zu überlagern, um nicht zu sehr nach steriler Studioumgebung zu klingen. „Es ist nicht so, dass ich mit tieferen Tönen experimentiere. Meine natürliche Stimme ist tief. Meine Sprechstimme ist tief, weißt du, was ich meine? Und ich fühle mich wirklich wohl, wenn ich in meiner tieferen Lage singe“, so sagt sie selbst dazu.

Über 180 Coverversionen von „Without You“

Bei Erscheinen lässt die Presse nicht gerade ein gutes Haar an ihr. Das Songwriting sei blass, ihre gesangliche Leistung fast schon unbeteiligt. Im Rolling Stone schrieb Stephen Holden, die Texte bestünden „ausschließlich aus Pop- und Soul-Klischees“ auf einem Album, „das so präzise darauf berechnet ist, ein Blockbuster zu sein, dass seine Wirkung letztlich ein wenig nervt.“ Music Box wirkt 30 Jahre nach Erscheinen gewollt, oberflächlich, bietet Mariah Careys großartiger Stimme keine allzu schöne Bühne. Der Erfolg spricht aber eine andere Sprache, und natürlich muss ein behutsam konstruiertes Pop-Werk auch genau danach bewertet werden. Music Box ist eins der erfolgreichsten Alben aller Zeiten, ein Nummer-eins-Erfolg in 15 Ländern, darunter den USA und Deutschland.

Der schönste Song des Albums ist dann auch bezeichnenderweise ein Cover: Without You, im Original aus dem Jahr 1970 natürlich von Badfinger. Von den über 180 Versionen des Songs ist Mariah Careys die erfolgreichste – und letztendlich ebenso konstruiert wie der Rest von Music Box: „Ich habe das Lied in einem Restaurant gehört und wusste sofort, dass es ein großer internationaler Hit werden würde.“ Recht hatte sie.

Danach geht ihre Karriere erst so richtig steil. Erste Tournee, Fernsehauftritte – und 1994 mit Merry Christmas dann noch das erfolgreichste Weihnachtsalbum aller Zeiten. Besser als auf Emotions klang sie aber nie wieder.

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